Das Geschäft mit den Staatsschulden

Woher nehmen die Banken eigentlich das Geld, das sie dem Staat leihen? Und bei wem landen am Ende die Zinsen? Eine Recherche

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Sperrfrist: 1.3.2016

Wenn etwas auf der Welt stabil wächst, dann sind es die Staatsschulden. Eine beliebte Erklärung dafür lautet, dass Regierungen einfach grundsätzlich schlecht haushalten und zu viele "Wohltaten" unter ihren Bürgern verteilen, um von diesen wiedergewählt zu werden. Im Großen und Ganzen, so heißt es, lebten die Staaten über ihre Verhältnisse. Daher müsse dringend gespart werden. Man könne sich vieles einfach nicht mehr länger leisten, man lebe auf Kosten der eigenen Kinder. Wie sollten die bloß die ganzen Schulden jemals zurückzahlen?

Was an dieser Argumentation stimmt: Wachsende Schulden sind auf Dauer nicht tragbar. Sie führen zu immer höheren Zinsausgaben, die ja aus den Steuereinnahmen des Staates bezahlt werden müssen, also von dem, was alle Bürger gemeinsam erwirtschaften. Je mehr von den Steuern für Zinszahlungen verloren geht, desto weniger bleibt für den Rest. Dieser "Rest", also die Ausgaben für Bildung, Infrastruktur, Gesundheitswesen etc., schrumpft dann immer weiter. Steigende Zinszahlungen machen die Geldverleiher reich und das Land für alle Übrigen weniger lebenswert.

Derzeit hat Deutschland (nur der Bund, ohne Länder und Kommunen) etwa 1100 Milliarden Euro Schulden angehäuft und zahlt darauf jährlich ungefähr 30 Milliarden Euro Zinsen an seine Gläubiger. Das ist der drittgrößte Posten im Haushalt, gleich nach den Sozial- und den Militärausgaben. Das Wachstum der Verschuldung verläuft dabei alles andere als gemächlich. In den letzten vierzig Jahren hat sich der Schuldenberg verzehnfacht.1 Getilgt, also zurückgezahlt, werden die Schulden nicht. Stattdessen schuldet man endlos um. Auslaufende Staatsanleihen werden dabei immer wieder durch neu ausgegebene ersetzt. Die Staatsschuld besteht quasi für immer - und wächst dabei.

Wegen der aktuellen Niedrigzinsphase muss der Bund seinen Gläubigern zwar derzeit nur weniger als 1 Prozent Zinsen zahlen, auf lange Sicht aber werden die von der Gemeinschaft erarbeiteten Staatseinnahmen - also die Steuern - immer stärker von zu leistenden Zinszahlungen aufgefressen. Der Anteil der Zinsausgaben am Bundeshaushalt betrug vor vierzig Jahren 3 Prozent, heute sind es gut 9 Prozent.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wiegelt zwar ab und meint, wenn die Wirtschaft nur stark genug wachse und man keine neuen Schulden mehr aufnehme, sinke dadurch die relative Schuldenquote und man könne weiter stabil wirtschaften.2 Doch erstens werden eben doch immer wieder neue Schulden aufgenommen (siehe Bankenrettung) und zweitens kann die Wirtschaft auf Dauer nicht so rasch wachsen, wie die mit unerbittlicher mathematischer Logik steigenden Zinsansprüche der Gläubiger.

Der vorliegende Text ist ein Auszug aus dem gerade erschienenen Buch "Wer regiert das Geld? - Banken, Demokratie und Täuschung" (Westend Verlag, 220 Seiten, 17,99 Euro)

Warum wachsen die öffentlichen Schulden?

Aber warum wachsen die öffentlichen Schulden eigentlich überhaupt? Denn so einleuchtend es erscheinen mag, wenn ein armes, benachteiligtes oder vom Krieg zerstörtes Land Schulden hat - zumindest solange, bis es wieder auf die Beine kommt -, so absurd mutet es an, dass so gut wie alle Länder ständig Schulden haben. Besonders grotesk erscheint es, dass gerade Deutschland permanent Kredite aufnehmen muss - also ein Staat, in dem mehr als eine Million Millionäre leben3, wo seit siebzig Jahren Frieden herrscht und man wahlweise gerade Marktführer, Testsieger oder Exportweltmeister ist. Wie um alles in der Welt kommt es hier, inmitten von so viel Reichtum und Wirtschaftskraft, zu steigenden Staatsschulden? Weil der Hartz-IV-Satz zu hoch ist? Oder weil wir zu wenig arbeiten? Wohl kaum.

