Corona-Politik: Warnsignale für eine kritische Öffentlichkeit
Proteste gegen Maßnahmen in Berlin, Corona-Einschränkungen in Australien und Neuseeland: Über Befürchtungen vor einer dystopischen Zweiklassengesellschaft
Auch an diesem Wochenende demonstrierten in Berlin wieder einige Tausend Kritiker der Corona-Maßnahmen in Berlin. Dabei gab es mindestens 100 vorläufige Festnahmen. Zu den Mitorganisatoren gehört unter anderem die Partei Die Basis, die auch zu den Bundestagswahlen kandidiert und die außerparlamentarische Freie Linke.
Die Proteste sollen auch am heutigen Sonntag fortgesetzt werden. Nun werden sich manche wundern, dass weitere Gegner der Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, obwohl doch im Vergleich zum letzten Jahr die Bedingungen trotz neuer Corona-Varianten gelockert wurden und viele Politiker auch in Zukunft einen neuen Lockdown ausschließen.
Doch von einem Zurück zur Zeit vor Corona-Zeit kann keine Rede sein. Es scheint sich vielmehr ein neues "Gesundheitsregime" herauszubilden, wenn man den Begriff "Regime" als eine Verstetigung von neuen Regularien versteht.
Zugang nur noch für Geimpfte und Genesene?
Dazu gehört das G2-Modell, das in Hamburg seit dem Wochenende trotz starker rechtlicher Bedenken gültig ist (vgl. "Es gehört zur Freiheit des Einzelnen, für sich selbst Risiken zu übernehmen").
Es sieht vor, dass nur Geimpfte und Genesene in bestimmte vorerst private Einrichtungen, Restaurants, Theater etc. gelassen werden. Damit würde sich eine neue Zweiklassengesellschaft herausbilden, Nichtgeimpfte würden von vielen Einrichtungen ausgeschlossen. Sollte sich dieses Prozedere durchsetzen, würde es sich bald auch auf andere Bereiche ausweiten.
Wenn man bedenkt, dass noch vor einiger Zeit führende Politiker davon gesprochen haben, dass allein durch das Grundgesetz eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften nicht möglich ist, zeigt sich, wie schnell sich ein neues "Gesundheitsregime" durchsetzen kann.
Auch beim Reisen sollen die Regelungen verschärft werden. So könnten auch bei Inlandsflügen und bei Bahnreisen innerhalb Deutschlands die G3-Regeln gelten. Danach würde nur noch Einlass bekommen, wer getestet, geimpft oder genesen ist. Das ist vor allem im Bereich der Bahn ein Umbruch.
Bisher hatte das Management der Deutschen Bahn solche Vorstöße immer mit dem Argument zurückgewiesen, dass hiermit die Mobilität eingeschränkt würde. Sollte sich diese neue Regelung durchsetzen, ist zu erwarten, dass in absehbarer Zeit auch der spontane Ticketkauf erschwert sein wird und Fahrgäste künftig vorher buchen müssen, um reisen zu können.
Allerdings sind solche Erschwernisse im Vergleich zu dem Corona-Regime in anderen Ländern hierzulande noch sehr pragmatisch.
Neuseeland: Corona-Maßnahmen in Orwellscher Dimension
Dabei geht es um Länder, die gemeinhin als liberal gelten. Die neuseeländische Regierung wird mit ihrer Premierministerin, der Labourpolitikerin Jacinda Ardern, als Beispiel für eine neue weibliche Form der Repräsentation auch in linksliberalen Kreisen hierzulande hochgelobt ("Die Anti-Mackerin).
Deren Corona-Politik kann aber als Dystopie in Orwellscher Dimension bezeichnet werden. Wer nach Neuseeland einreisen will, muss auf eigene Kosten in Quarantäne. Die Plätze sind bewusst knapp gehalten. Wer keinen Quarantäneplatz bekommt, muss im Ausland bleiben, auch wenn er oder sie dazu keinen Bezug hat. Dann kann es passieren, dass jemand zur Beerdigung eines Elternteils ins Ausland gereist ist und jetzt nicht mehr zurückkann. Da kennt das Corona-Regime keine Gnade.
