Der Pakt mit den Sozialdemokraten sieht Verhandlungen zur Konfliktlösung vor. Die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) hofft im Telepolis-Gespräch auf die Umsetzung, sonst sind die Tage von Sánchez gezählt. Update
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Am Dienstag wurde der Sozialdemokrat Pedro Sánchez schließlich doch noch zum neuen spanischen Regierungschef gekürt. Das Ergebnis war so knapp wie nie zuvor. Möglich wurde seine Investitur nur über die Enthaltung der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC). Sie stellte sich damit gegen ihre Partner in Katalonien. Sowohl die linksradikale CUP und auch die Formation des katalanischen Exil-Präsidenten Carles Puigdemont (JxCat) positionierten sich gegen Sánchez.
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Etwas Tauwetter zeichnet sich nun schon ab. So hat Sánchez am Donnerstag erstmals mit dem katalanischen Regierungschef Quim Torra telefoniert und ein baldiges Treffen vereinbart. Es wird nun auch eine Entscheidung über den Versuch des Nationalen Wahlrats (JEC) erwartet, Torra aus dem Amt zu treiben, was hochrangige Juristen als "juristischen Krieg" bewertet haben.
Zur Entscheidung tagt der Oberste Gerichtshof, da der JEC nicht zuständig ist. Der ist inzwischen auch schon zurückgerudert und erklärt plötzlich, dass darüber das katalanische Parlament zu entscheiden habe.
Heute wird am Gerichtshof auch darüber getagt, ob Spanien das Urteil des Europäischen Gerichthof (EuGH) umsetzt, wonach der Chef der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) seit den Wahlen Immunität genießt. Oriol Junqueras wird vom Europaparlament als Parlamentarier geführt und es verlangt, dass er an der Sitzung am Montag teilnimmt.
[Update: Gegen die Forderung des Europaparlaments und gegen die Entscheidung des EuGH, dass Junqueras Immunität besitzt, hält der Oberste Gerichtshof an der Inhaftierung des ERC-Chefs fest und weist das zurück. Er beruft sich dabei auf dessen Verurteilung zu 13 Jahren Haft.
Das ist ein neuer Winkelzug des Richters Manuel Marchena, der das Verfahren geführt hat. Er weigert sich damit anzuerkennen, dass er das Verfahren mit der Wahl von Junqueras hätte abbrechen müssen, worauf an dieser Stelle hingewiesen wurde.
Und so schreibt der Verfassungsrechtler Javier Peréz Royo, der auch das Verhalten des EuGH und des Europaparlament korrekt vorhergesagt hatte, dass der Gerichtshof nicht daran vorbeikommen wird, das Urteil für "nichtig" zu erklären, da es nie hätte gesprochen werden dürfen. "Der Oberste Gerichtshof sträubt sich, diese Maßnahme zu ergreifen."
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Royo forderte, bevor das Gericht nun anders entschieden hat, die Verletzung der Grundrechte von Junqueras "nicht eine Minute länger" andauern zu lassen. Das einzige, was der Gerichtshof tun kann, ist, sich an das Europaparlament zu wenden und dessen Entscheidung abzuwarten. "Umso länger er dazu braucht, umso schlechter ist das".]
Über die Vorgänge und die Verhandlungen, die zur Regierungsbildung geführt haben, sprach Telepolis mit Marta Vilalta. Die 35-jährige Sprecherin und Vize-Generalsekretärin der ERC war an den Verhandlungen beteiligt, die zum Pakt mit den Sozialdemokraten (PSOE) führte. Die Journalistin gehört zu den starken ERC-Frauen; Vilalta vertritt die Generalsekretärin Marta Rovira, die im Schweizer Exil weilt.
"Die Repression soll über Verhandlungen gestoppt werden"
Was erwarten Sie von der Regierung aus Sozialdemokraten und der Linkskoalition "Unidas Podemos"?
Marta Vilalta: Wie haben die Investitur von Sánchez ermöglicht, um einen politischen Weg zu öffnen. Das bedeutet, Verhandlungen aufzunehmen und einen politischen Weg einzuschlagen. Darauf haben wir uns als ERC mit der PSOE geeinigt. Es soll ein Verhandlungstisch zwischen der katalanischen und spanischen Regierung gebildet werden, wo über die Zukunft von Katalonien gesprochen werden soll. Ein Abkommen soll schließlich der Bevölkerung in Katalonien zur Abstimmung vorgelegt werden, um es demokratisch zu legitimieren. Wir erwarten, dass diese Regierung das umsetzt und die Repression in Katalonien stoppt.
Ist es nicht widersprüchlich, dass die ERC-Abgeordnete Montse Bassa am Dienstag im Plenum die PSOE als "Henker" bezeichnete, die sie dafür verantwortlich macht, dass frühere Regierungsmitglieder entweder im Exil oder im Gefängnis sind, wie ihre Schwester oder der ERC-Chef Oriol Junqueras und man trotzdem die Sánchez-Regierung ermöglicht? Sie hat zudem ausgedrückt, dass sie sich "einen Dreck" um die Bildung einer spanischen Regierung schert.
Marta Vilalta: Sie hat das ausgedrückt, was viele Menschen in Katalonien empfinden, dass sich die verschiedenen Institutionen in Spanien zu Komplizen der Repression gemacht haben. Wir aber wollen nun nach vorne schauen und es bietet sich derzeit eine Möglichkeit, um Exil, Gefängnis, offene Verfahren und Repression durch politische Verhandlungen zu ersetzen. Vor diesem Szenario befinden wir uns nun. Wir wissen, dass das auch schief gehen kann, aber es ist einen Versuch wert und diese Chance wollen wir nicht ungenutzt lassen.
