Corona: Niederländische Regierung nahm Einfluss auf "unabhängiges" Beratergremium

Seite 2: Einflussnahme des Ministeriums

Das erste Beispiel findet sich bereits für den 14. April 2020, als in den Niederlanden umfassende Schutzmaßnahmen galten. Die Fachleute des OMT hatten sich in ihrer damaligen Empfehlung auch mit dem Risiko der Verbreitung des Coronavirus in weiterführenden Schulen auseinandergesetzt.

Dass diese möglicherweise "in großem Maßstab" zu den Infektionen beitragen, gefiel dem Gesundheitsministerium aber nicht. Das würde "sehr unheilvoll" klingen. Der Ausdruck "in großem Maßstab" sollte darum durch "überregional" ersetzt werden – das taten die Beamten des RIVM.

Das zweite Beispiel bezieht sich auf dieselbe OMT-Empfehlung. Darin hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklärt, man könne sich derzeit nicht für eine Lockerung von Schutzmaßnahmen aussprechen, da die hierfür nötigen Bedingungen noch nicht erfüllt seien. Insbesondere ging es um das Sinken der Reproduktionszahl R unter den kritischen Wert von 1, das auf einen Rückgang des Pandemiegeschehens hinweisen würde.

Dass Bedingungen noch nicht erfüllt sind, gefiel dem Gesundheitsministerium nicht. Die Passage wurde gestrichen. Übrig blieb nur die Empfehlung, man könne Maßnahmen noch nicht lockern, da die Belastung für das Gesundheitswesen zu groß sei.

Kritik unerwünscht

Das dritte Beispiel findet sich für den 4. Mai 2020. Hier zweifelten die Fachleute des OMT an dem Versprechen des damaligen Gesundheitsministers De Jonge, dass man zum 1. Juni genügend Material haben würde, um alle Menschen mit Covid-Symptomen zu testen. Später würden sich diese kritische Einschätzung als zutreffend erweisen.

Die Zweifel an der Aussage ihres Dienstherrn sah das Gesundheitsministerium aber nicht gern. Der Alternativvorschlag lautete: "Das OMT gibt an, dass es von größter Bedeutung ist, am 1. Juni über hinreichend viel Materialien und Kapazität zu verfügen, um alle Personen mit Beschwerden testen zu können." Und so steht es dann auch in der Endfassung – ohne (berechtigte) Zweifel.

Am 28. September 2020 ging es dann unter anderem um Regeln für Pflegeeinrichtungen. Dazu hatte das OMT die präventive Verwendung von Schutzmasken und eine Besucherregelung empfohlen. Das Ministerium wollte, dass dies ausdrücklich nur als "Empfehlung" aufgenommen wird. Auch das wurde angepasst.

Bei zwei weiteren Beispielen vom 10. November und 14. Dezember 2020 ging es um den Umgang mit Nerzfarmen und die Kontaktverfolgung durch die Gesundheitsämter. Zur Letzteren merkte das OMT an, dass Bemühungen zur Nachverfolgung von Infektionen reduziert wurden und die Wartezeiten bei den Teststraßen wieder zunehmen könnten.

Auch das gefiel dem Gesundheitsministerium nicht. Insbesondere würde das den Bemühungen der Menschen nicht gerecht, die sich für die Tests einsetzten. Übrig blieb letztlich nur die abgeschwächte wie vage Aussage, dass die Kontaktverfolgung "unter Druck steht".

Doch kein Schutz der Schwächeren?

Das letzte und wahrscheinlich eindrücklichste Beispiel bezieht sich noch einmal auf den 14. April 2020. Die Fachleute des OMT wiesen darauf hin, dass zu diesem Zeitpunkt bereits in einem Drittel aller Pflegeeinrichtungen Coronainfektionen festgestellt waren – und diese Zahl das tatsächliche Infektionsgeschehen wahrscheinlich unterschätzte.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler brachten das mit den anfänglich eingeschränkten Regeln für das Testen und dem Mangel an Schutzausrüstung in Zusammenhang. Das war ein sensibler Punkt, da Ministerpräsident Mark Rutte noch kurz vorher versprochen hatte, der Schutz gefährdeter älterer Menschen habe die "absolute Priorität".

Das Gesundheitsministerium bat dann das RIVM, die Feststellung des OMT zu relativieren: Die Verbreitung in den Pflegeeinrichtungen liege nicht nur am Mangel an Tests und Schutzausrüstung, sondern auch an "atypischen Krankheitsverläufen" bei Älteren. Anders als die Niederlande haben andere Länder aber aus diesem Grund die Pflegeeinrichtungen gerade besser geschützt.