Corona und HIV: ein verheerendes Zusammentreffen

Diese menschliche T-Zelle (blau) wird von HIV (gelb), dem Virus, das AIDS verursacht, angegriffen. Bild: NIH, Public domain

Neue Daten und Fakten zur HIV-Erkrankung weltweit und in Deutschland

Seit 1988 findet jedes Jahr Anfang Dezember der Welt-Aids-Tag statt. Er setzt sich für die Rechte der HIV-positiven Menschen weltweit ein und ruft zu einem Miteinander ohne Vorurteile und Ausgrenzung auf. Außerdem soll dieser Tag an die Menschen erinnern, die an den Folgen von HIV und Aids verstorben sind.

Bei der HIV-Erkrankung handelt es sich um eine chronische Infektion mit dem HI-Virus, die zu einem langsam fortschreitenden Immundefekt führt, denn Immunzellen werden neben Nervenzellen bevorzugt von den HI-Viren angegriffen und zerstört.

Diese Krankheit wurde Anfang der 1980er Jahren den USA erstmals diagnostiziert und ist inzwischen in fast allen Ländern der Welt verbreitet, allerdings mit sehr unterschiedlicher Häufigkeit.

Nach erfolgter Infektion mit dem HI-Virus kommt es zunächst zu einer langjährigen Symptomfreiheit. Zwei bis vier Jahre nach der akuten HIV-Infektion treten meist leichtere Erkrankungen auf, die auf eine beginnende Störung der Immunabwehr hinweisen.

Acht bis zehn Jahre nach der Infektion kommt es dann in der Regel zum Auftreten von sogenannten Aids-definierenden Erkrankungen, an denen die Betroffenen ohne eine wirksame medikamentöse Therapie meist innerhalb weniger Jahre versterben.

Eine effektive medikamentöse Behandlung, die sogenannte antiretrovirale Therapie (ART), gibt es erst seit 1995/1996. Sie besteht aus einer Kombination von mehreren verschiedenen virushemmenden Arzneimitteln mit unterschiedlichem Angriffspunkt und hat zu einem dramatischen Rückgang von aidsbedingten Todesfällen geführt.

Einen detaillierten Überblick über Forschungsstand und Praxis bei HIV/Aids in Deutschland und Subsahara-Afrika hat Telepolis am Welt-AIDS-Tag 2020 veröffentlicht. Auf diesen Artikel sei hier verwiesen und im Folgenden dargestellt, welche neuen Fakten und Entwicklungen es bei HIV/Aids gibt.

Aktuelle globale Daten und Fakten über HIV/Aids

In den Global HIV & AIDS statistics von UNAIDS findet man die folgenden Angaben:

Weltweit leben etwa 38 Millionen Menschen mit einer HIV-Infektion. Davon sind 36 Millionen Erwachsene (15 Jahre und älter) und 1,7 Millionen Kinder im Alter von null bis 14 Jahren. 53 Prozent aller Menschen mit HIV sind Frauen oder Mädchen.

84 Prozent aller Menschen, die mit HIV leben, kennen ihren HIV-Status. Man schätzt, dass 2020 aber weltweit immer noch etwa 6,1 Millionen Menschen nicht wissen, dass sie HIV-infiziert sind.

Seit Beginn der Epidemie haben sich schätzungsweise circa 79 Millionen Menschen mit HIV infiziert und 36,3 Millionen sind an den Folgen von AIDS gestorben.

Am stärksten betroffen ist das südliche Afrika. In Osteuropa und Zentralasien ist die Zahl der Infektionen in den letzten Jahren stark gestiegen.

Ende Juni 2021 wurde eingeschätzt, dass von den weltweit 38 Millionen Menschen mit HIV etwa 28 Millionen eine ART erhalten, das entspricht einer Quote von 73 Prozent.

Auch wenn die Zahl der Behandelten von circa 7,8 Millionen 2010 in den letzten Jahren somit deutlich angestiegen ist, bedeutet das aber auch, dass immer noch ein Viertel, vor allem in den armen Ländern, nicht behandelt wird.

