Copyright, Peer-2-Peer und Innovation

Der Oberste US-Gerichtshof entscheidet im epochalen Fall "MGM vs. Grokster" nicht nur über das Schicksal von Tauschbörsen, sondern über digitale Erfindungen allgemein

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Seit Jahrzehnten kämpfen die Copyright-Industrien aus Furcht vor "Raubkopierern" und "Piraten" gegen neue technologische Entwicklungen, statt diese von vornherein für ihre Geschäfte zu adaptieren. Erschien ihnen in den 1980ern noch der Videorekorder als Ausgeburt des Bösen, der ihren Umsätzen den Garaus machen würde, befürchten sie nun den Untergang ihrer selbst und der abendländischen Kultur aus dem Geiste des Internet mit seinen dunklen Filesharing-Ecken. Am gestrigen Dienstag kam es nun zum Showdown in Washington: Mit einer Anhörung vor dem Obersten US-Gerichtshof ging ein Streitfall in die heiße Phase, in dem über nicht weniger als die Entwicklungsfreiheit der digitalen Industrie entschieden wird.

Interessierte warten vor dem Obersten Gerichtshof auf Einlass zur Verhandlung "MGM vs. Grokster". Foto: cfarivar.org

Stellvertretend für die wichtigsten Filmstudios und -verleiher sowie die größten Plattenkonzerne ist die Traumfabrik MGM - die mit dem brüllenden Löwen - in den Ring gestiegen. Eine bunte Koalition bestehend aus zehntausenden Musikproduzenten und Songschreibern, Hip-Hoppern, der Nationalen Football-Liga, einer christlichen Koalition und Kirchenmusikverlegern stützt ihr den Rücken. Auch die US-Regierung hat sich in einem Schreiben an den Supreme Court hinter Hollywood gestellt. Angeklagt haben die Rechteverwerter die Tauschbörsen Grokster und Morpheus beziehungsweise die Firmen, deren Software die beiden Online-Dateiumschlageplätze antreibt. Sie geben ihnen eine Mitschuld an den Umsatzeinbrüchen insbesondere der Musikindustrie in den vergangenen Jahren.

In dem Streit geht es keineswegs nur um das Vergnügen einiger Jugendlicher, die sich täglich ihre Festplatten mit illegal kopierten Filmen und Songs voll laden. Dies zeigt die illustre Phalanx der Befürworter von Grokster und Streamcast Networks, dem Morpheus-Entwickler. Den Widerstand gegen Hollywood und die Labels organisiert die Electronic Frontier Foundation (EFF), die sich allgemein für die Wahrung der Bürgerrechte im Cyberspace einsetzt und zahlreiche Dokumente zu dem sich bereits über mehrere Jahre hinweg ziehenden Fall auf einer eigenen Webseite präsentiert. Seit an Seit mit den Beklagten kämpfen aber auch Verbände aus der Computer- und Unterhaltungselektronikindustrie, Branchengrößen wie Intel, Sun und Verizon, weitere Bürgerrechtsgruppen, Verbraucherschützer, Wissenschaftler und eine Reihe unabhängiger Musiker.

Das wegweisende Betamax-Urteil

Wie 1984, als der Supreme Court den damals noch analogen Betamax-Videorekordern Sonys in einem wegweisenden Urteil den Weg entgegen den Bedenken Hollywoods frei räumte, stehen sich also erneut die Unterhaltungsindustrie und innovative Technikhersteller gegenüber. Hollywood reibt sich mal wieder am Silicon Valley. Nur Sony selbst hat die Seiten gewechselt, weil die Japaner inzwischen einen gigantischen Konvergenzkonzern bilden und dieses Mal die Interessen der Film- und Musiksparte obsiegt haben. Was aber nicht heißt, dass Sony nicht auch selbst Geräte herstellt, die mit dem Urteil nicht mehr verkauft werden dürfen. Es ist schließlich davon auszugehen, dass der Schiedsspruch, der im Juni bekannt gegeben werden soll, sich auf die Erfindungskraft des Internet sowie der Computer- und Gadgetwelt insgesamt auswirkt.

