"Copyright ist kein natürliches Recht"

Zwischen Möglichkeitseuphorie und Gefahrenangst: Film-Copyright und neue Medien in Oberhausen

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"Die Frucht der Gedanken eines Autors ist der heiligste, unanfechtbarste und persönlichste Besitz" - so steht es bereits 1791 in dem von Aufklärung und Revolution inspirierten neuen französischen Gesetzbuch. Nicht nur Bücher und geschriebene Texte, wie es jetzt beim Streit um das Google-Buchprojekt heftig debattiert wird, sondern auch bewegte und unbewegte Bilder sind durch die derzeitige, vor allem mit den technischen Möglichkeiten der Digitalisierung verbundene Revolution der Kommunikationswege und -verfahren völlig neuen Verwertungsformen unterworfen. Bei den traditionsreichen "Internationalen Kurzfilmtagen" in Oberhausen diskutierte man jetzt über "Copyright and the Moving Images, Online"/"Urheberrecht und bewegte Bilder, online". Es wurde eine Debatte zwischen Möglichkeitseuphorie und Gefahrenangst.

"Copyright" oder "Urheberrecht" - keineswegs geht es in diesem Wortunterschied nur um nominalistische Erbsenzählerei, diese Begriffsdifferenz sagt vielmehr eigentlich schon fast alles: Das angelsächsische "Copyright" ist das Recht, etwas zu kopieren. Es beruht auf dem Gedanken, dass eigentlich alles, was der Öffentlichkeit übergeben wird, ganz bestimmt aber Kunst und Kultur, im Prinzip öffentliches Eigentum ist und damit einem grundsätzlich offenen "public access" unterliegen; es ist damit also ein Freiheitsrecht des Lesers und Betrachters, das diesem unter bestimmten Umständen und Auflagen gewährt wird. Im Zweifel für das Publikum, für Öffentlichkeit und Allgemeinheit.

Das "Urheberrecht" des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches ist dagegen ein Freiheitsrecht des Kreativen, das dessen Werk vor unkontrollierter, ungewünschter und nicht zuletzt unbezahlter Nutzung schützt. Im Zweifel für den Schöpfer, für das Privateigentum, für Kontrolle. Die Oberhausener Diskussion fand in Englisch statt - dies nun als Bekenntnis des Festivals zum englischen Verständnis aufzufassen, wäre allerdings voreilig. Es war eher der Zusammensetzung der Teilnehmer geschuldet.

Web als natürlicher Ort für Kurzfilme

Was das alles mit Film zu hat, ist offensichtlich: Denn nicht nur geschriebene Texte, auch die bewegten Bilder werden im digitalen Zeitalter zum Objekt unzähliger und von den Machern unkontrollierter Vervielfältigung in offiziellen wie privaten Tauschbörsen. Gerade Kurzfilme wie die hier im Programm des renommierten Festivals gezeigten sind für das Web 2.0 eigentlich ein ideales Medium: Bei "You Tube" kann man bekanntlich nicht nur unzählige Spielfilmklassiker zu 10-Minuten-Häppchen zerhackt komplett angucken - was übrigens nicht unbedingt das Ende aller Kinokultur einläutet, sondern vielleicht auch einfach neue Rezeptionsmöglichkeiten für selten zu sehende Filmkunst eröffnet.

Man findet dort auch zum Beispiel die Werke von Filmemacher aus Nahostländern wie Jordanien, die sich große Werkekampagnen nicht leisten können, auf diesem Weg aber doch noch ein internationales Publikum erreichen können und deswegen ihre Filme gezielt nach etwa einem halben Jahr für die Festivalauswertung zur kostenlosen Sicht und Verbreitung online stellen. Hier könnte man nun einwenden, "open access" nutze vor allem den Zwergen, denjenigen, die mit ihren Filmen aufgrund qualitativer Mängel oder fehlendem Interesse und Vermarktungsmöglichkeiten kein Geld verdienen können.

Ähnlich werden aber in den nächsten Monaten auch die Werke vieler Filmemacher, die in Oberhausen auf Leinwand gezeigt wurden, zwar zunächst über Weltvertriebe und Galerien gegen Bezahlung zugänglich gemacht, doch sehr bald nach der öffentlichen Premiere auch über irgendwelche frei zugänglichen Kanäle und file-share-Adressen im Web zirkulieren.

Hase und Igel

Einmal mehr belegte auch die Oberhausener Diskussion, das die Debatten zum Thema zwischen dem angelsächsischen Raum, dem britisch-amerikanischem Kapitalismus- und Rechtsverständnis und Kontinentaleuropa mit deren rheinischem Ökonomie-Modell und römisch geprägtem Recht entlangläuft. Dabei scheint der Sieger auf den ersten Blick bereits festzustehen: Im Bündnis aus grünem Hippie-Anarchismus und der marktradikalen Propaganda des Neoliberalismus/Neokonservatismus die sowohl die anti-staatlichen Affekte wie die Freiheit-um-jeden-Preis-Moral miteinander teilen und den Interessen globaler Konzerne wie Google.Inc bildete sich jene "Kalifornische Ideologie" der Deregulierung, die immer noch den Geist des Web 2.0 dominiert. Wie im Märchen von Hase und Igel kommen die Regulierer immer zu spät.

Leicht übersehen wird dabei, dass unter dem Banner der Freiheit des Open Access auch der in der Aufklärungszeit etablierte Anspruch der Urheber von geistigen Produkten und damit die Publikationsfreiheit gefährdet wird - denn diese hängt immer damit zusammen, dass ihre Schöpfer sich nicht verkaufen müssen, um zu überleben.

