Corona, die BRD und die DDR
Seite 2: Was man der DDR immer vorwarf, lässt ein Virus wieder real werden
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Es kann daher auch nicht im Ernst von einer "Spaltung", etwa zwischen der Macht und den Ohnmächtigsten eines Landes ausgegangen werden, sondern vielmehr von einer taktischen Allianz: Der Narzissmus der Ärmsten etwa ist in Konkurrenzgesellschaften direkte Folge der materiellen Interessen der Reichsten; die psychischen Störungen und Erkrankungen sind keine innerseelischen Vorgänge und erst Recht kein Ausdruck von Rebellion, sondern logische Funktion von in der Klassengesellschaft an den Rand gedrängten, verächtlich gemachten Individuen.
Sie sind die Internalisierung der Prinzipien der Macht, und zu deren Gunsten. Dass z.B. eine Schnappsidee wie das bedingungslose Grundeinkommen – obwohl nicht zu ihrem Nutzen – bei einigen Prekären und Arbeitslosen beliebt ist und immer wieder breit und ernsthaft diskutiert wird, liegt daran, dass es als eines jener Instrumente gelten kann, die einer – scheinbaren – Interessenallianz von einerseits mutlos gewordenen Verarmten und andererseits solcher Wirtschaftsliberaler entspricht, die froh sind, für den Arbeitsprozess Überflüssige staatlich alimentieren zu lassen.
So kann eine weitestgehend entrechtete, weil aus dem gesellschaftlichen Produktionsprozess ausgeschlossene Klasse erzeugt werden, von deren Mitgliedern keinerlei Gefahr etwa durch Streiks oder sonstige qua Arbeit vermittelte Organisation mehr ausgeht, und von denen nur noch erwartet wird, dass sich ihr Wollen darauf beschränkt, den ihnen vorgesetzten Warendreck geräuschlos auf Basis ihrer Almosen zu konsumieren.
Jeder noch so unbedeutende, unzufriedene, randalierende oder pöbelnde querdenkende Rebell kommt daher der Staatsmacht gerade recht; er betreibt ihr Geschäft.
Die Macht des Tagesthemen-Fingers, mit dem auf die vermeintlichen oder tatsächlichen Irren und Abweichler gezeigt wird, ist immer größer als der Einfluss der dort gezeigten Protestierenden; so tragen die angeblichen Abweichler eben nicht zur Spaltung bei, sondern in Wahrheit zur Festigung der Gemeinschaftsmoral aller anderen, also der großen Mehrheit, die in jenen ihre Sündenböcke gefunden haben.
Die fruchtlose Verweigerung auf Seiten der Abgehängten wirkt im Sinne des Klassenkampfs von oben. Selbst der viel bemühte "Hass" der Subalternen ist nur Symptom der Herrschaft von Monopolen, in deren Vorstellungen und Plänen ihr Ausdruck nur noch als abzustellender Störfaktor vorkommt. (Sie sind weder schuld noch verantwortlich für das, was sie ausmacht; was nichts daran ändert, dass sie Selbstverantwortung zu übernehmen gezwungen sind, also so tun müssten, als hätten sie die Kontrolle über die Grundlagen ihres gesellschaftlichen Lebens – welche aber in der anonymen Gesellschaftsapparatur aufgehoben sind und sich ihres Einflusses weitgehend entzieht.)
Ob nun also in Talkshows Verständnis für Impfgegner geheuchelt wird oder Journalisten die deutsche Impfskepsis als Ursache für die überbelegten Intensivstationen zurechtschustern wollen – und nicht das irrsinnige kapitalistische Gesundheitswesen, dessen Produkte beide sind: Sie nützen damit dem herrschenden Interesse, das die hilflosen Reaktionen des Volkes auf den Klassenkampf von oben als das eigentliche gesellschaftliche Problem sehen, als Ausdruck von mündigen Menschen, nicht von deren durch den Staat abgesegneter Selbstschädigung.
Wirkliche linke Politik würde gegen solchen Obskurantismus den Klassenkampf von unten organisieren, und zwar gleichermaßen gegen beide Formen der Gegenaufklärung: gegen das verblödende Homöopathengeraune wie gegen das Abladen der gesundheitsgefährdenden Folgen von Regierungshandeln auf die Schultern von Regierungskritikern.
Was sich zurzeit an Ideologie und Ressentiment gegen Impfungen wie gegen weitaus erheblichere Maßnahmen zur Einschränkung des öffentlichen Lebens richtet, ist somit als ein Element jener liberalen Ideologie zu verstehen, die den Leuten über Jahrzehnte beständig untergejubelt wurde.
Die sogenannte westliche Freizügigkeit zum Beispiel war ja nie Realität für all jene, die die westlichen Länder bevölkern, sondern eben Reklame für die kapitalistische Produktionsweise, welche sie angeblich hervorbrächte.
Was die Verwirrten und Aufgeregten, die sich in Opposition zu Staat, Regierung und offizieller Ideologie sehen, jetzt tun, ist lediglich das Ernstnehmen solcher staatlichen Propaganda: Wer seine Bevölkerung mittels Ideologie geimpft hat gegen den Sozialismus etwa der DDR, darf sich natürlich nicht wundern, dass sie diese Propaganda nun beim Wort nimmt: Leute, die als Arbeiter, Kleinstunternehmer, Angestellte oder prekär Beschäftigte auf den freien Arbeitsmarkt geworfen sind, werden jetzt schließlich schon allein aus Motiven der Selbsterhaltung, der Beibehaltung ihrer Arbeitsgrundlage, dazu gezwungen sein, sich auf die freilich falschen Versprechungen von individueller Freiheit vor staatlicher Willkür, unternehmerischer Unabhängigkeit und freier Meinungsäußerung gegen eine "Einheitspresse", gegen das Offenlegenmüssen privater Daten usw. zu berufen, – also gegen all das, was man dem Osten immer vorgeworfen hat.
Es zeigt sich, dass schon ein etwas ansteckenderer Virus (und nicht etwa ein Kalter Krieg) reicht, um auch in der BRD all die Unerfreulichkeiten, die man der DDR immer vorwarf, realisiert zu sehen – inklusive Einschränkung der Reisefreiheit, teilweise geschlossener Grenzen, Lebensmittel- und Hygieneartikelknappheit in den Supermärkten, jahrelange Lieferzeiten für neue Autos, Fahrräder und andere Produkte.
Wo sie nun die wenigen Nachteile des DDR-Sozialismus mit den vielen des BRD-Kapitalismus präsentiert bekommen, besteht die Bevölkerung (erst recht die im Osten) natürlich auf die versprochenen Vorteile des Kapitalismus, die indessen für viele nie zu haben waren und in Zukunft auch für viele weitere nicht mehr existieren werden.