Das Blumenkind und der Präsident

Seite 2: Mary Pinchot Meyer und der Mockingbird

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Kennedys letzte Geliebte war weitaus mehr als nur eine der zahlreichen Gespielinnen des lebenslustigen Präsidenten. Mary Pinchot Meyer war die Ex-Frau eines denkbar geheimnisvollen Mannes: Cord Meyer. Der intellektuelle Spross einer Industriellenfamilie hatte seinem Patriotismus im Pazifikkrieg ein Auge geopfert und sich hernach um die Völkerverständigung gekümmert. Bereits seit 1949 soll Meyer Kontakt mit der neu gegründeten CIA gehabt haben. Der dort für verdeckte Operationen zuständige Ex-Diplomat und spätere CIA-Chef Allen Dulles hatte Meyer 1951 für besondere intellektuelle Aufgaben angeworben. So kultivierte Dulles etliche CIA-Programme zur psychologischen Beeinflussung etwa der Nachkriegsdeutschen, die eine positive Einstellung zugunsten der USA (Operation Pocket Book) entwickeln sollten. Dulles förderte verdeckt die europäischen Nachkriegsintellektuellen und sonstigen Meinungsführer und förderte sogar Künstler aus dem linken Spektrum, soweit diese sich nicht am Kommunismus orientierten. Doch der Auslandsgeheimdienst CIA operierte entsprechend heimlich auch im Inland.

Allen W. Dulles. Bild: United States Government

Dulles setzte Cord Meyer als Mastermind seiner Operation Mockingbird (Spottdrossel) ein. Die CIA hatte zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung im In- und Ausland ein Netz aus einflussreichen Journalisten und Meinungsführern aufgebaut, welche im Sinne des Establishments die Pressefreiheit unterlief. Mockingbird orchestrierte die Berichterstattung von 25 Redaktionen und Agenturen, was die Gefahr kritischer Berichterstattung über CIA-gesteuerten Regierungswechsel im Ausland minimierte, etwa 1953 im Iran und 1954 in Guatemala. Erst 1977 sollte herauskommen, dass 400 einflussreiche Journalisten der CIA verpflichtet waren. Das Propagandanetz erwies sich als nützlich, um eine Kampagne gegen den populären Kommunistenjäger McCarthy zu starten, der mit seinen Verschwörungstheorien die Arbeit der CIA behinderte, etwa ausgerechnet Meyer als Kommunist denunzierte. Den patriotischen Mockingbird-Journalisten dürfte es auch zu verdanken sein, dass der Bericht der später von Allen Dulles dominierten Warren-Kommission zur Untersuchung des Kennedymords in den USA erstaunlich unkritisch aufgenommen wurde, während er in europäischen Blättern durchaus als das erkannt wurde, was er war.

Mary Meyer bekam auch Wind vom geheimsten Programm der CIA, das Dulles nicht einmal mit seinen Präsidenten oder seinem Nachfolger geteilt hatte: Unter der Codebezeichnung MKUltra experimentierten im Auftrag der CIA Forscher mit LSD und Gehirnwäsche, welche zu Zwecken der Spionage und für Attentate eingesetzt werden sollten. Die Gattin des CIA-Strippenziehers Cord Meyer war mit den Familien der anderen CIA-Mächtigen gut vernetzt und kannte bereits seit 1936 auch ihren Nachbarn im Washingtoner Stadtteil Georgetown: den jungen Senator John F. Kennedy, mit dessen Frau Jackie sie befreundet war. Der Sohn der Meyers starb bei einem Autounfall, die Ehe wurde 1958 geschieden. Wie viele andere Geheimdienstler ertrank auch Cord seine Sorgen im Alkohol.

"Make love, not war"

Mary Meyer, damals 43 Jahre alt, war nicht nur bildhübsch, sondern bestach vor allem durch ihren Intellekt. Die aus der Oberschicht stammende Frau hatte sich nach ihrer Scheidung vom CIA-Mastermind und seinen konservativen Freunden musisch orientiert, verkehrte in friedensbewegten Künstlerkreisen und experimentierte mit der damals hippen Droge LSD, von der sie ja bereits im Zusammenhang mit MKUltra gehört hatte. Tatsächlich dürfte gewandelte Aristokratin eine der ersten Hippies gewesen sein. Sie ließ sich Anfang 1962 im Gebrauch von LSD von keinem geringeren unterweisen als Dr. Timothy Leary. Dem prominenten Psychologen erzählte sie auch von einem mächtigen Freund, den sie in LSD einführen und dessen Namen sie nicht verraten wollte. Sie und ein Kreis weiterer Frauen hofften, durch Bewusstseinserweiterungen und positive Gehirnwäsche ihre kriegerischen Männer zu ändern und so etwas für den Frieden zu tun.

