DER STAR, DAS VIRTUELLE WESEN
- DER STAR, DAS VIRTUELLE WESEN
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Die Stars werden zu teuer. Werden sie durch Software ersetzt?
Haben Schauspieler aus Fleisch und Blut in der digitalen Epoche soviel Zukunft wie Kinoerzähler zu Zeiten des Tonfilms? Synthespians, am Computer generierte Akteure, spielen in Hollywood eine immer wichtigere Rolle. Diese neuen Cyberstars des Kinos sind zudem nur Vorboten einer Invasion virtueller Humanoiden auch in andere Sparten der Massenkultur. In den nächsten Jahren sollen sie Themeparkinstallationen, Video- und Computerspiele und natürlich auch den Cyberspace erobern.
Könnte Schauspielerei eines Tages der Vergangenheit angehören? Wenn man heute die letzten Reste der bunten Programme im Fernsehen betrachtet, sieht es so aus, als ob Singen, Tanzen und Kabarett Gefahr laufen, aussterbende Künste zu werden, vergleichbar der Glasbläserei.
James Wolcott in "The New Yorker"
Technik erzeugt keine Träume, und sie steuert keine Trends. Technik ermöglicht nur, wonach manche sich schon lange sehnten - zum Beispiel der Tyrannei der Stars zu entkommen, Kinogeschichten zu erzählen, ohne auf das teure, in seinen physischen Möglichkeiten beschränkte, dafür aber mächtige Menschenmaterial angewiesen zu sein.
Populäre Filmschauspieler sind "Publikumslieblinge". All die anderen, die an einer Tonfilmproduktion beteiligt sind, denken von ihnen eher als notwendiges Übel - Rohstoff zur Erzeugung fotorealistischer Erzählungen, kategorial nicht von Kulissen oder Props unterschieden, nur eben weniger gut kontrollierbar, da widerspenstig und voll Eigenwillen.
In der Tat besteht zwischen der, in Tausenden von Kopien zerstreuten Star-Schauspielerin und dem, in zahllosen Exemplaren verbreiteten Nagellack kein grundsätzlicher ontologischer Unterschied mehr.
Günther Anders in "Die Antiquiertheit des Menschen"
In den Anfängen des Kinos behandelten die Produzenten ihre Darsteller dementsprechend und verweigerten ihnen schlicht die Namensnennung - nicht zuletzt natürlich, weil sie fürchteten, die austauschbaren Gestikuleure könnten ihre persönliche Bekanntheit nutzen, um sich unentbehrlich zu machen und höhere Gagen zu fordern. Bis in die Zehnerjahre dieses Jahrhunderts blieben die meisten Stummfilmschauspieler daher dem Publikum nur als namenlose Typen bekannt, als "The Biograph Girl" oder "The Man with the Sad Eyes".
Zu Individuen wurden sie erst, als Carl Laemmle, damals Chef von Independent Motion Pictures (IMP), zu der Ansicht kam, daß "große Namen", die aus der Masse der anonymen Spieler herausragen, den Absatz fördern könnten. Sein "IMP Girl" erklärte er deshalb zu Florence Lawrence. Der Schachzug hatte Erfolg: Ms. Lawrence wurde der erste Filmstar, Hollywood bekehrte sich zum Starsystem.
Stars sind wertlos, aber notwendig
Nicht das schauspielerische Talent - damals wie heute mal vorhanden, mal nicht; im Gegensatz zum Theater nie aber wirklich für den Erfolg eines Films verantwortlich -, sondern die Gabe, durch schlichte Präsenz ihrer (Leinwand-)Persönlichkeit zur Identifikation einzuladen und so Publikum anzulocken, machte den Stars in Hollywood ihren Namen. Und der verschaffte ihnen in der Folge horrende Gagen und wachsenden Einfluß auf die Filmproduktion selbst. Womit der Dauerärger begann.
Legion sind die Anekdoten über den Kampf zwischen Studiobossen und Schauspielern, die sich weigerten, bestimmte Rollen zu spielen; zwischen Drehbuchautoren und Schauspielern, die sich weigerten, bestimmte Sätze zu sprechen; zwischen Regisseuren und Schauspielern, die sich weigerten, bestimmten Spielanleitungen zu folgen oder auch schlicht unfähig dazu waren.
"Ich habe nie gesagt, Schauspieler seien Viecher", soll Alfred Hitchcock auf den Nenner gebracht haben, was so viele Regisseure dachten und denken, weil ihre Pläne, die ideale Software zu erzeugen, immer wieder an widerständiger Meatware zu scheitern pflegen: "Gesagt habe ich lediglich, daß man sie wie Vieh behandeln soll."