Die Antwort ist komplexer, denn die Schulden wachsen im Prinzip aus drei Gründen. Erstens (da haben die Vertreter der FDP recht) weil traditionelle Besitzansprüche, Privilegien und Bürokratien sich immer weiter ausbreiten, also die Staatsausgaben expandieren. Zum zweiten (da haben die Linken recht) weil die profitabelsten Unternehmen und die vermögendsten Bürger - also die "Spitzen der Gesellschaft" - nicht ausreichend stark besteuert werden, also die Staatseinnahmen niedriger sind, als sie sein könnten. Zum dritten aber, und das wird selten erwähnt, sind steigende Schulden kein sich ständig wiederholender betriebswirtschaftlicher "Unfall", sondern geplant und gewollt. Staatsschulden bedeuten ein höchst einträgliches Geschäft - für die Gläubiger. So erklärt sich auch, dass selbst die größten Schuldner unter den Staaten regelmäßig gute Bewertungen von Ratingagenturen erhalten, solange sie zuverlässig ihre Zinsen zahlen.4 Eine permanente und steigende Staatsverschuldung ist fest in das bestehende Weltfinanzsystem eingebaut.

Woher kommt das Geld für die Staatsanleihen?

Wie funktioniert der Geldfluss nun genau? Wer leiht sich was? Wie im ersten Kapitel geschildert, kaufen Banken Staatsanleihen, also staatliche Schuldscheine. Aber wie finanzieren die Banken das eigentlich? Befragt man sie dazu direkt, erfährt man wenig. Schriftliche Auskunft will keiner geben. Eine Anfrage bei der Commerzbank führt lediglich zum Hinweis, dass man sich aus der Staatsfinanzierung schon seit längerem zurückziehe. Auf Banken-Deutsch: "Die Commerzbank hat das Public-Finance-Geschäft bereits 2012 auf Abbau gestellt."5 Seitdem erwerbe man Staatsanleihen kaum noch langfristig für die Bank, sondern "vor allem kurzfristig im Rahmen der Platzierungsaktivitäten für Kunden". Übersetzt: Die Bank agiert nur noch als Zwischenhändler für andere Investoren.

Bei der Deutschen Bank gibt man sich noch zugeknöpfter. Auf die schriftliche Anfrage, wie der Kauf von Staatsanleihen im Einzelnen organisiert sei und woher die Deutsche Bank das Geld dafür nehme, verweist ein Sprecher zunächst höflich auf die staatliche Finanzagentur. Auf nochmalige Nachfrage heißt es dann bloß noch knapp: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir Ihnen keine weitergehenden Informationen zur Verfügung stellen können."6 Telefonisch nach den Gründen für seine Verschwiegenheit befragt, wiederholt der Banksprecher einsilbig, dies sei "kein Thema, über das wir detaillierter sprechen".

Dabei sind die Hintergründe eigentlich gar kein Geheimnis. Neu ausgegebene Staatsanleihen können nicht mit von den Banken selbst geschöpftem Geld bezahlt werden. Der Bund akzeptiert hierfür nämlich nur Zentralbankgeld. Grundsätzlich beschaffen sich die Banken dieses Zentralbankgeld kurzfristig direkt bei der Bundesbank. Eine Geschäftsbank hinterlegt dazu als Sicherheit Wertpapiere und erhält im Gegenzug von der Bundesbank neu geschöpftes Geld. Vom Prinzip her bekommen Banken von der Zentralbank so viel Kredit, wie sie wollen, sofern sie genügend Sicherheiten vorlegen können, wie ein Sprecher der Bundesbank auf Nachfrage bestätigt.7

Die Zentralbank ist dabei im Zweifel flexibel, was die Kriterien für diese Sicherheiten angeht. Die Regeln dafür sind nicht in Stein gemeißelt. Die Kredite werden wöchentlich von der Bundesbank ausgereicht und laufen meist nur über wenige Tage.8 So hat die Bundesbank zum Beispiel an einem typischen Dienstagmorgen (5. Januar 2016) an insgesamt 110 Banken Kredite in Höhe von zusammen 70 Milliarden Euro vergeben. Laufzeit: eine Woche. Zinssatz: 0,05 Prozent.9 Ein Geschäft dieser Art wiederholt sich im Prinzip jeden Dienstag. Praktischerweise organisiert die Finanzagentur des Bundes ihre Auktionen für Staatsanleihen gleich im Anschluss, nämlich stets am Mittwoch.10 Die Zentralbank liefert also dienstags neues Geld, mit dem die Banken dann mittwochs Staatsanleihen kaufen können.

