Chuckawalla Swing: Zwischen Schlange und Leguan

Wagon Master

Wagon Master von John Ford, Teil 2

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Wir haben damit aufgehört, dass Dr. Hall seine Nassrasur abbrechen muss, weil es in der Wüste kein Wasser gibt und man sich solchen Luxus da nicht leisten darf. Das Wasser hat John Ford immer fasziniert. Mir fällt kein Film ein, wo es nicht eine wichtige Rolle spielt. Am liebsten sind ihm Flüsse, und zwar besonders dann, wenn man sie überqueren kann. Flüsse sind ständig in Bewegung, sie spenden Leben, ihre Überquerung markiert den Aufbruch zu neuen Ufern. Wenn Ford unzufrieden ist mit der Gesellschaft, die er uns zeigt, wird aus dem Fluss eine mit Blut getränkte Grenze wie in Rio Grande und in The Searchers. Und manchmal ist der Fluss der Jordan, in dem sich Jesus von Johannes taufen ließ.

Letzteres ist im übertragenen Sinne und nicht wörtlich zu verstehen. Es geht nicht darum, Mitglied einer bestimmten Konfession zu werden wie man einem Verein beitritt und auch nicht um das Wort zum Sonntag, sondern um den Zauber, der solchen Momenten wie dem am Jordan innewohnt, weil da - ganz unreligiös gesprochen - eine Revitalisierung stattfindet, und eine Entkalkung des Gehirns, der nur die teilhaftig werden, die sich auf das Neue einlassen, statt sich im Alten einzuzementieren. Als Jesus herauf aus dem Wasser stieg, berichten die Evangelisten, tat sich über ihm der Himmel auf. Dann sah er den Geist Gottes, der wie eine Taube über ihn kam. In der Bibel (Jesaja 11:2) steht auch, was man sich unter dem Geist des Herrn vorzustellen hat. Gemeint ist der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis.

Bei Rudyard Kipling, von dem ich glaube, dass er für Ford eine Inspirationsquelle war, wird aus dem Jordan ein geheimnisvoller, auf keiner Karte verzeichneter Fluss, der einen von allen Sünden reinigt. In Kim sucht ein tibetischer Lama nach diesem Fluss. Der Titelheld begleitet ihn auf seiner Reise zur Erkenntnis. Die schlimmste aller Sünden, sagt der Lama, ist die Dummheit. Schade, dass es den Fluss, der von ihr reinigt, nur in der Literatur zu geben scheint, nicht in der Wirklichkeit.

Some horses and real estate

Die Migranten in Wagon Master müssen keine Angst haben, dass aus dem Fluss eine Grenze wird, an der man auf sie schießt, weil das ein Film über das Leben ist, nicht über eine dumpfe Negativität. Doch der Reihe nach. Beginnen wir mit einer Anekdote. John Ford soll wieder einmal ein Drehbuch verfilmen, in dem für seinen Geschmack zu viel geredet wird. Er erklärt den Autoren, dass es für eine Filmkamera nichts Besseres gibt als ein laufendes Pferd. Werft das Gerede raus, sagt er, und gibt mir Pferde und Immobilien (= Landschaften): "Some horses and real estate." Wagon Master zeigt ein um das andere Mal, was damit gemeint war. Dabei muss es nicht immer das grandiose Landschaftspanorama mit Wagentreck sein. Vielleicht sogar noch besser ist Fords Handschrift in den kleinen, intimen Momenten zwischen zwei Charakteren zu erkennen.

Wagon Master

Die Rasierszene bereitet die nächste Etappe der Romanze zwischen Travis und Denver vor. Travis reitet am Wagen von Dr. Hall vorbei, als er und sein Pferd mit einem Eimer Wasser übergossen werden. Er sitzt nicht auf Steel wie sonst. Steel war durch nichts aus der Ruhe zu bringen und wurde für diese Einstellungen durch ein feuriges Rodeopferd ersetzt. Für die meisten Regisseure war ein Tier wie das andere. Nicht für Ford. Er ließ das Pferdedouble von der Maske so zurechtmachen, dass es wie Steel aussah. Das Pferd scheute wie gewünscht. Travis’ halsbrecherischer Rodeoritt endet damit, dass er sich nicht im Sattel halten kann und unsanft auf die Erde fällt. Denver hat ihr Badewasser über ihm und dem Pferd ausgegossen. Heutzutage würde das Liebespaar gemeinsam in die Wanne steigen. 1949 musste Ford sich etwas einfallen lassen, um die Zensur zu umgehen. Also werden wir erst darüber informiert, wie kostbar das Wasser ist. Travis sagt, dass es für die Pferde gebraucht wird. In Zukunft, antwortet Denver schnippisch, werde sie nur noch baden, wenn es der Treckführer ausdrücklich erlaubt habe. Das lenkt davon ab, dass beider Haut soeben vom selben Wasser benetzt wurde, sie sich das Bad "geteilt" haben.

Wagon Master

Wer das überinterpretiert findet: Einmal steht Travis am Fluss und nimmt seinem Pferd zu einer Instrumentalversion von "I left my gal in Old Virginny" den Sattel und die Satteldecke ab, zieht es gewissermaßen aus. Prompt kommt Miss Denver ins Bild, die gleich ihre Kleider ablegen wird und vorher artig fragt, ob sie jetzt baden darf. Travis hat nichts dagegen und ruft der im Gebüsch verschwindenden Miss Denver hinterher, dass er sich ihr anschließen will. "Schön", sagt sie. Hier blieb den Zensoren vermutlich die Spucke weg. Ein gemeinsames Bad im Fluss? Mit Production Code ging das gar nicht. Statt Denver ins Gebüsch zu folgen bleibt die Kamera bei Travis (Aufatmen bei den Tugendwächtern), der sich auf sein Pferd schwingt. Das sieht elegant und leicht aus und ist doch so schwer. Dobe Carey war auf einer Ranch aufgewachsen und wahrlich kein schlechter Reiter. Trotzdem, sagt er im Audiokommentar der DVD bewundernd (nur Warner, Region 1), habe er es nie geschafft, mit der anstrengungslosen Grazie eines Ben Johnson auf den Rücken eines ungesattelten Pferdes zu springen.

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Während sich Miss Denver, wie man annehmen darf, im Off nackt auszieht, reitet Travis auf seinem nun nackten (sattellosen) Pferd in den Fluss. Als züchtiger Kinoheld lässt er seine Sachen an. Dazu lacht er fröhlich wie jemand, der sich über einen gelungenen Streich freut. Mehr als ein Interpret hat sich gefragt, was das da soll. Mir fällt nur eine Deutung ein. Der den leiblichen Genüssen nicht abgeneigte Katholik John Ford macht sich über die verklemmten Damen und Herren von der - unter dem Einfluss katholischer Lobbygruppen stehenden - Selbstzensur der Filmindustrie lustig, und Ben Johnson lacht dazu, stellvertretend für seinen Regisseur. Das ist fast noch unverschämter als die Szene in Howard Hawks’ The Big Sleep, wo sich Lauren Bacall und Humphrey Bogart an der Oberfläche über das Pferderennen unterhalten und doch nur vom Geschlechtsverkehr reden. Vielleicht wollte Ford seinem Rivalen Hawks zeigen, dass er das auch konnte - und zwar ganz ohne die Hilfe des späteren Literaturnobelpreisträgers William Faulkner, der in Hollywood gutes Geld verdiente, indem er für Hawks und Kollegen anzügliche Dialoge mit sexuellem Subtext schrieb, gegen die kein Zensor etwas ausrichten konnte. Aus Wasser und Pferden wird in Wagon Master eine höchst schlüpfrige Angelegenheit.

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"Sorry, horse"

Bleiben wir noch einen Moment bei den Pferden. Im Audiokommentar der US-DVD beeindruckt Dobe Carey - ein bescheidener, völlig unprätentiöser alter Herr - mit einem exzellenten Gedächtnis. Jahrzehnte später weiß er noch genau, wie die einzelnen Pferde hießen und welche besonderen Eigenschaften sie hatten. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass Wagon Master ein Film von John Ford ist. Die Tiere sind Teil der Besetzung. Man wundert sich beinahe, dass sie im Vorspann nicht zusammen mit den Schauspielern aufgeführt werden. Zu Red River gibt es die Anekdote von Montgomery Clift, der sich, ganz der Method Actor, intensivst in seine Rolle als Ziehsohn von John Wayne hineinfühlt und seinem Regisseur Howard Hawks erzählt, was er sich alles dazu gedacht hat. Hawks will das nicht wissen und schickt ihn mit einem Cowboy für 14 Tage in die Prärie, damit er erst mal richtig reiten lernt (und nicht so wie ein Filmheld). Auch für Ford fing die Schauspielerei im Western mit dem Reiten an, also mit der Interaktion von Tier und Mensch, nicht mit dem Aufsagen von Dialogen oder dem Vorführen von Actors-Studio-Manierismen.

Scott Eyman (Print the Legend: The Life and Times of John Ford) hat an der Szene mit Denvers ausgeschüttetem Badewasser zu bemängeln, dass es Ben Johnson ist, der da vom Pferd fällt, kein Stuntman. Johnson hätte sich verletzten können, dann hätte man die Dreharbeiten unterbrechen müssen. Das ist sicher richtig und doch total daneben. Es sind genau diese Produzenten- und Buchhalterargumente, denen sich Ford entziehen wollte, indem er nach Moab ging. Wagon Master wirkt nicht authentisch, weil die Männer Cowboyhüte tragen, die Sons of the Pioneers im Off Lieder von Stan Jones singen und die Siedler mit Planwagen unterwegs sind statt mit Automobilen. Der Film wirkt "echt", weil nicht getrickst wird. Die Akteure selbst, nicht ihre Doubles reiten durch die Landschaft, in kunstvoll komponierten Bildern, denn Authentizität ist nicht mit einer irgendwie "realistischen" Wiedergabe der Wirklichkeit zu verwechseln (auch "Realismus" ist nur eine Sehgewohnheit).

Wagon Master

Ford, sagt Carey, liebte es, Ben Johnson beim Reiten zuzusehen. Nirgendwo ist das so atemberaubend wie da, wo Travis vor den Indianern flieht. Johnson reitet selbst. Es hätte sich auch niemand finden lassen, der so etwas besser konnte als er. Sein Pferd hingegen wird gedoubelt. Johnson reitet nicht Steel wie üblich, sondern Bingo, ein auf solche halsbrecherischen Aktionen spezialisiertes Stunt-Pferd. Andere Regisseure drehten so etwas gern mit mehreren Kameras und aus verschiedenen Perspektiven, damit der Cutter durch die Montage die Illusion einer Bewegung erzeugen konnte, die es so nie gegeben hatte. Ford reichte eine Kamera. Wie immer ist sie für jede Einstellung perfekt platziert. Über das Kino des John Ford sagt diese Flucht vor den Indianern mehr als manch tiefschürfende Analyse. Wer bei der halsbrecherischen Verfolgungsjagd in erster Linie an die Gefahr für das Pferd denkt, das keiner gefragt hatte, ob es so etwas machen wollte: Bingo gehörte dem Schwiegervater von Ben Johnson. Er passte - so gut wie möglich - auf ihn auf.

