Das Hirngespinst des Gedankenlesens
Seite 2: Das inadäquate Paradigma vom Verhältnis von Karte und Gebiet
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Die fMRT-Korrelationsforschung geht offenkundig unkritisch davon aus, dass sie es mit einer ganz spezifischen Korrelation zu tun hat - nämlich, dass es sich bei den komplexen Mustern, wie sie in den fMRTs gemessen bzw. erzeugt werden, prinzipiell um Abbildungen von gedanklichen Prozessen handeln würde. Dies entsprechend dem Verhältnis von Karte und Gebiet. Demnach würde man sich mit einem Blick auf eine Landkarte (dem fMRT - Muster) eine Orientierung über die Landschaft (die Gedankenwelt) verschaffen können.
Die sich gemäß dieser Prämisse ergebenden Schwierigkeiten sind dann nicht prinzipieller, sondern technischer Natur. Zu berücksichtigen ist etwa, dass es sich nicht um eine statische (Land-)Karte handelt, sondern von dynamischen Verhältnissen auszugehen ist. Verhältnisse, nebenbei bemerkt, die derzeit mit EEGs sehr viel besser messbar sind, als mit fMRTs. Weiter ist ein der neuronalen Aktivität entsprechend hohes, detailliertes Auflösungsvermögen der fMRT-Muster vorausgesetzt. Nicht zuletzt bedarf es fortschrittlicher, computerunterstützter Methoden der Mustererkennung, um den gedanklichen Fluss aus den gemessenen Mustern zu entschlüsseln.
Wie folgt wird erläutert, dass sich neuronale Aktivität, wie durch fMRTs gemessen werden kann, und gedanklicher Fluss keineswegs im Verhältnis einer Abbildung befinden kann. Die fMRT-Korrelationsforschung geht von falschen Prämissen aus. Die Schwierigkeit (bzw. Unmöglichkeit) des Gedankenlesens ist damit nicht technischer, sondern prinzipieller Natur.
Synchronizität von neuronaler und gedanklicher Aktivität
Eine Abbildung setzt eine zeitliche Stabilität zwischen Abbild und Abgebildetem voraus. Landkarten können deshalb hergestellt werden, weil sichergestellt ist, dass sich Abgebildetes (Landschaft) während der Abbildung nicht - zumal nicht durch die Abbildung selbst! - verändert. Nur so ist es möglich, Kausalität zu konstruieren. Das Abbild kann als durch das Abgebildete determiniert verstanden werden.
Genau dieses Verhältnis ist in der Beziehung zwischen gedanklicher und neuronaler Aktivität nicht gegeben. Hier muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass das neuronale System (neuronale Erregungen reproduzierende neuronale Erregungen) und das Bewusstsein (das System Gedanken reproduzierender Gedanken) synchron aktiviert sind. Es muss davon ausgegangen werden, dass das Bewusstsein das neuronale System ebenso irritieren kann, wie umgekehrt. Gerade deshalb, weil unter Verhältnissen synchroner Aktivität - von gleichwohl zu unterscheidender Operationen: Gedanken vs. neuronale Erregungspotentiale - keine zeitlich aufeinander bezogenen Zustände unterscheidbar sind, kann hier allenfalls von gegenseitiger Irritation, nicht aber von Determination im Sinne eines Verhältnisses von Abgebildetem zu Abbild die Rede sein.
Neuronales und gedanklich operierendes System sind gewissermaßen zugleich als Abbild und Abgebildetes des je anderen Systems zu verstehen. Zeitlich nachgeordnete Zustände (Kausalität bzw. Determination) sind deshalb nur systemintern identifizierbar, nicht jedoch systemübergreifend. Ein Gedanke bedingt einen anderen Gedanken; ein neuronales Erregungspotential führt zu einem anderen neuronalem Erregungspotential. Die Referenz dieser feststellbaren Kausalitäten liegt allerdings wiederum auf der Ebene sozialer, kommunikativ operierender Systeme und nicht auf der Ebene des Bewusstsein bzw. des neuronalen Systems. Erfolgt also etwa im System der Wissenschaft oder wie nun hier massenmedial in einem Telepolis-Artikel.
Festzuhalten ist demnach, dass unter diesen Verhältnissen die Prämisse falsch ist, dass neuronale Operationen ein Abbild gedanklicher Operationen wären, das mit einer adäquaten Mustererkennungssoftware "lesbar" sein könnte.
