Das Ende der Tyrannei und die amerikanische Freiheit
Die Antrittsrede von US-Präsident Bush verspricht Kontinuität der bislang verfolgten Politik, aber es gibt auch bemerkenswerte Veränderungen im Stil
US-Präsident Bush, der sich und die USA noch immer als Werkzeug einer höheren Macht sieht, will in seiner zweiten und letzten Amtsperiode ganz offensichtlich noch deutlicher Geschichte machen, als er dies in den letzten drei Jahren unternommen hat, nachdem er durch den 11.9. als der Oberbefehlshaber einer Nation in einem permanenten Krieg an Ansehen und Einfluss gewonnen hatte. Doch nun will er seine Präsidentschaft nicht mehr vor allem im Kampf gegen die Bösen und als Verteidigung gegen drohende Gefahren sehen, sondern positiv als eine Art Heilsbringer für die Welt: Er will mit seiner Regierung die Welt anführen im auch mit militärischen Mitteln unterstützten Gang zur Utopie einer freien Welt, die gleichzeitig eine sichere Welt sein soll.
Die Rede von George W. Bush birgt - auch wenn sie teilweise anmaßend klingt: "Today, America speaks anew to the peoples of the world" - keine Überraschungen. Es sei denn für jene, die hofften oder glaubten, er würde in seiner zweiten Amtszeit einen anderen Weg einschlagen (Politik der Umarmung). Deutlich wurde, dass nun die USA unter seiner Führung nicht nur zurückschlagen und bestimmte Feinde angreifen, sondern die amerikanische Freiheit auf der ganzen Welt durchsetzen sollen (bemerkenswert sind allerdings die Unterschiede im Detail zur Antrittsrede Der amerikanische Traum) von Bill Clinton im Jahr 1997).
Im Unterschied zur designierten, ihm sehr nahe stehenden Außenministerin Condoleezza Rice nennt Bush dieses Mal keine konkreten Länder, die als "Achse des Bösen", "Schurkenstaaten" oder "Außenposten der Tyrannei" bezeichnet werden, sondern er bleibt im Vagen, Unverbindlichen, aber Pathetischen. Das vermeidet peinliche Fragen, warum wie bei Rice Nordkorea, Kuba oder Iran, aber nicht Saudi-Arabien, Pakistan oder Usbekistan unter Druck geraten. Nicht erwähnt wird auch der israelisch-palästinensische Konflikt. Das könnte alles darauf hinweisen, dass nun Rice stärker die konkrete Außenpolitik vertreten muss (und darf), während dem ein wenig von Bush distanzierteren Powell die Strategie vorgegeben wurde, wodurch sich aber der Präsident selbst auch mehr der Kritik aussetzte. Kein Wort sagte Bush auch zum Verhältnis zu den Vereinten Nationen, strikt blieb er bei den Beziehungen zu Gegnern und "Freunden", also bei einer Politik, die keinen Wert in internationalen Abkommen und Verpflichtungen sieht.
Bush spricht davon, weltweit die Freiheit zu befördern und die Tyrannei zu bekämpfen, was als Drohung zu verstehen ist. Gleichzeitig soll aber Zurückhaltung demonstriert werden, da die US-Regierung nur diejenigen unterstützen will, die selbst nach Freiheit in ihrem Land streben, da man sich für Freiheit selbst entscheiden und für sie kämpfen müsse. Niemandem würde man die eigene Regierungsform aufdrängen wollen. Dabei gehe es auch um die Achtung der Würde des Menschen, die Bestandteil der amerikanischen Politik sei. Angesichts von Abu Ghraib und Guantanamo mag bei dieser selbstgerechten Feier der Verdacht sich weiter vertiefen, dass die Achtung der Freiheit und der Würde der Anderen eben doch nur eine bedingte und nicht selbstlose ist.
We go forward with complete confidence in the eventual triumph of freedom. Not because history runs on the wheels of inevitability; it is human choices that move events. Not because we consider ourselves a chosen nation; God moves and chooses as He wills. We have confidence because freedom is the permanent hope of mankind, the hunger in dark places, the longing of the soul. When our Founders declared a new order of the ages; when soldiers died in wave upon wave for a union based on liberty; when citizens marched in peaceful outrage under the banner "Freedom Now" - they were acting on an ancient hope that is meant to be fulfilled. History has an ebb and flow of justice, but history also has a visible direction, set by liberty and the Author of Liberty.