Wagon Master

Careys Erinnerungen erlauben es einem, den Film neu und anders zu sehen. Man erkennt dann zum Beispiel, wie schwer das Pferd von Ward Bond unter der Last seines Reiters zu tragen hatte. Auf schwierigem Gelände, am Ufer des Colorado, brach es unter Bond zusammen. Fords Western sind so lebendig, weil er solche Aufnahmen nicht wiederholte, sondern sie zum Improvisieren nützte. Wiggs schimpft jetzt fürchterlich auf das arme Pferd, das ihn gerade abgeworfen hat. Das Tier kann nichts dafür, sagt Travis. Wir müssen eine andere Furt suchen, weil hier Treibsand ist. Wiggs bedauert seinen Wutausbruch und entschuldigt sich: "Sorry, horse." In diesen zwei Worten steckt der Kern des Films. Es gibt Leute, die anderen Lebewesen (Mensch wie Tier) mit Respekt begegnen und welche, die diesen Respekt vermissen lassen und nur die eigene kleine Gruppe sehen. Die einen werden überleben, die anderen nicht.

Swingende Leguane, kämpfende Hunde

Ein Ford-Western muss eine Tanzszene haben. Wagon Master hat deren zwei. Um das bisher Erreichte zu feiern und sich für die noch kommenden Strapazen zu stärken werden nach der Überquerung des Flusses Bretter für eine provisorische Tanzfläche ausgelegt. Mr. Peachtree begleitet mit seiner Trommel die Mormonenband und Wiggs ruft zum Square Dance auf. Gespielt wird der "Chuckawalla Swing" von Stan Jones, die Sons of the Pioneers singen im Off den Text dazu: "Way out west there’s a dance that’s being done/The chuckwallas do it so it must be lots of fun./All around the floor you can beat and swing/And listen to the music as they gaily sing:/You put your arm around her and you swing her 'round the floor/When you do it once then you’ll want to do it more ..." Daraus entwickelt sich die übermütigste Tanzszene im gesamten Œuvre von John Ford. Lustig ist sie auch, wenn man sich vorstellt, dass die Mormonen es den Chuckwallas gleichtun wie im Lied besungen. Der Chuckwalla ist ein dicklicher, in trockenen Gegenden im Südwesten der USA heimischer Leguan.

Wagon Master

In den Tanz eingebettet sind mehrere Handlungsstränge. Wiggs fordert Miss Fleuretty auf, um den Leuten von der Medicine Show zu zeigen, dass sie willkommen sind. Denver und Travis nähern sich einander weiter an. Sandy richtet zum ersten Mal das Wort an Prudence, mit der er bisher nur vielsagende Blicke ausgetauscht hat, so kommt auch diese Romanze ein Stück voran. Sandy bittet Prudence zum Tanz und sticht einen jungen Mormonen aus, Bruder Jackson, mit dem er früher schon aneinander geraten ist, weil die beiden Rivalen um die Gunst von Prudence sind. Integration, sagt der Film, ist nicht konfliktfrei und hat auch etwas mit einem Verdrängungswettbewerb zu tun. Und bis zu einem gewissen Grad chaotisch ist sie sowieso, das lässt sich nicht vermeiden. Jeder Migrationsforscher wird einem das bestätigen.

Einmal liefern sich Sandy und der Mormone eine Prügelei. Ford wollte keine routinierte Boxerei im Stile von John Wayne, sondern den Kampf zweier Männer, die mit solchen Keilereien keine Erfahrung haben. Wild und unschön sollte es also sein, keine choreographierte Gewalt wie üblich. Bei Ford schaut auch ein Wagentreck nicht aus wie in einem Durchschnittswestern, wo der Requisiteur die ewig gleichen Sachen aus dem Fundus holt. So bat er beispielsweise die als Statisten engagierten Bewohner von Moab, ihre Hunde mitzubringen. Nach Hollywood-Standards war das höchst unprofessionell, weil Hunde bellen und einem leicht die Aufnahme verderben können. Ford ließ das Bellen einfach drin. Man hört es überall im Film.

Wagon Master

Zwei von den Moab-Hunden, erzählt Dobe Carey, gingen täglich aufeinander los. Ford hatte die Idee, die Hunde von ihren Besitzern ins Getümmel werfen zu lassen. Sie sollten neben Sandy und Bruder Jackson miteinander kämpfen, möglichst in derselben Einstellung. Ward Bond sollte sich bereithalten, um auf Fords Zeichen dazwischen zu gehen. Doch die Hunde folgten nicht der Regieanweisung. Der eine ergriff die Flucht. Der andere schnappte nach Bond und zerriss sein Hosenbein. Carey erinnert sich daran, dass das großes Gelächter hervorrief und die ohnehin schon gute Stimmung noch verbesserte. Ford improvisierte, statt die Aufnahme zu wiederholen. Sandy und der junge Mormone balgen sich, Wiggs trennt die Streithähne, Sister Ledeyard stößt dazu ins Horn und weist Wiggs auf den Riss in seiner Hose hin, worauf dieser schamhaft sein entblößtes Bein bedeckt wie sonst die jungen Mädchen. Ford treibt nicht nur da sein Spiel mit den Geschlechterrollen. Der Cowboy von "I Left My Gal in Old Virginny" zieht durchs Land und schläft mit vielen Frauen. Das ist das traditionelle Männerbild. Travis und Sandy wirken in sexuellen Dingen eher unschuldig. Nicht die Cowboys kennen viele Frauen. Es ist Denver, die viele Männer kennt.

Stimmungsumschwung

Einen Antagonismus wie den zwischen Sandy und Bruder Jackson kann man gewaltsam austragen oder mit Hilfe erlernter Kulturtechniken. Erst prügeln sie sich, dann zeigen die Rivalen beim Tanz ein ausgeprägtes Balzverhalten. Das ist die zivilisiertere Form des Buhlens um die Gunst von Prudence. Ob poetisch wie in My Darling Clementine, gravitätisch wie in Fort Apache oder quicklebendig wie in Wagon Master: Tanzveranstaltungen sind eines von den Ritualen, mit denen sich die Gemeinschaft bei Ford trotz aller Probleme ihres Zusammenhalts versichert. Beim Tanz herrscht Harmonie. Die ausgelegten Bretter sind gleichsam das Fundament, auf dem sich eine Gesellschaft bauen lässt, in der man sich bei unterschiedlichen Interessen nicht die Köpfe einschlägt oder totschießt. Die vergangenen Konflikte, die Intoleranz und die Ablehnung von Fremden, werden - zumindest vorübergehend, als Ausblick in eine bessere Zukunft - durch eine Feier des Lebens ersetzt, und alle dürfen mitmachen.

Wagon Master

Der Tanz ist Fords Lieblingsritual, weil da alles in Bewegung ist. Die Gesellschaften, die er zeigt, sind immer in einer prekären Lage, müssen sich stets aufs Neue beweisen und dabei ihre Werte überprüfen. Meistens sind feindliche Indianer oder Banditen in der Nähe, wenn getanzt wird. Auf der Tanzfläche versammelt sind jetzt drei der vier Gruppen, die der Marshall von Crystal City in seiner Stadt nicht haben wollte: "Mormons, Cleggses, show folks, horse traders". Fehlen nur die Cleggs, die am Anfang den Raubüberfall begangen haben und die man inzwischen - wir sind in der Mitte des Films - fast vergessen hat. Prompt betreten sie die Bühne. Es könnte eine Szene aus einem Horrorfilm sein, die Rückkehr des Verdrängten. Ford verfügte über eine Fähigkeit, die das amerikanische Kino unserer Tage offenbar verloren hat. Er konnte innerhalb einer Sekunde die Stimmung radikal ändern, ohne dass ein bloßes Bravourstück daraus wird. Der Stimmungsumschwung beim Tanz der Pioniere ist Teil der Geschichte, die er uns erzählen will. Das Gute und das Böse, das Licht und die Dunkelheit trennt manchmal nur ein Filmschnitt.

Wagon Master

Aus der Wüste kommen die Cleggs ins Lager wie Gespenster, zu hymnisch-unheimlicher Musik und dem elegischen Summen der Sons of the Pioniers (die erst "The Pioneers" hießen und sich dann umbenannten, weil jemand fand, dass sie für Pioniere doch etwas jung waren). Ford erinnert uns daran, dass es nicht die besorgten Bürger von Crystal City waren, die den Westen für die weißen Siedler erschlossen. Zuerst kamen abenteuerlustige junge Männer, religiös Diskriminierte, dubiose Geschäftemacher, fahrendes Volk, Prostituierte und Gesetzlose. Der Marshall hat gewissermaßen seine eigenen Vorfahren aus der Stadt vertrieben.

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Die Ankunft der Cleggs beendet die fröhliche Tanzmusik und bricht das Gruppenbild mit Damen auf, zersplittert es in Nahaufnahmen sich misstrauisch beäugender Männer, vier auf der einen und vier auf der anderen Seite; drei von ihnen werden überleben und fünf sterben. Meistens kann man lesen, dass es ein Vater und seine Söhne sind, die den Westen unsicher machen. Fred Libby (Reese) und Mickey Simpson (Jesse) waren schon die Söhne des alten Clanton in My Darling Clementine, und auch James Arness (Floyd), der angehende TV-Marshall von Dodge City, könnte der Sohn des Bandenchefs sein, aber Hank Worden (Luke) war nur ein Jahr jünger als sein "Vater" Charles Kemper. Die Maske gibt sich keine Mühe, die Gleichaltrigkeit der beiden zu verbergen, der Patriarch verwendet das unbestimmte "my boys" für seine vermeintlichen Söhne, und diese nennen ihn "Onkel Shiloh". Statt der leibliche Vater seiner Jungs zu sein könnte der alte Clegg auch vier Waisenkinder in der Wüste aufgesammelt und zu Banditen gemacht haben.

Wagon Master

Resolute Support

Wagon Master ist ein Film der ebenso unaufdringlichen wie eindrücklichen Kamerafahrten. Beim Eintreffen der Bande verlassen die Frauen die Tanzfläche, als würden sie einer vorher festgelegten Choreographie folgen. Die Kamerafahrt (sie dauert knapp eine halbe Minute) beginnt, als Wiggs die Banditen zur Feuerstelle führt. Die Sporen von Onkel Shiloh klirren auf den Brettern des improvisierten Tanzbodens, dann gehen er und seine Sippe an den Frauen der Mormonen vorbei wie durch ein Spalier. Das ist nicht mehr das Bild einer Gemeinschaft, sondern eines von getrennten Welten. Die Cleggs sind eine Männergesellschaft ohne Mutter und ohne Ehefrau. Die Leerstelle ist die Botschaft. Bei Ford definiert sich eine solche Gesellschaft, in der das weibliche Prinzip fehlt, primär über die Gewalt. Onkel Shiloh trägt denselben Namen wie eine der blutigsten Schlachten des amerikanischen Bürgerkriegs. Ford wäre bestimmt kein Anhänger der AfD, wenn er heute leben würde. Genauso ablehnen würde er aber eine Politik, die erst junge Männer ins Land lässt und dann den Nachzug von deren Müttern und Schwestern verhindern will, weil das die Probleme bestenfalls verschiebt und der nächsten Generation aufbürdet.