"Wie eine Sträflingskolonne marschierten wir durch den halbdunklen Terminal"
Mittlerweile sprechen einige der Betroffenen von einer Form der Ausbürgerung. Die Neuseeland-Korrespondentin verschiedener deutschsprachiger Zeitungen, Anke Richter, hat kürzlich in der taz eine Reportage über ihre Quarantäne veröffentlicht.
Auch Richter war nach Deutschland gereist, um ihren schwerkranken Vater noch einmal zu sehen. Sie konnte sich dann noch glücklich schätzen, dass sie zu den wenigen gehörte, die überhaupt einen Quarantäneplatz bekommen und damit zurück nach Neuseeland kommen können. Was sie dann erlebte, klingt nun wirklich nach einer dystopischen Welt, die schon im Flughafen begann.
Der Weg nach Neuseeland glich einer Science-Fiction-Szene. Der Flughafen von Singapur, dem Zwischenstopp: eine Geisterstadt, alle Läden und Restaurants geschlossen, die Sitzbänke mit Plastikfolie umwickelt. An jeder Ecke stand Bodenpersonal in blauer Schutzkleidung und Visier bereit. Wir waren nur neun Passagiere für den Flug nach Christchurch. Wie eine Sträflingskolonne marschierten wir hinter einer Singapore-Airlines-Angestellten durch den halbdunklen menschenleeren Terminal zu unserem Gate, kein Ausscheren war erlaubt. Die Zwangsisolation hatte bereits begonnen.
Anke Richter, taz
Das ist ein Vorgeschmack auf das Corona-Regime in den Quarantäne-Zentren, die vom Militär gemeinsam mit Sicherheitsfirmen verwaltet und überwacht werden.
Das Militär verwaltet und überwacht die Einrichtungen mithilfe von Security-Firmen. Statt sich für Naturkatastrophen oder Terroranschläge zu rüsten, teilen Neuseelands Soldaten jetzt Essensrationen in gespenstisch leeren Hotelfluren aus. Alles ist in diesen Einrichtungen bis ins Detail geregelt, fast alles ist verboten und Grundrechte gelten dort nicht.
Hier wird eine Zone der Sondergesetze mitten in einer sogenannten liberalen Demokratie errichtet, mit dem Ziel, nur keine Corona-Fälle im Land zuzulassen. Angesichts dieser Form eines real existierenden Zero-Covid-Regimes muss man sich fragen, ob der Preis nicht zu hoch ist.
Australien: Die Reichen feiern, die Armen sind eingesperrt
Auch in Australien herrscht ein hartes Corona-Regime mit einer klassenpolitischen Komponente. Während in den Bezirken der Reichen und Wohlhabenden das Leben im Vor-Corona-Takt weitergeht, wurden in den Armenvierteln Einschränkungen durchgesetzt.
Immer wieder gibt es Berichte, dass die Armen, die sich nicht vor dem Corona-Virus schützen können, weil sie sich auf der Arbeitsstelle anstecken, dann noch mit verschärften Polizeischikanen zu kämpfen haben. So werden die Armen noch einmal dafür bestraft, dass sie in prekären Lebensumständen leben und sich nicht vor den Virus schützen können.
Solche Beispiele zeigen, dass es eine kritische Öffentlichkeit braucht, die beobachtet, wie sich die unterschiedlichen Corona-Regimes auswirken. Dabei geht es nicht um die Leugnung der Pandemie und der Notwendigkeit, sich dagegen zu schützen.
Es geht vielmehr um den Preis, den wir alle in Form von Freiheitseinschränkungen dafür zahlen wollen. Das Beispiel Neuseeland könnte hier auch eine Warnung sein.