Die Anwälte von Grokster und Streamcast berufen sich in ihrer Verteidigung hauptsächlich auf das Betamax-Urteil. Die Richter hatten damals den Videorekorder für rechtens erklärt, weil er Verbrauchern neben verbotenen auch in "substanziellem" Maß legitime Anwendungen wie das zeitversetzte Anschauen von TV-Aufzeichnungen erlaubte.

Mit einem ähnlichen Argument konnte sich Napster, die Mutter aller Tauschbörsen, vor vier Jahren zwar nicht vor der vorübergehenden Schließung retten. Doch die Programmierer von Filesharing-Netzen der zweiten Generation wie Grokster und Morpheus lernten dazu: Im Gegensatz zum großen Vorbild erstellen sie selbst keine zentralen Verzeichnisse über zu tauschende Inhalte. Vielmehr lassen sich mit ihrer Software echte dezentrale Peer-2-Peer-Netze (P2P) knüpfen, über die Nutzer in Eigenregie Dateien zwischen ihren Computern hin und her schieben können. Was genau die Anwender mithilfe der Vernetzungsprogramme machen, wissen die Entwickler nicht.

In den ersten zwei Instanzen sind ein kalifornischer Bundesrichter - just in der Entertainment-Hochburg Los Angeles - und das Berufungsgericht in San Francisco dieser Sichtweise gefolgt (Erneute Schlappe für die amerikanische Unterhaltungsindustrie). Man könne die P2P-Programme lediglich mit einer Kopiermaschine vergleichen, befanden sie, wo die Hersteller ja auch nicht für eventuelle illegale Nutzungen wie das Anfertigen gefälschter Geldscheine haften würden.

Kampf gegen die Gaunerbande

Die Film- und Musikindustrie baut jetzt darauf, dass die obersten Richter in Washington zu einem anderen Ergebnis kommen und den pauschalen Betamax-Freispruch für Kopiertechniken endlich kippen. Die Geschäftsmodelle von Grokster und Sreamcast hätten den hauptsächlichen Zweck, wettert Dan Glickman, Präsident der Hollywood-Lobby MPAA (Motion Picture Association of America), "den Leuten auf illegale Weise kostenlos urheberrechtlich geschütztes Material zur Verfügung zu stellen".

Andrew Lack, Chef von Sony BMG Music Entertainment, sieht bei Grokster ebenfalls "eine Gaunerbande" am Werk. 90 Prozent des darüber laufenden Content sei geklaut. Es gebe keine "substanziellen legitimen Nutzungsweisen". Ein Dorn im Auge ist den Rechteverwertern zudem, dass Grokster und Co. über Werbeeinblendungen mit ihrer Software Geld verdienen. Aus den Augen verlieren die Kläger nur, dass über derlei Tauschbörsen durchaus auch zahlreiche zum Kopieren bewusst frei gegebene Songs oder Videos von Künstlern verbreitet werden, die auf einen Werbeeffekt hoffen. Auch freie Software wie Linux, die dezidiert auf eine lizenzkostenfreie Distribution ausgerichtet ist, findet sich selbstverständlich zuhauf in P2P-Netzen. Nicht umsonst ist daher auch Einzelne Musikfirmen liebäugeln selbst mit dem Verkauf von Werken per Filesharing.

Das Ende von iPod, Email und Instant Messaging?

Die Verteidiger fürchten dagegen, dass der netzgetriebene Innovationsmotor der Hightech-Wirtschaft bei einer Verurteilung Groksters und Streamcasts zum Erliegen kommt und auch Basisdiensten wie Email, Instant Messaging oder Geräten wie Apples iPod das Aus droht. Schließlich hat eine Umfrage des Pew Internet & American Life Project gerade ergeben, dass die Nutzer Filme und Musik nicht mehr allein aus den Tauschbörsen saugen. Verstärkt verschicken sie die Dateien auch per E-Post oder über ihre Messenger-Software. Oder sie koppeln die Mini-Musikplayer aneinander und klonen die MP3-bestückte Platte in einem Zug.

Streamcast-Chef Michael Weiss bringt die Kritik auf den Punkt: Wenn Firmen bei der Entwicklung von Produkten schon immer auf eine Erlaubnis angewiesen gewesen wären, schimpft er über die Blockadegeister in Hollywood, "gäbe es heute kein Kabelfernsehen, keine MP3-Player, keine Videorekorder und keine Videotheken." Die Entwicklung neuer Technologien würde verzögert, warnt auch Gary Shapiro von der US-amerikanischen Consumer Electronics Association.

