Sieg für die Technologie – Niederlage für ihre Nutzer?

Der Kampf der US-Unterhaltungsindustrie gegen Musikpiraterie und die gesamte Peer-to-Peer-Technologie

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Die US-Musikindustrie hat ein wichtiges Gerichtsverfahren gegen Filesharing-Firmen verloren, aber bei den Verfahren gegen die "kleinen Fische", die beschuldigten Musikpiraten, kann sie derzeit nicht verlieren. In ihrem juristischen Kampf gegen die Musiktauschbörsen musste die US-Unterhaltungsindustrie kürzlich eine auf den ersten Blick schwere Niederlage einstecken.

Ein Berufungsgericht im kalifornischen Pasadena hatte die Klage gegen die beiden Filesharing-Firmen Grokster und Streamcast Networks (Morpheus) mit deutlichen Worten zurückgewiesen (vgl. Erneute Schlappe für die amerikanische Unterhaltungsindustrie). Die Richter kamen zu dem Ergebnis, dass die beklagten Firmen mit ihrer Software keine Beihilfe zu Urheberrechtsverletzungen leisten, sondern den Nutzern nur eine neutrale Software zur Verfügung stellen. Wie diese Software eingesetzt werde, könnten die beklagten Firmen nicht kontrollieren.

Gleichzeitig schrieben die Richter der US-Unterhaltungsindustrie markige Worte ins Stammbuch. Jede neue Technik verändere die herkömmlichen Märkte und Vertriebskanäle für urheberrechtlich geschützte Werke. Man müsse deshalb erst einmal die weitere Entwicklung abwarten, bevor man daran gehen sollte, das US-Haftungsrecht grundlegend abzuändern.

Die Filesharing-Firmen sahen sich in ihrer Position zu Recht gestärkt, die US-Musikindustrie und die RIAA, ihr Interessenverband, zeigten sich zunächst irritiert. Doch bereits wenige Tage nach dem Urteil hatte die RIAA das Heft wieder in der Hand. Sie zerrte erneut 744 angebliche Musikpiraten vor Gericht und leitete 152 Klagen gegen Peer-to-Peer-Nutzer ein, deren Daten sie per Gerichtsbeschluss von den jeweiligen Internet-Providern erfahren hatte.

Kritik an ungleichen Kräfteverhältnissen

Seit September letzten Jahres wurden insgesamt knapp 4.000 angebliche Musiktauschbörsennutzer von der RIAA verklagt. Gut 800 haben sich bisher auf einen außergerichtlichen Vergleich eingelassen und Schadensersatzsummen von durchschnittlich etwa 3.000 Dollar an die RIAA gezahlt. In Einzelfällen wurden auch weitaus höhere Summen "ausgehandelt".

Die Höhe dieser Summen sowie die Art und Weise, wie die RIAA bei den Vergleichs"verhandlungen" Druck auf die vermeintlichen oder tatsächlichen Musikpiraten ausübt, werden in den USA zunehmend auch von Richtern kritisiert, die mit den Fällen befasst sind. Wer einmal in den Fängen der RIAA und ihrer Anwälte gelandet sei, habe keine Chance mehr auf eine faire Behandlung, meinen die Verfahrenskritiker. Angesichts der finanziellen Übermacht der Musikindustrie und ihrer umtriebigen Anwälte sei es für einen Beschuldigten nahezu unmöglich, seine Unschuld zu beweisen.

"Ich habe noch nie eine Situation wie diese erlebt mit mächtigen Klägern und Anwälten auf der einen Seite und einer Menge von einfachen Leuten auf der anderen Seite", erklärte etwa die Bezirksrichterin Nancy Gertner auf einem Hearing in Boston. Sie habe sich in ihrem Bezirk mit Dutzenden solcher Klagen beschäftigen müssen.

Dabei habe sie festgestellt, dass die Beschuldigten regelmäßig vor der finanziellen Übermacht der Musikindustrie kapitulierten. Die Kosten für ein verlorenes Verfahren liegen bei 7500 Dollar oder mehr. Die RIAA-Anwälte bieten in aller Regel außergerichtliche Vergleiche in Höhe von durchschnittlich 3000 Dollar an, und die Beschuldigten greifen zu, egal, ob sie sich selbst schuldig oder unschuldig bekennen.

