Chuckawalla Swing: Zwischen Schlange und Leguan
- Chuckawalla Swing: Zwischen Schlange und Leguan
- Swingende Leguane, kämpfende Hunde
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Wagon Master von John Ford, Teil 2
Wir haben damit aufgehört, dass Dr. Hall seine Nassrasur abbrechen muss, weil es in der Wüste kein Wasser gibt und man sich solchen Luxus da nicht leisten darf. Das Wasser hat John Ford immer fasziniert. Mir fällt kein Film ein, wo es nicht eine wichtige Rolle spielt. Am liebsten sind ihm Flüsse, und zwar besonders dann, wenn man sie überqueren kann. Flüsse sind ständig in Bewegung, sie spenden Leben, ihre Überquerung markiert den Aufbruch zu neuen Ufern. Wenn Ford unzufrieden ist mit der Gesellschaft, die er uns zeigt, wird aus dem Fluss eine mit Blut getränkte Grenze wie in Rio Grande und in The Searchers. Und manchmal ist der Fluss der Jordan, in dem sich Jesus von Johannes taufen ließ.
Letzteres ist im übertragenen Sinne und nicht wörtlich zu verstehen. Es geht nicht darum, Mitglied einer bestimmten Konfession zu werden wie man einem Verein beitritt und auch nicht um das Wort zum Sonntag, sondern um den Zauber, der solchen Momenten wie dem am Jordan innewohnt, weil da - ganz unreligiös gesprochen - eine Revitalisierung stattfindet, und eine Entkalkung des Gehirns, der nur die teilhaftig werden, die sich auf das Neue einlassen, statt sich im Alten einzuzementieren. Als Jesus herauf aus dem Wasser stieg, berichten die Evangelisten, tat sich über ihm der Himmel auf. Dann sah er den Geist Gottes, der wie eine Taube über ihn kam. In der Bibel (Jesaja 11:2) steht auch, was man sich unter dem Geist des Herrn vorzustellen hat. Gemeint ist der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis.
Bei Rudyard Kipling, von dem ich glaube, dass er für Ford eine Inspirationsquelle war, wird aus dem Jordan ein geheimnisvoller, auf keiner Karte verzeichneter Fluss, der einen von allen Sünden reinigt. In Kim sucht ein tibetischer Lama nach diesem Fluss. Der Titelheld begleitet ihn auf seiner Reise zur Erkenntnis. Die schlimmste aller Sünden, sagt der Lama, ist die Dummheit. Schade, dass es den Fluss, der von ihr reinigt, nur in der Literatur zu geben scheint, nicht in der Wirklichkeit.
Some horses and real estate
Die Migranten in Wagon Master müssen keine Angst haben, dass aus dem Fluss eine Grenze wird, an der man auf sie schießt, weil das ein Film über das Leben ist, nicht über eine dumpfe Negativität. Doch der Reihe nach. Beginnen wir mit einer Anekdote. John Ford soll wieder einmal ein Drehbuch verfilmen, in dem für seinen Geschmack zu viel geredet wird. Er erklärt den Autoren, dass es für eine Filmkamera nichts Besseres gibt als ein laufendes Pferd. Werft das Gerede raus, sagt er, und gibt mir Pferde und Immobilien (= Landschaften): "Some horses and real estate." Wagon Master zeigt ein um das andere Mal, was damit gemeint war. Dabei muss es nicht immer das grandiose Landschaftspanorama mit Wagentreck sein. Vielleicht sogar noch besser ist Fords Handschrift in den kleinen, intimen Momenten zwischen zwei Charakteren zu erkennen.