Auffällig ist bei der Rede von Bush, dass dieses Mal direkte Anspielungen auf einen göttlichen Auftrag fehlen, die Michael Gerson, sein wichtigster und konservativ-christlicher Redenschreiber während der ersten Amtszeit immer wieder einstreute. Sein Nachfolger ist der ebenfalls konservative Journalist William McGurn vom Wall Street Journal. Die für Bush wichtige Rede wird Gerson allerdings noch mit verfasst haben, die weiterhin für Bush arbeitenden Spindoktoren, sein Berater Karl Rove und sein Kommunikationsdirektor Dan Bartlett, haben aber womöglich versucht, den religiösen Ton zu dämpfen, der gerade in Auseinandersetzung mit muslimischen Ländern, aber auch mit befreundeten Nationen für Unruhe gesorgt hat. Dafür aber wurde der Stil einer Predigt eher noch verstärkt. Der Verzicht auf eine allzu starke religiöse Rhetorik, aber auch auf explizite Erwähnung von Kernthemen der christlichen Fundamentalisten wie dem geforderten Verbot der Homo-Ehe oder der Abtreibung, sind wohl Versuche, die liberalen Bürger nicht von vorneherein abzuschrecken, sondern zu demonstrieren, dass der Wunsch nach Einheit, nach Auflösung der Spaltung, vorhanden ist. Aber das gehört auch zum Spiel.
Das Plus von Bush war, dass er schnell nach dem 11.9. den Menschen eine Mission anbieten konnte, einen Auftrag, der den Kampf mit Idealismus und einer einzigartigen Herausforderung für die jetzt lebende Generation verband. Nachdem Schrecken und Bedrohung unter den Amerikanern, die immer noch permanent unter erhöhter Risikostufe leben müssen, erlahmen, während der Krieg gegen den Terrorismus die Geschichte von den Freiheitsbringern immer weniger rosig aussehen lässt, versucht das Team um Bush die Politik ein wenig mehr von der Religion zu lösen, aber sie dafür noch enger an die Moral und den Idealismus zu binden. Geschickt wird dabei auch unterstellt, dass der Idealismus auf wunderbare Weise auch bruchlos mit den eigenen Interessen einher geht: Nur in einer freien Welt ist Amerika sicher, daher verschmelzen "Amerikas fundamentale Interessen und unsere tiefsten Überzeugungen".
Wunderbar ist freilich auch, dass der amerikanische Idealismus, der das Ziel hat, "die Tyrannei auf der Welt zu beenden", nur sehr bedingt etwas mit der Wirtschaft zu tun hat. Das mag darin gründen, dass Bush die noch eher aus christlicher Tradition stammenden Forderungen nach Gleichheit und Brüderlichkeit gegenüber der Freiheit ganz unbeachtet lässt. Freiheit heißt, ganz puritanisch oder calvanistisch, dass jeder der Schmied seines eigenes Glückes ist - und daher ohne doppelten Boden auch sein Unglück selbstverschuldet. Niemand und nichts kann dafür verantwortlich gemacht werden (Ruhekissen für die (Erfolg)Reichen). Selbstverantwortung geht mithin vor Chancengleichheit und wird zudem erst dann möglich, wenn die "Fesseln" eines sorgenden Sozialstaates, der auch immer zwischen Reich und Arm einen Ausgleich herstellen muss, weitgehend beseitigt werden.
So ist denn auch die Politik von Bush, der hier noch radikaler als alle seine Vorgänger die letzten sozialstaatlichen Überreste im Zeichen der "amerikanischen Freiheit" eliminieren will, auch hier auf "Freiheit" angelegt. Die von ihm propagierte "Eigentümergesellschaft", die "jeden Bürger zum Agenten seines eigenen Schicksals macht", gehorcht dem "Imperativ" der Selbstverantwortung. Staatlich soll hier möglichst nichts mehr geregelt werden. Das aber heißt auch: Die Freiheit, die Bush meint, ist die des Kapitalismus, der letztlich die Verarmung großer Bevölkerungsteile in Kauf nimmt, während die bestehenden Besitzverhältnisse unbedingt geschützt werden müssen. Tyrannen mögen zittern müssen, zumindest wenn sie in strategisch interessanten Ländern sitzen, Milliardäre aber nicht. Politisch Unterdrückte mögen hoffen dürfen, Arme dürften aber von der "amerikanischen Freiheit" eher wenig und eher zufällig etwas zu erwarten haben.
Und an dieser Stelle würde, sollte man die Rede nicht nur als Weihe und Rhetorik verstehen, sondern ernst nehmen, auch das Verständnis über die Ursachen der Feinde der Freiheit Bedeutung erlangen. Der Erfolg des Kampfs gegen die Tyrannei basiert schließlich auch darauf, deren Wurzeln zu erkennen und zu beseitigen. Man kann Tyrannen stürzen und deren Gegner zur Macht verhelfen, ohne damit auch die Freiheit, die Menschenrechte, das Wohlergehen aller Bürger eines Landes automatisch zu befördern. Das ist wohl eine Lehre, die man aus den "Enthauptungsaktionen" in Afghanistan und im Irak ziehen kann. Freiheit - und Rechtstaatlichkeit - kann nur zur Geltung kommen, wenn auch Sicherheit gewährleistet und Armut bekämpft wird. Zur Würde eines menschlichen Lebens zählt auch, einigermaßen anständig leben zu können und nicht von vorneherein von vielem ausgeschlossen zu sein.