Das einzige, was man tun kann, ist, einen Vergleich zu akzeptieren - es sei denn, man hat nichts zu verlieren. Man kommt gegen diese Leute nicht an.

Ross Plank, beschuldigter Tauschbörsennutzer

Grundsätzliche Rechtsfragen bleiben ungeklärt

Da es keine einschlägigen Gerichtsverfahren gibt, werden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vor Gericht gar nicht erst behandelt. Bezirksrichterin Nancy Gertner etwa meint, dass es dringend rechtlich abgeklärt werden müsse, ob die Musikindustrie bzw. die von ihnen beauftragten Spionagefirmen überhaupt das Recht hätten, bei ihren Nachforschungen über das Tauschbörsenverhalten in fremde Computer einzubrechen und die Privatsphäre der Betroffenen zu verletzen. Immerhin handelt es sich nicht um staatliche Strafverfolgungsbehörden, sondern um Privatfirmen, die die PCs von Tauschbörsennutzern durchforsten. Solange die Betroffenen jedoch nicht mit Gegenklagen reagieren, bleiben solche Fragen völlig ungeklärt.

Zu fragen bliebe außerdem, ob die außergerichtlichen Vergleiche, welche die RIAA-Anwälte mit ihren "Opfern" abschließen, inhaltlich überhaupt rechtlich zulässig sind. Denn neben der Schadensersatzzahlung enthalten diese Vergleiche regelmäßig den Passus, dass sich die Beschuldigten verpflichten müssen, in Zukunft keine Tauschbörsen mehr zu nutzen - egal zu welchen Zwecken. Die Klagen der RIAA-Anwälte richten sich immer auch auf Unterlassung: Sie stigmatisieren eine gesamte Technologie als potenziell kriminell und wollen den Beschuldigten gerichtlich die Nutzung von Peer-to-Peer-Technologie überhaupt verbieten lassen. Bisher ist lediglich ein Fall bekannt geworden, in dem ein kalifornischer Richter eine solche Unterlassungsklage als unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre abgelehnt hat.

Save the iPod

In ihrem Urteil über die rechtliche Zulässigkeit von Filesharing-Software verwiesen die Berufungsrichter in Pasadena u. a. darauf, dass das US-Haftungsrecht nicht leichtfertig geändert werden sollte. Genau das aber sieht eine Gesetzesvorlage vor, die derzeit den US-Kongress beschäftigt. Der so genannte Induce Act will im Endeffekt die gesamte Peer-to-Peer-Technologie verbieten (vgl. Neue Gesetzesentwürfe in den USA gegen Copyright-Verletzungen). Er sieht vor, dass schon die Verleitung zur Verletzung von Urheberrechten durch das Anbieten von Software, mit der Urheberrechte potenziell verletzt werden könnten, strafbar sein soll. Die Zielrichtung der Gesetzesvorlage ist klar: Den Anbietern von Filesharing-Programmen soll es an den Kragen gehen.

Während kürzlich noch Befürchtungen laut wurden, dass der Induce Act wie einige andere Copyright-Gesetze noch in diesem Sommer heimlich, still und leise den Kongress passieren würde, mehrt sich jetzt der Widerstand gegen diese Vorlage, die der einflussreiche republikanische US-Senator Orrin Hatch, seines Zeichens auch Vorsitzender des Justizausschusses, maßgeblich mitformuliert hat.

Offenbar haben Senator Hatch und andere Verfechter des Gesetzes ein wenig schlampig gearbeitet. Denn der Gesetzestext ist so schwammig gehalten, dass im Grunde jedes elektronische Gerät, das zum Speichern von Daten und damit auch zum Abspeichern urheberrechtlich geschützten Materials verwendet werden kann, ins Fadenkreuz der US-amerikanischen Justiz geraten könnte. Die Hersteller müssten dann für die Urheberrechtsverstöße haften, die sie durch Herstellen und Vertrieb eines solchen Gerätes "induziert" hätten. Die Hersteller von MP3-Playern, aber auch andere Unternehmen aus der Technologiebranche zeigten sich besorgt. Sogar iPod-Fans fürchteten um ihr derzeitiges Lieblingsspielzeug und stellten eiligst eine Seite mit dem griffigen Titel "Save the iPod" ins Netz.