Die Rasierszene bereitet die nächste Etappe der Romanze zwischen Travis und Denver vor. Travis reitet am Wagen von Dr. Hall vorbei, als er und sein Pferd mit einem Eimer Wasser übergossen werden. Er sitzt nicht auf Steel wie sonst. Steel war durch nichts aus der Ruhe zu bringen und wurde für diese Einstellungen durch ein feuriges Rodeopferd ersetzt. Für die meisten Regisseure war ein Tier wie das andere. Nicht für Ford. Er ließ das Pferdedouble von der Maske so zurechtmachen, dass es wie Steel aussah. Das Pferd scheute wie gewünscht. Travis’ halsbrecherischer Rodeoritt endet damit, dass er sich nicht im Sattel halten kann und unsanft auf die Erde fällt. Denver hat ihr Badewasser über ihm und dem Pferd ausgegossen. Heutzutage würde das Liebespaar gemeinsam in die Wanne steigen. 1949 musste Ford sich etwas einfallen lassen, um die Zensur zu umgehen. Also werden wir erst darüber informiert, wie kostbar das Wasser ist. Travis sagt, dass es für die Pferde gebraucht wird. In Zukunft, antwortet Denver schnippisch, werde sie nur noch baden, wenn es der Treckführer ausdrücklich erlaubt habe. Das lenkt davon ab, dass beider Haut soeben vom selben Wasser benetzt wurde, sie sich das Bad "geteilt" haben.
Wer das überinterpretiert findet: Einmal steht Travis am Fluss und nimmt seinem Pferd zu einer Instrumentalversion von "I left my gal in Old Virginny" den Sattel und die Satteldecke ab, zieht es gewissermaßen aus. Prompt kommt Miss Denver ins Bild, die gleich ihre Kleider ablegen wird und vorher artig fragt, ob sie jetzt baden darf. Travis hat nichts dagegen und ruft der im Gebüsch verschwindenden Miss Denver hinterher, dass er sich ihr anschließen will. "Schön", sagt sie. Hier blieb den Zensoren vermutlich die Spucke weg. Ein gemeinsames Bad im Fluss? Mit Production Code ging das gar nicht. Statt Denver ins Gebüsch zu folgen bleibt die Kamera bei Travis (Aufatmen bei den Tugendwächtern), der sich auf sein Pferd schwingt. Das sieht elegant und leicht aus und ist doch so schwer. Dobe Carey war auf einer Ranch aufgewachsen und wahrlich kein schlechter Reiter. Trotzdem, sagt er im Audiokommentar der DVD bewundernd (nur Warner, Region 1), habe er es nie geschafft, mit der anstrengungslosen Grazie eines Ben Johnson auf den Rücken eines ungesattelten Pferdes zu springen.
Während sich Miss Denver, wie man annehmen darf, im Off nackt auszieht, reitet Travis auf seinem nun nackten (sattellosen) Pferd in den Fluss. Als züchtiger Kinoheld lässt er seine Sachen an. Dazu lacht er fröhlich wie jemand, der sich über einen gelungenen Streich freut. Mehr als ein Interpret hat sich gefragt, was das da soll. Mir fällt nur eine Deutung ein. Der den leiblichen Genüssen nicht abgeneigte Katholik John Ford macht sich über die verklemmten Damen und Herren von der - unter dem Einfluss katholischer Lobbygruppen stehenden - Selbstzensur der Filmindustrie lustig, und Ben Johnson lacht dazu, stellvertretend für seinen Regisseur. Das ist fast noch unverschämter als die Szene in Howard Hawks’ The Big Sleep, wo sich Lauren Bacall und Humphrey Bogart an der Oberfläche über das Pferderennen unterhalten und doch nur vom Geschlechtsverkehr reden. Vielleicht wollte Ford seinem Rivalen Hawks zeigen, dass er das auch konnte - und zwar ganz ohne die Hilfe des späteren Literaturnobelpreisträgers William Faulkner, der in Hollywood gutes Geld verdiente, indem er für Hawks und Kollegen anzügliche Dialoge mit sexuellem Subtext schrieb, gegen die kein Zensor etwas ausrichten konnte. Aus Wasser und Pferden wird in Wagon Master eine höchst schlüpfrige Angelegenheit.