Die Mormonen sehen sich jetzt mit einer ungleich größeren Herausforderung konfrontiert als damals, als sie Dr. Hall und seine Truppe vor dem Verdursten retteten, denn: Gilt die christliche Nächstenliebe auch für Banditen? Ein Abendessen hat man ihnen schnell gewährt, weil sich die fünf Männer einfach nehmen würden, was man nicht freiwillig gibt. Aber wie geht es weiter? Wiggs flüchtet sich in bürgerliche Umgangsformen und offenbart seine ganze Hilflosigkeit, wenn er die Banditen auffordert, die Teller ordentlich aufeinander zu stapeln, nachdem sie gegessen haben. Die Probleme löst das nicht. Für die Cleggs ist es sehr praktisch, sich dem Wagentreck anzuschließen. Darum sind sie am nächsten Morgen auch noch da. Ford, der Moralapostel und deren Bigotterie nicht leiden konnte, sorgt dafür, dass Onkel Shiloh das große Bett von Dr. Hall für sich reklamiert. Diejenigen unter den Mormonen, die mehr dem Alten als dem Neuen Testament zuneigen, dürfen sich fragen, ob die Heimsuchung durch die Banditen eine Strafmaßnahme ihres zornigen Gottes ist und ob die im Bett liegende Hure nicht doch einem Killer vorzuziehen wäre, der Lust dabei empfindet, wenn er mordet. Aus Sicht der Zensoren war die Sache klar. Sex war verboten, Leute totschießen hingegen nicht.

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Die eigentliche Frage aber ist: Was macht man, wenn man sich zur Gewaltfreiheit bekennt und auf Menschen trifft, für die Gewalt ein Teil des täglichen Lebens ist? Die Antwort des Films: Man braucht Helfer, an die man die Gewaltausübung delegieren kann, andernfalls wird man umgebracht. Ford tut nichts, um das moralische Dilemma, in dem die Mormonen dadurch stecken, zu vertuschen. Bruder Perkins, der Mann mit dem alttestamentarischen Bart des Gerechten, hat nicht lang gezögert, als es darum ging, der friedlichen Truppe von Dr. Hall die Gastfreundschaft zu verweigern. Angesichts der bewaffneten Banditen bleibt er auffallend still. Es sind Travis und Sandy, die demonstrativ ihre Pistolengürtel umschnallen. Die Banditen sollen sehen, dass mit Widerstand zu rechnen ist. Onkel Shiloh versteht das Signal und will wissen, ob die beiden schon einmal auf einen Menschen geschossen haben. "Nein", antwortet Travis. "Nur auf Schlangen."

Wagon Master

Für einen Helden im Western ist das eine bemerkenswerte Aussage. Wagon Master ist meilenweit von der Selbstverständlichkeit entfernt, mit der man in unzähligen Cowboyfilmen Leute totschießt, um dann zur Tagesordnung zurückzukehren, als wäre es das Normalste von der Welt. Ford gibt der Gewalt dadurch einen anderen Stellenwert, und er nimmt den Mormonen die Möglichkeit, sich durch die Hintertür von ihrem Dilemma zu verabschieden. Der Mann, der an ihrer Stelle schießen wird, ist weder Revolverheld noch Sheriff und also keiner, der sich für ein Leben entschieden hat, in dem die Gewalt mit dazugehört. Wir erfahren gerade, wie vergleichsweise einfach und debattenlos das Delegieren wird, wenn man die allgemeine Wehrpflicht abschafft und sich ein Freiwilligenheer zulegt.

Eine Woche vor dem "Fest der Liebe", am 17. Dezember 2015, beschloss der Deutsche Bundestag einen zeitlich unbegrenzten Krieg in Afghanistan (vorerst zwei Jahre, dann schaun wir mal), ohne dass eine der mit unseren Zwangsgebühren alimentierten TV-Anstalten deshalb ihr vorweihnachtliches Wohlfühlprogramm geändert und der Abstimmung eine Sondersendung gewidmet hätte. Pünktlich nach der Tagesschau, um 20 Uhr 15, lief bei der ARD Der kleine Lord, Markus Lanz moderierte den Jahresrückblick weg, und sein Arbeitgeber, das ZDF, teilte an diesem Tag mit, "auch in diesem Jahr […] das Weihnachtsfest in seiner christlichen Bedeutung mit einem umfangreichen Programmangebot" würdigen zu wollen. Da passte der Krieg schlicht nicht dazu, auch wenn er wieder "Ausbildungsmission" heißt, seit wir eine Verteidigungsministerin haben. Wer hätte gedacht, dass man mal den Freiherrn zu Guttenberg vermissen würde, der wenigstens in dieser Hinsicht nichts verschleierte. Ohne Kampfeinsatz, sagt die Ministerin, bekämpfen wir die Fluchtursachen am Hindukusch. Wir schützen nur und leisten "resolute Unterstützung", weil sich die NATO-Mission, in deren Verlauf wieder viele Menschen sterben werden, seit heuer "Resolute Support" nennt. Der Plan, was bis wann erreicht und wie das Sterben einmal enden soll ist so geheim, dass ihn keiner kennt.

Das Gute annehmen

In Wagon Master gibt es eine schöne Szene mit Wiggs, Travis und Sandy am Fluss, dem Symbol für Aufbruch und Bewegung. Wiggs gibt zu, Angst vor den Cleggs zu haben, sagt aber zugleich, dass er diese weder den Banditen noch den eigenen Leuten gegenüber zeigen werde. Es gilt, den Wagentreck in das Gelobte Land zu bringen, was nicht gelingen kann, wenn man es zulässt, dass die Angst das eigene Handeln bestimmt. Das spielt auf die berühmte Rede an, die Franklin D. Roosevelt am 4. März 1933 hielt, nachdem er als US-Präsident vereidigt worden war. Darin versicherte er seinen Landsleuten, dass sie nur die Furcht selbst zu fürchten hätten, weil diese lähmend sei und den offensiven, lösungsorientierten Umgang mit Problemen verhindere: "So, first of all, let me assert my firm belief that the only thing we have to fear is ... fear itself - nameless, unreasoning, unjustified terror which paralyzes needed efforts to convert retreat into advance."

Wagon Master

Es ist wieder sehr ironisch, wenn das mit Ward Bond der Mann sagt, der für die Motion Picture Alliance den Inquisitor machte und Roosevelt-Anhänger demütigenden Befragungs- und Selbstbezichtigungsritualen unterzog, weil sie als "Kommunisten" denunziert worden waren. Nicht jeder Regisseur hätte damals einem als Sympathieträger fungierenden Charakter solche Roosevelt-Worte in den Mund gelegt, weil man in Zeiten der Paranoia schnell in Gefahr geriet, selbst auf einer Schwarzen Liste zu landen. In Hollywood wie in Washington waren längst die Gesinnungsschnüffler unterwegs, die in Filmen und ihren Dialogen vermeintlich "unamerikanische" Botschaften suchten und auch fanden, denn "unamerikanisch" war alles, was mit der eigenen Meinung nicht übereinstimmte. Weil ein Feindbild dem anderen gleicht wurden noch nicht realisierte Drehbücher für Anti-Nazi-Filme nach 1945 mit wenig Aufwand so umgeschrieben, dass kommunistische Agenten an die Stelle der Nazis traten.

An die Szene am Fluss musste ich denken, als ich das Gespräch zwischen Barack Obama und der Schriftstellerin Marilynne Robinson las, das im vergangenen Jahr in der New York Review of Books erschienen ist. Die beiden reden da über den Einfluss der Angst vor zu unheimlichen Finsterlingen erklärten Menschen auf die politische Kultur. Grundlage der Demokratie sei es, sagt Robinson, von anderen Leuten Gutes anzunehmen und nicht a priori Schlechtes, weil sie anders sind. Insofern handelt Wiggs nicht nur christlich, sondern auch urdemokratisch, wenn er Denver, Dr. Hall, Miss Fleuretty und Mr. Peachtree das Gute unterstellt und dafür sorgt, dass die Mormonen sie gastfreundlich bei sich aufnehmen. In diesem Sinne wäre es ebenso unchristlich wie undemokratisch, wenn die Verteidiger des christlichen Abendlands ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrnehmen (auch eine Säule der Demokratie), um den Hass auf diejenigen zu schüren, die ihnen fremd sind. Darüber könnten die besorgten Bürger nachdenken, bevor sie demnächst wieder über ihre Zerrbilder vom Fremden und der freien Presse (noch so ein unverzichtbarer Pfeiler der Demokratie) wettern.

Wagon Master ist reich an utopischen Momenten, ohne dabei die Realität aus den Augen zu verlieren. Wer anderen Gastfreundschaft erweist wird sie auch empfangen - nicht unbedingt in Crystal City, wo man die christlichen Werte nur noch undeutlich erinnert, aber in der Wüste, bei den "Wilden", die sonst dafür da sind, die Postkutsche zu verfolgen oder im Kreis um die Wagenburg zu reiten, damit man sie gut vom Pferd schießen kann. Auch in Wagon Master scheinen sie der Erwartung gerecht zu werden, denn zur Einführung reiten bewaffnete Navajos mit dem üblichen Kriegsgeheul hinter Travis her. Luke, einer von den Banditen, freut sich schon darauf, seinen ersten Indianer zu erschießen. Was man hier für die Mordlust eines Psychopathen halten kann wird in Cheyenne Autumn, Fords letztem Western, zum mehrheitsfähigen Jagdtrieb der besorgten Bürger von Dodge City. Die Menschenverachtung ist da in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ford war stark desillusioniert, als er diesen Film drehte. Das mag an Alter und Krankheit gelegen haben. Primär aber hatte es mit der Verfassung seines Landes zu tun, das er in einer Krise sah (nach dem Koreakrieg und mitten im Vietnamkrieg).

Wagon Master

In Wagon Master ist das noch anders. Wiggs will nicht schießen, sondern reden - mit einem erstaunlichen Resultat. Sandy spricht die Sprache der Einheimischen, das entspannt die Atmosphäre. Üblicherweise gibt es in solchen Szenen ein paar "Roter Mann, Weißer Mann"-Sätze, dann wird gefeilscht. Die Siedler geben den Indianern irgendeinen Tand, über den sich diese freuen wie die kleinen Kinder (böse Weiße überreichen eine Winchester oder ein Fass Feuerwasser). Dafür erteilen die Indianer den Siedlern die Erlaubnis, ihr Gebiet zu durchqueren. Ford lässt das weg. Der Häuptling macht Wiggs stattdessen ein zweifelhaftes Kompliment. Die Weißen, sagt er, seien große Diebe, die Mormonen aber nur kleine Diebe. Darum lädt er sie in sein Lager ein. Das ist Fords Version der von Marilynne Robinson als Grundlage der Demokratie identifizierten Bereitschaft, von anderen Leuten Gutes anzunehmen (oder möglichst wenig Schlechtes), entkleidet von allem Pathos.

