Corona-Maßnahmen: "Karlsruhe wollte ganz einfach nicht"
Seite 2: Enttäuschte Verfassungsrechtler
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Denn die Richter um den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth hätten sich dennoch der Vorlage annehmen können und eine wegweisende Entscheidung hinsichtlich der schwersten Grundrechtseinschränkungen seit Bestehen der Bundesrepublik treffen können.
So wurde die Entscheidung auch antizipiert, etwa von der Juristin Jessica Hamed. Die schrieb am Vortag auf Twitter:
"Die morgige Entscheidung des @BVerfG darf mit Spannung erwartet werden. […] Unseres Erachtens […] ist völlig klar, dass jedenfalls (!) im Herbst 20 die Maßnahmen nicht mehr auf § 28 IfSG gestützt werden konnten."
Sie schob allerdings schon nach:
"[…] meine Zuversicht hält sich im Hinblick auf die mE einzig vertretbare Ansicht nach den beiden Fehlentscheidungen #Bundesnotbremse & #einrichtungsbezogeneImpfpflicht – zurückhaltend formuliert – in Grenzen."
Sie sollte mit Ihrem Pessimismus Recht behalten.
Konform mit bisheriger Linie
Auch der Experte für öffentliches Recht, Volker Boehme-Neßler, gab sich nach eigener Aussage in Bezug auf Karlsruhe keinen großen Illusionen hin. "Karlsruhe wollte ganz einfach nicht", zeigt er sich im Gespräch mit Telepolis überzeugt. "Wenn sie gewollt hätten, hätten sie die Sache auch entscheiden können."
"Dabei ging es hier doch um eine ganz heikle Frage", sagt Boehme-Neßler.
Durfte man die ganz weitreichenden Maßnahmen im Lockdown auf der Grundlage einer Rechtsverordnung ergreifen, die eigentlich ein Mittel der Verwaltung ist, oder hätte man ein Parlamentsgesetz gebraucht? Und dann bleibt immer noch die Frage: Hätte das IfSG gereicht oder nicht?
Volker Boehme-Neßler
Fragen, die bis auf Weiteres unbeantwortet bleiben könnten, glaubt der Rechtswissenschaftler.
Denn all das sei traurig, passe aber zur bisherigen Linie des BVerfG. "Die Richterinnen und Richter entscheiden nur, wenn sie nicht anders können. Und dann meistens regierungsfreundlich." Bei Bundesnotbremse und einrichtungsbezogener Impfpflicht sei das überdeutlich geworden. "Für ihre Position als Hüter der Verfassung ist das sehr bedenklich", so Boehme-Neßler.
Generell dürften noch unzählige Verfassungsbeschwerden vorliegen, mit denen sich das Gericht auseinandersetzen könnte. Aber gerade das ist die Krux: "Könnte".
Denn zumindest einige davon wird Karlsruhe wahrscheinlich auch mühelos für unzulässig erklären können, glaubt Boehme-Neßler. Einzelne Beschwerden gezielt herauszusuchen und dann exemplarisch zu beurteilen, "das wäre der richtige Weg", sagt der Jurist.
Aber was ist, wenn der nicht eingeschlagen wird und Karlsruhe sich zunehmend aus der Rechtsprechung gegenüber den Corona-Maßnahmen zurückzieht?
Ich möchte mir das nicht vorstellen, aber das kann schon passieren.
Volker Boehme-Neßler