Grassierender Fatalismus?

"Copyright ist kein natürliches Recht", sagte gleich zu Anfang Rebecca Cleman aus New York und Kuratorin des dortigen "Underground Film Festival". Cleman kritisierte den aus ihrer Sicht die Debatte dominierenden "Trieb zur Kontrolle". Auch wenn Cleman meinte, das Internet werde in Zukunft eher stärker reguliert werden, folgerte sie doch - widersprüchlich? -, das klassische Urheberrecht sei längst theoretisch geworden und unter den Bedingungen der Globalisierung und der Schnelligkeit des Datenverkehrs aber in der Praxis nur noch in seltenen symbolischen Einzelfällen wie "Pirate Bay" durchsetzbar. "Alles was digital ist, ist bald auch online, und alles, was online ist, kann man irgendwie auch kopieren." Man war sich nicht ganz sicher, ob Cleman damit nur den grassierenden Fatalismus auf den Punkt brachte, oder ob sie in alldem eine Utopie noch freierer Kommunikation erkannte.

Bei dem New Yorker Medienanwalt Brian L. Frye war das dagegen eindeutig. Er vermochte gar nicht erst einzusehen, wo hier überhaupt ein Problem liegen könnte: Das Internet eröffne neue Verwertungsmöglichkeiten, man müsse natürlich sicherstellen, dass für Nutzungsrechte bezahlt würde, aber deren Einschränkung wäre durch nichts zu rechtfertigen - schließlich sei "gerade Kunst und Kultur ein öffentliches Gut, das nicht allein exklusiven Zirkeln vorbehalten" sein solle. "Ich habe keine Dogmen", verkündete Frye das Dogma des Neoliberalismus, "das Normative interessiert mich nicht."

Er warf den Europäern ein "ideologisches Verständnis des copyright" vor. Interessant war in diesem Zusammenhang Fryes kurzer Abriss der Geschichte des "google-booksearch Projekts". Denn er erinnerte, dass dies damit begann, dass die Inhalte öffentlicher Universitätsbibliotheken (Harvard, Stanford) online gestellt wurden. Hat seinerzeit eigentlich irgendjemand gefragt, welches Recht Bibliotheken überhaupt haben, ihre Inhalte online zu stellen? Umgekehrt: Ist virtuelles Ausleihen wirklich schlimmer, als materielles? Ist nicht das Internet nur eine erweiterte, technisch verbesserte große Bibliothek? Der wahrgewordene Traum der Idee der universalen Bibliothek.

Woher der Optimismus?

Die Frage ist brisant: Gibt es nicht so etwas wie kulturelles Gemeingut, das allgemein verfügbar sein sollte? Warum soll man eigentlich nicht Kunstwerke auf privaten Börsen tauschen? Geht es den Gegnern der „Piraterie“ nicht allein darum den Kapitalismus zu schützen?

Das Gegenargument liegt hier allerdings auch auf der Hand: Schließlich hat sich in anderen Zusammenhängen schon erwiesen, dass der Markt allein nichts regeln kann, im Bereich der Kultur noch weniger als in anderen. Woher der plötzliche Optimismus? Warum setzt sich kaum einer derjenigen, die normalerweise Marktgegner sind, mit der Gefahr der Entwertung von kreativer, künstlerischer Arbeit auseinander?

Auch wenn Medienanwalt Frye vielleicht nur ein großer Zyniker war (oder ein ungemein Naiver?) war es jedenfalls interessant, zu beobachten, dass ihm noch nicht einmal in den Sinn kam, dass es etwas geben könnte, das nicht "for sale" ist, dass es auch beispielsweise Künstler geben könnte, die ihre Werke in bestimmten Zusammenhängen nicht sehen möchten.

Rettung über Verwertungsgesellschaften?

Die Grenzen zwischen legitimer Nutzung eines öffentlichen Gutes und dessen Missbrauch sind zumindest keineswegs festgesteckt - ob sie es je werden, bleibt fraglich. Für die Berliner Kuratorin Henriette Huldisch wird alles am Ende zu einer Frage der Ethik. Sie erinnerte an die Vereinbarungen über "fair use", denen sich mittlerweile viele Institutionen angeschlossen hätten. Downloaden sei einfach nicht das Gleiche, wie eine DVD zu stehlen. "Da gibt es ein ganz unterschiedliches Gerechtigkeitsempfinden."

Nur gestreift wurde in der über weite Strecken sehr US-zentrierten Oberhausener Diskussion, in der sogar die Unterfinanzierung der US-Schulen zum Argument dafür wurde, free-online zu begründen - was schert das eigentlich den Rest der Welt? Als ob nicht die US-Regierung schlicht und einfach mehr Geld für Bildung ausgeben müsste - am Ende die interessante Frage, warum man einen Großteil der ökonomischen Fragen nicht über Abgaben analog zu dem deutschen Modell der Verwertungsgesellschaften regelt. Da würde dann jeder Käufer von Leer-DVDs, Computerteilen ein paar Cents zahlen, die an die Urheber ausgeschüttet werden - zahlen müssten dann aber auch die Webprovider, denen ihre Kunden längst monatliche hohe Gebühren zahlen, und die an der Verbindung von Freizügigkeit und vielen Inhalten interessiert sein müssen.

Siehe dazu auch:

Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Gegnern von "Open Access"

Heidelberger Halali

Was ist links, wenn es um Urheberrechte geht?