Cybersex ist wie Heroin

Nach amerikanischen Psychologen breitet sich die Sucht nach Cybersex schnell aus

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Bei Erwachsenen richten sich nach Untersuchungen von amerikanischen Psychologen ein Drittel aller Besuche auf Websites, Chaträume und Newsgroups mit sexuellen Inhalten. Was für die meisten Menschen aber nur ein Freizeitvergnügen bleibt, werde durch die im Internet mögliche Verfügbarkeit und Anonymität für eine schnell wachsende Zahl von Menschen zu einer Sucht mit all den negativen Begleiterscheinungen. Und die Psychologen können jetzt nicht nur die Internetsucht, sondern eben auch die neue psychische Störung der Cybersexsucht behandeln und darüber räsonieren. Kein Wunder also, wenn der Love-Virus in einem derart sexuell aufgeladenen Netz so zuschlagen konnte.

Typisch scheint allerdings zu sein, dass die Süchtigen uneinsichtig sind, auch wenn sie täglich stundenlang online sind und ihre Beziehungen und Jobs durch die zwanghafte Suche nach sexueller Stimulation gefährden. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Sexual Addiction and Comypulsivity dreht sich alles um das angeblich neue Phänomen: "Cybersex and Sexual Compulsivity: The Dark Side of the Force". Verfallen könne man dem Cybersex gelegentlich so schnell wie andere dem Heroin, sagt Mark Schwartz: Der Cybersex "packt sie und übernimmt ihr Leben. Und er ist sehr schwierig zu behandeln, weil die betroffenen Menschen ihn nicht aufgeben wollen." Das Netz, so assistiert auch Al Cooper, ist "das Crack-Kokain der sexuellen Sucht".

Nach der von ihm durchgeführten, angeblich größten Studie zum Thema Online-Sex (Sex im Internet) seien mindestens ein Prozent derjenigen, die Websites mit sexuellen Inhalten aufsuchen, süchtig. Das seien allein in den USA über 200000 Menschen, sowohl Männer als auch Frauen. 20 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen, die auf die Fragen geantwortet haben, benutzen auch die Computer während der Arbeit für ihre sexuellen Ausflüge. Allerdings überwachen bereits viele Unternehmen, wohin ihre Angestellten surfen, wenn sie nicht mit Filtern die entsprechenden Seiten sowieso sperren.

Die große Zahl von 200000 Süchtigen geistert schon längere Zeit durch die Medien, ebenso wie die Studie von Cooper, die aus einer Befragung von Besuchern einer Website hervorgeht und nicht gerade repräsentativ, wahrscheinlich auch nicht sehr aussagekräftig ist. Cooper allerdings meint, dass die Zahl der Cybersexsüchtigen noch viel höher sein könnte, weil die Befragten aus eigenem Entschluss mitgemacht hätten und viele Süchtige eben ihre Sucht verleugnen würden. Cooper spricht gar von einer "medizinischen Bombe", weil die Sucht von zu wenigen Menschen ernst genommen werde. Die zündet wenigstens in den Medien und dient den auch der Werbung für die Cybersexpsychologen und ihr Organ.

Wer dem Cybersex am meisten verfallen ist, verbringe oft jeden Tag Stunden im Netz, masturbiere bei der Betrachtung von Bildern und Videos oder habe "wechselseitigen" Online-Sex mit einem Partner in einem Chatraum. Besonders gefährdet seien diejenigen Menschen, deren Sexualität unterdrückt sei und die im Internet "plötzlich ein unendliches Angebot sexueller Möglichkeiten" finden. Dana Putnam sieht weitere Auslöser in Depressionen, Beziehungsproblemen und unerfüllten sexuellen Wünschen. All das hätten wir uns als psychologische Laien auch schon fast denken können, wenn da nicht Jennifer Schneider in einer Befragung von Familienmitgliedern von Cybersexabhängigen herausgefunden hätte, dass das Problem durchaus auch in Beziehungen mit angeblich erfülltem Liebesleben auftauchen kann: "Sex im Internet ist so verführerisch und man kann ihm so leicht verfallen, dass Menschen, die dafür anfällig sind, davon abhängig werden, bevor sie es überhaupt merken."

Auch Mark Schwartz sieht die Verführung in der Leichtigkeit, mit der sich den Benutzern die Welt der sexuellen (Selbst)Befriedigung eröffnet und Tag und Nacht verfügbar ist: "Intensive Orgasmen aufgrund einer minimalen Investition durch das Drücken auf einige wenige Tasten sind eine mächtige Verstärkung. Cybersex beruht auf einem einfachen und billigen Zugang zu einer Vielzahl an ritualisierten Begegnungen mit idealisierten Partnern." Problematisch scheint es für einige der neuen Abhängigen zu werden, wenn sie schon in die Nähe eines Computers kommen, wie Dana Putnam schreibt. Das ist natürlich besonders dann gefährlich, wenn man an seinem Arbeitsplatz mit einem vernetzten Computer konfrontiert ist.

Cybersexsucht könne für das Leben der Betroffenen, zumindest was das Familienleben angeht, mindestens so nachteilig sein wie Alkohol-, Drogen- oder Spielsucht. Es komme zum Bruch von Beziehungen, die Partner der Cybersexsüchtigen fühlen sich betrogen und missachtet. Und weil Frauen eher Chaträume besuchen als pornografische Websites, sind sie möglicherweise auch gefährdeter als Männer, da dies eher zu Begegnungen im wirklichen Leben führe. Problematisch sei die Sucht aber auch für Kinder, die nicht nur entdecken, was da auf dem Bildschirm sich tut, sondern manchmal auch ein masturbierendes Elternteil überraschen können. Überdies könnten die Kinder durch die Sucht vernachlässigt und natürlich durch die Beziehungsprobleme der Eltern betroffen werden.