"Sorry, horse"
Bleiben wir noch einen Moment bei den Pferden. Im Audiokommentar der US-DVD beeindruckt Dobe Carey - ein bescheidener, völlig unprätentiöser alter Herr - mit einem exzellenten Gedächtnis. Jahrzehnte später weiß er noch genau, wie die einzelnen Pferde hießen und welche besonderen Eigenschaften sie hatten. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass Wagon Master ein Film von John Ford ist. Die Tiere sind Teil der Besetzung. Man wundert sich beinahe, dass sie im Vorspann nicht zusammen mit den Schauspielern aufgeführt werden. Zu Red River gibt es die Anekdote von Montgomery Clift, der sich, ganz der Method Actor, intensivst in seine Rolle als Ziehsohn von John Wayne hineinfühlt und seinem Regisseur Howard Hawks erzählt, was er sich alles dazu gedacht hat. Hawks will das nicht wissen und schickt ihn mit einem Cowboy für 14 Tage in die Prärie, damit er erst mal richtig reiten lernt (und nicht so wie ein Filmheld). Auch für Ford fing die Schauspielerei im Western mit dem Reiten an, also mit der Interaktion von Tier und Mensch, nicht mit dem Aufsagen von Dialogen oder dem Vorführen von Actors-Studio-Manierismen.
Scott Eyman (Print the Legend: The Life and Times of John Ford) hat an der Szene mit Denvers ausgeschüttetem Badewasser zu bemängeln, dass es Ben Johnson ist, der da vom Pferd fällt, kein Stuntman. Johnson hätte sich verletzten können, dann hätte man die Dreharbeiten unterbrechen müssen. Das ist sicher richtig und doch total daneben. Es sind genau diese Produzenten- und Buchhalterargumente, denen sich Ford entziehen wollte, indem er nach Moab ging. Wagon Master wirkt nicht authentisch, weil die Männer Cowboyhüte tragen, die Sons of the Pioneers im Off Lieder von Stan Jones singen und die Siedler mit Planwagen unterwegs sind statt mit Automobilen. Der Film wirkt "echt", weil nicht getrickst wird. Die Akteure selbst, nicht ihre Doubles reiten durch die Landschaft, in kunstvoll komponierten Bildern, denn Authentizität ist nicht mit einer irgendwie "realistischen" Wiedergabe der Wirklichkeit zu verwechseln (auch "Realismus" ist nur eine Sehgewohnheit).
Ford, sagt Carey, liebte es, Ben Johnson beim Reiten zuzusehen. Nirgendwo ist das so atemberaubend wie da, wo Travis vor den Indianern flieht. Johnson reitet selbst. Es hätte sich auch niemand finden lassen, der so etwas besser konnte als er. Sein Pferd hingegen wird gedoubelt. Johnson reitet nicht Steel wie üblich, sondern Bingo, ein auf solche halsbrecherischen Aktionen spezialisiertes Stunt-Pferd. Andere Regisseure drehten so etwas gern mit mehreren Kameras und aus verschiedenen Perspektiven, damit der Cutter durch die Montage die Illusion einer Bewegung erzeugen konnte, die es so nie gegeben hatte. Ford reichte eine Kamera. Wie immer ist sie für jede Einstellung perfekt platziert. Über das Kino des John Ford sagt diese Flucht vor den Indianern mehr als manch tiefschürfende Analyse. Wer bei der halsbrecherischen Verfolgungsjagd in erster Linie an die Gefahr für das Pferd denkt, das keiner gefragt hatte, ob es so etwas machen wollte: Bingo gehörte dem Schwiegervater von Ben Johnson. Er passte - so gut wie möglich - auf ihn auf.
Careys Erinnerungen erlauben es einem, den Film neu und anders zu sehen. Man erkennt dann zum Beispiel, wie schwer das Pferd von Ward Bond unter der Last seines Reiters zu tragen hatte. Auf schwierigem Gelände, am Ufer des Colorado, brach es unter Bond zusammen. Fords Western sind so lebendig, weil er solche Aufnahmen nicht wiederholte, sondern sie zum Improvisieren nützte. Wiggs schimpft jetzt fürchterlich auf das arme Pferd, das ihn gerade abgeworfen hat. Das Tier kann nichts dafür, sagt Travis. Wir müssen eine andere Furt suchen, weil hier Treibsand ist. Wiggs bedauert seinen Wutausbruch und entschuldigt sich: "Sorry, horse." In diesen zwei Worten steckt der Kern des Films. Es gibt Leute, die anderen Lebewesen (Mensch wie Tier) mit Respekt begegnen und welche, die diesen Respekt vermissen lassen und nur die eigene kleine Gruppe sehen. Die einen werden überleben, die anderen nicht.
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