Generation TikTok: Jugendliche zwischen Konservatismus und Häuslichkeit
Nachdem eine deutsche Studie auf einen Rechtsruck hinwies, ergab eine Befragung in Österreich zumindest: Revoluzzer sind rar. Ein Kommentar.
Eine großangelegte Studie in Österreich mit 30.000 Befragten versuchte unlängst zu ergründen, was mit den Jungen so los ist. Insbesondere ältere Kommentatoren zeigen sich über die diagnostizierte Frühvergreisung besorgt. Ein Land voller jugendlicher Spießer?
Zunächst ist auffällig, dass viele der notwendig älteren Studienleser, die selbst – darf man sagen – Ex-Jugendliche sind, bei der heutigen Jugend den revolutionären Geist vermissen. Die Frage kann dann gleich an sie zurückgegeben werden: Wie lief denn die eigene Revolte so?
Klischees und die Erwartungshaltung an die Jugend
Vermutlich sitzt man hier beim Interpretieren ein wenig den Klischees und sehr üblichen Deutungsmustern auf. Die verlangen eben, dass die Jugend aufmüpfig zu sein hat. Nun, das geben die aktuellen Daten der Jugendstudie des Österreichischen Rundfunks und des Forsight-Institutes wirklich nicht her.
Lesen Sie auch:
Shell-Studie: Jugend weniger rechts als gedacht?
Gegen Migration und Bürgergeld: Wie die FDP als AfD light am rechten Rand fischt
Die AfD, Weimar und die Antifa: Schulter an Schulter, weil der Staat versagt?
Zwischen AfD-Sound und Anti-AfD-Protesten: Wohin steuert die CDU?
Woke gegen Rechts in der Arbeitswelt: Management-Sprache floppt beim Personal
Die abgefragte Wunschbildung klingt nach Broschüre der Raiffeisenbank: Fernreisen, Eigenheim, Auto. Es scheint, wir bewegen uns nicht ins Mittelalter, sondern ins Mittelmaß. Die Diagnose ist nicht neu, sondern stammt von Matthias Beltz und beschrieb bereits die 1990er-Jahre.
Offenkundig wollten die Befragten eigentümlich ausgewogen sein. Nichts Extremes, nichts Herausstechendes, alles so ein bisschen Mittel. Mit viel "Sowohl als auch" mäandert die Studie vor sich hin: Nicht zu viel arbeiten, aber auch nicht zu wenig. Geldverdienen ist wichtig, aber auch nicht nur. Öko grundsätzlich auch, aber mit Fleischbeilage. Es ist keine Studie, die zeigt, dass die Dinge ins Rutschen geraten wären.
Jugendliche in Tracht: Konservatismus oder Ironie?
Wird die Jugend häuslicher, biedermeierlicher gar? Statt "Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll" lieber früh schlafen gehen? Könnte stimmen, denn 68 Prozent der Befragten bleiben lieber daheim als auszugehen. Beim Tragen von Tracht gibt es ein lupenreines 50:50. Aber zeigt das wirklich, dass das Land konservativer wird – tragen viele die Tracht nicht auch mit einer gewissen Ironie?
Die Studie ist grundsätzlich nur bedingt aussagekräftig, denn man kann von jungen Endverbrauchern keine interessanten Antworten erwarten, wenn man ihnen langweilige und teils seltsame Fragen wie "Wirst Du in Zukunft heizen (Wohnraumtemperatur)" stellt?
Außerdem, wer, außer Ozzy Osbourne, beantwortet die Frage, "Gehört es zu Deinem Lifestyle, harte Drogen zu nehmen", mit "Ja"? In der Umfrage unter österreichischen Jugendlichen sind es aber immerhin zwei Prozent, die sich freimütig dazu bekennen.
Dennoch wabert etwas Dunkles und ein wenig Bestürzendes unter den Antworten der Studie. Der Druck, der auf den Jugendlichen lastet, scheint groß zu sein. In manchen Passagen fühlt sie sich wie ein stummes Dokument der Verzweiflung an.
Vertrauensverlust junger Menschen in die Politik
Die Befragten erwarten sich von ihrer Zukunft nicht mehr, als das, was noch in Griffweite liegt; und sie sehen auch keine Perspektive auf tiefgreifenden Wandel. Es ist gerade einmal noch ein Prozent der Jugendlichen in Österreich, das der Politik "sehr" vertraut. (Theoretisch also die Hälfe derer, die harte Drogen nehmen.)
Ein beachtliches Ergebnis, für das die Politik in Österreich in den letzten Jahren und Jahrzehnten aber auch viel getan hat.
Wer immer wieder vorgelebt bekommt, dass die Politik mit doppeltem Boden agiert und letztlich eigene Interessen, beziehungsweise die der Geldgeber vertritt (von der Ibiza-Affäre bis zu den brisanten Chats zwischen dem früheren Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz und dem Ex-Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid) kann nicht mehr "sehr vertrauen".
Es sind auch nur mehr ein Prozent, die sich von der Politik "sehr vertreten fühlen", beachtliche 82 Prozent vertrauen "wenig oder gar nicht". 85 Prozent fühlen sich "wenig oder gar nicht vertreten". Das kann allerdings nicht nur der Politik angelastet werden.