Der Internet-Unternehmer Mark Cuban, der mit dem Verkauf der Webradio-Plattform Broadcast.com an Yahoo zum Millionär wurde, fühlt sich persönlich betroffen. "Wir wollen, dass unsere Inhalte die Verbraucher auf dem Weg zu der Zeit erreichen, auf dem sie die Kunden zu einem Preis erhalten wollen, der ihnen angemessen erscheint", schrieb der inzwischen Kinofilme produzierende und Filmtheater mit digitaler Technik ausrüstende Vermarkter und Contentvertreiber kürzlich in sein Weblog. Sollte Grokster verlieren, dürfte dieser Dienstleistungsansatz in den USA viel schwieriger zu realisieren sein. Nur noch Großkonzerne könnten sich Innovationen dann leisten. Für Startup-Gründer aus der Uni wäre das ein schlechter Tag, da sie dann künftig immer erst technologiekundige Rechtsanwälte konsultieren und eine Strategie finden müssten, um einen Richter davon zu überzeugen, dass ihre Technik sich nicht auch auf die Musikindustrie auswirken könnte. Cuban selbst finanziert daher über die EFF den Überlebenskampf der P2P-Programmentwickler.

Auch Richter wollen nicht in Grund und Boden geklagt werden

Die obersten Richter selbst schienen auf der lebhaften öffentlichen Anhörung, für die sich einzelne Interessierte wie die Blogger Tim Armstrong oder Wendy Seltzer und Abgesandte vom Scotus-Blog oder vom Webjournal Machination teils schon nachts wie vor einem begehrten Rock-Konzert in eine lange Warteschlange einreihten, ein Ohr für derartige Darlegungen gehabt zu haben.

Stephen Breyer etwa stellte Vergleiche nicht nur mit dem Videorekorder, sondern auch mit MP3-Playern, Kopiergeräten und sogar der Druckerpresse an. In all diesen Fällen seien "zahlreiche" Fälle von Urheberrechtsverletzungen vorhersehbar, aber eben auch "einige exzellente", legale Anwendungsmöglichkeiten. Sein Kollege Antonin Scalia warf die rhetorische Frage auf, wie viel Zeit ihm die Hollywood-Anwälte beim Starten einer Unternehmung denn geben würden, bevor sie ihn in Grund und Boden klagen würden. Ein weiterer Richter am Supreme Court, Anthony Kennedy, empfand allerdings keine Sympathie für die Praktiken Groksters und zeigte sich konsterniert darüber, dass ein innovativer Firmengründer illegal das geistige Eigentum anderer quasi enteigne und als "Startup-Kapital für sein Projekt" missbrauche.

Es bleibt also noch einige Monate spannend, wie und ob Amerikas höchste Richter letztlich eine Abwägung zwischen Copyright, dem viel beschworenen Schutz Kreativer sowie der Förderung technischer Erfinder im digitalen Zeitalter hinbekommen. Wo die Richter in dem Spannungsfeld scharfe Schnitte machen könnten, erscheint vielen Beobachtern schleierhaft. Nicht zu vergessen bleibt jedenfalls, dass die Unterhaltungsindustrie letztlich immer die "Piraterie" über- und kommerzielle Nutzungsmöglichkeiten neuer Techniken unterschätzte. So nimmt sie momentan etwa allein in den USA jährlich rund 24 Milliarden US-Dollar aus dem Geschäft mit dem Videoverleih ein.

Doch wer immer im Sommer als Verlierer dasteht, dürfte sich mit dem Fall dann rasch an den amerikanischen Gesetzgeber wenden und dort sein Glück versuchen. Die Unterhaltungsindustrie, die inzwischen auch rund 90.000 Klagen gegen individuelle Tauschbörsen-Nutzer in den USA eingereicht hat, hatte dies beim US-Congress bereits getan und den umstrittenen Inducing Infringement of Copyrights Act lanciert (Sieg für die Technologie – Niederlage für ihre Nutzer?). Damit wären Firmen haftbar geworden, falls sie absichtlich Piraterie unterstützt hätten. Im US-Senat war das Vorhaben im vergangenen Jahr aber zunächst gescheitert.