Das Märchen von der palästinensischen Kompromisslosigkeit
- Das Märchen von der palästinensischen Kompromisslosigkeit
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Trumps "Friedensplan" und die Erzählung von den verhandlungsrenitenten Palästinensern, die keinen Staat bekommen, weil sie seit Jahrzehnten auf Maximalpositionen verharren. Ein Kommentar
Trumps "Friedensplan" für den Nahen Osten war nur wenige Stunden alt, da hatten ihn die Palästinenser schon abgelehnt. Einmal mehr lieferte die palästinensische Führung damit den Beleg für ihre eigene Kompromisslosigkeit. Eine Bande Fanatiker, die lieber weiter von der Vision eines judenfreien Palästinas träumt, als zum Wohle des eigenes Volkes Kompromisses einzugehen. Eine machthungrige Clique, die seit Jahrzehnten alles fordert und allein deshalb am Ende nichts bekommt.
So zumindest geht die Erzählung, die Kommentatoren und Spin-Doktoren seit vergangener Woche in die Welt setzen. Doch das Klischee der palästinensischen Verhandlungsrenitenz ist in etwa so wahr, wie Trumps einseitiger Vorschlag, die israelische Besatzung unter neuem Namen fortzusetzen, irgendetwas mit "Frieden" und "Zweistaatenlösung" zu tun hat.
In Wahrheit waren die palästinensischen Führungen der vergangenen Jahrzehnte immer wieder bereit, für Selbstbestimmung und Frieden weitreichende Kompromisse zu machen. Bekommen haben sie beides dennoch bis heute nicht.
Warum Palästinenser den UN-Teilungsplan von 1947 nicht abgelehnt haben
Die Erzählung von der palästinensischen Verhandlungsrenitenz beginnt meist im Jahr 1947. Am 29. November legten die Vereinten Nationen ihren Teilungsplan für Palästina vor. Aus damaliger Sicht hatten die Palästinenser allen Grund, den Plan abzulehnen.
Obwohl sie die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, sollte ihr Staat nur 44 Prozent der Fläche ausmachen. Während dem israelischen Staat fast alle Regionen mit jüdischen Bevölkerungsanteil zugeschlagen wurde, sollte ein Großteil der arabischen Bevölkerung in Israel leben. Über Nacht sollten sich damit Hunderttausende Bewohner des Landes unter einer politischen Führung wiederfinden, die sie nie gewollt und deren Milizen sie seit Jahren bekämpft hatten.
Doch trotz der für Palästinenser sehr ungünstigen Ausrichtung des Teilungsplans: Nicht alle arabischen Akteure der Region lehnten ihn ab. Der Premierminister Jordaniens und spätere Gouverneur über die jordanisch besetzten palästinensischen Gebiete, Hashem Pasha, stimmte dem Teilungsplan ebenso wie der arabische Bürgermeister Jerusalems Ragheb Bey. Von einer palästinensischen Ablehnung lässt sich auch allein deshalb nicht sprechen, weil es gar keine einheitliche palästinensische Führung gab, die sich zum Teilungsplan verhalten konnte.
Die Erzählung von den Palästinensern, die ihre Möglichkeit auf Selbstbestimmung verstreichen ließen, während die Juden ihre historische Chance nutzen, hat auch noch einen weiteren Haken: Auch auf jüdischer Seite gab es keine einheitliche Zustimmung zum Teilungsplan.
Vielen zionistischen Gruppen ging der Plan nicht weit genug. Menachem Begin, der damals mit der Irgun-Miliz die wichtigste bewaffnete Organisation des Zionisten befehligte und später zum Premierminister gewählt wurde, lehnte den Plan ebenso ab wie David Ben-Gurion. Am 7. Juli 1947 erklärte der spätere Staatsgründer Israelis in einer Rede vor der UN-Generalversammlung:
Palästina ist in drei Teile geteilt und nur in einem kleinen Teil ist es Juden erlaubt zu leben. Wir sind dagegen.
David Ben-Gurion
Auch die Realität jenes israelischen Staates, den Ben-Gurion am 14. Mai 1948 ausrief, hatte nichts mit den Bestimmungen des UN-Teilungsplans zu tun. Weder der geplante Grenzverlauf noch die Vorgabe, Jerusalem unter internationale Kontrolle zu stellen, wurden jemals verwirklicht. Auch an die Vorgabe, allen gesellschaftlichen Gruppen gleiche bürgerliche Rechte zu gewähren, hielt sich die neue israelische Regierung nicht.
Stattdessen stand die arabische Bevölkerung Israels, die Krieg und Vertreibungen überstanden hatte, bis 1966 unter Militärrecht. Und anstatt, wie vom Teilungsplan vorgesehen, 56 Prozent machte der Staat Israel am Ende seines Unabhängigkeitskrieges 78 Prozent des historischen Palästinas aus.
Der nahöstliche Friedensprozess begann mit einem historischen Entgegenkommen der Palästinenser
Es folgten Jahrzehnte, in denen eine israelisch-palästinensische Einigung schon daran scheiterte, dass man sich gegenseitig nicht anerkannte. Das galt für die palästinensische ebenso wie für die israelische Seite. Palästinenser als legitimes politisches Subjekt kamen in der israelischen Politik bis in die 90er Jahre schlichtweg nicht vor. Beispielhaft für das Verständnis jener Zeit ist eine Äußerung der israelischen Premierministerin Golda Meir vom 8. März 1969:
Wie können wir die besetzten Gebiete zurückgeben? Da gibt es keinen, dem wir diese zurückgeben können. So etwas wie Palästinenser gibt es nicht.