Mag dieses Anliegen auf den ersten Blick naiv klingen, so fällt die Affäre von Mary Meyer mit dem Präsidenten tatsächlich in einen Zeitraum, in welchem Kennedy sich vom reaktionären Hardliner zum visionären Weltstaatsmann wandelte. Hatte Kennedy noch im Wahlkampf die Regierung Eisenhower/Nixon für ihren zu weichen Kurs gegen Kuba getadelt, dann im Amt die Aufrüstung vorangetrieben und der von ihm gerühmten CIA nahezu freie Hand gelassen, so wurde er gegenüber dem Pentagon immer skeptischer. Was seine Generäle von ihm hielten, wusste er aus im Weißen Haus abgehörten Gesprächen. Die CIA-Leute wiederum hörten Kennedy ebenfalls ab, sogar beim Liebesspiel mit Mary. Nach der Kubakrise, die führende Militärs gerne zum Anlass eines nuklearen Schlagabtauschs genommen hätten, sandte Kennedy heimlich einen Friedensunterhändler zu Fidel Castro, dem er vertraute: William Attwood - ein Jugendfreund Mary Meyers. Kennedys letzte Geliebte durfte auch bei dienstlichen Gesprächen des Staatschefs anwesend bleiben, war der Macht also näher als Militär und CIA. Letzterer dürfte es kaum behagt haben, dass Mary von delikaten CIA-Geheimnissen gehört hatte. So wusste sie etwa von MKUltra, das die Beteiligten so geheim hielten, dass sie nicht einmal den Präsident oder den neue CIA-Chef McCone darüber informierten.

Die Wandlung Kennedys markierte insbesondere die Rede an der America University, in der er Atomkriege für irrational erklärte, Frieden als Wert propagierte und den Kalten Krieg beenden wollte. Die ungewöhnliche Rede fand u.a. in der Sowjetunion großen Anklang, weitaus weniger jedoch im Pentagon. Dort hatte man nicht nur das atomare Säbelrasseln durch Atmosphärentests kultiviert, sondern Kennedy 1961 sogar einen atomaren Überraschungsangriff gegen den sino-sowjetischen Block angetragen. Während die Militärs jahrelang geheime Programme zur Militarisierung des Weltraums vorangetrieben hatte, drängte Kennedy auf den Weltraumvertrag, der die Aufrüstung im All verbot. Kennedy sprach von einem kleinen Planeten, auf dem alle dieselbe Luft atmeten. Im Pentagon dürfte es eher Schnappatmung gewesen sein. Seine Friedenspläne überlebte der Präsident nur wenige Monate.

Warren-Report

Als knapp ein Jahr nach dem Präsidentenmord der Bericht der Waren-Kommission erschien, geriet die Kennedy-Vertraute außer sich. Ex-CIA-Chef Allen Dulles, der das Komitee dominierte, war es gelungen, seine CIA aus der Untersuchung komplett herauszuhalten und dreisteste Lügen zu fabrizieren. Mary Meyer konfrontierte mit dem Pamphlet ihren Ex-Mann, der wiederum innerhalb der CIA Alarm schlug. Den Beteiligten war klar, dass die resolute Frau sich nicht davon abbringen lassen würde, ihre Version der Geschichte zu erzählen. Ihre Affäre und ihr großer Einfluss auf den Präsidenten waren damals noch ein Staatsgeheimnis, das erst Jahrzehnte später gelüftet werden sollte.

Allen Dulles (3. von rechts) bei der Übergabe des Berichts der Warren-Kommission an Lynden B. Johnson. Bild: Executive Office of the President of the United States

Kurz nach Mary Meyers Entrüstung schoss ihr bei einem Spaziergang ein Unbekannter aus unerfindlichem Motiv zwei Kugeln in den Kopf. Die Gerichtsmediziner bewerteten die aus der Nähe abgegebenen Schüsse als professionelle Exekution. Noch am Abend des Mordes wurde der legendäre CIA-Mann James Jesus Angleton, der mit den Meyers befreundet war, beim Versuch überrascht, persönlich in ihr Haus einzubrechen.

Der Schattenmann, der sich in Handschuhen mit Dietrich am Türschloss zu schaffen machte, gab an, er habe sich um die Katzen kümmern wollen. Da er schon einmal da war, nahm er auch gleich Mary Meyers Tagebuch in Verwahrung.

(UPDATE 28.12.2017: Die vom mit Mary Meyer befreundeten Journalist Ben Bradlee aufgestellte Behauptung eines Einbruchs ist zweifelhaft. So dürfte dieser in Wirklichkeit selbst Meyers Tagebuch an Angleton übergeben haben, was er hinterher offenbar zu vertuschen versuchte.)

Cord Meyer, der noch bis 1977 für die Agency arbeitete, stützte offiziell die Interpretation, seine Ex-Frau habe sich einer Vergewaltigung widersetzen wollen und sei deshalb von ihrem Peiniger erschossen worden.

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