Kranke "Symbiose" von Staaten und Banken

Eine wichtige Rolle spielt dabei eine gesetzliche Ausnahmeregelung: Banken müssen für gekaufte Staatsanleihen kein Eigenkapital hinterlegen, da eine Investition in öffentliche Schulden als weitgehend risikolos gilt. Diese Regelung beschleunigt das Spiel. Staaten und Banken haben sich mittlerweile verhängnisvoll ineinander verkettet. Die Staaten sind bereit und willens, sich weiter zu verschulden, und begünstigen deshalb die Banken. Denen passt das gut, da sie stabile Gewinne mit wenig Risiko suchen. Und was ist sicherer als der Zugriff auf Steuergelder?

Staatsanleihen sind letztlich risikolos, so lange die verschuldeten Regierungen genügend Macht besitzen, die eigene arbeitende Bevölkerung in einem Maße zu besteuern, dass der Staat existieren und zugleich die Zinsen bezahlen kann. Und, natürlich, solange sich nicht zu viele Bürger gegen diese kranke "Symbiose" auf höchster Ebene wehren …

"Keine Rückschlüsse auf einzelne Gläubiger"

In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass niemand genau sagen kann, wer die Investoren eigentlich im Einzelnen sind. Denn Banken erwerben die Staatsanleihen ja nicht nur für sich selbst, sondern zum großen Teil im Auftrag von Kunden. Anders aber als vor zweihundert Jahren, als man es noch wusste, wenn der schwerreiche Londoner Investor Nathan Rothschild dem preußischen Staat ein paar Millionen Taler geliehen hatte11, kursieren heute keine Namen mehr. Das System arbeitet weitgehend anonym.

Der Bund zahlt die Zinsen auch nicht direkt an seine Gläubiger, sondern auf ein Konto der privaten Firma "Clearstream", einen der weltweit größten Dienstleister für Zahlungsausgleich und Wertpapierverwahrung. Erst verdeckt hinter dem Sichtschutz "Clearstream" (welch origineller Name in diesem Zusammenhang) werden die Erträge dann den Investoren zugestellt. Das Bundesfinanzministerium teilt auf Nachfrage dazu mit, man habe zwar "Hinweise auf Investorengruppen", könne aber "keine Rückschlüsse auf einzelne Gläubiger" ziehen.12 Die jährlich gut 30 Milliarden Euro Zinsen, finanziert aus Steuereinnahmen, fließen also tatsächlich in eine Art Nirgendwo, ohne Namen, Adresse und Hausnummer. Die Profiteure empfangen das Geld komplett abgeschirmt von der Öffentlichkeit.

Eine Anfrage bei den Banken, in wessen Auftrag sie Staatsanleihen bei der Deutschen Finanzagentur erwerben, bringt - wenig überraschend - auch keine Details. Die Sprecher sind sich in diesem Punkt alle einig: kein Kommentar. Man könne allenfalls sagen, so einer der Banker, dass es sich bei den Abnehmern häufig um Versicherungen und Pensionsfonds handle. Das klingt fast schon sympathisch, nach Gemeinwohl, Altersvorsorge und Stabilität. Doch wo landet das Geld am Ende?

Gewinner unter sich

Beispiel Allianz: Der Versicherungskonzern, der zu den größten der Welt zählt und dem Vernehmen nach auch viele Staatsanleihen hält, macht Jahr für Jahr gut 10 Milliarden Euro Gewinn. Diese Erträge fließen zum großen Teil an die Aktionäre. Hier wird es nun interessant, denn gut 85 Prozent der Allianz-Aktien befinden sich in der Hand von nur etwa einem Prozent der Anteilseigner. Dieses eine Prozent besteht laut Angaben des Unternehmens aus institutionellen Investoren, also Banken, Fonds und so weiter, die zudem größtenteils aus dem Ausland kommen.13