So lange in ganzen Regionen der Welt Ressentiment und Tyrannei herrschen und diese so empfänglich für Ideologien sind, die Hass schüren und Mord entschuldigen, wird die Gewalt zunehmen und sich in destruktiver Macht vervielfachen, die am besten geschützten Grenzen durchbrechen und eine tödliche Bedrohung sein. Es gibt nur eine Kraft in der Geschichte, die die Herrschaft von Hass und Ressentiment brechen, die Anmaßung von Tyrannen entlarven und die Hoffnung der Anständigen und Toleranten belohnen kann - und das ist die Macht der menschlichen Freiheit.
Dass die Politik der amerikanischen Regierung weltweit nicht auf große Begeisterung stößt, verdankt sich wohl auch dem Umstand, dass solche Überlegungen der liberalistisch-puritanischen Politik und ihrem Manichäismus völlig fremd sind. Wer Gutes will, schafft auch Gutes und muss nur beharrlich sein, das Böse hingegen ist nur böse und muss eliminiert werden. Tyrannei verdankt sich "Ideologien, die Hass nähren und Mord entschuldigen". Dem könne nur die "Macht der menschlichen Freiheit" entgegen gesetzt werden, die irgendwie direkt mit Toleranz und Anständigkeit verbunden sind.
Eigentlich wäre natürlich Freiheit auch die Ermöglichung von Hass, so dass selbst eine endgültig befreite Gesellschaft keineswegs unbedingt eine friedliche und tolerante sein müsste. Ganz verwegen ist denn auch der Versuch von Bushs Spindoktoren oder auch von Bush selbst, den Menschen einreden zu wollen, dass Aufruhr, Aufstand, Terrorismus und auch der Wunsch nach Befreiung von westlicher Herrschaft einzig und allein durch Hass - und Ressentiment: oder Neid? - genährt werden, der stets unbestimmt bleiben muss, um den Feind nebulös und jede Verantwortung von sich zu halten. Es ist jedoch stets ein konkreter Hass, der auf konkreten Ursachen und Interessen, auf eine bestimmte Geschichte sowie auch auf manchen idealistischen Wünschen und oft genug auch auf der Sehnsucht nach der von Bush beschworenen Freiheit basiert. Sonst würde kein Mensch, wäre er auch noch so verblender, sein Leben in einem Selbstmordanschlag opfern. Weil man aber mit der Ideologie von Bush nur den Gegner töten oder einsperren, aber weder die Ursachen noch eigene Fehler angehen kann, tritt immer wieder, wenn freilich nicht notwendig, ein, dass solch ein Gutes auch Ungeheuer produziert.
Zu dieser Einsicht in ihre Dialektik ist die europäische Aufklärung bereits angesichts der Französischen Revolution gelangt, ohne dass dies freilich weitere Katastrophen in der Umsetzung der kommunistischen oder rassistisch-faschistischen "Utopien" verhindert hätte. Zumindest erwecken die Äußerungen von amerikanischen (Neo)Konservativen den Eindruck, als würde ihnen diese Einsicht noch erst bevor stehen, aber nur möglich werden, wenn eine große Niederlage verarbeitet werden muss.
Noch aber verstehen sich die (neo)konservativen Ideologen nach dem Sieg über den Faschismus und dem Zusammenbruch des Kommunismus als unangefochtenen und von keinem Zweifel befallenen Sieger der Geschichte. Im Zusammenhang mit der Bush-Regierung mag hier die personelle und geistige Verbindung mit Reagan eine Rolle spielen, aber auch Rice als "Expertin" für die Sowjetunion (und ihr Ende). Doch dieses naive Vertrauen, das mehr als nur rhetorisch zu sein scheint, ist wohl gleichzeitig die Achilles-Ferse. Sie hat sich erstmals richtig in den von der Bush-Regierung unerwarteten Schwierigkeiten der Freiheitsmission im Irak gezeigt. Zu befürchten steht, dass weitere, nicht wirklich ausgereifte Missionen folgen könnten, die nicht die Freiheit befördern, sondern die Konflikte verschärfen.
Ach, als George W. Bush 2001 sein Präsidentenamt antrat, war alles noch so einfach. Keine Kriege in Aussicht, die Bewährung nur virtuell und in der Vergangenheit, was ein wenig Bedauern auszulösen schien:
Our national courage has been clear in times of depression and war, when defending common dangers defined our common good. Now we must choose if the example of our fathers and mothers will inspire us or condemn us. We must show courage in a time of blessing by confronting problems instead of passing them on to future generations.
Und dann gab es manche Probleme zu lösen, die zwar gravierend waren, aber doch nach dem 11.9. recht harmlos, beispielsweise Das Buchstabenproblem im Weißen Haus, das inzwischen längst vergessen sein dürfte.