Das Märchen von der palästinensischen Kompromisslosigkeit
Seite 2: Der Mythos vom "großzügigen Angebot" in Camp David
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Belohnt wurde dieser Schritt nicht. Die von EU und USA befeuerten Hoffnungen, israelisch-palästinensische Verhandlungen würden nicht nur schnell zu palästinensischer Selbstbestimmung, sondern auch zu Frieden und Wohlstand im Nahen Osten führen, erfüllten sich nicht.
Stattdessen gingen die "Friedensjahre" von Oslo einher mit immer mehr Gewalt, wirtschaftlicher Not und einem immer rascher voranschreitenden Ausbau israelischer Siedlungen. Es dauerte bis zum 5. Juli 2000 bis sich nach unzähligen Verhandlungsrunden, Konferenzen, Eskalationen und Versöhnungen Israelis und Palästinenser schließlich zu den sogenannten "Endstatusverhandlungen" im amerikanischen Camp David trafen.
Als diese knapp drei Wochen später ergebnislos endeten, setzte sich schnell die Deutung durch, wonach fehlende palästinensische Kompromissfähigkeit die Verhandlungen zum Scheitern geführt habe. Fast schon sprichwörtlich für die ungleiche Verhandlungsbereitschaft im Nahostkonflikt steht seitdem "Barak's Generous Offers" - also das vermeintlich großzügige Angebot des israelischen Premierministers Ehud Baraks, das an einem einen starrköpfigen Jassir Arafat abgeprallt sei. Bis heute gilt das Scheitern von Camp David vielen als der ultimative Beleg für die Unfähigkeit der Palästinenser, Kompromiss einzugehen.
Gedeihen konnte dieser Mythos auch deshalb so gut, weil die Verhandlungen aufgrund ihres Scheiterns keine Abschlussdokumente hinterlassen haben und so politisch motivierten Verzerrungen Raum gegeben wurde.
Mehrere Leaks von zuvor unter Verschluss gehaltenen Präsentationen, Gesprächsprotokollen und Briefwechseln (v.a durch al-Jazeera und dem Guardian, aber auch Haaretz) haben in den vergangenen Jahren diese Lücke geschlossen. Sie zeigen, zu welchen weitreichenden Konzessionen die palästinensische Seite in Camp David bereit war. Gemeinsam mit zahlreichen mittlerweile erschienenen Memoiren und Interviews ergibt sich heute ein sehr viel realistischeres Bild der Verhandlungssituation in Camp David.
Demnach hat es Ehud Baraks "großzügiges Angebot" nie gegeben. Statt eines Palästinas in 97 Prozent der Westbank und des Gazastreifens, wie Politiker damals berichteten, umfasste das israelische Angebot vier palästinensische Kantone, die durch israelisch kontrollierte Straßen und Absperrungen voneinander getrennt sein sollten. Die größeren israelischen Siedlungsblöcke sollten ebenso unter israelischer Kontrolle verbleiben wie das Jordantal.
Eine palästinensische Regierung sollte weder über eigene bewaffnete Kräfte verfügen noch die eigenen Außengrenzen kontrollieren dürfen. Der Großteil von palästinensischer Außen- und Innenpolitik sollte auch in Zukunft von der Zustimmung Israels abhängig sein. Kurzgefasst: Statt eines souveränen Staates Palästinas schlug Barak die Fortführung der israelischen Besatzung unter anderem Namen vor.
Die noch größere Überraschung offenbaren die Dokumente allerdings auf palästinensischer Seite: Denn obwohl von wirklicher palästinensischer Selbstbestimmung nicht die Rede sein konnte, hatte Arafats Verhandlungsteam den meisten Punkten offenbar zugestimmt An welchem Punkt die Verhandlungen schließlich scheitern, ist bis heute nicht ganz sicher.
Womöglich ging es um den Zugang der Palästinenser zur al-Aqsa-Moschee und dem Felsendom in Jerusalem. Aber sicher ist: Auch in Camp David waren es die Palästinenser, die zugunsten von Frieden und Selbstbestimmung erneut zu weitreichenden Zugeständnissen bereit waren.
Als alle Arabischen Staaten und die Palästinenser Israel Frieden anboten
Auch israelische Medien und Politiker, die der palästinensischen Führung sonst kritisch gegenüberstehen, würdigen vereinzelt die Kompromissbereitschaft der palästinensischen Führung in den vergangenen Jahren. Um zu erklären, warum es dennoch keinen Friedensschluss gibt, verweisen sie stattdessen auf andere arabische und palästinensische Akteure wie Iran und Hamas, die einem Frieden entgegenstünden. Doch auch dieses Argument ist seit einigen Jahren hinfällig.
Am 27. März 2000 verabschiedete die Arabische Liga im Namen aller 22 arabischen Staaten die "Arabische Friedensinitiative". Für einen Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten sieht diese eine vollständige Normalisierung der Beziehungen zu Israel vor. Der Initiative schloss sich im Juni 2002 auch die Organisation für Islamische Zusammenarbeit an, die 57 Staaten inklusive des Iran vertritt. Im Jahr 2007 stimmte außerdem die Führung der Hamas der Initiative zu. Israel lehnt das Angebot bis heute ebenso ab wie zahlreiche anderen Initiativen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure, einen Frieden auf Basis von UN-Sicherheitsrat-Resolution 242 zu erreichen.
Gescheitert sind auch die letzten bekannt geworden Geheimverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern. Im Jahr 2011 zeigte ein Leak Hunderter Memos, E-Mails, Karten und Briefe, dass die palästinensische Führung offenbar noch einmal bereit war, über die Zusagen in Camp David hinauszugehen.
Demnach stimmten die palästinensischen Unterhändler im Jahr 2008 zu, auf das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge zu verzichten. Stattdessen sollte nur eine symbolische Zahl von 10.000 Palästinenser in ihre Heimat zurückkehren dürfen. Israel sollte zudem die meisten seiner Siedlungen annektieren dürfen.
Das Gebilde, das für einen palästinensischen "Staat" in diesen Verhandlungen übrig blieb, dürfte in vielerlei Hinsicht an jene verstreuten und fremdbestimmten Enklaven, die Donald Trump nun als seinen "Friedensplan" vorstellte.
Gescheitert sind die letzten bekannt gewordenen Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinenser vermutlich an der Verweigerungshaltung des damals neu gewählten israelischen Premierministers Netanjahu, dem selbst diese Pläne noch zu weit gingen. Gescheitert ist der Traum von palästinensischer Selbstbestimmung aber vielleicht auch an einer palästinensischen Führung, die zu so vielen Kompromissen bereit war, bis von einem palästinensischen Staat nichts mehr übrig war.