Kritiker legen Do Not Induce Act vor

Senator Hatch und Co. sind in ihrem missionarisch anmutenden Eifer gegen Musiktauschbörsen offenbar erheblich übers Ziel hinausgeschossen. Anstatt das Gesetz leise über die Senatsbühne zu bringen, müssen sie sich jetzt öffentlich mit großen Teilen der Technologiebranche auseinander setzen, darunter Unternehmen wie MCI, SBC oder Verizon. Unterstützung finden diese Firmen beispielsweise bei der American Association of Law Libraries oder bei Verbraucherschutzorganisationen. Sie alle haben sich auf einen Gegenvorschlag geeinigt und dem US-Senat kürzlich einen so genannten Do Not Induce Act vorgelegt.

Der Gegenvorschlag der Technologiebranche zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er den Straftatbestand der "induzierten Urheberrechtsverletzung" sehr viel enger fasst, als es Senator Hatch und der US-Unterhaltungsindustrie lieb sein kann. Danach soll rechtlich erstens nur derjenige belangt werden können, der ein Computerprogramm vertreibt, das speziell zum Zweck der Online-Piraterie entworfen wurde. Geräte wie der iPod würden selbst bei weitester Auslegung des Gegenentwurfs kaum noch unter das Gesetz fallen. Aber auch Filesharingprogramme wie Kazaa oder BitTorrent könnten unbehelligt weiter vertrieben werden. Denn zweitens sollten nur diejenigen Hersteller von Filesharingprogrammen juristisch belangt werden können, die sich direkt über Online-Piraterie finanzieren. Auch dieser Tatbestand dürfte auf die populären Musiktauschbörsen kaum anzuwenden zu sein. Drittens schließlich muss der Vertreiber von Filesharingprogrammen bewusste, wiederholte, andauernde und absichtliche Handlungen unternommen haben, um Urheberrechtsverletzungen zu unterstützen. Auch das kann man den Herstellern von Filesharing-Software nicht unterstellen, weisen sie in ihren Lizenzbedingungen doch regelmäßig auf die rechtlichen Konsequenzen hin, die beim Tausch urheberrechtlich geschützten Materials entstehen können.

Die US-Unterhaltungsindustrie zeigte sich über den Vorstoß der Technologiebranche wenig erfreut. Fritz Attaway, Vizepräsident der Motion Picture Association of America, bedauerte, dass der Gesetzentwurf viel zu eng gefasst sei. Mitch Glazier von der RIAA stimmte seinem Kollegen von der Filmwirtschaft in vollem Umfang zu. Er hält das Gesetz für keinen vernünftigen Vorschlag. So, wie es formuliert worden sei, sei es völlig zahnlos. Er sei aber immerhin froh, dass es Leute gibt, die eine Trennlinie "zwischen den Guten und den Bösen" ziehen wollen.

Was immer Mr. Glazier damit auch sagen wollte, eines scheint sicher: Senator Hatch zählt zweifelsohne zu den Guten, setzt sich der Senator doch vehement immer wieder für die Belange der Musikindustrie ein. Das war allerdings nicht immer so.

Senator Hatch und die Musikindustrie

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Senator Hatch kaum eine Gelegenheit ausließ, um die Musikindustrie zu kritisieren. Noch 2001 warf ihr der Senator vor, die gesamte Online-Entwicklung verschlafen zu haben. In einer Stellungnahme, die er im Prozess gegen das damalige, nichtkommerzielle Napster abgab, verlangte er von der Musikindustrie gar, sie möge gefälligst mit Napster zusammenarbeiten:

Ich denke, wenn man kooperativ auf dem Markt zusammenarbeitet, werden alle Beteiligten die besten Resultate erzielen, die Plattenfirmen, die Online-Musik-Dienste, die Künstler und die Musikfans.