Golda Meir
Auch politische Lösungsvorschläge, die irgendeine Art der politischen Selbstbestimmung für Palästinenser vorsahen, gab es lange Zeit keine. Sieht man von immer wiederkehrenden Forderungen nach ethnischen Säuberungen ab, war die einzige relevante Idee, das Problem dauerhaft zu lösen, bis in die 1980er die sogenannte "Jordanische Option". Diese sah die Angliederung palästinensischer Bevölkerungszentren an das Königreich Jordanien und die Annexion des restlichen Landes an Israel vor.
Auch auf palästinensischer Seite dauerte es, bis man sich mit den realpolitischen Zuständen abgefunden hatte. Hatte die 1964 gegründete PLO anfangs noch den Anspruch auf das gesamte Palästina bekräftigt, begann sich in den 1970ern langsam die pragmatische Einsicht durchzusetzen, dass Selbstbestimmung bestenfalls in den Grenzen von 1949 möglich war: Also jenen 22 Prozent des historischen Palästinas, die heute als Westjordanland und Gazastreifen bezeichnet werden und die Israel 1967 im Sechstagekrieg besetzt hatte.
Diese Einsicht manifestierte sich schließlich in der "Palästinensischen Unabhängigkeitserklärung" von 15. November 1988. Der Palästinensische Nationalrates lehnte dort nicht nur "jegliche Form des Terrorismus" ab, er erkannte Israel auch erstmals implizit an und schuf so die Grundlage zu Verhandlungen über die neugeborene "Zweistaaten-Lösung".
Es war dieser schmerzhafte Schritt der Palästinenser, auf - aus ihrer Sicht - 78 Prozent des historischen Palästinas zu verzichten, der den Weg zum heutigen "Friedensprozess" im Nahen Osten überhaupt ermöglichte. Dieses historische Entgegenkommen der Palästinenser war so groß, dass Israel schließlich dem internationalen Druck nachgeben musste, die Palästinenser zumindest als Gesprächspartner anzuerkennen.
Fünf Jahre später und nach monatelangen Geheimverhandlungen im norwegischen Oslo folgte am 13. November 1993 schließlich auch offizielle der Beginn des israelisch-palästinensischen "Friedensprozess". In der sogenannten "Prinzipienerklärung" erkannten sich PLO und Israel erstmals offiziell gegenseitig an.. Es war der Startpunkt eines jahrzehntelangen Verhandlungsprozess, der gewissermaßen bis heute andauert. Begonnen hatte er mit palästinensischer Kompromissbereitschaft.
Als die Palästinenser Völkerrecht gegen Verhandlungen tauschten
Wie groß dieser Schritt war, lässt sich noch an einem weiteren Aspekt festmachen: Nicht nur hatten die Palästinenser den Staat Israel anerkannt, sie hatten auch die Verwirklichung eines eigenen palästinensische Staates in die Hände Israels gelegt. Seit der Prinzipienerklärung ist die Realisierung palästinensischer Selbstbestimmung exklusiver Gegenstand israelisch-palästinensischer Verhandlungen.
So wurde es in zahllosen Vereinbarungen immer wieder festgeschrieben. Ein völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Selbstbestimmung hatten die palästinensische Führung damit eingetauscht gegen Verhandlungen mit ungewissem Ausgang.
Denn die Frage palästinensischer Souveränität hatten die Vereinten Nationen längst eindeutig beantwortet. Das Recht auf Selbstbestimmung ist weder etwas, das sich die Palästinenser ausgedacht haben, noch ist es abhängig von israelischer oder amerikanischer Zustimmung. Es ist ein völkerrechtlicher Grundsatz, der in Artikel 1 der UN-Charta niedergeschrieben ist.
Dass dieses Recht auf Selbstbestimmung auch für Palästinenser gilt, hatten die UN in mehreren Resolutionen bestätigt. In Resolution 2792 der UN-Generalversammlung aus dem Jahr 1971 heißt es zum Beispiel: "... the people of Palestine are entitled to equal rights and selfdetermination in accordance with the Charter of the United Nations."
Eine Einschätzung, die bis heute Gültigkeit hat, und die zum Beispiel vom Internationalen Gerichtshof im Jahr 2004 bestätigt wurde.
Auch auf die Frage, wo diese Selbstbestimmung stattfinden sollte und wie Frieden in Nahost zur erreichen sei, hatte das Völkerrecht längst eine eindeutige Antwort. In Resolution 242 vom 22. vom November 1967 forderte der UN-Sicherheitsrat erstmals den Rückzug der israelischen Armee aus den 1967 besetzten Gebieten als Grundlage eines "gerechten und andauernden Friedens".
Wie der Nahost-Konflikt zu lösen sei, hatte Internationales Recht längst eindeutig vorgegeben. Doch die Palästinenser beließen es nicht dabei, sich auf UN-Resolutionen zu berufen, die ihnen längst einen Staat in den Grenzen von 1949 versprachen. Stattdessen wussten sie um die realpolitischen Gegebenheiten der Region und gingen auf Israel zu.
Der Schritt der Palästinenser, die Umsetzung des eigenen völkerrechtlich verbrieften Recht auf Selbstbestimmung vom Wohlwollen israelischer Politiker abhängig zu machen, ist vielleicht das größte Entgegenkommen in der Geschichte des Nahostkonflikts. Und es ist eine Entscheidung, die die palästinensische Gesellschaft bis heute tief entzweit.