Corona-Pandemie: Wie gut war die Berichterstattung?
Die Qualität des Corona-Journalismus auf dem Prüfstand. Bilanz, fünf Jahre nach Pandemiebeginn: Ging es um mehr Information oder mehr Kontrolle?
Fünf Jahre ist es jetzt her, seit Corona zum großen Thema in der Nachrichtenwelt wurde. Seit Tagen bilanzieren Medien, was von der "Corona-Pandemie bleibt" (ZDF), was junge Menschen bis heute spüren und "nicht nachholen können" (FAZ).
Um die Qualität journalistischer Berichterstattung geht es bei Telepolis regelmäßig. Auch zum Spezial-Thema "Corona-Journalismus" sind ab 2020 zahlreiche Medienkritiken erschienen. Um die Leistungen dieses "Corona-Journalismus" soll es hier auch in nächster Zeit noch ein paar Mal gehen.
Denn wie in Politik, Wissenschaft oder Rechtsprechung ist auch in diesem Feld eine Aufarbeitung angezeigt, die bisher allenfalls sehr zögerlich begonnen hat.
Mediale Leerstelle
Entgegen der im Sommer 2020 bekundeten Erwartung intensiver Forschungsarbeit zum Corona-Journalismus haben Kommunikationswissenschaft und Journalistik bisher erstaunlich wenig zu dieser Krise publiziert.
Dann, dass die Krisenberichterstattung zumindest in der Anfangszeit selbst in einer Krise steckte, wurde früh und vielfältig proklamiert.
"Einseitig, unkritisch, regierungsnah?"
Die für Deutschland bisher bedeutendste Studie erschien bereits im Oktober 2021, von Marcus Maurer (IfP, Uni Mainz), Carsten Reinemann (IfKW, Uni München) und Simon Kruschinski (IfP, Uni Mainz), herausgegeben von der Rudolf-Augstein-Stiftung. Titel: "Einseitig, unkritisch, regierungsnah?"
Das Untersuchungs-Sample umfasst die Berichterstattung "in elf Leitmedien mit unterschiedlichen redaktionellen Linien" zwischen 01.01.2020 und 30.04.2021, nämlich in den sieben Online-Angebote faz.net, sueddeutsche.de, welt.de, bild.de, spiegel.de, focus.de und t-online.de, in den drei Fernsehnachrichtenformaten Tagesschau (ARD), heute (ZDF) und RTL aktuell sowie der zeitweilig täglich ausgestrahlten Sondersendung ARD Extra zur Corona-Pandemie, ab 17.03.2020 unter dem Titel "Die Corona-Lage".
Methodik
Die Qualität der Medienberichterstattung wurde dabei laut der Studie von Maurer, Reinemann und Kruschinski "an frühere Studien anknüpfend auf sechs Dimensionen [gemessen]: 1) Relevanz, 2) Vielfalt, 3) Sachlichkeit/ Neutralität, 4) Richtigkeit/ Sachgerechtigkeit, 5) Ausgewogenheit und 6) Einordnung/ Kontextualisierung".
In die quantitative Inhaltsanalyse eingeflossen sind wegen der großen Menge aus den Nachrichtensendungen und Online-Medien nur die Beiträge jedes zweiten Tages.
Von den Online-Angeboten wurde codiert, was "auf den Startseiten im Hauptnachrichtenbereich erschienen" ist sowie alle Beiträge aus den "Ressortbereichen News, Politik, Corona(virus) oder Wissen(schaft) unterhalb des Hauptnachrichtenbereichs" (Maurer/ Reinemann/ Kruschinski 2021, S. 19).
Die Qualitätsdimension Relevanz wurde im Intra-Extra-Media-Vergleich bestimmt, als Kennzeichen realer Relevanz wurden "offizielle Statistiken zur Entwicklung der Pandemie (z. B. Zahl der Neuinfektionen, Sterbefälle) sowie Informationen über die Verkündung wichtiger politischer Entscheidungen (z. B. zu Eindämmungsmaßnahmen)" herangezogen (Studie, Seite: 21).
Auswertung
Je größer das Infektionsgeschehen und damit "dramatischer" die Pandemie, umso relevanter ist das Thema. Beispiel-Befund:
Stärkere Zusammenhänge zwischen der Berichterstattungsmenge und den Indikatoren für das Infektionsgeschehen zeigen sich, wenn man die Berichterstattung etwas detaillierter betrachtet.
So können wir z. B. auch dezidiert die Häufigkeit der Erwähnung von Todesfällen in den Medien mit der tatsächlichen Zahl von Todesfällen vergleichen. Hierbei zeigt sich, dass die Medien während der zweiten Pandemie-Welle zumindest etwas häufiger über Todesfälle berichtet haben als während der ersten Welle.