Besonders die Künstler und die Musikfans lagen ihm in jenen Tagen sehr am Herzen. Sowohl die Peer-to-Peer-Aktivisten als auch die Musikindustrie sollten diese beiden Gruppen besonders im Auge behalten. Dann würde man auch zu einer allseits befriedigenden Lösung kommen. "Und ich hoffe, dass diese Chance wahrgenommen wird, bevor sie verloren gegangen ist", beschloss Senator Hatch sein damaliges Statement.

Sogar der Filesharing-Software, die er jetzt am liebsten verbieten möchte, konnte Hatch damals etwas Positives abgewinnen:

Online Systeme liefern eine billigere und einfachere Methode, um die eigenen Werke zu veröffentlichen.

Billiger und einfacher als wer oder was? Die Zielrichtung dieser Aussage dürfte klar sein. Die etablierten Plattenfirmen legen engagierten Künstlern immer wieder derartig viele Steine in den Weg, dass etliche von ihnen ihre Werke lieber über Independent-Firmen oder gleich in Eigenregie über Online-Dienste wie Magnatune vertreiben lassen, als sich den finanziellen und künstlerischen Auflagen der Musikindustriellen zu beugen. Auch Peer-to-Peer-Netzwerke bieten ihnen die Chance, ihre Werke zu veröffentlichen. Senator Hatch sah das 2001 noch ähnlich. Damals vertrat er die Ansicht, dass die neuen Technologien in der Musikszene zu Innovationen führen würden.

Warum machte sich Senator Hatch damals zum Anwalt der Künstler ohne Vertrag, der kleinen Labels und von Vertriebswegen jenseits der engen Pfade der US-Musikindustrie? Warum forderte er zu einem Kompromiss auf, der die Interessenpositionen von Künstlern und Musikfans gleichermaßen berücksichtigen sollte? Die Antwort ist im Grunde einfach: Senator Hatch zählte sich damals selbst zu den Künstlern, die es nicht geschafft hatten, einen eigenen Plattenvertrag bei einem Major Label zu ergattern. Wie viele andere Künstler auch versuchte er, seine Werke über eine kleine Plattenfirma, die nicht zur RIAA gehörte, und per Internet über die eigene Webseite unter die Leute zu bringen. Wenn sich Senator Hatch damals für Künstler und Fans einsetzte, dann vertrat er auch seine eigenen Interessen. In seiner Kritik an der Musikindustrie spiegelte sich womöglich die eigene Frustration über eine etablierte Musikindustrie, die seine Werke links liegen ließ, die ihn als Künstler ignorierte.

Vom Moderator zum Terminator

Das alles änderte sich schlagartig, als die RIAA offenbar weniger das musikalische, als das offenkundige politische Potenzial erkannte, das im Senator steckte. Immerhin ist Hatch in seiner Eigenschaft als Senator Vorsitzender des wichtigen Justizausschusses. Sämtliche Gesetze, die das US-Urheberrecht tangieren, laufen über seinen Schreibtisch. Schön, wenn einem der Besitzer dieses Schreibtisches wohlgesonnen ist.

Senator Orrin Hatch überdachte seine Positionen zum Filesharing im Laufe des Jahres 2001 offenbar sehr gründlich und änderte sie radikal. Aus dem moderaten Befürworter der Filesharing-Technologie wurde ein Hardliner, der sich den Kampf gegen Musikpiraterie und die gesamte Peer-to-Peer-Technologie auf seine Fahnen geschrieben hatte. Das britische Online-Magazin The Register meint die Ursachen für diesen Sinneswandel zu kennen. Einer der Songs, die aus der Feder des Senators stammen, wurde auf Initiative der RIAA hin von der in den USA populären Sängerin Natalie Grant aufgenommen. Kurz darauf wechselte Hatch Meinung und Seite. Kein Wunder, meint der britische Register, habe Hatch aus seinen Songs seitdem Einnahmen in vierstelliger Höhe erzielt. Übrigens heißt der fragliche Song beziehungsreich: "I am not alone". Schön, wenn man nicht allein ist und einflussreiche Freunde hat!