Corona-Untersuchung: Das Schweigen sollte enden

Seite 4: Kommunikation der Angst

Ein weiterer Aspekt der Kommunikation war das Setzen auf Angst. Der Germanist Otto Kölbl und der Politikwissenschaftler Maximilian Mayer hatten Anfang März 2020 ein Papier mit dem Titel "Von Wuhan lernen – es gibt keine Alternative zur Eindämmung von Covid-19" veröffentlicht, in dem er einen streng autoritären Ansatz bei der Pandemiebekämpfung forderte.

Zwei Wochen später wurden beide vom Bundesinnenministerium in einen internen Corona-Expertenrat berufen, der aus acht Personen bestand. Wie Die Welt berichtet, brauchte das Ministerium "damals, im ersten Lockdown, eine fundierte Analyse, um 'Entscheidungen zu Maßnahmen und ihren Wirkungen einschätzen, vorbereiten und treffen' zu können, so schreibt es Staatssekretär Kerber per E-Mail. Es gehe auch darum, 'weitere Maßnahmen präventiver und repressiver Natur' planen zu können".

Der "Worst Case"

Eine der zentralen Stellen des daraus resultierenden Strategiepapiers war der Absatz "Schlussfolgerungen für Maßnahmen und offene Kommunikation". Darin wird gefordert, den "Worst Case" zu verdeutlichen:

Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden:

1) Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls. Die Bilder aus Italien sind verstörend.

2)"Kinder werden kaum unter der Epidemie leiden": Falsch. Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.

Nachdem ein Rechercheverbund von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR über das Papier berichtete, antwortete die damalige Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, "die Ansicht des verantwortlichen Mitautors und (spiegele) nicht die der Bundesregierung wider. Ein Szenarienpapier beschreibt dem Charakter nach mögliche und fachlich begründbare Szenarien auf der Basis von Fakten und enthält weder Wertungen noch Empfehlungen".

Für den Welt-Journalisten Tim Röhn bleibt die Frage bestehen:

"Ist das die Sprache von seriösen Wissenschaftlern, handelt es sich um eine angemessene Einschätzung für ein Papier der Bundesregierung?"

Besonders pikant an der bewusst gewählten Kommunikation, die Wissenschaftsähnlichkeit und damit eine eindeutige wissenschaftliche Einschätzung suggeriert und auf Angst als Methode setzt: Menschen befolgen Maßnahmen eher, wenn ihnen die Unsicherheit der aktuellen wissenschaftlichen Forschung mitgeteilt wird.

Dies war das Ergebnis einer Umfrage im Jahr 2020, die das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und die Charité in Auftrag gegeben hatten und über die Telepolis seinerzeit berichtete.