Das Monster kehrt zurück
Über das Revival von Rassismus und Bigotterie in den USA
Rassismus war immer ein Teil der US-amerikanischen Gesellschaft, in all ihren Bereichen. Von den brutalen Realitäten der Sklavenökonomie über die Terrorakte des Ku-Klux-Klan bis zum Fall Rodney King: Rassismus hat die Geschichte der USA mitbestimmt. Er wird das auch weiterhin tun, wie sein aktuelles Aufflammen belegt.
Und damit sind nicht nur die sehr sichtbaren Fälle wie der von Trayvon Martin und das Massaker gemeint, das der Neonazi Wade Page in einem Sikh-Tempel verübt hat. Oder der chaotische Ausbruch von Polizeigewalt am 21.7.2012 in Anaheim (Kalifornien), der sich gegen mexikanische Einwanderer richtete (No Passage to Disneyland). Es geht vielmehr um einen rassistischen Alltag, der sich in dem nicht so öffentlichen Sterben schwarzer Polizeiopfer vollzieht und in scheinbar kleinen Dingen wie der folgenden Statistik dokumentiert: In Champaign-Urbana (Illinois) waren von 2007-2011 über 90 Prozent der Personen, die wegen "Jay-Walking" festgenommen wurden, Schwarze ("Jay-Walking" ist Überqueren oder Begehen der Fahrbahn einer Straße abseits von Fußgängerüberwegen). Afroamerikaner stellen 16% der Bevölkerung in der Region Champaign-Urbana.
Es geht um den Aufschrei "enttäuschter" Zuschauer bei einem erfolgreichen Kinofilm, die entdecken müssen, dass zwei Hauptcharaktere ebenso schwarz sind wie in der Buchvorlage zum Film.
Die Liste kann endlos verlängert werden. Sie ergibt ein Muster, und dieses Muster besagt, dass das Monster Rassismus zurück ist. In Wahrheit sind es verschiedene Rassismen, die, manchmal gegeneinander, oft miteinander verzahnt, manchmal innerhalb, oft außerhalb der Behörden Minderheiten das Leben schwer machen. Ein besonders erschreckendes Zahnrad in diesem Getriebe des Hasses ist ein schwer fass- und abgrenzbarer Untergrund, der offenbar auf einen neuen US-amerikanischen Bürgerkrieg abzielt.
In zwei interessanten Artikeln hat der Journalist Charles P. Pierce Konturen dieses Untergrunds aufgezeigt. Bewaffnet bis an die Zähne und tödlich patriotisch wähnen sich die "Souveränen Bürger" ("sovereign citizens") längst im Krieg mit der Zentralregierung - einer Zentralregierung zumal, die von einem schwarzen Präsidenten angeführt wird - und beharren auf einer US-Verfassung, die praktisch nur noch aus dem 2. Amendment besteht: dem immerwährenden, unveräußerlichen, heiligen Recht, Feuerwaffen zu tragen (FBI warnt vor den "Souveränen Bürgern"). Was im Falle der "Souveränen Bürger" schon allein deswegen wichtig ist, weil sie an den USA alles andere ablehnen. Diese Ablehnung hat schon in einigen Fällen Repräsentanten des Staates USA das Leben gekostet. Charles P. Pierce schreibt:
Die Souveränen Bürger leben in einem perfekten ausgeformten Paralleluniversum, mit ihren eigenen Formularen, ihrer eigenen Geschichte, und, in einigen Fällen auch ihrer eigenen Religion, und das macht sie bedrohlicher als eine Gruppe von Gangstern, die gerne Polizisten ermorden.
Und, wie es bei Extremisten dieser Couleur üblich ist, reicht ihr Einfluss bis weit in die politische Mitte. Das fängt bei der Ideologie des aktuellen republikanischen Präsidentschaftskandidaten und seines Stellvertreters an und hört noch lange nicht bei Pseudohistorikern wie David Barton auf, die glauben, die USA seien als das gelobte Land eines christlichen Fundamentalismus gegründet worden - weswegen sie das natürlich auch immer zu bleiben hätten. Zwar wurde Barton jüngst so derber historischer Verzerrungen überführt, dass sein Verleger sein letztes, kommerziell sehr erfolgreiches Buch "The Jefferson Lies" wieder aus dem Programm nahm.
Aber Pierce hält die Bewegung und die ideologische Strömung, der Barton zugerechnet werden kann, für so stark, dass er von den "beiden USA" spricht, und in der zweiten Variante halten sich alle bevorzugt auf, die die Geschicke des Landes gerne von weißen, christlichen, bewaffneten Männern bestimmt sähen. In diesem La-La-Land gäbe es keine Evolution und keine menschengemachte Klimaveränderung, keine Homosexualität, und, ganz wichtig, keine Steuern.
Natürlich belassen es diese amerikanischen Taliban nicht bei mörderischem Hass auf Vertreter der Zentralregierung. Sie sind, wie ihre afghanischen und pakistanischen Gegenstücke, darauf erpicht, das Land - ihr Land - von allen zu reinigen, die nicht hineinpassen. Und das sind viele. Pierce berichtet in einem zweiten bemerkenswerten Esquire-Artikel (The bomb that didn't go off) von einem Terror-Anschlag, der glücklicherweise verhindert werden konnte, und von dem in den USA und erst recht außerhalb kaum jemand gehört hat. Am 17.1.2011 plante ein Neonazi namens Kevin Harpham, die Veranstaltungen in Spokane (Staat Washington) zum Martin-Luther-King-Tag in Fetzen zu bomben, was ihm nur deswegen nicht gelang, weil die Tasche mit der Bombe, die er auf einer Parkbank deponiert hatte, drei Mitarbeitern der örtlichen Stadtwerke auffiel. Harpham, wie der Sikh-Mörder Wade Page ein Veteran der US-Armee, sagte bei seiner Verurteilung zu 32 Jahren Gefängnis, man könne ihn mit einem Christen vergleichen, der gegen gleichgeschlechtliche Ehen protestiert - nur sei er ein bisschen extremer und gefährlicher.
Das Southern Law Poverty Center, eine seit 1971 existierende Bürgerrechtsvereinigung, führt an, dass die militante rechte Subkultur auch im Zeichen der anstehenden Präsidentschaftswahlen explosionsartig angewachsen ist, und dass Patrioten vom Schlage der "Souveränen Bürger" dabei den stärksten Zulauf hatten.
Die Zahl dieser Gruppen ist im dritten Jahr in Folge sprungartig angewachsen - dieses Mal um 55%, von 824 im Jahr 2010 auf 1274 in 2011.
Wer jetzt wieder einmal glaubt, sich über die dummen und rohen Amerikaner ereifern zu müssen, sollte vielleicht darüber nachdenken, wie viel vom mörderischen Wahn der "Souveränen Bürger" in einem Anders Breivik gesteckt hat, als er seine Untaten plante und durchführte. Oder in den Killern des NSU und ihren behördlichen Unterstützern (Schalldämpfer). Der bewaffnete Wahn der Patrioten und Retter der weißen Rasse/der christlichen Religion/der Männerherrschaft ist kein reines Problem der USA. Aber das kann nicht davon ablenken, dass er in den USA ein großes Problem ist.