Wenn Versicherungen also mit Staatsanleihen Erträge erwirtschaften, dann landet ein maßgeblicher Teil davon am Ende wiederum bei anderen internationalen Finanzkonzernen - und deren Aktionären. Da die Eigentümerstruktur der großen globalen Player wechselseitig hoch vernetzt ist - sie gehören sich zum Großteil quasi gegenseitig - gibt es letztlich einen kleinen Club von Gewinnern, der unter sich bleibt.14

Dieser Club benutzt Staaten als bequemes Investitionsziel. Die stetige Ausgabe von neuen Staatsanleihen ist von diesen Kreisen ausdrücklich gewünscht, damit ein Teil der endlos wachsenden Menge an Rendite suchendem Kapital vergleichsweise risikolos unterkommt. Um diese Investmentmöglichkeit zu erhalten und auszuweiten, sollen - so darf man annehmen - Staaten eigentlich nie zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen. Sie sollen sich aber auch nicht zu sehr verschulden, da dann die Staatsanleihen keine ausreichend sichere Investition mehr wären. Aus Sicht der Geldverleiher muss vielmehr dafür gesorgt werden, dass staatliche Finanzpolitik ständig "auf der Kippe" steht: immer kurz vor der Krise und nie ganz stabil. In einem solchen Zustand ist der Staat den Investoren, objektiv betrachtet, am nützlichsten.

Warum verschuldet sich der Staat überhaupt bei Banken?

Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine simple Frage: Warum verschuldet sich der Staat überhaupt bei privaten Banken und beschafft sich das Geld, das er braucht, nicht direkt bei der Zentralbank? Wozu der Umweg? Warum liefert die Bundesbank dienstags Geld an Banken, das sich der Staat dann mittwochs wieder gegen höhere Zinsen von ihnen leiht? Inwiefern ist das ein gutes Geschäft?

In Deutschland und der Europäischen Union gilt eine solche Frage als unseriös. Einer festen und weit verbreiteten Überzeugung zufolge führt eine direkte Staatsfinanzierung durch die Zentralbank stets in die "Hölle" einer schrankenlosen Inflation. In deren lodernden Flammen verbrennen dann, so die Befürchtung, rasch sämtliche Sparvermögen der Bürger. Ein Staat, der sich selbst Geld erzeugen kann, halte kein Maß mehr, heißt es. Es gelte also, den Staat vor sich selbst zu schützen.

Schon in einer solchen Formulierung steckt allerdings, fein und entscheidend, eine Begriffsverwirrung. Es wird unterstellt, Regierung und Zentralbank seien ein und dasselbe, nämlich eine feste Einheit namens "Staat". Faktisch aber ist vielen Zentralbanken in den vergangenen Jahrzehnten eine so große Autonomie gegenüber ihren jeweiligen Regierungen entstanden, dass die Annahme, eine Regierung könne sich, wenn sie nur wolle und es ihr erlaubt sei, per simpler Anweisung Geld drucken lassen, irrational erscheint.

"Interessenschlagseite" der Zentralbanken

Theoretisch kann eine Zentralbank zwar endlos Geld schöpfen und dieses dem Staat schenken, der es dann hemmungslos ausgibt und damit eine große Inflation erzeugt. Aber warum sollte sie das tun? Wozu der große Exzess? Findet der nicht eigentlich schon längst im heutigen System statt, nur unter umgekehrten Vorzeichen durch die Privatbanken?

De facto agieren viele Zentralbanken gegenwärtig vor allem im Sinne einer Absicherung des privaten Bankensektors. Öffentlich propagiert wird aber eine andere Funktion, nämlich die des Interessenwahrers der Allgemeinheit, in gleichem Maße unabhängig von Regierungen wie von Geschäftsbanken. Ein löbliches Ziel, aber leider nicht die Realität. Wäre eine autonome Zentralbank ebenso der Stabilität wie dem Gemeinwohl verpflichtet, dann müsste es ihr Ziel sein, in vernünftigem eigenen Ermessen Geld zu schöpfen und dieses dem Staat für demokratisch beschlossene Aufgaben zu schenken.

Entscheidend ist in diesem Modell eine funktionierende Gewaltenteilung: Die Zentralbank legt allein das Maß der eigenen Geldschöpfung fest, das Parlament beschließt den Verwendungszweck, die Regierung führt aus. Das wäre intelligent. Die Zentralbank könnte dazu auch formell und verfassungsrechtlich zu derjenigen vierten Gewalt ernannt werden, die sie heute praktisch schon ist - wenn auch derzeit mit einer Interessenschlagseite zu den privaten Banken.

