Corona: Niederländische Regierung nahm Einfluss auf "unabhängiges" Beratergremium

Bild: Vysotsky / CC-BY-SA-4.0

Das "Outbreak Management Team" sollte unabhängige wissenschaftliche Empfehlungen zur Bewältigung der Krise abgeben. Journalisten und Parlamentsabgeordnete deckten nun mehrere Fälle von Einflussnahme auf

Im Falle einer Epidemie wird in den Niederlanden das Outbreak Management Team (OMT) aktiv. Nach der Schweinegrippe von 2009 und dem Ebola-Ausbruch in Westafrika 2014 beschäftigt es sich seit Januar 2020 intensiv mit dem Coronavirus.

Das Beratungsgremium gehört formal zum Gesundheitsministerium und dessen Reichsinstitut für Volksgesundheit und Umwelt (RIVM), das man mit dem deutschen Robert-Koch-Institut (RKI) vergleichen kann. Vorsitzender des OMT ist der Direktor des RIVM, zurzeit Professor Jaap van Dissel, der in den Niederlanden zu einem der bekanntesten Gesichter der Corona-Pandemie wurde.

Van Dissel (Jahrgang 1957) wurde 1999 an der Universitätsklinik Leiden zum Professor für Innere Medizin und Leiter der Abteilung für Infektionserkrankungen ernannt. 2013 wechselte er dann zum RIVM und übernahm dessen Zentrum für Infektionsbekämpfung.

Der Mediziner war auch bei mehreren Pressekonferenzen der Regierung anwesend, wenn diese der Bevölkerung neue Maßnahmen verkündete. Van Dissel erläuterte dann die aktuelle wissenschaftlich-epidemiologische Sicht. Anfang 2020 bezweifelte er allerdings noch sehr lange die Schutzwirkung von Schutzmasken.

Ende 2021 unterstützte er dann einen überraschenden harten Lockdown, der ein Alleingang der Niederlande bleiben würde und sowohl die Gesellschaft wie auch die Politik in eine Krise stürzte. Später räumte Van Dissel ein, für die Omikronvariante von einem zu pessimistischen Szenario ausgegangen zu sein.

Neben dem Vorsitzenden besteht das OMT aus sieben weiteren festen Mitgliedern aus der Medizin, mit einer Ausnahme übrigens zurzeit nur Frauen. Für die Vergabe der Sitze sind ärztliche Organisationen wie beispielsweise die Niederländische Vereinigung für Medizinische Mikrobiologie oder die Niederländische Gemeinschaft der Hausärzte entscheidend.

Dazu kommt ein Team von immerhin 26 Expertinnen und Experten aus verschiedenen Gebieten wie Epidemiologie, Mikrobiologie, Kinderkrankheiten, Virologie und Kommunikation. Acht davon sind fest beim RIVM angestellt – und unterstehen daher indirekt dem Gesundheitsministerium.

Auch den Vorsitzenden von sowohl dem RIVM als auch dem OMT, Jaap van Dissel, sollte man als politischen Beamten einstufen, da er vom Gesundheitsministerium eingesetzt wird. Die Sitzungen des OMT sind nicht öffentlich und seine Mitglieder haben Geheimhaltungserklärungen abgegeben. Bei ihrer Tätigkeit sprechen sie nur für sich und sind sie nicht weisungsgebunden.

Vierte Säule der Demokratie

So weit so gut: geballte wissenschaftliche Kompetenz und ein großes Maß an Unabhängigkeit. Seit Februar 2022 bringen nun aber investigative Journalisten der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung Nieuwsuur mehr und mehr Informationen ans Tageslicht, die die Unabhängigkeit des OMT in Frage stellen – oder jedenfalls der Endfassungen seiner Berichte. Für ihre Recherchen bedienten sich die Journalisten des Informationsfreiheitsgesetzes (Wet openbaarheid van bestuur).

Das Gesundheitsministerium begegnete der externen Kontrolle durch die "vierte Säule der Demokratie" aber sehr zurückhaltend. Die Journalisten werfen ihm darum vor, die Freigabe von Informationen erheblich verzögert zu haben. Deshalb wurde das Ministerium schon im Juni 2021 vom Verwaltungsgericht in Utrecht zur Ordnung gerufen.

Zu der Zeit hatte der damalige Gesundheitsminister, Hugo de Jonge, die Arbeitsweise seiner Beamten in Schutz genommen: Die hätten in der Pandemie Wichtigeres zu tun, als Akten freizugeben. Das Gericht überzeugte das aber nicht und drohte stattdessen mit einem Zwangsgeld von 250 Euro pro Tag für den Minister, wenn die Freigabe nicht zügiger geschehen würde.

Die investigativen Journalisten konnten dann immerhin im Februar 2022 vorläufige Ergebnisse veröffentlichen, die die Unabhängigkeit des OMT in Frage stellten. Insbesondere der E-Mail-Verkehr innerhalb des RIVM erwies sich hierfür als interessant, auch wenn Teile der Akten geschwärzt wurden.

So gab es dem Anschein nach zwar keine direkte Einflussnahme auf die Arbeit des wissenschaftlichen Beratungsgremiums. Seine Empfehlungen wurden anschließend aber innerhalb des RIVM redigiert – und laut den Ergebnissen der Recherche geschah das zumindest in einigen Fällen nach Vorgaben des übergeordneten Gesundheitsministeriums. Offiziell verkündete das RIVM im Februar, es habe sich dabei um "Klarstellungen" gehandelt.

Parlamentarische Kontrolle

Kurz nach Veröffentlichung der ersten journalistischen Rechercheergebnisse stellten dann Abgeordnete des Parlaments in Den Haag (Tweede Kamer) dem – inzwischen neuen – Gesundheitsminister Ernst Kuipers kritische Fragen zur Arbeitsweise von OMT und RIVM. Auch Kuipers schloss sich der Sichtweise an, dass Beamte lediglich "Klarstellungen" für die OMT-Empfehlungen vorgeschlagen hätten.

Bei weiteren Recherchen von Nieuwsuur ergab sich aber das Bild, dass RIVM-Direktor und in Personalunion OMT-Vorsitzender Jaap van Dissel die anderen Mitglieder des Beratungsgremiums über diese "Klarstellungen" nicht informierte. Stattdessen soll er geheime Protokolle von OMT-Sitzungen vielleicht sogar selbst nach politischen Vorgaben angepasst haben.

In den freigegebenen Akten nicht unkenntlich gemachte Dateinamen wie zum Beispiel "Entwurf Empfehlung 66stes OMT COVID-19 Version 1.0.docx" ließen zudem erwarten, dass mehr Informationen vorliegen, als die Regierung freiwillig veröffentlichen wollte.

So verlangten dann auch die Abgeordneten des Parlaments die Freigabe aller Akten. Gesundheitsminister Kuipers wiegelte erst ab, dass man dafür hunderttausende Dokumente durcharbeiten müsse – und das sei schlicht nicht möglich. Am 13. April veröffentlichte die Regierung dann aber doch 414 Seiten. Offiziell handelt es sich dabei um "Textvorschläge und Fragen" zu den Empfehlungen des OMT.

Wie den investigativen Journalisten von NOS und Nieuwsuur bereits auffiel, waren auch diese Akten nicht vollständig. Allerdings konnten sie diese mit den bereits vorher freigegebenen Dokumenten zu einem vollständigeren Bild zusammenfügen. Für sieben Fälle ist nun nachgewiesen, wie die Regierung Einfluss auf die Empfehlungen des OMT nahm.