Jim Thorpe, All-American

Im Lager der Navajos wird nicht unbedingt die Entstehung der multikulturellen Gesellschaft zelebriert, aber doch eine Annäherung der Kulturen in Form eines jener Rituale, die bei Ford so wichtig sind, weil sie dabei helfen, Energien (positive wie negative) so zu bündeln, dass es der Bildung der Gemeinschaft dient (von den Cleggs macht keiner mit, was Schlimmes ahnen lässt). Mormonen und Indianer bilden eine Menschenkette und tanzen im Kreis um ein loderndes Feuer. Schwester Ledeyard nimmt den Platz neben einem imposanten Herrn ein, zu dem sie aufblickt wie ein beglückter Backfisch. Recht so, sagt Ford durch die Inszenierung. Der Mann ist Jim Thorpe, im echten Leben der größte US-Athlet aller Zeiten. 1912 gewann er bei den Olympischen Spielen in Stockholm die Goldmedaillen im Fünfkampf und im Zehnkampf (beide Medaillen wurden ihm wegen eines heute lächerlich erscheinenden Verstoßes gegen die Amateurregeln aberkannt, und man kann sich fragen, ob das bei einem weißen Sportler genauso gelaufen wäre), er spielte American Football, Baseball, Basketball und Golf, war Schwimmer und Boxer.

Wagon Master

Jim Thorpe war einer jener Native Americans, die an militärisch organisierten Internaten einer kulturellen Umerziehung unterworfen wurden, was ihnen vermutlich eher schadete als nützte. Nach schlechten Erfahrungen in den US-Profiligen misslang ihm der Übergang in ein Leben nach der Sportkarriere. Er verarmte, hatte ein Alkoholproblem und ging schließlich nach Hollywood, wo er sich als Statist und Kleindarsteller durchschlug. In Hollywood gründete er auch eine Künstleragentur, die dafür warb, Indianerrollen mit echten Indianern zu besetzen. Wie wenig erfolgreich das war sieht man an den dick geschminkten Weißen, die im Durchschnittswestern auf den Kriegspfad gehen. Ford wird oft vorgeworfen, dass seine Navajo-Freunde aus dem Monument Valley bei ihm Apachen, Comanchen und Cheyenne-Indianer spielen, aber - mit Ausnahme von Wagon Master - keine Navajos. Das ist schon richtig. Der Fairness halber sollte man jedoch den historischen Kontext berücksichtigen.

Der Stomp Dance ist ein gutes Beispiel für das Widerspenstige im Werk von John Ford. Zu einer Zeit, als Hollywood eine mitunter kuriose Form der Rassentrennung praktizierte, um keine Boykottaufrufe besorgter Rassisten zu riskieren, tanzen Sandy und Schwester Ledeyard mit den Indianern und freuen sich auch noch dabei. Für einen Ende 1949 gedrehten Film ist das durchaus bemerkenswert. In den eher seltenen Fällen, in denen ein Hollywoodstudio Native Americans engagierte, wurden diese meistens über den Tisch gezogen. Ford zahlte den mit den Gewerkschaften ausgehandelten Tariflohn, obwohl er es viel billiger hätte haben können. Der Winter 1948/49 war im Monument Valley besonders schneereich ausgefallen. Ford hatte seine Armeekontakte genutzt und die "Operation Haywire" organisiert, bei der Militärflugzeuge Nahrungsmittel und Futter für die Tiere über den von der Außenwelt abgeschnittenen Navajos abwarfen. Ein knappes Jahr später holte er eine größere Gruppe von ihnen in das etwa 200 Kilometer entfernte Moab. Das mit Wagon Master verdiente Geld konnten sie gut gebrauchen, weil der harte Winter ihre finanziellen Ressourcen erschöpft hatte. Hätte man Jim Thorpe nach Hause schicken sollen, weil die Tanzszene bei den Navajos im heutigen Utah spielt, er aber ein aus Oklahoma stammender Angehöriger der Sac and Fox Nation war?

Thorpe wirkte nachweisbar in 64 Filmen mit, möglicherweise waren es viel mehr. Das lässt sich nicht mehr feststellen, weil er in den Besetzungslisten selten erwähnt wurde. Im Vorspann von Wagon Master taucht sein Name unter dem von Fords Bruder Francis auf. Ford zeigt so seine Wertschätzung für einen großen Amerikaner, der hier seinen letzten Filmauftritt hatte (er starb 1953) und einfach nur kurz zu sehen ist, statt vorgeführt zu werden wie ein seltenes Tier in der Manege. An dieser Stelle muss man daran erinnern, dass Jane Darwell für einen beträchtlichen Teil des Publikums die amerikanische Mutter schlechthin war, seit sie die Ma Joad in The Grapes of Wrath gespielt und mit ihrem Film-Sohn Henry Fonda den Kommentar zu The Battle of Midway gesprochen hatte. Mutter Amerika blickt da also zu einem großen Sohn des Landes auf, der für die Rassisten keiner sein durfte, oder nur mit Sicherheitsabstand, weil er ein Indianer war.

Wagon Master

Wie subversiv diese Einstellung mit Thorpe und Darwell damals war beginnt man zu ahnen, wenn man Michael Curtiz’ Biopic Jim Thorpe - All-American (1951) sieht, mit Burt Lancaster in der Hauptrolle. Ein Indianer wird Indianer genannt, was für einen Nicht-Western dieser Zeit keineswegs selbstverständlich ist, aber wie heikel das Thema war wird an dem Eiertanz deutlich, den der Film gelegentlich aufführen muss, um nicht gegen die Regeln des "guten Geschmacks" (= des richtigen Abstands) zu verstoßen. Jim macht der von ihm geliebten Margaret den Hof, indem er sich neben ihr auf den Boden setzt. Seine Angebetete sitzt auf einem Stuhl. Das diente der Besänftigung der Rassisten, denn Margaret ist eine Weiße. So blieb die Hierarchie gewahrt. Wahrscheinlich konnte der Film nur gedreht werden, weil die Ehe unglücklich endet und das gemeinsame Kind nicht überlebt. Mit einem indianischen Hauptdarsteller wäre auch das unmöglich gewesen; es musste schon ein Weißer wie Burt Lancaster sein. Jim Thorpe übrigens hatte nicht nur indianische, sondern auch irische und frankokanadische Vorfahren. Das war nichts Ungewöhnliches und galt für indianische wie für - mehrheitlich - weiße Familien. Viele Nachkommen der alten Siedlergenerationen haben eine Indianerin oder einen Indianer im Stammbaum. Im Film bleibt das unerwähnt, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte.

Die Indianer hatten gefälligst unter sich zu bleiben. Die Geschichte des Jim Thorpe, der sich damit nicht abfinden wollte, konnte auf der Leinwand nur erzählt werden, weil sie eine Tragödie ist, wenn auch mit versöhnlichem Hollywood-Ende: Der gefallene Held rappelt sich auf, wird für seine Leistungen geehrt und bedankt sich artig. Der echte Thorpe verdiente beim ihm gewidmeten Biopic etwas Geld als "technischer Berater". Die Filmrechte an seinem Leben hatte er schon 1931 verkauft, für 1.500 Dollar. Die Olympioniken rangen sich schließlich dazu durch, ihn zu rehabilitieren und seinen Anspruch auf die ihm durch ein widerrechtliches Verfahren aberkannten (und inzwischen verschwundenen) Goldmedaillen zu bestätigen. Das war 1983. 30 Jahre nach seinem Tod.

Sexueller Übergriff …

Ford lässt sich am Anfang Zeit, um uns daran zu gewöhnen, dass Wagon Master seinem eigenen Rhythmus folgt, beschleunigt dann aber das Tempo, sobald der Wagentreck ins Rollen gekommen ist. Diese Beschleunigung erreicht er, indem er erzählerischen Ballast abwirft. Der Film wirkt so schlank und episodenhaft, weil die gewohnten Übergänge fehlen. Man hätte zeigen können, wie die Mormonen im Indianerlager eintreffen, wie sich die Siedler und die Navajos feierlich begrüßen, die Friedenspfeife rauchen und so weiter. Das kennt man alles. Ford macht es so: Wiggs akzeptiert die Einladung. Eine Überblendung bringt uns in das Lager. Es ist schon dunkel, der Tanz in vollem Gange. So wenig, wie er uns die Ankunft zeigt, wird Ford sich mit einer Szene aufhalten, in der die Mormonen das Lager verlassen. Eine Überblendung verwandelt die Nacht zurück in den Tag, die Planwagen sind wieder unterwegs. Wir wissen nicht, ob Stunden, Tage oder Wochen vergangen sind, seit wir bei den Indianern waren. Für die Mormonen ist es wichtig, innerhalb einer bestimmten Frist ihr Gelobtes Land zu erreichen. Dem Film kommt es auf die Bewegung an. Da ist der Weg das Ziel.

Da Ford mit den Verbindungsstücken zwischen den Erzähleinheiten so sparsam ist kommt den Stellen, wo es sie gibt, eine besondere, über das Narrative hinausreichende Bedeutung zu. Im Lager der Navajos wird erst getanzt, dann findet der Tanz ein abruptes Ende, weil Reese Clegg eine Frau vergewaltigt hat. Ford führt uns an diesen Punkt der Geschichte, indem er verschiedene Reaktionen auf den Tanz anbietet. Sandy freut sich, dass er mitmachen darf. Ein Gruppenbild zeigt stoisch-freundliche Indianerinnen und eher grimmige Mormonen (mit Ausnahme des toleranten Wiggs), deren Kinder dem Neuen und Unbekannten gegenüber viel offener sind als die Erwachsenen, weil sie deren Vorurteile noch nicht übernommen haben. Bruder Perkins legt sein unwirsches Gehabe auch dann nicht ab, als ihn eine freundliche Indianerin in die Runde holt.

Wagon Master

Im Gedächtnis bleiben die vier Mormonenfrauen, die aussehen, als kämen sie aus einem Inquisitionsfilm von Carl Theodor Dreyer (dessen Passion de Jeanne d’Arc Ford genauso studiert hatte wie die Werke Murnaus, von dem er sich stilistisch manches abschaute). Diesen vier ungnädigen Damen möchte man lieber nicht begegnen. Sie sind die Entsprechung zu den besorgten Hausfrauen von Crystal City, die keine Mormonen in der Stadt haben wollten. Das Opfer von Vorurteilen zu sein, heißt das, schützt einen nicht davor, selbst Vorurteile zu haben und auf andere herabzuschauen. Wir sehen die grimmigen Mormoninnen, Bruder Perkins als unwilligen Tänzer, dann wieder die Mormoninnen. Diese drei Kameraeinstellungen verbinden den Tanz- mit dem Vergewaltigungsteil. Anschließend bringt ein Navajo-Krieger die vergewaltigte Frau in die bis dahin friedliche Runde, die Gastgeber haben sich bewaffnet, es droht ein Massaker.