Den massiven Anstieg der Todesfälle in der zweiten Welle spiegelt sie allerdings nicht wider. Umgekehrt blieb die Berichterstattung über Todesfälle auch dann noch, als diese durch die zunehmende Impfung von Risikogruppen deutlich zurückgingen (...).
Maurer/ Reinemann/ Kruschinski 2021, S. 25 f
Eine zeitlich erweiterte Auswertung bestätigte 2023 die Befunde.
Bereits im Jahr 2020 hatte eine Schweizer Studie dem Journalismus eine insgesamt gute Note erteilt, allerdings auch einzelne Probleme benannt, u.a. mangelnde Vielfalt bei den zu Wort kommenden Experten. Dieses Vielfaltsproblem nahm über die Zeit sogar noch zu.
Wie viel Corona-Berichterstattung brauchte es?
Manch Bürger wurde in der Corona-Zeit der Nachrichten überdrüssig: über Monate auf allen Kanälen Berichte, Kommentare und Diskussionen zu diesem einen Thema, das war nicht nur ermüdend, sondern für viele auch frustrierend.
Entsprechend fragt auch die Medienforschung, was die richtige Menge an Corona-Information gewesen wäre. Zahlreiche Studien setzen dabei die Zahl von Neuinfektionen und die Zahl neuer journalistischer Beiträge zum Großthema Corona in Bezug zueinander. Beispiel Schweiz:
"Im Oktober 2020 wurden die meisten neuen Fälle gemeldet. Am meisten Medienbeiträge zu COVID-19 – gemessen an der Gesamtberichterstattung – wurden hingegen im März 2020 publiziert.
Mark Eisenegger et al. 2021
Warum es einen Zusammenhang geben sollte, wird jedoch nicht begründet. Denn zunächst einmal muss auch eine medizinische relevante Lage nicht automatisch zu einer größeren Zahl von Artikeln und Sendungsbeiträgen führen.
So oder so kann in einem einzigen Text alles Relevante gesagt sein, zumal bei Corona bereits nach kurzer Zeit alle möglichen Maßnahmen publiziert und diskutiert waren.
Viel Redundanz
Tatsächlich kann man bei vielen Top-Themen in den Medien viel Redundanz beobachten. Beispiel aus einem anderen Kontext: Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte in den ersten zehn Tagen zum angeblichen Flugblatt von Minister Hubert Aiwanger 152 Beiträge mit dem stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten, teilweise im Abstand von nur wenigen Minuten. In den zehn Tagen zuvor waren es nur 35 Beiträge.
Der Vergleich von Fallzahlen
Ferner liegt der Erwartung einer Korrelation zwischen Corona-Infektionen und journalistischen Beiträgen die Fehlannahme zugrunde, Fallzahlen ließen sich über die Zeit miteinander vergleichen, was aufgrund wechselnder Teststrategien nicht möglich ist.
Denn ermittelt wurde nicht, wie das Infektionsgeschehen in der Gesamtbevölkerung verläuft (wozu es Zufallsstichproben bedurft hätte), sondern bei wie vielen Menschen, die sich aus welchem Grund auch immer haben testen lassen, Virusmaterial nachweisbar war.
Ignoriert wird ferner, dass sich sowohl das Virus mehrfach als auch die Immunsysteme in der Bevölkerung kontinuierlich über die Zeit verändert haben.
Öffentlich-rechtliche Sender besonders erfolgreich?
Gewagt sind auch die Schlussfolgerungen einer Studie zu Medienkonsum, Medienvertrauen und Zuspruch zur herrschenden Politik während der Corona-Zeit. In ihrem Fazit schreiben die Wissenschaftler:
Drei Befunde sind hervorzuheben: Die Nutzung von Informationsangeboten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens führte durchweg zu positiveren coronabezogenen politischen Einstellungen.
Bedenkt man die intensive Nutzung dieses Angebots im Vergleich zu allen anderen Quellen, dann unterstreichen diese Befunde nicht nur die erfolgreiche Wahrnehmung der Informationsfunktion der öffentlich-rechtlichen Sender, sondern auch, dass deren Qualitätsjournalismus in dieser politisch aufgeheizten Zeit gesellschaftlich stabilisierend wirkte und die Programme ihre Integrationsfunktion erfüllen konnten.
Dorothee Arlt et al.: Die politische Krise der Corona-Pandemie und die Rolle der Medien, S. 11
Dass der Zusammenhang zwischen politischen Einstellungen und Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) kausal im dort gebotenen (nicht weiter begründeten) "Qualitätsjournalismus" liegt, wird in der Studie nicht hergeleitet.
Ursache und Wirkung könnten mithin auch umgekehrt sein: Wer "positivere coronabezogene politische Einstellungen" hatte, könnte sich eher dem ÖRR zugewendet haben als in ihrer Haltung kritischere Mitmenschen.