Unauflösbare Selbst- und Fremdreferenz von neuronaler und gedanklicher Aktivität
Bei der Konstruktion einer Landkarte ist entscheidend, dass selbstreferentielle, beobachterbezogene Einflüsse, Einflüsse also, die der Willkür des Kartographen unterliegen, weitestgehend ausgeschaltet werden. Dies geschieht durch soziale Normierung. Unterscheidungen in der Karte, die Kennzeichnung von Böschungen z. B., die Art, wie unterschiedliche Wege markiert werden, die Kennzeichnung von Höhen (etwa durch Höhenlinien), lassen sich auf dieses Weise "rein" fremdreferentiell, landschaftsbezogen zurechnen. Die Bedeutung der Unterschiede ist überindividuell, folgt nicht den willkürlichen Vorlieben eines Kartographen.
Erst dadurch wird es funktional, im Lesen der Karte durch einen Beobachter möglich, dass er festgestellte Unterschiede ausschließlich selbstreferentiell in Bezugnahme auf die eigene Beobachterposition zurechnen kann. Nur so ist eine Positionierung, die Orientierung eines Beobachters möglich ("Ah ja, das Haus dort [in der Landschaft] befindet sich hier [in der Karte] - also muss ich mich "hier" [in der Karte bzw. Landschaft] befinden").
Funktional charakteristisch für eine Karte ist also nicht, dass hier Abbild und Abgebildetes miteinander identifiziert werden könnten, sondern vielmehr, dass hier festgestellte Unterschiede ausschließlich selbstreferentiell einen Unterschied machen, also die Beobachterposition, die Position des Kartenlesenden betreffend.
Charakteristisch für das neuronale System bzw. des Bewusstsein ist hingegen, dass diese Systeme synchron operieren und damit gleichermaßen als Abgebildetes (fremdreferentieller Bezug) wie auch als Abbild (selbstreferentieller Bezug) des je anderen Systems verstanden werden müssen. In der Konstituierung dieser Systeme ist selbst- und fremdreferentieller Bezug also auf unauflösbare Weise miteinander verquickt. In Bezug auf diese Systeme zwischen Operationen zu unterscheiden, die fremdreferentiell (also durch das je andere System) bestimmt sind, bzw. lediglich dem eigenem Erhalt als System dienen und somit selbstreferentiell orientiert sind, ist unmöglich.
Neuronales System bzw. das Bewusstsein als gedanklich operierendes System unterscheiden sich insofern fundamental von sozialen, kommunikativ operierenden Systemen. Soziale Systeme erlauben offenkundig Konstruktionen, die die Auswirkung von Selbstreferenz (Beobachtereinfluss) und Fremdreferenz (Einfluss des Beobachteten) unterschiedlich gewichten können. So kann, wie erwähnt, bei der Erstellung von Landkarten von selbstreferentiellen Einflüssen (des Kartographen) weitgehend abstrahiert werden. Weitere Beispiele liefert das System der Wissenschaft. Empirische Forschung ermöglicht, den Einfluss des Beobachters, also Selbstreferenz, zu minimieren, um generierte Informationen weitgehend fremdreferentiell, also dem Beobachtungsobjekt zurechnen zu können. Die "reine" Mathematik, andererseits, abstrahiert weitestgehend von fremdreferentiellen, sachlichen Bezügen, um Wahrheiten zu konstruieren, die nur von selbstreferentiellen "Setzungen" (Axiomen) abhängig sind.4
Klar wird damit einmal mehr, dass es inadäquat ist, das in sozialen Systemen konstruierbare Paradigma des Verhältnisses von Karte und Gebiet - das die Möglichkeit des Gedankenlesens mutmaßen lässt -, auf das Verhältnis von neuronalem und gedanklich operierendem System anzuwenden. Weder eine theoretische, zunächst weitgehend von fremdreferentiellen Einflüssen absehende, noch eine empirische, nach Möglichkeit Selbstreferenz (Beobachtereinfluss) ausschaltende Forschungsmethode kann den spezifischen Verhältnissen des Bewusstseins bzw. des neuronalen Systems gerecht werden. Selbst- und Fremdreferenz sind hier auf prinzipiell unauflösbare Weise miteinander verquickt. Gedankenlesen bleibt ein Ding der Unmöglichkeit. Jedenfalls außerhalb der Sphäre des individuellen Bewusstseins.
Die fMRT-Korrelationsforschung erscheint unter vorliegender Perspektive als eine Wissenschaft von den Rändern der Erdscheibe - obgleich gewusst werden kann, dass es sich bei der Erde um eine kugelartiges Gebilde, genauer gesagt, einen abgeflachten Sphäroid handelt.
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