Copyright
Hitzige Debatten und Lobbygedränge
Nach den USA steht nun Deutschland und der Europäischen Union das Update der Urheberrechtsgesetzgebung bevor
Die Verwertungssgesellschaften wollen das Urheberrecht weltweit verschärfen: In den USA sind ihre Wünsche durch die Verabschiedung des Digital Millenium Copyright Act erfüllt worden, nun heben sie den Lobbyistenwettstreit auch auf europäischer Ebene auf eine neue Stufe. Die Politiker müssen nun auch in Europa Stellung beziehen.
Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat im Juli in Anlehnung an den im Dezember 1997 von der Europäische Kommission herausgegebenen Vorschlag für eine Richtlinie über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft einen ersten Diskussionsentwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes formuliert. Mitte September 1998 folgte der Referentenentwurf für ein Vertragsgesetz. Dadurch sollen zum einen die Ende 1996 von über 100 Staaten angenommenen WIPO-Verträge zum Copyright und über Darbietungen und Tonträger in nationales Recht umgesetzt werden. Es geht dem BMJ aber auch, so heißt es in der Pressemitteilung, um die " Fortentwicklung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter".
Kernpunkte der beiden Entwürfe sind die Anerkennung des "right of making available" der Autoren: Dadurch wird Kreativen, aber auch Tonträgerherstellern und Sendeunternehmen, das alleinige Recht zur Veröffentlichung ihrer Werke und Produkte in Pull- und Push-Medien eingeräumt: Urheber sollen so "die Zugänglichmachung ihrer Werke und Darbietungen im Internet und anderen digitalen Netzen kontrollieren können". Zur Disposition steht dabei auch der Begriff der öffentlichen Wiedergabe, die das momentane Urheberrechtsgesetz (UrhG) als Sendung an eine "Mehrzahl von Personen" gleichzeitig definiert. Der Entwurf vom Juli geht in Paragraph 15 Abs. 2E in Anpassung an On-Demand-Dienste einen Schritt weiter und stellt klar, daß eine öffentliche Wiedergabe auch dann vorliegt, wenn das Werk "aufgrund eines an die Öffentlichkeit gerichteten Angebots für einen einzelnen Angehörigen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird."
Die "Sendung" wird damit zur "Übertragung", die nicht unbedingt in ein Rahmenprogramm wie etwa bei einem TV-Sender eingebaut sein muß. Das Urheberrecht bezieht sich so auch auf Inhalte und Werke, die im Web zum Download angeboten werden. Wie von der WIPO vorgeschlagen, soll das Umgehen von Maßnahmen und Techniken wie etwa digitalen Wasserzeichen, die der Urheber zur Wahrnehumg und Schutz seines Verfügungsrechts in ein Werk eingebaut hat, strafbar werden.
Der Vertragstext ist allerdings denkbar unklar: Er verlangt nur, "einen angemessenen Rechtsschutz und wirksame Rechtsbehelfe gegen die Umgehung wirksamer technologischer Maßnahmen" vorzusehen. Der Juli-Entwurf des BMJ sieht nun Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche zivilrechtlicher Art vor, die der Autor sich allerdings erst vor Gericht erstreiten müßte. Gesichert werden weiterhin die "moralischen Rechte" eines ausübenden Künstlers, der bei der Verwertung seiner Darbietung genannt werden muß, und sich gegen eine nicht in seinem Interesse liegenden Veränderung seines Werkes zur Wehr setzen kann.
Keine Regeln ohne Ausnahmen: Das alleinige Recht des Urhebers an seinem Werk soll im Interesse der Allgemeinheit gewissen "Schranken" unterliegen. Der Diskussionsentwurf des Justizministeriums macht hier aber zunächst nur Vorschläge für die Anpassungen der Ausnahmeregelungen der Paragraphen 45 folgende UrhG an das neue digitale Umfeld: diese beziehen sich beispielsweise auf die unentgeltliche Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke für den Unterrichts- und Kirchengebrauch, auf die Veröffentlichung von Pressespiegeln innerhalb von Unternehmen und Behörden sowie auf die Berichterstattung über Tagesfragen. In den aufgeführten "Schrankenregeln" werden diese Ausnahmen auch auf Online-Dienste und das Internet übertragen. Bewußt ausgeklammert wurden private Nutzungsrechte bzw. die Reform der bereits bestehenden Vergütungsregelungen, da die Vorgaben der EU-Richtlinie abgewartet werden sollen.