Das kanadische Modell

Leider ging es in den vergangenen Jahrzehnten in die andere Richtung. Beispiel Kanada: Dort darf die in den 1930er Jahren geschaffene Notenbank zwar unbegrenzt den Staat finanzieren - ohne dass zwischen Toronto und Vancouver in dieser Zeit irgendwann das Chaos ausgebrochen wäre -, doch seit den 1970er Jahren wird diese Möglichkeit kaum mehr genutzt. Im Zuge der Globalisierung und des Vormarsches neoliberaler Ideen kam das Modell "aus der Mode". Derzeit sind weniger als 20 Prozent der kanadischen Staatsanleihen im Besitz der öffentlichen Bank of Canada.15 Der große Rest wird inzwischen, genau wie hierzulande, von privaten Banken gehalten.

Demzufolge befindet sich Kanada heute in der gleichen Schuldenspirale wie Deutschland und andere europäische Länder. Die kanadische Notenbank könnte aber eben - ohne eine Gesetzesänderung - jederzeit entscheiden, fortan einen beliebig höheren Anteil der Staatsanleihen aufzukaufen, seien es nun 50, 60 oder 100 Prozent. Es ist "lediglich" eine Frage des politischen Willens oder, klarer gesagt, eine Frage der realen Macht dieser Zentralbank (und der sie gegebenenfalls stützenden Öffentlichkeit) gegenüber der privaten Geldmacht, die sich eines ihrer stärksten und einflussreichsten Werkzeuge - insbesondere auch zur Beeinflussung der Politik - kaum widerstandslos aus der Hand nehmen lassen wird.

Das Inflationsargument ist jedenfalls nicht der wahre Kern der Sache. Entscheidend für die Stabilität der Währung ist letztlich, dass die umlaufende Geldmenge nicht stärker wächst als die Wirtschaft (siehe das vorhergehende Kapitel) - dann kommt es auch nicht zu einer Geldentwertung. Geschenktes Geld von der Notenbank ist nicht per se gefährlich. Erst die Dosis macht das Gift, und natürlich der Verwendungszweck des neu geschaffenen Geldes. Wird damit investiert oder spekuliert? Wer bekommt die geschenkten Milliarden? Genau das sind ja auch die entscheidenden Fragen heute im System privater Geldschöpfung. Und sie werden bislang nicht so beantwortet, dass es den Staaten und ihren Menschen damit gutgeht.

Dohnanyis "Jugendsünden"

Es gab Zeiten in Deutschland, da wurden solche grundlegenden Geldreformideen ernsthaft von führenden Politikern der SPD diskutiert. Nicht von Arbeiterräten während der Revolution von 1918 oder im Chaos der Weimarer Republik, sondern im ruhigen Fahrwasser der 1980er Jahre, mitten in der feinen hanseatischen Gesellschaft.

Damals hatte der Hamburger Bürgermeister und Ex-Bundesbildungsminister Klaus von Dohnanyi eine hochkarätig besetzte Zusammenkunft zur Geldpolitik organisiert. Mit dabei waren ein halbes Dutzend Wirtschaftsprofessoren sowie führende Beamte von Regierung und Bundesbank. Die honorigen Teilnehmer trafen sich zwischen 1983 und 1985 mehrfach, um die Möglichkeit eines zins- und tilgungsfreien Zentralbankkredites an den Staat kontrovers und mit deutscher Gründlichkeit zu diskutierten. 1986 erschien ein Tagungsband ("Notenbankkredit an den Staat?") mit den maßgeblichen Beiträgen dazu.16

Ideengeber für die direkte Staatsfinanzierung war damals der Wirtschaftsprofessor Wolfgang Filc, welcher - wen wundert's - auf heftigen Widerstand stieß, unter anderem seitens des ehemaligen Wirtschaftsweisen und Neoliberalen Armin Gutowski. Dessen Argumentation stützte sich auch auf die bereits beschriebene Begriffsverwirrung von "Regierung", "Zentralbank" und "Staat", gab dieser aber noch einen feineren Dreh:

Schließlich ist zu bedenken, dass die deutsche Öffentlichkeit aufgrund des schlechten Beispiels, das der Staat in der Vergangenheit gegeben hat, gegen eine Notenbankfinanzierung öffentlicher Ausgaben hoch sensibilisiert ist. (…) Auch wenn nicht beabsichtigt ist, die geldpolitische Autonomie der Bundesbank anzutasten, bestünde die Gefahr, dass eine direkte Finanzierung öffentlicher Investitionen durch die Notenbank die Inflationserwartungen nach oben gehen ließe. Dies würde die Zinsen in die Höhe treiben und damit Wachstum und Beschäftigung gefährden.