Wagon Master

Fords Entscheidung, durch die Einstellungen mit den Mormonenfrauen vom Tanz zur Vergewaltigung überzuleiten, sorgt für einen Macbeth-Moment (drei Hexen setzen Macbeth den Traum von Macht und Reichtum in den Kopf, daraus resultieren Mord und Totschlag, bis hin zum Bürgerkrieg). Es ist, als hätten die Mormoninnen die Vergewaltigung hervorgerufen wie durch einen bösen Zauber. Das könnte man als den infamen Versuch eines Macho-Regisseurs interpretieren, den Frauen die Schuld an dieser Vergewaltigung zuzuschieben. In unserer Kultur ist so etwas keine Seltenheit. Ford war nicht so plump.

Die vier Frauen verhalten sich ganz passiv. Sie stehen da und schauen finster auf das, was sich vor ihnen abspielt: die Verbrüderung von Roten und Weißen in Form eines rituellen Tanzes. Damit repräsentieren sie den Typus der - nur scheinbar - unbeteiligten Zuschauerin, in einer "Wenn Blicke töten könnten"-Einstellung. In ihrer Negativ-Welt ist das lodernde Feuer im Zentrum des Tanzkreises der Scheiterhaufen, auf dem eine intolerante Gesellschaft Ketzer verbrennt. Böse Gedanken, soll uns das sagen, vergiften die Atmosphäre und schaffen ein Klima, in dem die Gewalt gedeiht. Das verringert nicht die Verantwortung von Reese Clegg für seine Tat. Doch die Banditen, eine sich vermeintlich selbst isolierende Randgruppe, rückt das näher an die Mehrheitsgesellschaft heran, als die scheinheiligen Mormonendamen ahnen.

… und Peitsche

Wiggs reagiert schnell und lässt Reese auspeitschen. Aus vielen Western weiß man, was das zu bedeuten hat: Wiggs befriedigt so das Gerechtigkeitsempfinden der Navajos und verhindert ein allgemeines Blutvergießen; sogar Reese muss froh über die Striemen sein, weil ihn sonst die Wilden an den Marterpfahl stellen und skalpieren würden. Aber stimmt das, nur weil wir es in anderen Filmen gesehen oder bei Karl May gelesen haben? Ford hätte auch aus dem Auspeitschen ein die Gemeinschaft stabilisierendes Ritual machen können, inszeniert es jedoch so, dass das Animalische der Situation hervorgehoben wird. Bruder Jackson schwingt die Peitsche nicht wie einer, der eine traurige Pflicht zu erfüllen hat. Er schlägt wild zu, als würde er seine Frustration darüber abreagieren, dass ihm in Sandy ein Rivale um die Gunst von Prudence erwachsen ist. Der an ein Wagenrad gebundene Reese windet sich wie ein wildes Tier, das verzweifelt versucht, sich von den Fesseln zu befreien.

Wagon Master

Wiggs schaut jetzt beim Auspeitschen zu wie zuvor beim Tanzen. Zwischendurch wirft er besorgte Blicke auf die Navajos. Im Gegenschuss sehen wir die versteinert wirkenden Gesichter von drei Männern. Einer ist Jim Thorpe, dessen Lebensgeschichte sich auch als eine über den Rassismus in der US-Gesellschaft erzählen lässt. Ford nützt da das Klischee vom stoischen Indianer (man vergleiche das Lachen der gut gelaunten Krieger, die eine Einladung in ihr Lager ausgesprochen haben), um uns, das Publikum, zu einer eigenen Interpretation zu zwingen. Sind das Anhänger einer fundamentalistisch anmutenden Form von Gerechtigkeit? Oder sehen wir drei Indianer, die sich darüber wundern, wie diese Fremden sich benehmen? Erst missbrauchen sie die Gastfreundschaft der Navajos, dann peitscht der eine den anderen aus.

Als Zuschauer, der sich in irgendeiner Form mit den Weißen identifiziert, kann man sich nur dafür schämen, wie sie ihre vermeintlich höher stehende Kultur repräsentieren. In Wagon Master verkörpern die Indianer nicht eine vom weißen Mann zu domestizierende Wildnis wie sonst im Western. Die Begegnung mit den Navajos legt offen, wie dünn die Linie zwischen Zivilisation und Barbarei ist - bei den Weißen, nicht bei den Roten. Wenn das die Leitkultur ist, an der man sich zu orientieren hat, steckt man ziemlich in der Klemme. So gesehen war es sehr gnädig von Ford, dass er den Weißen in seinem Film eine Szene ersparte, in der sie das Lager der gastfreundlichen Navajos wieder verlassen. Wie verabschiedet man sich von Leuten, bei denen man ein so unwürdiges Spektakel aufgeführt hat?

Zensur und Vergewaltigung

Wagon Master

Die Vergewaltigung wird nur angedeutet. Das Opfer (Movita Castaneda, später Gattin Nr. 2 von Marlon Brando, ist neben Jim Thorpe die einzige Nicht-Navajo unter den Filmindianern) hat ein zerrissenes Oberteil, bewirft sich selbst mit Staub und legt auch sonst ein ziemlich outriertes Verhalten an den Tag. Mehr war im vom Production Code regierten Hollywood nicht möglich. Sogar die eindeutige Benennung des Vorgangs im Dialog (das Wort rape) war verboten. Der Frauenfeindlichkeit öffnete das Tür und Tor, weil sich die sexualisierte Gewalt auf diese Weise kleinreden oder ignorieren ließ. Eine Frau, die außer sich gerät, weil ein Mann den Ärmel ihrer Bluse beschädigt hat, gerät schnell in den Verdacht, eine Hysterikerin zu sein, die sich nicht so haben soll. Sehr aufschlussreich könnte eine wissenschaftliche Untersuchung darüber sein, wo in den unter dem Production Code entstandenen Filmen vergewaltigt und wie oft das in Kritiken, Inhaltsangaben etc. als "versuchte Vergewaltigung", "Zudringlichkeit" und dergleichen verharmlost wird (auch die "liebevolle Umarmung" kann man finden, oder die "Migräne", wenn das Opfer nach dem unfreiwilligen Geschlechtsakt ins Leere starrt, weil Frauen immer so gefühlig sind).

Hart aber Fair. Screenshots: Hans Schmid

Dann hätte man eine Vorstellung davon, was die jahrzehntelange, von konservativen christlichen Lobbygruppen geprägte Filmzensur in den Köpfen des Publikums angerichtet hat. Zur dringend nötigen, durch die Ereignisse der Kölner Silvesternacht befeuerten Debatte, wie man Frauen besser schützen kann und wie man über sexualisierte Gewalt reden sollte, gehört das mit dazu. Eine kulturell vermittelte Frauenfeindlichkeit gibt es nicht nur bei den Muslimen (was die Verantwortung der Täter nicht im geringsten relativieren soll), und manchmal ist sie nicht da zu entdecken, wo die Zensoren sie verorten. Mich würde auch interessieren, wie man es mediengeschichtlich einmal bewerten wird, dass deutsche Printmedien und Fernsehanstalten traditionell auf eine "geschmackvolle" Berichterstattung über Vergewaltigungen Wert legten (also mit Euphemismen und ohne Details), diesen Grundsatz aber über Bord warfen, als es darum ging, in Talkshows aus Polizeiprotokollen zu zitieren, in denen die Finger nordafrikanischer Männer in die Scheiden deutscher Frauen eindringen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Medien haben darüber zu informieren, was passiert ist, nicht aus einem pädagogischen Impuls heraus zu vertuschen. Mich interessiert, ob die Berichterstattung zur Kölner Silvesternacht einmal einen Paradigmenwechsel markieren oder ob man zur alten Praxis der geschmackvollen Umschreibung zurückkehren wird, wenn es wieder um deutsche Männer geht, die Frauen sexuell belästigen oder vergewaltigen.

Menschen bei Maischberger. Screenshots: Hans Schmid

Ford versucht, der institutionell vorgegebenen Verharmlosung eines unerträglichen Vorgangs zu begegnen, indem er die Vergewaltigung mit zwei Szenen kontrastiert, die einen anderen Umgang zwischen den Geschlechtern zeigen. Denver setzt ihren Feiertagshut auf und schminkt sich, um als attraktive Frau zum Tanz mit den Indianern zu gehen. Selber schuld, wenn du vergewaltigt wirst, hätten bis vor kurzem noch diejenigen gesagt, die jetzt die Erfindung des Minirocks als gegen die Muselmanen zu verteidigende Großtat des christlichen Abendlandes preisen. Prompt erscheint Reese Clegg und wird zudringlich. Nicht selber schuld, sagt Ford und lässt Travis auftreten, der den Banditen daran erinnert, wie man sich einer Dame gegenüber zu benehmen hat und dass man diese nicht begrapschen darf, nur weil sie eine Frau ist. Dabei ist es völlig unerheblich, ob Denver ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf ihres Körpers verdient oder nicht.

Maybrit Illner. Screenshots: Hans Schmid

Die altväterische Vorstellung vom sexuellen Übergriff geht davon aus, dass sich das Opfer selbst zuzuschreiben hat, was ihm widerfahren ist, weil die Frau sich wie eine "Hure" benommen hat (sie war zu stark geschminkt, zu aufreizend gekleidet und so weiter). Ford begegnet diesem Unsinn offensiv, indem er Denver zur gewerbsmäßigen Prostituierten macht und Travis dann klarstellen lässt, dass Reese Cleggs Verhalten auch ihr gegenüber inakzeptabel ist. So bleibt die Verantwortung beim Täter, wo sie hingehört, und nicht beim Opfer. Nachdem er bei Denver nicht zum Zuge kam vergewaltigt Reese die Indianerin. Für ihn ist eine Frau wie die andere, unabhängig von Schminke und Klamotten. Allenfalls ist die Navajo-Frau noch ein Stück weniger wert als die Weiße. Das hat er so gelernt.

Wagon Master

Den Frauen eine Stimme geben

Interessant ist, wie Ford die Vergewaltigung vorbereitet. Onkel Shiloh, der seine Sippe mit harter Hand regiert, hat das Bett von Dr. Hall (Denvers Arbeitsplatz) als eine Art Thron für sich beschlagnahmt und wacht nun eifersüchtig darüber, wer darauf sitzen oder liegen darf. Von dort aus ruft er Reese zur Ordnung (ein Streit mit Travis soll vermieden werden, weil man den Treckführer noch braucht). Dieser verschwindet missmutig in der Dunkelheit und vergewaltigt die Indianerin. Damit kompensiert er die eigene Impotenz gegenüber dem Patriarchen. Die Vergewaltigung hat weniger mit Sexualität zu tun als vielmehr damit, Macht über andere Menschen auszuüben. Fords Kunst besteht darin, solche Einsichten durch die Inszenierung zu vermitteln und nicht in Form langatmiger Dialoge. Man sollte das nicht mit der intellektuellen Schlichtheit verwechseln, die dem Westerngenre gern - und nicht immer ganz zu unrecht - unterstellt wird.