Auf der EU-Ebene gibt es darüber momentan die "hitzigsten Debatten", wie Heinz Zourek von der federführend an der Ausarbeitung des Richtlinienentwurfs beteiligten DG XV zugibt. Verwertungsgesellschaften haben der bisher in dem Vorschlag der Kommission aufgeführten Ausnahmen vom Vervielfältigungsverbot jedenfalls den Kampf angesagt und sind sich dabei mit Medienkonzernen auf dem Kongreß des Dachverbands der Urheberrechtsgesellschaften CISAC schnell einig geworden: Die Privatnutzung sei im Online-Bereich bedenklich weit gefaßt, versicherte zumindest Klaus Eierhoff, Vorstandsmitglied bei Bertelsmann, den grauhaarigen Herren Anfang September. Auch die Pressespiegelausnahme, also die Tatsache, daß beispielsweise innerhalb von Unternehmen Medieninhalte im Intranet zugänglich gemacht werden könnten, sei wohl nur als "Regelungslücke" zu bezeichnen.
Die GEMA-Gebühr für den Computer ist im Gespräch
Die Verwertungsgesellschaften wollen das bestehende Urheberrechtsgesetz allerdings nicht nur Eins zu Eins auf die digitalen Medien übertragen, sondern im digitalen Kontext noch engere Schranken schaffen als bisher. Vor allem drängen sie darauf, die seit 1985 nicht mehr veränderten Abgabesätze für die Industrie zu erhöhen. Momentan werden die Vergütungen in Deutschland pauschal auf analoge Geräte und Medien aufgeschlagen: Verkäufer von Kopierern oder Leerkassetten müssen beispielsweise Gebühren an die Verwertungsgesellschaften abführen, die diese wieder an die von ihnen vertretenen Autoren ausschütten.
Die Urheberrechtsgesellschaften wollen diese Vergütungssysteme nun auf digitale Geräte übertragen – angefangen von Disketten oder beschreibbaren CDs über Modems bis hin zu Festplatten und PCs. Streitig ist bisher nur, was unter solche Geräte fallen kann, da der Gesetzestext bisher "neutral" gefaßt von Apparaten spricht, die für die Vervielfältigung bestimmt sind. In einer Reihe von Musterprozessen haben die Verwertungsgesellschaften allerdings bereits die Einbeziehung von Readerprintern, Telefaxen und ab einer bestimmten Leistung auch Scannern in ihre Vergütungssysteme erstritten. Es ist also auch durchaus denkbar, daß beim Kauf eines Computers mit Internetanschluß demnächst pauschal eine Gebühr an die GEMA oder die VG Wort fällig wird.
Die Lage wird momentan noch dadurch verkompliziert, daß nicht alle Länder der Europäischen Union solche Vergütungsregeln eingeführt haben. England profitiert beispielsweise gewaltig von dem so entstehenden Preisgefälle. Durch die geplante Leitlinie der Kommission sollen diese Regelungen harmonisiert und für alle Länder vergleichbare Schrankenregelungen vorgeschlagen werden. Die Positionen liegen allerdings noch weit auseinander und die Verhandlungen sind noch relativ am Anfang, wie das BMJ bestätigt. Die Bundesregierung hat sich dabei für die Harmonisierung der Regelungen ausgesprochen, England vertritt dagegen die Position, daß das Urheberrecht abgespeckt werden sollte. Auch die deutschen Bundesländer haben sich für weite Schrankenkataloge ausgesprochen und drängen vor allem auf Ausnahmen vom Vervielfältigungsverbot für den Wissenschafts- und Ausbildungsbereich, der größtenteils unter Länderhoheit fällt. Sie fürchten, daß Forschung durch erforderliche Lizenzverträge teurer wird, was ihnen angesichts knapper Kassen keineswegs gelegen kommt.
"Chilling Effects" des neuen Urheberrechts in den USA
Der Grund zur Sorge wird durch die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten nach der Verabschiedung des Digital Millenium Copyright Act, der letztlich auch "nur" die WIPO-Verträge umsetzt, bestätigt: Langsam aber sicher scheint sich herauszustellen, daß die Profiteure des neuen Gesetzes vor allem die Filmindustrie Hollywoods, die in den vergangenen Jahren den größten Lobbyaufwand in Washington betrieben hatte, sowie die Musikindustrie sind. Adam Clayton Powell vom Freedom Forum etwa rechnet mit "unerwarteten neuen Restriktionen", die das verabschiedete Urheberrechtsgesetz für Journalisten, Radiosender und Bibliotheken mit sich bringt. Als erstes betroffen seien zahlreiche kleine Webradios, die per Real Audio über das Netz senden. Diese müßten nun nicht nur eine Gebühr für Musikbeiträge an die amerikanischen Verwertungsgesellschaften zahlen, sondern zusätzlich auch eine neue Steuer auf alle Bruttoeinnahmen.