Armin Gutowski

Die Kritiker warnten also gar nicht vor einer konkreten Inflationsgefahr, sondern lediglich vor einer unterstellten öffentlichen "Erwartung" einer solchen Inflation, die historischen Ängsten geschuldet sei. Der rhetorische Schachzug bestand darin, diese Ängste nicht etwa als offenkundig unbegründet auszuräumen, sondern sie geschickt, ohne im Detail darauf einzugehen, weiter als politisches Spielmaterial zu nutzen.

Der Wissenschaftler Filc erlebte ähnlich starken politischen Widerstand gegen unkonventionelle Ideen später noch einmal, als er Ende der 1990er Jahre für kurze Zeit die für internationale Fragen zuständige Abteilung im Bundesfinanzministerium leitete, damals geführt von Oskar Lafontaine und Heiner Flassbeck.17 Bei Konferenzen zur Finanzpolitik in Washington kurz vor der Jahrtausendwende erlebte er, dass auf höchster Ebene fachliche Argumente noch weniger zählen.

Dabei war die von Filc und Dohnanyi in den 1980er Jahren angedachte Variante einer Staatsfinanzierung durch die Zentralbank noch eher bescheiden angelegt. Keine Mark zusätzlich sollte geschöpft werden, eine Inflation war praktisch ausgeschlossen. Es ging allein darum, den Spielraum der Zentralbank moderat zu erweitern, um bei der Staatsverschuldung nicht völlig von privaten Banken abhängig zu sein. Den Gegnern war natürlich klar, dass es hier ums Prinzip ging und dass man solche gefährlichen alternativen Ideen besser schon im Ansatz entschieden bekämpfte. Seither haben sich regierende Politiker hierzulande an dieses heiße Eisen nicht mehr herangewagt.

Hindernis Lissabon-Vertrag

In Deutschland und der EU insgesamt sind solche Schenkungen der Zentralbank an den Staat mittlerweile sogar gesetzlich verboten, wie man in Artikel 123 des Vertrages von Lissabon nachlesen kann.18 Dieser Vertrag, der als eine Art EU-Verfassung gilt, hat eine gewisse Berühmtheit dadurch erlangt, dass er 2009 weitgehend ohne Referendum, also ohne direkte Zustimmung aller Bürger der Europäischen Union, beschlossen und dennoch zum geltenden Recht innerhalb der EU erklärt wurde.

Auffällig ist, wie trotz überall steigender Verschuldung verbissen an Artikel 123, also dem absoluten Verbot jeder Staatsfinanzierung durch öffentliche Zentralbanken, festgehalten wird, während etwa Artikel 125 des gleichen Vertrages (sinngemäß: kein Mitgliedsstaat der EU haftet für einen anderen) seit der Finanzkrise stillschweigend ignoriert oder, besser gesagt, gebrochen wird. Es geht also offenkundig nicht um Rechtsprinzipien, sondern um eine ganz bestimmte Politik.

Inzwischen werden jedoch auch Gegenstimmen laut. So argumentierte der Chef der britischen Bankenaufsicht, Adair Turner, im Jahr 2013, man solle das alte Tabu endlich brechen und "entspannter mit der Idee umgehen, dass Staaten Geld drucken".19 Auch er vermengte hier zwar sprachlich Zentralbank und Regierung zum allumfassenden Gebilde "Staat". Sein Anliegen aber war einleuchtend: In einer Krisensituation, wenn Banken allgemein zu wenige Kredite vergeben, kann der direkte Weg des Geldes von der Zentralbank an den Staat (und von dort über Aufträge an die Privatwirtschaft) eine schwächelnde Wirtschaft wieder in Schwung bringen.

Die Notwendigkeit einer Staatsfinanzierung durch Zentralbanken aber ist tiefer begründet: nämlich im Anspruch auf die Souveränität einer Gesellschaft. Unter den Zwängen der wachsenden Verschuldung gegenüber einer kleinen, wohlhabenden Schicht ist eine Regierung nicht demokratisch kontrollierbar. Die Macht liegt am Ende immer bei den Gläubigern.

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