Chuckawalla Swing: Zwischen Schlange und Leguan

Seite 3: Das Gute annehmen

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In Wagon Master gibt es eine schöne Szene mit Wiggs, Travis und Sandy am Fluss, dem Symbol für Aufbruch und Bewegung. Wiggs gibt zu, Angst vor den Cleggs zu haben, sagt aber zugleich, dass er diese weder den Banditen noch den eigenen Leuten gegenüber zeigen werde. Es gilt, den Wagentreck in das Gelobte Land zu bringen, was nicht gelingen kann, wenn man es zulässt, dass die Angst das eigene Handeln bestimmt. Das spielt auf die berühmte Rede an, die Franklin D. Roosevelt am 4. März 1933 hielt, nachdem er als US-Präsident vereidigt worden war. Darin versicherte er seinen Landsleuten, dass sie nur die Furcht selbst zu fürchten hätten, weil diese lähmend sei und den offensiven, lösungsorientierten Umgang mit Problemen verhindere: "So, first of all, let me assert my firm belief that the only thing we have to fear is ... fear itself - nameless, unreasoning, unjustified terror which paralyzes needed efforts to convert retreat into advance."

Wagon Master

Es ist wieder sehr ironisch, wenn das mit Ward Bond der Mann sagt, der für die Motion Picture Alliance den Inquisitor machte und Roosevelt-Anhänger demütigenden Befragungs- und Selbstbezichtigungsritualen unterzog, weil sie als "Kommunisten" denunziert worden waren. Nicht jeder Regisseur hätte damals einem als Sympathieträger fungierenden Charakter solche Roosevelt-Worte in den Mund gelegt, weil man in Zeiten der Paranoia schnell in Gefahr geriet, selbst auf einer Schwarzen Liste zu landen. In Hollywood wie in Washington waren längst die Gesinnungsschnüffler unterwegs, die in Filmen und ihren Dialogen vermeintlich "unamerikanische" Botschaften suchten und auch fanden, denn "unamerikanisch" war alles, was mit der eigenen Meinung nicht übereinstimmte. Weil ein Feindbild dem anderen gleicht wurden noch nicht realisierte Drehbücher für Anti-Nazi-Filme nach 1945 mit wenig Aufwand so umgeschrieben, dass kommunistische Agenten an die Stelle der Nazis traten.

An die Szene am Fluss musste ich denken, als ich das Gespräch zwischen Barack Obama und der Schriftstellerin Marilynne Robinson las, das im vergangenen Jahr in der New York Review of Books erschienen ist. Die beiden reden da über den Einfluss der Angst vor zu unheimlichen Finsterlingen erklärten Menschen auf die politische Kultur. Grundlage der Demokratie sei es, sagt Robinson, von anderen Leuten Gutes anzunehmen und nicht a priori Schlechtes, weil sie anders sind. Insofern handelt Wiggs nicht nur christlich, sondern auch urdemokratisch, wenn er Denver, Dr. Hall, Miss Fleuretty und Mr. Peachtree das Gute unterstellt und dafür sorgt, dass die Mormonen sie gastfreundlich bei sich aufnehmen. In diesem Sinne wäre es ebenso unchristlich wie undemokratisch, wenn die Verteidiger des christlichen Abendlands ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrnehmen (auch eine Säule der Demokratie), um den Hass auf diejenigen zu schüren, die ihnen fremd sind. Darüber könnten die besorgten Bürger nachdenken, bevor sie demnächst wieder über ihre Zerrbilder vom Fremden und der freien Presse (noch so ein unverzichtbarer Pfeiler der Demokratie) wettern.

Wagon Master ist reich an utopischen Momenten, ohne dabei die Realität aus den Augen zu verlieren. Wer anderen Gastfreundschaft erweist wird sie auch empfangen - nicht unbedingt in Crystal City, wo man die christlichen Werte nur noch undeutlich erinnert, aber in der Wüste, bei den "Wilden", die sonst dafür da sind, die Postkutsche zu verfolgen oder im Kreis um die Wagenburg zu reiten, damit man sie gut vom Pferd schießen kann. Auch in Wagon Master scheinen sie der Erwartung gerecht zu werden, denn zur Einführung reiten bewaffnete Navajos mit dem üblichen Kriegsgeheul hinter Travis her. Luke, einer von den Banditen, freut sich schon darauf, seinen ersten Indianer zu erschießen. Was man hier für die Mordlust eines Psychopathen halten kann wird in Cheyenne Autumn, Fords letztem Western, zum mehrheitsfähigen Jagdtrieb der besorgten Bürger von Dodge City. Die Menschenverachtung ist da in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ford war stark desillusioniert, als er diesen Film drehte. Das mag an Alter und Krankheit gelegen haben. Primär aber hatte es mit der Verfassung seines Landes zu tun, das er in einer Krise sah (nach dem Koreakrieg und mitten im Vietnamkrieg).