Während 74 Prozent der infizierten Erwachsenen Zugang zu einer medikamentösen Therapie haben, sind es bei Kindern nur 54 Prozent. Bei den Erwachsenen haben 79 Prozent der Frauen, aber nur 68 Prozent der Männer Zugang zu einer Behandlung. 2020 hatten 85 Prozent der infizierten Schwangeren Zugang zu einer medikamentösen Therapie, die zum Ziel hat, eine Übertragung der Infektion auf ihr Kind zu verhindern.

Neuinfektionen sind seit 1997 um 52 Prozent vermindert worden. 2020 haben sich 1,5 Millionen Menschen mit dem HI-Virus neu infiziert, 1997 waren es noch 3 Millionen. 50 Prozent der weltweiten Infektionen betreffen Frauen und Mädchen.

Todesfälle durch Aids haben sich weltweit um 64 Prozent seit einem Peak im Jahr 2004 und um 47 Prozent seit 2010 reduziert. Im Jahr 2020 starben weltweit etwa 680.000 Menschen an Aids, verglichen mit 1,9 Millionen 2004 und 1,3 Millionen im Jahr 2010.

Die durch Aids bedingte Sterblichkeit sank mit 53 Prozent bei Frauen und Mädchen stärker als mit 41 Prozent bei Männern und Jungen.

Covid-19 und HIV/Aids

In den Global HIV & AIDS statistics von UNAIDS wird ebenfalls darüber berichtet, dass Menschen, die mit HIV leben, durch Covid-19 schwerere Krankheitsverläufe erleben und höhere Komorbiditäten haben als Menschen, die nicht mit HIV leben. Mitte 2021 hatten die meisten Menschen, die mit HIV leben, keinen Zugang zu Covid-19-Impfstoffen.

Studien aus England und Südafrika haben ergeben, dass das Risiko, an Covid-19 zu sterben, bei Menschen mit HIV doppelt so hoch war wie in der altersentsprechenden Allgemeinbevölkerung.

In Afrika südlich der Sahara leben zwei Drittel (67 Prozent) der HIV-Infizierten. Aber die Covid-19-Impfstoffe, die sie schützen können, kommen nicht schnell genug dort an. Im Juli 2021 hatten weniger als drei Prozent der Menschen in Afrika mindestens eine Dosis eines Covid-19-Impfstoffs erhalten.

Covid-19-Lockdowns und andere Einschränkungen störten die Durchführung von HIV-Tests und führten in vielen Ländern zu einem starken Rückgang der HIV-Diagnosen und der Überweisungen zu einer medikamentösen HIV-Behandlung.

Der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria hat berichtet, dass nach Angaben von 502 Gesundheitseinrichtungen in 32 afrikanischen und asiatischen Ländern die HIV-Tests während der ersten Covid-19-Lockdowns im Jahr 2020 um 41 Prozent und die Überweisungen zur Diagnose und Behandlung von HIV/Aids um 37 Prozent zurückgegangen sind, verglichen mit dem gleichen Zeitraum im Jahr 2019.

So ist leider zu konstatieren, dass die Corona-Pandemie die Maßnahmen gegen HIV/Aids zurückwirft: Kontaktbeschränkungen haben HIV-Tests behindert und in vielen Ländern zu einem starken Rückgang der Diagnosen geführt. Auch die medikamentöse Versorgung wurde teilweise eingeschränkt oder unterbrochen.

Aktuelle Daten und Fakten über HIV/Aids in Deutschland

Nach der epidemiologischen Schätzung des Robert-Koch-Instituts waren Ende 2020 in Deutschland 91.400 Menschen mit dem HI-Virus infiziert, darunter circa 81 Prozent Männer und 19 Prozent Frauen.

Bei einer Bevölkerungszahl von 84 Millionen entspricht das etwa 0,1 Prozent mit HIV-infizierter Menschen in Deutschland. Im Vergleich dazu liegt in Hochrisikogebieten wie dem südlichen Afrika die Infektionsquote zwischen fünf und 20 Prozent und damit 50 bis 200-fach höher als in Deutschland.

Von den geschätzten 91.400 HIV-infizierten Personen haben sich etwa 2000 im Jahre 2020 neu infiziert. Darunter waren 1600 Männer und 420 Frauen. Damit ist die Zahl der Neuinfizierten weiter zurückgegangen und hat sich seit 2015 von damals etwa 3000 langsam und kontinuierlich vermindert.