Insgesamt werde das neue Gesetz den freien Fluß von Informationen im Netz gefährden, fürchtet Powell: Seiten von Lehrinstituten könnten nun daran gehindert werden, Informationen ins Web zu stellen, die bisher in öffentlichen Bibliotheken oder ihren Websites frei zugänglich waren. Adam Eisgrau von der American Library Association sieht dadurch sogar den Kerngedanken des ursprünglichen Copyrights pervertiert, der Anreize für das Schaffen von Informationen bereitstellen wollte, ohne daß das entstehende Wissen allein als Ware auf den Markt komme.
Copyright als Fundament der Wissensschöpfung?
Auch in Deutschland wird die stückchenweise Verschärfung des Urheberrechts und die mit ihr einhergehende Beschneidung der Informationsfreiheit vor allem aus dem akademischen Umfeld heraus kritisiert.
Thomas Hoeren, Rechtsprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, hatte bereits 1996, nach der Verabschiedung der EU-Datenbankrichtlinie, die elektronische Sammlungen von Informationsmaterial generell unter ein weitgefaßtes Schutzrecht stellt, moniert, daß die Direktive aus deutscher Sicht die Möglichkeit beseitige, Teile oder einzelne Beiträge aus Datenbanken zu kopieren. Die Folgen des Trends in der Gesetzgebung könnten gravierend sein: "Zu studieren, lernen und wissen zu wollen", schreibt Hoeren im Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1998, "dieses Privileg droht urheberrechtlich zerstört zu werden. Das jahrhundertealte Wissen darum, wie wichtig der Zugang zu Informationen für Schulen und Universitäten ist, wird durch die Gier der Industrie nach möglichst extensivem Schutz aller Investitionen überrollt."
Im wissenschaftlichen Bereich hat sich auch längst die Erkenntnis herumgesprochen, daß neue Erkenntnisse und Texte weniger die Ausgeburten genialer Gehirne sind, sondern durch die Komposition und Montage bereits bekannter "Weisheiten" entstehen. Nachdem es in den Naturwissenschaften schon seit langem gang und gäbe ist, Aufsätze und Bücher meist im Autorenkollektiv zu veröffentlichen, fordert Friedrich Kittler ein solches intellektuelles Eingeständnis auch für die Kulturwissenschaften. Viel wäre gewonnen, schreibt er in seinem Essay über die Theorie der Hardware, wenn Texte, Bilder und Töne endlich als Output historisch bedingter Schreib-, Lese- und Computertechnologien verstanden würden. Das Copyright sei in diesem Sinne das "traurigste Vermächtnis" der gesammten sogenannten intellektuellen Geschichte: "Wissen kann ohne Urheberrecht auskommen."
Das Bundesjustizministerium fährt die traditionelle Linie
Von derartigen Überlegungen, die normalerweise nur den Cybergurus Nicholas Negroponte oder John Perry Barlow zugetraut werden, distanziert sich das Bundesjustizministerium deutlich. "Verlautbarungen wie 'Das Copyright ist ein Überbleibsel des Gutenbergzeitalters' sind in der Praxis nicht haltbar", gibt ein Ministerialbeamter zu Bedenken. Schließlich hingen ja die Existenzen von Autoren und Unternehmen der Medienindustrie am Urheberrecht, und es gäbe kein eigentliches Recht der Allgemeinheit auf eine kostenlose Inhaltenutzung, höchstens ein Recht auf Informationsfreiheit. Jeder habe also ein Recht darauf, eine Zeitung lesen zu können – dazu müsse er das Medium in der Regel aber erst kaufen.
Man kann also davon ausgehen, daß die Bundesregierung von einem hohen Schutzniveau bei der Neugestaltung des Urheberrechts ausgehen und ihre Vorstellungen während ihrer EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Halbjahr propagieren wird. Auch die bisher aufgeführten "Schrankenregeln" könnten dabei dem Lobbygedränge zum Opfer fallen: Hunderte von Organisationen streiten in Brüssel und auf nationaler Ebene mit- und gegeneinander.
Letztlich wird die Politik aber eine Entscheidung treffen müssen: Sie muß sich entscheiden, wem sie etwas Gutes tun möchte. Mit schnellen Ergebnissen ist dabei nicht zu rechnen. Vom BMJ war ursprünglich geplant, dem Bundestag noch in diesem Jahr einen Bericht vorzulegen und dem Gesetzgeber Optionen an die Hand zu geben. Doch durch die Wahl der neuen Regierung dürfte sich einiges verzögert haben. Vor der Jahrtausendwende rechnet jedenfalls niemand mit einem neuen Urheberrecht in Deutschland.