Wagon Master

In Wagon Master ist das noch anders. Wiggs will nicht schießen, sondern reden - mit einem erstaunlichen Resultat. Sandy spricht die Sprache der Einheimischen, das entspannt die Atmosphäre. Üblicherweise gibt es in solchen Szenen ein paar "Roter Mann, Weißer Mann"-Sätze, dann wird gefeilscht. Die Siedler geben den Indianern irgendeinen Tand, über den sich diese freuen wie die kleinen Kinder (böse Weiße überreichen eine Winchester oder ein Fass Feuerwasser). Dafür erteilen die Indianer den Siedlern die Erlaubnis, ihr Gebiet zu durchqueren. Ford lässt das weg. Der Häuptling macht Wiggs stattdessen ein zweifelhaftes Kompliment. Die Weißen, sagt er, seien große Diebe, die Mormonen aber nur kleine Diebe. Darum lädt er sie in sein Lager ein. Das ist Fords Version der von Marilynne Robinson als Grundlage der Demokratie identifizierten Bereitschaft, von anderen Leuten Gutes anzunehmen (oder möglichst wenig Schlechtes), entkleidet von allem Pathos.

Jim Thorpe, All-American

Im Lager der Navajos wird nicht unbedingt die Entstehung der multikulturellen Gesellschaft zelebriert, aber doch eine Annäherung der Kulturen in Form eines jener Rituale, die bei Ford so wichtig sind, weil sie dabei helfen, Energien (positive wie negative) so zu bündeln, dass es der Bildung der Gemeinschaft dient (von den Cleggs macht keiner mit, was Schlimmes ahnen lässt). Mormonen und Indianer bilden eine Menschenkette und tanzen im Kreis um ein loderndes Feuer. Schwester Ledeyard nimmt den Platz neben einem imposanten Herrn ein, zu dem sie aufblickt wie ein beglückter Backfisch. Recht so, sagt Ford durch die Inszenierung. Der Mann ist Jim Thorpe, im echten Leben der größte US-Athlet aller Zeiten. 1912 gewann er bei den Olympischen Spielen in Stockholm die Goldmedaillen im Fünfkampf und im Zehnkampf (beide Medaillen wurden ihm wegen eines heute lächerlich erscheinenden Verstoßes gegen die Amateurregeln aberkannt, und man kann sich fragen, ob das bei einem weißen Sportler genauso gelaufen wäre), er spielte American Football, Baseball, Basketball und Golf, war Schwimmer und Boxer.

Wagon Master

Jim Thorpe war einer jener Native Americans, die an militärisch organisierten Internaten einer kulturellen Umerziehung unterworfen wurden, was ihnen vermutlich eher schadete als nützte. Nach schlechten Erfahrungen in den US-Profiligen misslang ihm der Übergang in ein Leben nach der Sportkarriere. Er verarmte, hatte ein Alkoholproblem und ging schließlich nach Hollywood, wo er sich als Statist und Kleindarsteller durchschlug. In Hollywood gründete er auch eine Künstleragentur, die dafür warb, Indianerrollen mit echten Indianern zu besetzen. Wie wenig erfolgreich das war sieht man an den dick geschminkten Weißen, die im Durchschnittswestern auf den Kriegspfad gehen. Ford wird oft vorgeworfen, dass seine Navajo-Freunde aus dem Monument Valley bei ihm Apachen, Comanchen und Cheyenne-Indianer spielen, aber - mit Ausnahme von Wagon Master - keine Navajos. Das ist schon richtig. Der Fairness halber sollte man jedoch den historischen Kontext berücksichtigen.