Von der Zahl der Neuinfizierten muss die Zahl der Erst-Diagnosen unterschieden werden, die mit 2600 Betroffenen angegeben wird. 900 davon hatten einen fortgeschrittenen Immundefekt und bei 480 wurde bei der HIV-Diagnosestellung AIDS festgestellt.

Die Differenz der Schätzzahlen erklärt sich dadurch, dass die höhere von beiden genannten Zahlen auch die Betroffenen enthält, die sich außerhalb Deutschlands angesteckt haben.

Nach dem Infektionsrisiko war die Verteilung 2020 in Deutschland folgendermaßen: Unter den circa 91.400 infizierten Menschen hatten 56.000 Männer Sex mit Männern gehabt, circa 11.300 Personen hatten sich über heterosexuelle Kontakte infiziert und etwa 8500 waren intravenöse Drogenkonsumenten.

Weiterhin zählten etwa 450 Hämophile und Bluttransfusionsempfänger zu den HIV-Infizierten. Dazu kommen noch einige Hundert infizierte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die sich vor, während und nach der Geburt über ihre Mutter infiziert haben.

Das 90-90-90-Ziel

Bekanntlich hat UNAIDS, ein Projekt der UNO für die weltweite Bekämpfung von HIV/Aids, 2014 das 90-90-90-Ziel proklamiert. Danach sollten große Anstrengungen unternommen werden, um Folgendes zu erreichen:

Bis zum Jahre 2020 sollten 90 Prozent aller HIV-Infizierten diagnostiziert, 90 Prozent davon antiretroviral behandelt und bei 90 Prozent aller Behandelten sollte eine Virussuppression erzielt werden, sodass das HI-Virus nicht mehr nachweisbar ist. Weltweit sind wir von diesem Ziel aber leider noch weit entfernt (siehe oben).

Das RKI konnte für 2020 feststellen, dass in Deutschland 90 Prozent der wahrscheinlich bestehenden HIV-Infektionen diagnostiziert wurden, wobei 97 Prozent der Diagnostizierten antiretrovirale HIV-Medikamente erhielten und bei 96 Prozent der Behandelten das HI-Virus nicht mehr nachweisbar war. Somit ist in Deutschland das 90-90-90-Ziel von UNAIDS im Gegensatz zu vielen anderen Ländern inzwischen erreicht worden.

Antiretrovirale Therapie bei HIV

Wirksame Therapien gegen HIV gebe es seit etwa 25 Jahren. Dabei würden in der Regel drei Wirkstoffe miteinander kombiniert, um die Wirksamkeit zu erhöhen und Resistenzbildungen zu vermeiden. Das wird in einem Papier zum Ausdruck gebracht, das die Deutsche Aidshilfe zum diesjährigen Welt-AIDS-Tag herausgebracht hat.

So hat schon die im Jahre 2000 veröffentlichte große Euro-Sida-Studie gezeigt, dass zwischen 1994 und 1998 sowohl Mortalität und Morbidität in Europa auf weniger als ein Zehntel gefallen sind.

Wenn auch die HIV-Infektion für die einzelnen Betroffenen weiterhin ein schwerer Schicksalsschlag ist, bedeutet diese Diagnose heute in den reichen Ländern nicht mehr die Ankündigung des baldigen Lebensendes wie in der Zeit vor 1995/1996, sondern eher "bedingte Gesundheit", solange eine effektive ART durchgeführt wird. Somit handelt es sich bei HIV/Aids in Deutschland heute in medizinischer Hinsicht eher um ein Randproblem.

Fakten zur Diskriminierung von Menschen mit HIV/Aids

So haben HIV-positive Menschen heute bei rechtzeitiger Behandlung eine fast normale Lebenserwartung und können leben wie alle anderen Menschen. Sie müssen jedoch noch immer mit Ablehnung und Benachteiligung rechnen. Diskriminierung und die Angst davor gehören für viele zum Alltag, ebenso die Frage, wem man von der Infektion erzählt und wem besser nicht.