Kaum Perspektiven jenseits populistischer Wahlwerbung
Korruption und Unaufrichtigkeit hat es in der Politik immer gegeben. Aktuell fehlen aber die glaubwürdigen Perspektiven. Das wären Ziele der Politik für gesellschaftliche Veränderungen, die mehr sind als populistische Wahlwerbung. Entweder hat die Politik diese nicht im Programm oder es gelingt nicht, sie dem jungen Publikum zu vermitteln.
Das gilt übrigens für links und rechts. Die SPÖ geht mit der Vier-Tage-Woche in den anstehenden Nationalrats-Wahlkampf. Die Jungen in der Umfrage zeigen sich eher irritiert. Nicht einmal ein Drittel (29 Prozent) hält dies für eine gute Idee. Haben sie den Teil mit dem "vollen Lohnausgleich" mitbekommen?
Kein eindeutiger Rechtsruck in der jungen Generation
Die Rechten in Österreich poltern ohne Unterlass gegen Ausländer. Faszinierender weise bereitet den Jungen der (Alltags-)Rassismus (39 Prozent) mehr Sorge als die Migration (36 Prozent).
Ein Rechtsruck, wie ihn im Nachbarland zuletzt die Trendstudie "Jugend in Deutschland 2024" nahelegte, zeichnet sich in Österreich nicht wirklich ab. Eher ist es ein breites Spektrum an Zukunftssorgen, das auf den jungen Menschen lastet.
Klimawandel: Vielfach Sorge ohne Konsequenz
Die Sorge vor Krieg und Terrorismus ist aktuell größer als die vor dem Klimawandel. Bei 30 Grad Celsius Anfang April in Österreich ist das ein bisschen bemerkenswert. Das Wetter wird auch und gerade in Österreich immer extremer. Es sind ja nicht nur die lang andauernden Hitzewellen, es sind auch die Starkregenereignisse und Überschwemmungen, die kaum mehr zu übersehen sind.
Im Vergleich dazu ist Terrorismus und Krieg eine eher abstrakte Sorge. Verdrängung äußert sich häufig in Abspaltung und so ist vielleicht erklärlich, warum sich 62 Prozent vor dem Klimawandel sorgen und 79 Prozent dringenden Handlungsbedarf sehen, zugleich aber keine Mehrheiten für einen ressourcenschonenderen Lebensstil vorhanden sind.
69 Prozent geben an, ins Ausland zu fliegen gehöre zu ihrem Lifestyle, 81 Prozent wollen aufs Fleischessen nicht verzichten. Übrigens ebenso viele (81 Prozent) bejahen Körperrasur und Waxing – man darf sagen: Österreich Jugend hat einen unverstellten Fleischbezug.
Schlechte Noten für die Medien
Die Medien bekommen in der Studie ordentlich ihr Fett weg. 60 Prozent glauben den Medien wenig oder gar nicht, bei den "Sozialen Medien" sind es 80 Prozent, die den Glauben verloren haben. Gerade einmal schlanke zwei Prozent glauben "sehr", was sie dort lesen. Welche Art Medienschulung sollte die Kids noch kritischer machen?
Sie glauben ohnehin nicht mehr, was sie lesen und sehen. Dennoch nutzen 87 Prozent die sozialen Medien und sagen zugleich 70 Prozent, es seien "Zeitfresser", aber sie kämen davon nicht los. 64 Prozent greifen gleich morgens zum Smartphone und finden dies falsch.
Vielleicht liegt hier ein Schlüssel zum Verständnis der Studie. Wer mit "Sozialen Medien" aufwächst hat eine Art Bühnenlicht internalisiert. Sobald man sich äußert, ist man auf dem Prüfstand. Wer einmal etwas Schräges vor einer der ewig mitlaufenden Kameras gesagt hat, bekommt dies immer wieder süffisant in den Feed gespielt. Wer will es den Kids verdenken, wenn sie nur mehr vornehmlich das sagen, was man halt so sagt?
Die Studie ist auch ein Superzeugnis für Österreichs Bildungssystem: Knackige vier Prozent vertrauen ihm sehr. Ansonsten wären Ideen für die Schule: Notenabschaffung, Matura abschaffen, morgens später anfangen. Die Message ist klar: Bitte weniger von dem Zeug! 66 Prozent finden, der Lehrplan sei zu voll.
Der Rückzug junger Menschen ins Private
Es sind kaum Institutionen in Sicht, denen die Jungen vertrauen und bei denen sie sich gerne engagieren würden. Kein Wunder, dass man sich auf Heim und Familie zurückzieht. Familie ist bekanntlich auch das, was man daraus macht.
Hier zeigt sich erfreulich, dass zumindest #Metoo und Co. etwas bewirkt zu haben scheinen. Bei Fragen zu Sexualität, Partnerschaft, Geschlechtsidentität wird deutlich, dass nur mehr eine kleine, vermutlich holzköpfige Minderheit zu ihrem Sexismus steht.