Der Stomp Dance ist ein gutes Beispiel für das Widerspenstige im Werk von John Ford. Zu einer Zeit, als Hollywood eine mitunter kuriose Form der Rassentrennung praktizierte, um keine Boykottaufrufe besorgter Rassisten zu riskieren, tanzen Sandy und Schwester Ledeyard mit den Indianern und freuen sich auch noch dabei. Für einen Ende 1949 gedrehten Film ist das durchaus bemerkenswert. In den eher seltenen Fällen, in denen ein Hollywoodstudio Native Americans engagierte, wurden diese meistens über den Tisch gezogen. Ford zahlte den mit den Gewerkschaften ausgehandelten Tariflohn, obwohl er es viel billiger hätte haben können. Der Winter 1948/49 war im Monument Valley besonders schneereich ausgefallen. Ford hatte seine Armeekontakte genutzt und die "Operation Haywire" organisiert, bei der Militärflugzeuge Nahrungsmittel und Futter für die Tiere über den von der Außenwelt abgeschnittenen Navajos abwarfen. Ein knappes Jahr später holte er eine größere Gruppe von ihnen in das etwa 200 Kilometer entfernte Moab. Das mit Wagon Master verdiente Geld konnten sie gut gebrauchen, weil der harte Winter ihre finanziellen Ressourcen erschöpft hatte. Hätte man Jim Thorpe nach Hause schicken sollen, weil die Tanzszene bei den Navajos im heutigen Utah spielt, er aber ein aus Oklahoma stammender Angehöriger der Sac and Fox Nation war?

Thorpe wirkte nachweisbar in 64 Filmen mit, möglicherweise waren es viel mehr. Das lässt sich nicht mehr feststellen, weil er in den Besetzungslisten selten erwähnt wurde. Im Vorspann von Wagon Master taucht sein Name unter dem von Fords Bruder Francis auf. Ford zeigt so seine Wertschätzung für einen großen Amerikaner, der hier seinen letzten Filmauftritt hatte (er starb 1953) und einfach nur kurz zu sehen ist, statt vorgeführt zu werden wie ein seltenes Tier in der Manege. An dieser Stelle muss man daran erinnern, dass Jane Darwell für einen beträchtlichen Teil des Publikums die amerikanische Mutter schlechthin war, seit sie die Ma Joad in The Grapes of Wrath gespielt und mit ihrem Film-Sohn Henry Fonda den Kommentar zu The Battle of Midway gesprochen hatte. Mutter Amerika blickt da also zu einem großen Sohn des Landes auf, der für die Rassisten keiner sein durfte, oder nur mit Sicherheitsabstand, weil er ein Indianer war.

Wagon Master

Wie subversiv diese Einstellung mit Thorpe und Darwell damals war beginnt man zu ahnen, wenn man Michael Curtiz’ Biopic Jim Thorpe - All-American (1951) sieht, mit Burt Lancaster in der Hauptrolle. Ein Indianer wird Indianer genannt, was für einen Nicht-Western dieser Zeit keineswegs selbstverständlich ist, aber wie heikel das Thema war wird an dem Eiertanz deutlich, den der Film gelegentlich aufführen muss, um nicht gegen die Regeln des "guten Geschmacks" (= des richtigen Abstands) zu verstoßen. Jim macht der von ihm geliebten Margaret den Hof, indem er sich neben ihr auf den Boden setzt. Seine Angebetete sitzt auf einem Stuhl. Das diente der Besänftigung der Rassisten, denn Margaret ist eine Weiße. So blieb die Hierarchie gewahrt. Wahrscheinlich konnte der Film nur gedreht werden, weil die Ehe unglücklich endet und das gemeinsame Kind nicht überlebt. Mit einem indianischen Hauptdarsteller wäre auch das unmöglich gewesen; es musste schon ein Weißer wie Burt Lancaster sein. Jim Thorpe übrigens hatte nicht nur indianische, sondern auch irische und frankokanadische Vorfahren. Das war nichts Ungewöhnliches und galt für indianische wie für - mehrheitlich - weiße Familien. Viele Nachkommen der alten Siedlergenerationen haben eine Indianerin oder einen Indianer im Stammbaum. Im Film bleibt das unerwähnt, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte.

Die Indianer hatten gefälligst unter sich zu bleiben. Die Geschichte des Jim Thorpe, der sich damit nicht abfinden wollte, konnte auf der Leinwand nur erzählt werden, weil sie eine Tragödie ist, wenn auch mit versöhnlichem Hollywood-Ende: Der gefallene Held rappelt sich auf, wird für seine Leistungen geehrt und bedankt sich artig. Der echte Thorpe verdiente beim ihm gewidmeten Biopic etwas Geld als "technischer Berater". Die Filmrechte an seinem Leben hatte er schon 1931 verkauft, für 1.500 Dollar. Die Olympioniken rangen sich schließlich dazu durch, ihn zu rehabilitieren und seinen Anspruch auf die ihm durch ein widerrechtliches Verfahren aberkannten (und inzwischen verschwundenen) Goldmedaillen zu bestätigen. Das war 1983. 30 Jahre nach seinem Tod.

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