Wäre nicht als Geste nötig gewesen, dass der ERC-Präsident zuvor freigelassen wird?
Marta Vilalta: Über Gerichtsurteile verhandelt man nicht. Urteile wie das des EuGH müssen umgesetzt werden. Darauf haben wir den Obersten Gerichtshof hingewiesen, der dafür zuständig ist. Der hat das Urteil auf dem Tisch und muss in diesen Tagen entscheiden. Wir hoffen, dass er das EuGH-Urteil respektiert und Oriol Junqueras freigelassen wird.
Die geschäftsführende Vizepräsidentin Carmen Calvo hat erklärt, dass der Pakt auch bedeutet, dass die neue Regierung regieren können muss, die ERC also auch den Haushalt beschließen müsse. Gibt es eine solche oder andere Verpflichtungen?
Marta Vilalta: Nein. Wir haben uns nur verpflichtet, Sánchez zum Regierungschef zu machen, wenn dafür Verhandlungen beginnen. Wir werden sehen, wie die sich entwickeln und dann entsprechend entscheiden. In dem Maße, in dem die Verhandlungen gedeihen, können wir auch den Haushalt oder andere Maßnahmen unterstützen und der Regierung Stabilität verschaffen.
Wenn es am Verhandlungstisch nicht vorangeht und die PSOE und Podemos den politischen Weg nicht beschreiten, gibt es auch keine Unterstützung von uns für nichts. Dann wäre unsere Unterstützung für sie beendet.
"Rote Linien gibt es nicht"
Welcher Kalender wurde vereinbart und wer soll an dem Verhandlungstisch sitzen.
Marta Vilalta: Die Verhandlungen stehen auf vier Pfeilern. 1. Verhandlungen zwischen der spanischen und der katalanischen Regierung. 2. Begonnen wird 15 Tage nachdem sich die spanische Regierung gebildet hat, also die Minister bestimmt sind und dazu gibt es einen Kalender mit periodischen Treffen. 3. Es kann über alles gesprochen werden, also auch über das Selbstbestimmungsrecht, Amnestie, Garantie von Grundrechten. Das sind die Vorstellungen von uns Katalanen. Wir werden sehen, was die spanische Regierung vorschlägt. Der vierte Pfeiler ist die Garantie für die Umsetzung, also eine Volksabstimmung zur Bestätigung eines Abkommens.
Wird der katalanische Präsident Quim Torra an den Verhandlungen teilnehmen, den der Nationale Wahlrat (JEC) gerade des Amts enthoben hat?
Marta Vilalta: Wir wollen natürlich, dass Quim Torra die katalanische Seite anführen kann, den wir unterstützen Der Wahlrat kann über ihn nicht entscheiden und es wurden Einsprüche am Obersten Gerichtshof eingelegt. Es ist die katalanische Bevölkerung, die über Wahlen und das Parlament bestimmt, wer unser Präsident ist. Er ist zudem noch nicht des Amtes enthoben.
Wo sind die roten Linien? Zur Frage der Unabhängigkeit hat der designierte Vize-Ministerpräsident Pablo Iglesias schon auf die Begrenzungen durch Gesetze verwiesen und er meint: "Für das Abkommen müssen alle nachgeben."
Marta Vilalta: Rote Linien gibt es nicht. Es ist vereinbart, dass über alles verhandelt werden kann. Wir werden auf den Tisch legen, dass unsere Bevölkerung über die Zukunft entscheiden kann. Das bedeutet das Selbstbestimmungsrecht. Wir werden sehen, wie wir das dann umsetzen. Wenn die spanische Regierung mit Sanchez und Iglesias andere Vorschläge haben, sollen sie sie auf den Tisch legen und wir debattieren darüber. Es gibt erstmals die Freiheit, über alles sprechen zu können.
Wie lange können die Verhandlungen dauern? Es ist ja nicht unbekannt, dass die Sozialdemokratie gerne solche Fragen in Kommissionen schiebt und verwässert.
Marta Vilalta: (Lacht). Das wissen wir nicht. Wenn die Verhandlungen funktionieren und etwas länger dauern, ist das kein Problem. Wir werden von unserer Seite alles tun, damit sie funktionieren, vorwärts kommen und nicht in die Länge gezogen werden, um zu einer demokratischen Lösung des Konflikts zu kommen.
Hätten Sie noch etwas für die deutsche Bevölkerung anzufügen?
Marta Vilalta: Wenn Sie mir diese Möglichkeit einräumen, dann möchte ich unterstreichen, dass sich die katalanische Republik gegen niemanden richtet. Es ist ein demokratisches Projekt, dass es der Bevölkerung ermöglichen soll, über die Zukunft Kataloniens zu entscheiden. Etwas demokratischeres gibt es nicht.
Es ist ein Projekt für etwas und nicht gegen etwas: für mehr Chancengleichheit für alle, für die sozialen Rechte und die Menschenrechte… Das Ziel, die Gesellschaft zu verändern, ein besseres Land und eine bessere Gesellschaft zu schaffen, bewegt uns Unabhängigkeitsbefürworter und damit auch uns als Republikanische Linke.
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