Wagon Master

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich eine Situation vorzustellen, in der sich die Cleggs - sagen wir: in Crystal City - als Gruppe auf eine Frau stürzen, wenn die Gelegenheit günstig ist. Wie man so etwas für sich verwenden kann, wenn man hemmungslos genug ist, den weiblichen Körper für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, erleben wir seit der Silvesternacht von Köln. Um im Westernformat zu bleiben: Der Sheriff von Crystal City könnte Argumente dafür sammeln, warum man die Fremden aus der Stadt werfen muss, und weil die Xenophobie keine Differenzierung kennt wären alle davon betroffen: die Cleggs, die Mormonen, Miss Fleuretty, Dr. Hall und Mr. Peachtree alias Francis Ford, der Bruder des Regisseurs, weil er der Sohn irischer Einwanderer ist. Besorgte Bürger könnten als Mob durch die Straßen ziehen und die Frauen, die sie angeblich schützen wollen, ein weiteres Mal zum Objekt machen. Danach könnten sie zurück in altvertraute Muster fallen (so sie diese je verlassen haben) und die Opfer sexueller Übergriffe an den Pranger stellen, weil Frauen - siehe oben - selbst schuld sind, wenn sie vergewaltigt werden.

Ford gibt den Frauen eine Stimme. Das Schreien und Toben der Indianerin erscheint hysterisch, weil sie unmissverständlich deutlich macht, dass sie nicht vergewaltigt werden wollte und sich damit von ihren Leidensgenossinnen in anderen Filmen abhebt, denen der Production Code eine stark dosierte Emotionalität abverlangte, was dem Betrachter einen interpretatorischen Spielraum ließ (je mehr interpretiert werden kann, desto ungünstiger für die Opfer sexualisierter Gewalt: die Unterstellung, dass sie im Grunde doch nicht vergewaltigt wurden oder es sich irgendwie gewünscht haben ist da nie weit). Dem Bestreben, die Frau zum Objekt zu machen, begegnet Ford mit einer sehr selbstbewussten Denver. Reese belästigt sie. Travis kommt ihr zu Hilfe. Reese geht ab. Denver klärt Travis darüber auf, dass sie selber auf sich aufpassen kann und keinen Beschützer braucht.

Wagon Master

Das nimmt man ihr auch ab. Das Weibchenschema hat in Wagon Master einen schweren Stand. Andererseits gibt es ein paar biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau. Floyd Clegg ist ein Hüne (Hawks besetzte James Arness im Jahr darauf als den Außerirdischen in The Thing from Another World, und auch als Frankensteins Monster hätte er eine gute Figur abgegeben). Mehrfach sehen wir, wie er Denver hochhebt als wäre sie eine leichte Beute, die er jederzeit in seine Höhle tragen kann. Denver ist dagegen machtlos. Also hält Travis weiter ein wachsames Auge auf die Frau, die er liebt, auch wenn er sich dadurch der Gefahr aussetzt, wieder gemaßregelt zu werden, weil sich Denver durch seine Fürsorglichkeit in ihrer Würde verletzt fühlt. Für einen Regisseur, der von der feministischen Filmkritik in der Schublade für misogyne Reaktionäre abgelegt und fortan ignoriert wurde, ist das gar nicht schlecht.

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Schwieriger Heiratsantrag

Wagon Master

Nach der Navajo-Episode rollt der Wagentreck weiter zum San Juan, Dr. Hall und seine Truppe folgen wie vereinbart dem Trail nach Kalifornien, der nun abzweigt. Travis hält den Moment für gekommen, Denver einen Antrag zu machen. Die Art, wie er zu seinem Freund Sandy "I think I’ll go a-courting" sagt, das ist reinster John Ford und reinster Ben Johnson, der mit seinem naturgegebenen Talent zur Schauspielerei eine völlig ungekünstelte Einfachheit auf die Leinwand brachte, angesiedelt irgendwo zwischen Cowboy-Lakonie und Wildwest-Poesie, wie sie keiner von den Exhibitionisten je hingekriegen würde, denen jedes Jahr die Oscars überreicht werden. Nach dem einen Satz, mit dem er ankündigt, sein ganzes Leben ändern zu wollen (mehr braucht es nicht und mehr wird darum nicht gesagt), reitet Travis den Schaustellern hinterher und bietet Denver dasselbe an wie vor ihm John Wayne der Prostituierten Dallas in Stagecoach: das Leben auf einer einsam gelegenen Ranch, mit Pferden und mit Kühen.

Wagon Master

Denver scheint ein paar Augenblicke lang überglücklich, läuft dann von Travis weg, fällt hin, rappelt sich auf, läuft weiter. Ford war dieses Weglaufen so wichtig, dass er Schienen für die Kamera verlegen ließ. Die Kamera nimmt Denvers Bewegung auf und fährt unerbittlich weiter, weg von Travis, acht herzzereißende Sekunden lang, während Denvers Flucht durch das Stolpern kurz gebremst wird. In Stagecoach wird an dieser Stelle erklärt, warum Dallas glaubt, Ringo nicht heiraten zu können. In den zehn Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte Ford seinen Stil so weit verfeinert, dass er solche Dialoge nicht mehr brauchte. Statt Joanne Dru ein paar Sätze sprechen zu lassen nimmt er sich 25 Sekunden, die er einer Studie von Denver widmet. Sie sitzt, lässig-lasziv nach hinten gelehnt, auf der rückwärtigen Ladefläche des von Mr. Peachtree in Richtung Kalifornien gelenkten Planwagens (man beachte das zweireihig geknüpfte Westernhemd, das in anderen Ford-Filmen John Wayne trägt) und zieht an einer Zigarette, die sie dann wegwirft, während sie dem davonreitenden Travis hinterherblickt.

Wagon Master

Tag Gallagher - von dem ich die Sekundenangaben übernommen habe, weil er ein ebenso genauer wie zuverlässiger Beobachter ist - schreibt in seinem Ford-Buch, dass die Szene mit Denver und dem um sie werbenden Travis eine der außerordentlichsten im Werk des Regisseurs sei. Ich kann ihm da nur beipflichten. Die Szene hat mehr emotionalen und intellektuellen Tiefgang als alles, was Amerikas Filmindustrie derzeit an seelenlosen Materialschlachten aufzubieten weiß, um die Multiplex-Kinos mit Remakes und durchnummerierten Prequels und Sequels zu verstopfen. Selbstverständlich kann es nicht dabei bleiben, dass Denver Travis’ Antrag ablehnt und nach Kalifornien fährt, um da wieder als Hure zu arbeiten, oder zumindest nicht in diesem Film (My Darling Clementine, Fords poetischster Western nach Wagon Master, hört hingegen damit auf, dass Wyatt Earp die Frau, die er liebt, irgendwann wiedersehen wird oder vielleicht auch nicht). Also galoppiert einer von den Cleggs heran, um die Schausteller zurück zum Wagentreck zu bringen. Onkel Shiloh hat dort die Macht übernommen und will sie bei sich haben, um zu verhindern, dass die Truppe von Dr. Hall unterwegs dem Marshall begegnet und diesem sagt, wo die Banditen zu finden sind.

Das zeugt von der Professionalität Fords und seiner Co-Autoren. Ein gut konstruiertes Drehbuch muss eine Antwort darauf geben, wie der Held doch noch die Heldin kriegen kann, obwohl die beiden sich soeben getrennt haben. Und es ist ein schönes Beispiel für die Funktion des Göttlichen im filmischen Universum des John Ford. Wenn Gott es so organisiert, dass die Mormonen in der Wüste auf Dr. Hall und seine Truppe treffen, sagt Wiggs, hat das schon seine Richtigkeit. Das gilt dann auch für die Banditen. Sie geben der Geschichte die Wendung, die man braucht, damit Denver und Travis am Schluss gemeinsam auf dem Kutschbock sitzen können.

Augenhöhe und Selbstverleugnung

Das kommerzielle Kino geht gern auf Nummer Sicher. Es nimmt den Zuschauer bei der Hand, geleitet ihn durch die Geschichte, lässt keine Frage offen und beantwortet sie am liebsten schon, bevor sie gestellt werden kann. Im schlimmsten Fall führt das zu Dialogen, in denen die Motivation eines Charakters ausgebreitet wird, bevor er etwas tut. Ford zieht es vor, wenn erst gehandelt und dann erklärt wird, weil das Publikum so die Möglichkeit erhält, über die Figuren und ihre Motivation nachzudenken, eigene Antworten zu finden. Das bringt uns die Charaktere näher, macht sie interessanter und lebendiger. Nehmen wir die Szene mit Denver, Travis und Reese Clegg. Statt sich bei Travis zu bedanken, weil er ihr geholfen hat, gibt Denver die Kratzbürste und verlangt, dass er nicht "Ma’am" zu ihr sagt ("No Ma’am", sagt Travis demütig). Man versteht recht schnell, dass sie auf diese Weise ihre Sympathie ausdrückt. Das ist nicht das übliche "Was sich liebt, das neckt sich". Weil sie Travis mag besteht Denver auf einem Verhältnis auf Augenhöhe, denn nur so kann es die Chance auf eine partnerschaftliche Beziehung geben (in The Quiet Man wird Ford das anhand der Mitgift durchspielen, ohne die für Kate Danaher die Ehe mit Sean Thornton keine ist).

Wagon Master

Denver will weder die Dame sein, zu der man aufschaut, noch die Hure, auf die man herabblickt. So ergibt auch ihr Insistieren darauf einen Sinn, dass sie, die Prostituierte, nichts getan habe, wofür sie sich schämen müsse. Es geht da nicht um eine bürgerliche Sexual- und Doppelmoral (wer wohl ihre Freier in Crystal City waren?), sondern um die Verantwortung, die jemand für das eigene Handeln übernimmt und für die Folgen, die dieses Handeln für andere Menschen hat. Nach dem - sehr einseitig geführten - Wortgefecht mit Travis gesellt sich Denver zu Miss Fleuretty und Dr. Hall. "Du magst ihn, nicht wahr?", fragt Miss Fleuretty. "Ich will ihn nicht voller Einschusslöcher sehen", antwortet Denver. Wenn Travis sich ihretwegen mit den Cleggs anlegt, heißt das, könnte es böse für ihn enden. Um zu verhindern, dass er sich zu ihrem Ritter macht und dabei getötet wird weist sie ihn brüsk zurück. Fords Charaktere sind in der Regel viel komplexer, als man nach dem ersten Anschein meinen könnte.

