Corona-Maßnahmen: Verliert die niederländische Regierung die Kontrolle?
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In immer mehr unternehmerischen und kulturellen Sektoren kommt es zu Verstößen, teilweise toleriert von Bürgermeistern. Ministerpräsident und Justizministerin geraten unter Druck. Wie lange geht das gut?
In den Niederlanden galt bis einschließlich 14. Januar ein harter Lockdown, der die Verbreitung der Omikronvariante reduzieren sollte. Bis dahin waren nur noch "essenzielle" Geschäfte geöffnet, die beispielsweise Lebensmittel oder Drogeriewaren verkaufen.
Vor der Regierungspressekonferenz am Abend des 14. Januar scherten dann aber einige Unternehmer aus. Beispielsweise empfingen im zwischen Maastricht und Aachen gelegenen Valkenburg einige Gaststätten und "nicht-essenzielle" Läden ihre Kunden. Der dortige Bürgermeister Daan Prevoo ließ das als "Demonstration" durchgehen, sofern Abstands- und Hygieneregeln eingehalten würden.
Kurz zuvor hatte sich die gerade vereidigte neue Justizministerin Dilan Yeşilgöz unklar ausgedrückt. Schon ihr Vorgänger hatte sich dem Vorwurf stellen müssen, unzureichend für die Einhaltung der Coronaschutzmaßnahmen zu sorgen. Yeşilgöz sagte dann am 12. Januar:
Das Befolgen der Regeln liegt mehr daran, was Sie und ich daraus machen, als dass die Polizei da herumlaufen muss. Schließlich ist Corona, wie man es dreht und wendet, etwas, das wir gemeinsam Anpacken müssen. Es liegt also an den Menschen selbst, sich an die Regeln zu halten. Das machen sie auch für ihre eigene Gesundheit und ihre Umgebung.
Dilan Yeşilgöz, seit 10. Januar 2022 niederländische Justizministerin
Das sorgte nicht nur bei der Opposition für Verwirrung, sondern zum Teil sogar in den eigenen Reihen der wirtschaftsliberalen VVD, der Ministerpräsident Mark Rutte vorsteht. Vor der Pressekonferenz sickerte dann nach und nach durch, was die neuen Regeln ab 15. Januar sein würden.
Wie an dieser Stelle vorhergesehen, nahmen die Gaststättenbetreiber nicht hin, dass sie weiter geschlossen bleiben müssten. Erleichterungen gab es erst einmal nur für Sportvereine und Fitnessclubs, Tanz- und Musikschulen sowie Kontaktberufe wie Friseure. Am 25. Januar würde man die Situation neu bewerten.
Kurzzeitige "Demonstrationen"
Überraschenderweise schloss sich Ministerpräsident Rutte in der Regierungspressekonferenz – auf Nachfrage eines Journalisten – der Deutung an, dass Verstöße gegen die Schutzmaßnahmen durch Unternehmer als "Demonstration" gewertet werden könnten. Die Bürgermeister vor Ort könnten das im Einzelfall besser beurteilen. Das gelte aber nur dann, wenn die Öffnung einer Bar oder eines Restaurants zum Protest nur vorübergehend sei und nicht permanent.
Das trägt natürlich nicht zur Deutlichkeit bei: Ab wie vielen Stunden an einem Tag und ab wie vielen Tagen pro Woche ist so ein Regelverstoß nicht mehr "vorübergehend"? Im Zweifelsfalle müssten das Gerichte entscheiden.
In der Praxis verwarnen die Ordnungsbehörden die Unternehmer erst, bevor sie ein Bußgeld verhängen oder in letzter Konsequenz eine Örtlichkeit schließen. Denn natürlich haben Städte und Gemeinden kein Interesse daran, Unternehmen in den Ruin zu treiben, die Besucher anziehen und Steuern aufbringen. Allerdings würde eine zu massive Missachtung der Regeln die Autorität der Regierung untergraben.
So kam es, wie es kommen musste: Seither mehren sich die Berichte über vorübergehende "Demonstrationen" im ganzen Land. Pascal van de Geest, Restaurantbesitzer in Spakenburg, drückte dabei seinen Galgenhumor aus: Er sitze durch die Lockdowns bereits auf 100.000 Euro Mietschulden. Da würde ein Bußgeld in Höhe von bis zu 4.000 Euro auch nicht mehr ins Gewicht fallen.
Kultursektor zieht nach
Nach den Gaststätten meldeten sich die – offiziell immer noch geschlossenen – Kulturbetriebe zu Wort: Auch in Kinos, Museen und Theatern könne man Abstands- und Hygieneregeln einhalten. Das habe man schon in der Vergangenheit unter Beweis gestellt. Dabei wurde der niederländische "Coronazugangsbeweis" verwendet, mit dem man seinen Impf-, Gesundheits- oder Teststatus (3G) nachwies.
Der Kabarettist Diederik Ebbinge kam gar auf den kreativen Einfall, ein "Friseurtheater" (niederländisch: Kapsalon Theater) anzubieten: Die Gäste könnten sich doch im Theater von Schauspielern die Haare schneiden lassen.
Der Vorschlag stieß auf viel Zustimmung, sowohl bei den Kunden als auch bei den Kulturschaffenden. Einige Museen erklärten daraufhin, man könne in ihren Gebäuden auch Sport treiben ("Museum Gym"). Die Betreiber solcher Einrichtungen sehen es nicht ein, warum beispielsweise Friseure und Fitnessstudios, nicht aber Theater und Museen öffnen dürfen.
Durchsetzen oder nicht durchsetzen?
Doch nicht alle zeigten sich darüber erfreut. Beispielsweise erklärte die Amsterdamer Bürgermeisterin Femke Halsema am 17. Januar, dass man in der Hauptstadt die Regeln durchsetzen werde.
Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des nationalen Sicherheitsrats, Hubert Bruls, der die Einhaltung der Regeln landesweit koordiniert. Gleichzeitig schränkte er aber ein, dass Aktionen von kurzer Dauer zu Demonstrationszwecken "vielleicht" doch zu tolerieren wären.
Politiker und Beamte drückten unisono ihr "Verständnis" für die Lage der Unternehmer und Kulturschaffenden aus. Für diejenigen, denen nach bald zwei Jahren Lockdowns und sich ständig ändernden Regeln das Wasser zum Hals steht, dürften das aber leere Worte sein.
Am gestrigen Mittwoch, den 19. Januar, beteiligten sich dann rund 70 Theater sowie einige Dutzend Kinos und Museen an der subversiven Aktion. Entgegen der Ankündigung der Bürgermeisterin ließ man in Amsterdam die angesehene Konzerthalle gewähren, wo sich jeweils zwei Gäste bei klassischer Musik die Haare schneiden ließen. Die Aktion lief aber auch nur bis um 11 Uhr am Vormittag.
Im Königlichen Theater in Den Haag waren sogar 100 bis 150 Gäste anwesend. Die Ordnungskräfte forderten dann die Schließung bis um 13:30 Uhr – was aber sowieso die geplante Endzeit der "Vorstellung" war. Unweit davon erklärte der neue Gesundheitsminister Ernst Kuipers, es sei nun noch zu früh, über eine Öffnung des Kultursektors zu diskutieren.