Daher wäre mit den nun tatsächlich neuen Erkenntnissen insbesondere aus den RKI-Files nochmal die Qualität der damaligen Fernsehangebote zu prüfen: Wurden die kritischen Positionen, die es zu jeder Zeit gab, hinreichend im ÖRR vermittelt, damit sich die Zuschauer selbst eine Meinung bilden konnten?
Wurde zu Mutmaßungen und Prognosen gerade im Hinblick auf Nebenwirkungen der Maßnahmen von Lockdown bis einrichtungsbezogener Impfpflicht ergebnisoffen recherchiert?
Soweit heute einzelne Maßnahmen von mehr Menschen als damals kritisiert oder negativer bewertet werden, wäre ein "stabilisierend" wirkendes Programm unter dem Orientierungsgesichtspunkt gerade negativ zu sehen.
Es hätte dazu beigetragen, relevante Fragen gerade nicht zu stellen und auf einer unzureichenden Informationsgrundlage die Politik mitzutragen.
Integration oder Spaltung?
Auch für die im Fazit bescheinigte Integrationsfunktion des ÖRR fehlt in der Studie selbst die Datengrundlage.
Integration wäre wohl eher gelungen, wenn alle drei Gruppen - also die getroffenen Maßnahmen befürwortende, härtere und schwächere fordernde - gleichermaßen den ÖRR genutzt hätten, er also unabhängig von der thematischen Haltung als Informationsquelle genutzt worden wäre. Dies ist aber gerade ausweislich der Daten dieser Studie nicht der Fall.
Aus der Rezeption von Nachrichten kann auch grundsätzlich weder auf ihre Qualität noch auf ihre Akzeptanz geschlossen werden.
Über den gesamten Untersuchungszeitraum ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen die mit Abstand bedeutsamste Informationsquelle über das Thema Corona. Im April 2020 gaben 53 Prozent der Befragten an, in den letzten vier Wochen mindestens einmal täglich Informationen über Corona aus Informationsangeboten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens erhalten zu haben.
Rund zwei Jahre später, im April 2022, waren es immer noch 38 Prozent, die mindestens einmal täglich Corona-Informationen aus dieser Quelle erhalten haben. Die Befunde der Längsschnittanalyse bestätigen die herausragende Bedeutung des öffentlichen-rechtlichen Fernsehens nicht nur zu Beginn, sondern auch während der Corona-Pandemie.
Dorothee Arlt et al., S. 4
Dass viele Menschen Corona-Informationen über den ÖRR vernommen haben, kann man als "herausragende Bedeutung" dieser Angebotsgruppe sehen. Ein Lob, wie im Fazit nahegelegt, muss damit jedoch keineswegs verbunden sein.
Man kann auch täglich die Tagesschau sehen, ohne von ihr begeistert zu sein. Viel mehr entspräche es souveräner und erkenntnisinteressierter Mediennutzung, sich auch solcher Quellen zu bedienen, in denen man keine Bestätigung des eigenen, schon vorhandenen Weltbilds erwartet.
Verständnis heißt nicht Zustimmung
Auch an anderen Stellen vermischt die Studie die ermittelten Fakten mit individuellen Meinungen.
Bei Menschen, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen intensiv als Informationsquelle über Corona nutzen, sind alle politischen Einstellungen weniger kritisch. Diese Menschen sind weniger unzufrieden mit der Corona-Politik, haben ein geringeres Verständnis für Corona-Proteste, glauben weniger an Corona-Verschwörungstheorien und zeigen weniger Akzeptanz für Gewalt gegen Politiker.
Dorothee Arlt et al., S. 9
Die Aussage, zu der sich die Befragten verhalten sollten, lautete jedoch: "Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen sind absolut gerechtfertigt."
Wer dem nicht zustimmt, muss noch lange nicht verständnislos auf die Proteste schauen. Als Ausweis eines reifen Demokratieverständnisses kann man viel mehr sehen, wenn Proteste als verständlich angesehen werden, obwohl man inhaltlich mit ihnen nicht übereinstimmt.
Beispiel Bauern-Proteste: Man konnte die geplante Streichung der Subvention für Agrar-Diesel gutheißen und zugleich für die Demonstrationen dagegen Verständnis haben – aus Empathie oder Diskursinteresse.
Noch deutlicher zeigt sich der Unterschied von Verständnis für eine Position und Zustimmung zu ihr bei fast allen Diskussionen zum Ukraine-Krieg. Auch wer Waffenlieferungen für unabdingbar hält, sollte Verständnis für Menschen haben, die sich (weiterhin) als "Kriegsdienstverweigerer" verstehen und deshalb jede militärische Lösung ablehnen – was natürlich auch umgekehrt gilt.