Wagon Master

Noch ein Beispiel: Die Banditen übernehmen beim Wagentreck das Kommando. Sandy wäre bereit, es auf einen Kampf ankommen zu lassen, statt seinen Revolver abzugeben. Das macht man so, als Filmheld im Wilden Westen. Travis jedoch lässt sich widerstandslos entwaffnen. Die Begründung folgt später. Travis und Sandy warten einen geeigneten Moment ab, um ein Stück weit von den Planwagen wegzureiten und unter vier Augen zu besprechen, was sonst keinen etwas angeht. Mich erinnert das an die Szene, in der Wiggs - unter sechs Augen - mit den beiden darüber spricht, wie man sich angesichts der Gefahr durch die Cleggs verhalten sollte (keine Angst zeigen, weil das alles nur noch schlimmer macht). Ruhe bewahren auch in schwierigen Situationen: Mir ist erst bewusst, wie angenehm das ist, seit in der deutschen Öffentlichkeit die Aufregung über die "Flüchtlingskrise" mit medial gesteigerten Erregungszuständen bekämpft wird. Man stelle sich vor, die beiden Freunde wären Mitglieder der Regierungsparteien. Dann würde Sandy Travis mit einer Klage drohen, weil er nicht sofort geschossen hat, und das unwürdige Spektakel würde sich mitten in der Wagenburg abspielen, im Beisein der Cleggs und der Mormonen, deren Zukunft vom überlegten Handeln ihrer Treckführer abhängt. Ein Graus. Das Gezeter hätte kein Ende mehr.

Bei einer Schießerei, erklärt Travis seinem Freund, riskieren die beiden nicht nur das eigene Leben, sondern auch das der 60 Mormonen, die ohne Treckführer im Gebirge verhungern oder auf dem Rückweg nach Crystal City verdursten würden. Also wird die letztlich unvermeidbare Auseinandersetzung mit den Cleggs nach hinten verschoben, um die Zeit zu gewinnen, die es braucht, um das Ziel der Reise zu erreichen, den San Juan. Zumal einem Westernhelden wie Travis verlangt das ein großes Maß an Selbstverleugnung ab, weil er bis zum Shoot-out vor den anderen als Feigling dasteht. Die Verantwortung für die Gruppe muss das Handeln bestimmen, nicht die persönliche Befindlichkeit (und Eitelkeit). Diese Überzeugung zieht sich durch den ganzen Film.

Historisch korrekt ist Wagon Master natürlich nicht. Der Film entwirft eine Utopie. Die Mormonen unserer Tage begreifen sich gern als die Nachkommen von Pionieren, die mit dem Pflug in der einen und der Waffe in der anderen Hand das heutige Utah besiedelt haben. Bei Pazifismus denkt man eher an die Quäker, wobei auch sie nicht ohne ein paar Gewehre in die Wildnis gezogen wären. Das Mormonentum in Wagon Master ist ein Konglomerat aus diesem und aus jenem. Die Vielweiberei gehört eher nicht dazu. Mormone sein bedeutet: Man ist Angehöriger einer (religiösen) Minderheit. Bemerkenswert daran ist, dass sich diese Minderheit über die gewaltfreie Lösung von Konflikten definiert, und über das, was man inzwischen als Willkommenskultur bezeichnet. Nichts davon gibt es in Crystal City. Also fahren die Mormonen in bisher unbesiedeltes Gebiet (was mehr metaphorisch als geographisch zu verstehen ist), wo aus der Minderheit die Mehrheit wird, mit integrierten Randgruppen wie Pferdehändlern, Quacksalbern und Prostituierten. Das ist die Utopie. Wagon Master ist ein Protestfilm gegen die bestehenden Verhältnisse.

Wagon Master

Ford ist zugleich Romantiker und Realist. Darum sieht er auch die Widersprüche im utopischen Modell seiner Film-Mormonen. Während Sandy und Travis ihre Pistolengürtel abschnallen versteckt der kleine Bruder von Prudence unter seiner Jacke einen Revolver. Die Waffe (die einzige im Mormonentreck) wandert dann unter die Schürze von Prudence und von da weiter zu Sandy, der sie Travis zeigt und eine Art Herkunftsnachweis liefert. Der Revolver gehörte früher dem Opa von Prudence, dem strengen Bruder Perkins, bevor dieser die Religion für sich entdeckte. Über die Enkel des nun der Gewaltfreiheit lebenden Patriarchen gelangt die Waffe zu den beiden Cowboys, damit sie auf die Cleggs schießen können, stellvertretend für die Pazifisten, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Es ist schwer, der reinen Lehre zu folgen, wenn die Banditen mit im Planwagen sitzen.

"Glory o glory o to the Bold Fenian Men"

Wagon Master

Der letzte Gebirgszug ist beinahe überwunden, als Ford uns mit einigen Großaufnahmen überrascht. Wir sehen Wiggs und dann die Cleggs. Diese Einstellungen bereiten darauf vor, dass Onkel Shiloh sich jetzt rächen wird, weil Wiggs Reese auspeitschen ließ. Bruder Jackson, der im Lager der Indianer die Peitsche schwang, wird erschossen wie der Mann, der es beim einleitenden Überfall gewagt hat, Onkel Shiloh zu verwunden. Auge um Auge, Zahn um Zahn: Der gruselige Onkel ist einer, der das Alte Testament ganz wörtlich nimmt. Das ist Fords Kommentar zum - religiösen wie politischen - Fundamentalismus, der bei ihm zur Domäne der Psychopathen wird. Die Cleggs übernehmen den Wagentreck so wie die Kommunistenjäger der McCarthy-Ära (eine Ansammlung von sich patriotisch gebenden Reaktionären, Antisemiten und xenophoben Rassisten) dabei waren, das Land zu übernehmen.

Wagon Master

"Man ist versucht", schreibt McBride in Searching for John Ford, "die Cleggs, sowie den Sheriff, als Stellvertreter für Fords Neandertal-Kollegen in der MPA oder den korrupten Parnell Thomas und die anderen Mitglieder des HUAC zu sehen." In der Tat. Thomas war Vorsitzender des Kongressausschusses zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten, bis er wegen Kickback-Zahlungen und Abrechnungsbetrug angeklagt und zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Ursprünglich hieß er Feeney. Er nannte sich um, weil er nicht zu den irischstämmigen Amerikanern gezählt werden wollte, einer gesellschaftlich diskriminierten Gruppe. Als der Abgeordnete J. Parnell Thomas verfolgte er dann US-Bürger, die von ihm und seinem Ausschuss für "unamerikanisch" erklärt wurden - zum Beispiel, weil sie die Nachkommen osteuropäischer oder irischer Einwanderer waren wie Feeney alias Thomas oder John Ford, der mit bürgerlichem Namen John Martin Feeney hieß und sich gern als geborener Sean Aloysius O’Fienne, O’Feeny oder O’Fearna vorstellte, weil das noch irischer als Feeney klang.

Wenn man McBrides Stellvertreter-These folgt werden mit den Cleggs symbolisch auch Parnell Thomas und seine Spießgesellen im Kongress erschossen (eine Räuberbande), und zwar von einem Mann, den Ford - ebenfalls symbolisch, durch den Rollennamen - in seine Familie aufgenommen hat. Ben Johnson spielt in Wagon Master einen Cowboy namens Travis Blue. Blue hießen die irischen Vorfahren von Mary Ford, der Frau des Regisseurs. Ford liebte es, den Charakteren in seinen Filmen ein paar Details aus der eigenen Biographie mitzugeben und eine bestimmte Botschaft damit zu verknüpfen. Häufig geht das über die Namen, was vielleicht daran liegt, dass er den eigenen, Jack Feeney, am Anfang seiner Karriere abgelegt und durch einen Künstlernamen ersetzt hatte, der nicht so klang, "als habe er gerade erst das Schiff verlassen" (McBride). So machten es viele Einwanderer, oder in der zweiten Generation die Kinder.

Mit etwas Küchenpsychologie könnte man vermuten, dass Ford sein Pseudonym einerseits gefiel, weil es viele Assoziationen weckt (vom elisabethanischen Dramatiker John Ford über jenen John T. Ford, in dessen Theater Abraham Lincoln erschossen wurde bis hin zum Automobil), er andererseits aber an Schuldgefühlen litt, weil er, aus seiner Sicht, die irische Herkunft verraten hatte - Schuldgefühle, die er auf seine Weise kompensierte: durch pointierte Anspielungen auf Irland und das Irischsein im Allgemeinen und auf die Feeney-Familie im Besonderen. Wenn in einem Ford-Film das Irische erscheint ist meistens das Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit und Verbrechen nicht weit. In Rio Grande, Fords nächstem Western nach Wagon Master, singt sein angehender Schwiegersohn Ken Curtis drei Strophen der aufwühlenden Rebellenballade Down by the Glenside, auch bekannt als The Bold Fenian Men, die Peadar Kearney anlässlich des Osteraufstandes von 1916 schrieb (von Kearney stammt der Text der irischen Nationalhymne). Zuhörer sind Kirby Yorke (John Wayne), seine ihm entfremdete Frau Kathleen (Maureen O’Hara) und General Sheridan (J. Carroll Naish), der Yorke im Bürgerkrieg befohlen hat, das Anwesen von Kathleens Familie niederzubrennen. Bei Ford sind die Iren und ihr Freiheitskampf gegen die englischen Kolonialherren nicht das Futter für eine rückwärtsgewandte Nostalgie. Sie verweisen auf die innere Zerrissenheit der USA, sei es im Sezessionskrieg oder in der von Paranoia und der Verfolgung Andersdenkender geprägten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Das ist mal so offensichtlich wie in The Quiet Man und mal kommt es eher versteckt daher wie im Namen von Travis Blue. Deutlicher musste Ford in Wagon Master nicht werden, weil die Bezüge zur US-amerikanischen Gegenwart unverkennbar sind. Leider hat man zunehmend das Gefühl, dass die Gegenwart von gestern auch die von heute ist.

Rio Grande

Utopie und Wirklichkeit

Harry Carey, Jr. und Ward Bond mussten nicht mehr durch die Namensgebung adoptiert werden, weil sie ohnehin zu Fords Filmfamilie gehörten. Bond, in einem anderen Leben der Neandertaler von der Motion Picture Alliance, wird in seiner Rolle als toleranter Mormone gezwungen, auf dem Kutschbock eines Planwagens Platz zu nehmen. Das gehört zu Onkel Shilohs Racheplan. Wiggs soll den Wagen mit gelösten Bremsen über den Pass und hinunter in das Tal des San Juan lenken und dabei in den Tod stürzen. Es ist der Wagen mit dem Saatgut, für das sich Onkel Shiloh interessiert, seit Wiggs es als das Gold der Mormonen bezeichnet hat und an dem der fundamentale Unterschied zwischen den Siedlern und den Banditen deutlich wird. In den Satteltaschen der Cleggs steckt das in Crystal City erbeutete Geld, von dem sie sich in der Wildnis weder etwas kaufen noch von dem sie abbeißen können. Das Saatgut ist der wertvollste Schatz der Mormonen, weil aus ihm das Essen werden soll, das die ihnen folgenden Familien ernähren kann.