Doch nicht nur im künstlerischen Herstellungsprozeß gelten die Stars als Störung. Wesentlicher noch behindern sie das Geschäft. Den Studiogewaltigen, die, wie Drehbuchautor William Goldman einmal schrieb, sehr genau wissen, "daß Stars im Grunde wertlos und doch absolut notwendig sind", bereiten sie, weil zugleich unsicherstes und wichtigstes Element der Filmproduktion, schlaflose Nächte en gros. Denn nicht nur neigen wie alle Arbeitskräfte auch Schauspieler, kaum angelernt, aufgebaut und eingespielt, zu Krankheit, Alter und Tod. Obendrein sind sie erheblich launischer und psychisch anfälliger als alle anderen am Herstellungsprozeß beteiligten Berufsgruppen - und inzwischen auch noch so sagenhaft teuer, daß sie wesentliche Schuld an der ökonomischen Krise tragen, in der sich Hollywood gegenwärtig befindet.
Obwohl nämlich die Amerikaner zum Beispiel 1994 mit 5,4 Milliarden Dollar die höchste Summe seit 1960 in die Kinokassen zahlten und das Geschäft anhaltend brummt wie selten in der hundertjährigen Geschichte des Kinos, bleibt den Studios davon wenig angesichts der schwindelerregende Höhen, in die die allmächtigen Agenturen die Gagen ihrer Spitzenklienten getrieben haben. Die jüngste Schallmauer für Schauspieler liegt bei zwanzig Millionen Dollar Honorar pro Film, doch sie wackelt bereits. Stellt man die üblichen Mitbeteiligungen in Rechnung, so verdienen heute ein Dutzend Top-Stars mit drei oder vier Monaten Arbeit dreißig Millionen Dollar und mehr.
Als Sonys Columbia Pictures etwa für 40 Millionen Dollar einen Flop in spe namens "Cable Guy" drehte, ging die glatte Hälfte des Budgets als Gage an Hauptdarsteller Jim Carrey, während der Rest, die Techniker und das Statistenproletariat, an der Grenze des Existenzminimums arbeiten mußte. Und Sylvester Stallone, nicht gerade für sein Talent zum Mienenspiel berühmt, unterschrieb gar vergangenes Jahr einen Vertrag, der ihm gleich für drei Filme in Reihe dieses Honorar garantierte - 60 Millionen Dollar.
Schauspieler werden so zunehmend zur größten Last des Kinos. Ihre Gagen verschlingen das Geld, das anderswo fehlt. Dabei können sie die unglaublichen Aktionen, nach denen das Publikum verlangt, kaum mehr ohne die Unterstützung durch Computereffekte und den Einsatz von High-Tech-Stunts erbringen. Warum also die teuren und nur begrenzt verwendungsfähigen Originale nicht gleich komplett durch digitale Ersatzspieler, durch Synthespians ersetzen?
Den Begriff selbst, abgeleitet von Thespis, dem Begründer der griechischen Tragödie, ließ sich bereits Ende der achtziger Jahre die Kleiser-Walczak Construction Company als Warenzeichen sichern. Die Firma war an technisch bahnbrechenden Filmen wie "Tron", "Stargate" und "Judge Dredd" beteiligt und unterhält ein spezielles "Synthespian Studio" am Massachusetts Museum of Modern Art. Doch Kleiser-Walezak ist nur eine von mehreren Dutzend special-effects-Firmen, die gegenwärtig an der Erfüllung dieses, vor wenigen Jahren noch abenteuerlichen Produzenten- und Regisseurtraums arbeiten.
Drei zunehmend avancierte Verfahren zur Fabrikation fiktiver Menschenbilder haben sich inzwischen herausgebildet:
- die digitale Bearbeitung konventionell hergestellter Szenen "von Hand";
- die halbautomatische Computeranimation durch motion capture;
- die Programmierung und damit Automatisierung von Bewegungsabläufen.
Während die ersten beiden Techniken technisch recht ausgereift sind und heute zum Standardrepertoire digitaler Filmproduktion gehören, befindet sich die Erzeugung programmierter "autonomer Spieler" noch in den Anfängen. Erst solche, von virtual-humans-Programmen gesteuerte Akteure werden jedoch den Einsatz von Synthespians in tragenden Rollen finanziell erschwinglich machen - und damit die virtuellen Ersatzspieler, heute teure special effects, in ein normales Element des digitalen Kinos verwandeln.