Fakten zur Diskriminierung von Menschen mit HIV, die in einer 2021 durchgeführten Studie der Deutschen Aidshilfe in Zusammenarbeit mit dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft festgestellt worden sind und bei der fast 1000 Personen befragt worden waren, wurden zum diesjährigen Welt-AIDS-Tag in einem weiteren Papier veröffentlicht.

Besonders häufig sei Diskriminierung im Gesundheitswesen, heißt es dort. 56 Prozent der Befragten machten hier mindestens eine negative Erfahrung. 16 Prozent berichten, dass ihnen mindestens einmal eine zahnmedizinische Versorgung verweigert worden sei.

Sie erhielten zum Beispiel beim Zahnarzt keinen Termin. Oft wird Menschen mit HIV auch nur der letzte Termin am Tag angeboten, weil die dort Tätigen fälschlicherweise davon ausgehen, dass nach deren Behandlung besondere Reinigungsmaßnahmen notwendig seien.

Auch im Arbeitsleben kommt es immer wieder zu Schwierigkeiten. Oft herrscht die veraltete und falsche Vorstellung, dass HIV-positive Menschen weniger leistungsfähig oder häufiger krank wären. Manche Arbeitgeber fragen nach wie vor nach einem HIV-Test, obwohl es dafür keinen plausiblen Grund gibt – so zum Beispiel einige Unternehmen im Gesundheitswesen.

In dem Papier heißt es, dass nur 29 Prozent der Befragten gegenüber ihrem Arbeitgeber offen mit ihrer Infektion umgehen, aber 74 Prozent der Arbeitgeber auf das Coming-out HIV-Positiver unterstützend oder neutral reagierten.

Grund für Diskriminierung seien meist Unwissenheit und Vorurteile. Manche Menschen hätten Angst vor einer HIV-Übertragung im Alltag und gingen deshalb auf Abstand. Dabei sei im Alltag noch nie ein Übertragungsrisiko entstanden, sagt das Papier.

"Fundiertes Wissen und persönlicher Kontakt mit HIV-positiven Menschen werden oft dazu führen, dass Vorurteile abgebaut werden und HIV im gemeinsamen Alltag keine Rolle mehr spielt", steht am Schluss in dieser aufklärenden Schrift.

Zur wirtschaftliche Lage HIV-positiver Menschen in Deutschland

Allgemein wird davon ausgegangen, dass etwa zwei Drittel der Menschen mit HIV in Deutschland beruflich leistungsfähig und erwerbstätig sind bzw. sein könnten. Ihre HIV-Infektion wird medikamentös behandelt, die Therapie wirkt und sie haben keine oder eher geringe Nebenwirkungen vonseiten der Medikamente.

Die wirtschaftliche Lage dieser HIV-positiven Menschen wird durch ihre HIV-Infektion nicht entscheidend eingeschränkt.

Diese Erkenntnisse wurden schon 2005 beschrieben und sind von der Deutschen Aidshilfe zum diesjährigen Welt-Aids-Tag in einem dritten Papier über die wirtschaftliche Lage HIV-positiver Menschen in Deutschland zusammengestellt worden.

Das Fazit dieses Papiers lautet:

Die überwiegende Mehrzahl der HIV-positiven Menschen in Deutschland ist auch nach einer HIV-Infektion erwerbsfähig und erwerbstätig. Ihre wirtschaftliche Lage entspricht, unabhängig von ihrer HIV-Infektion, ihren Arbeitsverhältnissen. Bei HIV-positiven Menschen, die bereits vor ihrer Infektion und /oder nach ihrer Ankunft in Deutschland in einer prekären sozialen und wirtschaftlichen Lage lebten, kann sich deren Situation in den Jahren nach einer HIV-Infektion – vor allem bei einem mangelhaften Zugang zum medizinischen System oder zur Therapie – verschlechtern. Sie sind dann auf die staatlichen Sicherungssysteme angewiesen. Sie können ihre Situation verbessern, indem sie zum Beispiel an Beschäftigungsprojekten lokaler Aidshilfen und Aidsberatungsstellen teilnehmen, die von der Deutschen AIDS-Stiftung vielfältig gefördert werden.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.