Die Cleggs schießen zum Spaß Leute tot, oder auch aus einem steinzeitlichen Ehrbegriff heraus, aber nirgendwo kommt ihre pathologische Negativität besser zum Ausdruck als in dieser Szene. Wenn ihnen das Saatgut nichts nützt sollen es andere auch nicht haben, und wenn damit ein zusätzlicher Schaden anzurichten ist steigert das nur die Lust am Destruktiven. Wiggs soll in dem Bewusstsein sterben, dass die Nachkommenden verhungern werden. Fords Mormonen dagegen wollen den Wilden Westen weder erobern noch für die eigene Gruppe ausbeuten, sie wollen ihn teilen, und dies mit allen, denen sie begegnen: mit Dr. Hall und seiner Medicine Show, mit den Indianern, mit den Banditen und mit dem Marshall, dessen Truppe die Mormonen in der Wüste mit einer Speckseite versorgen, obwohl er sie zuvor als unerwünschte Migranten aus der Stadt geworfen hat.

Nun verschwindet die Gewalt nicht dadurch aus der Welt, dass man den Banditen ein warmes Abendessen serviert. Ford ist ein zu ehrlicher Filmemacher, das zu leugnen, die Geschichte so hinzubiegen, dass den Mormonen die finale Konfrontation mit den Cleggs erspart bleibt und eine allseits befriedigende Lösung anzubieten, die es realistischerweise nicht geben kann. Die Mormonen verhalten sich wie die Lämmer, die sich brav zur Schlachtbank führen lassen. Wiggs setzt sich wie befohlen auf den Kutschbock. Seine Brüder und Schwestern schauen dabei zu. Niemand greift ein, obwohl die Fahrt in den Abgrund Wiggs’ Tod, den Verlust des Saatguts und das Ende des Besiedelungsprojekts bedeuten würde. Ford inszeniert das ohne wertende Elemente und lässt offen, wie diese Passivität zu interpretieren ist. Wollen die Mormonen lieber sterben, als ihren Pazifismus aufzugeben und sich zu verteidigen? Ist ihr Gottvertrauen so groß, dass sie sich auf einen Herrn verlassen, der ihr Hirte ist und Wiggs einen sicheren Weg in das Tal des Flusses weisen wird? Oder erwarten sie insgeheim, dass die beiden Pferdehändler ihnen die Drecksarbeit abnehmen und die Sache richten werden? Das wäre dann doch ziemlich scheinheilig. Ford schließt nicht aus, dass dem so ist, denn Heilige gibt es bei ihm nicht. Weil er sich für die Menschen mit all ihren Widersprüchen interessierte war er fasziniert von der Schnittstelle zwischen innerer Überzeugung und Pragmatismus, der Begegnung des Ideellen mit der Wirklichkeit. Auch deshalb ist Wagon Master ein so moderner Film geblieben.

"Wagons west are rollin’, out where winds are blowin’ …"

Wagon Master

Die Schießerei am O.K. Corral in My Darling Clementine ist als Event inszeniert und hat Sergio Leone zu seinen in die Länge gezogenen Duellen inspiriert. In Wagon Master wird nichts genüsslich zelebriert. Der Shoot-out ist auf eine spektakuläre Weise unspektakulär. Travis und Sandy töten die fünf Banditen und brauchen dafür weniger Leinwandzeit als die Sons of the Pioneers für den Refrain eines der Lieder, wie Andrew Sarris schreibt. "Ich dachte, du schießt nicht auf Menschen", sagt Wiggs, nachdem Travis mit Onkel Shiloh den letzten der Cleggs getötet hat. "Stimmt", antwortet Travis. "Nur auf Schlangen." Das ist eine von Fords Anspielungen auf die Bibel, auf die Schlange im Paradies. Statt aber nun den Sieg des Guten über das Böse zu feiern schleudert Travis den Revolver weg - angewidert von sich selbst und von der Situation, in der er, mehr seinem Instinkt als einer rationalen Überlegung folgend, getötet hat.

Wagon Master

Gewalt bleibt Gewalt, sagt Ford; unabhängig davon, wie wir sie legitimieren und von unseren Versuchen, zwischen einer guten und einer schlechten Gewalt zu unterscheiden. Wenn der Held den Revolver zieht markiert das nicht den Sieg der Gerechtigkeit wie in unzähligen Western vor und nach Wagon Master, sondern ein gesellschaftliches Versagen, weil dabei wieder einmal Leute sterben. Als Ford sich nach Moab zurückzog, um dort ohne fremde Einmischung einen Film ganz nach seinen Vorstellungen zu drehen, waren die USA dabei, die Rolle des Weltpolizisten einzuüben, auf Grundlage der 1947 verkündeten Truman-Doktrin und befeuert von einer populistischen Rhetorik, die behauptete, dass man durch militärische Interventionen die Welt verändern könne (inzwischen wissen wir, dass das der Beginn einer Geschichte des Scheiterns war: von Korea über Vietnam bis zu Afghanistan, dem Irak und Libyen). Vor diesem Hintergrund wird es zur politischen Aussage, wenn in Wagon Master - ein für einen Western beinahe sensationell zu nennender Befund - kein einziger Indianer erschossen wird. Ford hatte von der Ballerei die Nase voll. Obwohl am Eingang zum Paradies fünf Leichen liegen ist Wagon Master ein Film über das Leben, nicht über den Tod.

Wagon Master

Auf das Ende der Cleggs folgt eine Szene, die man sich so ähnlich auch in einem Bibelfilm von Cecil B. DeMille denken könnte, nur mit dem Unterschied, dass DeMilles Israeliten vor der spirituellen Landschaftserfahrung noch schnell eine heidnische Orgie feiern würden, auf dass die Barbarei im deutlichen Gegensatz zum Christentum stehe und als Warnung diene (ein Argument, mit dem Hollywoods Spezialist für Perversionen aller Art erstaunliche Dinge durch die Zensur brachte). Im Off stimmt ein Chor die bekannteste Hymne der Mormonen an: "Come, come ye saints, no toil nor labor fear,/But with joy wend your way./Though hard to you this journey may appear,/Grace shall be as your day ...". Dazu fahren die Planwagen am Fluss entlang. Dann halten die Siedler an und erklimmen ein Felsplateau, um von dort verzückt auf das unberührte Tal zu blicken, auf ihr Gelobtes Land. Die Einstellungen mit den Mormonen sind im Atelier gedreht. Der Kontrast zu den Landschaftsaufnahmen betont die gewollte Künstlichkeit. Bei Ford hat die religiöse Gestimmtheit einer Gruppe immer etwas Theatralisches, weil er der organisierten Religion misstraut. Bevor das Religiöse in die Gefilde der Ideologie entschweben und eine höhere Wahrheit für sich in Anspruch nehmen kann wird es resolut geerdet. Der Chor beschließt die Hymne mit der Zeile "All is well! All is well!", und Wiggs sagt ein zweifaches "I’ll be dog-gone!" dazu, was umgangssprachlich soviel bedeutet wie "Gottverdammt!" (nur ohne den Namen des Herrn in den Mund zu nehmen, was Bruder Perkins wieder erzürnen würde).

Wie kann man nun zum Schluss kommen? Üblicherweise geht das so: Der Held küsst die Heldin, baut sich ein Haus, bestellt sein Feld, dann zeigt ein Ausblick in die Zukunft, dass ein schmuckes Städtchen daraus wird. Ford lässt das weg und fragt uns indirekt, ob wir wirklich in New Crystal City leben möchten, mit einem bigotten Marshall und mit besorgten Bürgern, die einen Zaun oder eine Mauer um ihr Häuschen errichten und keine Fremden mögen, weil Fremde anders sind und also schlechte Menschen, Migranten mit einer gruseligen Religion, Vielweiberei und Teufelshörnern, die sie unter ihrem Hut verstecken. Oder stimmt das etwa gar nicht? Während der Chor die Hymne singt nehmen die Mormonenmänner die Hüte ab und man sieht, dass sie statt Hörnern Haare auf dem Kopf haben wie du und ich. Das ist ein letzter Gruß an Crystal City, die Stadt der Vorurteile, die sie glücklich hinter sich gelassen haben.

Wagon Master

Ford ersetzt die Gründung einer Stadt durch eine Rekapitulation von dem, was gewesen ist, kombiniert mit neuen Informationen. Wir sehen noch einmal die Mormonen, die Pferdehändler und die Hure beim "Chuckawalla Swing"; Sandy, Wiggs und Travis reiten nebeneinander her und singen "I left my gal in Old Virginny"; die Sons of the Pioneers steuern ein letztes "Wagons West" bei; Sandy küsst seine Prudence; Bruder Perkins schaut so grimmig drein wie eh und je, weil er der Mann mit dem Hang zum Fundamentalismus ist; Travis hat den Platz neben Denver eingenommen, die jetzt nicht mehr vor ihm wegläuft und trotzdem in Bewegung bleibt, weil beide auf dem Kutschbock eines Planwagens sitzen. Obwohl das Gelobte Land erreicht ist rollen die Wagen immer weiter, denn der Weg ist hier das Ziel. Erzählt wird von einer Utopie, deren wichtigste Elemente die Bewegung und die Neugier auf das Fremde sind, weil das der beste Schutz vor einer Verkalkung der Gesellschaft ist.

Wagon Master

Der Moment des Ankommens, sagt der Film, muss der Beginn einer neuen Reise sein, weil es sonst keine Zukunft gibt. Darum - und nicht etwa, weil ihm sein Werk zu kurz geraten war - schließt Ford mit den bereits gesehenen Bildern von der Überquerung des Flusses, als Symbol des Aufbruchs und der Erneuerung. Ein Fohlen läuft als erstes die Böschung am anderen Ufer hoch. Ein schöneres und poetischeres Ende ist schwer vorstellbar. Konsequenterweise erreichen Mensch und Tier das neue Ufer, nachdem das eingeblendete "The End" wieder verschwunden ist, weil die Reise immer weitergeht, nach vorne und nicht zurück. Wen die Substanzarmut der Filme des Feuilletonisten-Lieblings Quentin Tarantino allmählich langweilt: Warum es nicht mal mit John Ford probieren? Das lohnt sich garantiert. Einen zweiten Western, der so lebensbejahend ist wie Wagon Master, wird man so bald nicht finden. Wenn das Gerede von der westlichen Leitkultur jemals eine Berechtigung hatte, dann auch deshalb, weil das amerikanische Kino Filme hervorgebracht hat wie diesen: ein glorreiches Konglomerat aus Cowboys und Indianern, fahrendem Volk, irischem Rebellentum, dem Aufruf zur Toleranz und dem Traum von einem Fluss, der einen von der Sünde der Dummheit reinigt.

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