Corona-Untersuchung: Das Schweigen sollte enden

Seite 5: Fragen an die Regierungskommunikation

Im Hinblick auf die Kommunikation der Regierung fordern die Gesundheitswissenschaftler und Medizinwissenschaftler Ingried Mühlhauser, Johannes Pantel und Gabriele Meyer in ihrem aktuellen Beitrag in der "Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen":

In Deutschland wurden während der Covid-19-Pandemie die Standards für eine evidenzbasierte Risikokommunikation wenig beachtet. Häufig war die öffentliche Berichterstattung einseitig, unvollständig und missverständlich.

Bedrohungsszenarien haben emotionalen Stress und unnötige Angst ausgelöst. Eine systematische und umfassende Aufarbeitung der Pandemiemaßnahmen ist auch in Deutschland dringlich geboten.

Dabei müsste eine kritisch-konstruktive Analyse der medialen Risikokommunikation von Expert*innen, Politiker*innen und Medien ein zentrales Element der Aufarbeitung sein. Die Ergebnisse sollen helfen, aus der vergangenen Pandemie zu lernen, um für künftige Krisen besser vorbereitet zu sein.

Beispielhafte Fragen

Die RKI-Files offenbaren wiederholt, dass die interne Diskussion deutlich pluralistischer waren, als die kommunizierten Ergebnisse oftmals vermuten ließen.

Die RKI-Files bieten auch eine Ausgangsbasis für eine Reihe von grundlegenden Fragen zu den Corona-Maßnahmen und einen Ausgangspunkt für weiteren konkreten Aufklärungsbedarf. Einige sollen hier stellvertretend genannt werden.

Tim Röhn hat in der Welt eine Reihe der Fragen zusammengestellt:

• Zur 3G-Regel:

"Die Politik (hat) offenbar gegen die Empfehlungen des RKI gehandelt. Dieses sprach sich am 5. März 2021 dem Protokoll zufolge gegen Privilegien beim Nachweis des Impfstatus aus. Das RKI nannte diese "fachlich nicht begründbar und nicht sinnvoll", auch die WHO lehne dies wegen mangelnder Fälschungssicherheit und aus ethischen Gründen ab."

• Zum Thema Schulschließung, wo Deutschland europaweit besonders streng war, notiert Röhn:

"Am 4. Dezember 2020 analysierte der Krisenstab des RKI die Lage im Ausland und kam für Deutschland zu dem Schluss, dass an Schulen das Infektionsgeschehen nicht maßgeblich vorangetrieben werde. Das Sitzungsprotokoll vom 9. Dezember verkündet Ähnliches. Dort heißt es wörtlich, das Ausmaß der Kontaktbeschränkungen 'reiche nicht aus', um die hohen Fallzahlen einzudämmen, dazu müssten unter anderem auch Schulen geschlossen werden. Doch darauf folgte die Anmerkung: 'Schulen sind nicht das Mittel, um die Pandemie einzudämmen, das zeigen auch andere Länder.' Beim Bund-Länder-Gipfel unter der Leitung von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde vier Tage später beschlossen, die Präsenzpflicht an Schulen auszusetzen und diese 'grundsätzlich' zu schließen."

• Auch der Lockdown ist angesichts der RKI-Files ein zu untersuchendes Thema. Röhn bemerkt:

"Am 16. Dezember 2020 bewertet das RKI die Wirksamkeit von Lockdowns weltweit. Im Protokoll heißt es: 'Lockdowns haben zum Teil schwerere Konsequenzen als Covid selbst.'"

Das viel diskutierte Thema der Masken untersucht Prof. Oliver Hirsch, Wirtschaftspsychologie, mit Schwerpunkt Grundlagen und Methoden, auf Basis der RKI-Files für Cicero. Im RKI-Protokoll vom 30. Oktober 2020 heißt es, es gebe "keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes". Hirschs Fazit lautet:

• "Den Verantwortlichen war von Beginn an bewusst, dass es keine begründbare wissenschaftliche Evidenz für eine generelle Maskenpflicht in der Bevölkerung gibt."

• "Die Einführung der FFP2-Maskenpflicht erfolgte sehenden Auges nicht aus epidemiologisch evidenzbasierten Gründen. Sämtliche Argumente gegen die FFP2-Maske im öffentlichen Raum waren den Verantwortlichen positiv bekannt. Folglich kann die Einführung nur sachwidrige Motive gehabt haben."

• "Den Verantwortlichen war bereits vor der breit einsetzenden Impfkampagne bekannt, dass die Impfung keine sterile Immunität herbeiführen kann. Sie bestanden aus diesem Grund in ihrer eigenen Logik auf eine Maskenpflicht auch bei Geimpften. Die später eingeführte 2G-Regel hatte somit zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte wissenschaftliche Grundlage."

• "Die weiteren Erkenntnisse verbergenden Schwärzungen indizieren die Korrektheit der vorgenannten Annahmen 1-3 und legen das Motiv einer weiteren Verdunklung nahe."

"Waren spätere Maskenpflichten also unsinnig, war das allen längst klar", fragt Martin Rücker in der Berliner Zeitung und antwortet: "So eindeutig liest sich das nicht, wenn man den vollständigen Absatz betrachtet." "'Bisherige Studien zur Wirksamkeit von FFP2-Masken sind daran gescheitert, dass Masken nicht oder nicht korrekt getragen wurden', heißt es darin weiter. 'Negativstudien sind kein Beleg dafür, dass Masken nicht schützen.'"

Die hier beispielhaft aufgeführten Fragen, die die RKI-Files aufwerfen, deuten vermutlich nicht auf Fehler des RKIs hin, sondern darauf, dass wahrscheinlich deren Erkenntnisse nicht von der Politik ausreichend berücksichtigt worden sind.

Die Darstellung einer Person, die bei Beratungen im Krisenstab dabei war und gegenüber der Berliner Zeitung anonym bleiben möchte, scheint dies zu bestätigen:

"Oft habe die Evidenz gefehlt. Aber die Infektionszahlen stiegen, es gab Druck zu entscheiden. Die damalige RKI-Spitze um Wieler und Schaade habe intern jede Diskussion zugelassen und jedes Gespräch ergebnisoffen geführt. Kritisch sieht die Person, wie sich die verantwortlichen Politiker äußerten. Sie hätten der Öffentlichkeit keine Unsicherheiten zumuten wollen – und ihre Entscheidungen zu häufig mit der Behauptung begründet, die wissenschaftliche Lage sei eindeutig. Was sie aber oft nicht war."

Eine Untersuchung müsste also zwingend klären, inwiefern dieser Vorwurf zutrifft und was hierfür die Gründe sind.

Die genannten Beispiele für Fragestellungen, die eine ernst gemeinte und transparente Untersuchung zu beantworten versuchen müsste, erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

In Teil 2 werden besonders Fragen rund um die Datenerhebung, die Impfung und die grundrechtseinschränkenden Maßnahmen im Mittelpunkt stehen.