"Das Problem ist, dass es in Europa noch immer terroristische Ideologien gibt"

Dora Bakogian, ehemalige Außenministerin, Kulturministerin und Athener Bürgermeisterin, über die Briefbomben und Griechenland in der Krise

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Nur wenige Tage, nachdem Paketbomben islamistischer Terroristen aus dem Jemen entdeckt wurden, konnte eine Gruppe jugendlicher, hellenischer Terroristen zahlreiche mit Explosivstoffen gefüllte Päckchen an diplomatische Vertretungen und hochrangige ausländische Regierungschefs senden. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel war ebenso Adressat (siehe Aus Athen nach Berlin - ohne Liebe, aber mit explosivem Inhalt) wie auch der französische Präsident Nicolas Sarkozy, der italienische Premierminister Silvio Berlusconi und der Internationale Gerichtshof in den Haag. In Athen kursierte der Witz, dass jeder Politiker, der kein solches Paket erhalten habe, über seine politische Wichtigkeit nachdenken müsse.

Täglich wurden vergangene Woche neue Bombenfunde gemeldet, vierzehn sind bereits eindeutig identifiziert; nach weiteren Sendungen, über die es bereits Anhaltspunkte gibt, wird noch gefahndet. Erschreckend ist, dass zahlreiche dieser Pakete erst durch eine Kontrolle beim Empfänger entdeckt werden konnten. Bei den Adressanten mindestens zweier Pakete - bei der Russischen Botschaft und der diplomatischen Vertretung der Schweiz - sind Verletzungen von Personen buchstäblich erst im letzten Moment verhindert worden. In Hollywood-reifer Manier hatte ein russischer Botschaftsangestellter, der beim Empfang des Pakets Verdacht geschöpft hatte, die Buchsendung in einen Briefkasten geworfen, wo sie sofort explodierte.

Zwar gab es bis auf eine verletzte Postangestellte keinen weiteren Personenschaden, was aber vor allem an der Wahl von Schwarzpulver als Sprengstoff und nicht an den löchrigen Sicherheitsmaßnahmen lag. Die Bomben sollten offenbar erschrecken und nicht töten.

“Milchbubis mit Talent zum Fürchten“

Dennoch fügte die Terroraktion dem Land viel Schaden zu. „Der Terror untergräbt die intensiven Bemühungen des Landes, seine Wirtschaft zu retten“, kommentierte Staatspräsident Karolos Papoulias, „jede Form der Gewalt ist zu verurteilen“. Die Hauptstadt Athen glich noch am vergangenen Donnerstag, vier Tage nach Festnahme von zwei der mutmaßlichen Täter, einer vom Terror erschütterten Stadt. Telefonische Bombendrohungen von Trittbrettfahrern und immer neue aufgefundene explosive Paketsendungen sorgten noch am Donnerstag regelmäßig für Straßensperrungen und spektakuläre Einsätze von Antiterroreinheiten und Bombenspezialisten.

Schlimmer als das aufgrund des Terrors ausgelöste Verkehrschaos traf die Griechen ein achtundvierzigstündiger Auslieferungsstopp für Paketsendungen ins Ausland und eine spürbare Verzögerung inländischer Postauslieferungen. Viele ältere Hellenen zeigen sich darüber hinaus verängstigt.

Dionysia P. verfolgt die Fernsehnachrichten in einem kleinen Krämerladen im Athener Stadtteil Kypseli. Politiker kommentieren die Lage. „Das ist wie vor der Militärdiktatur. Auch damals gab es eine organisierte Verunsicherung vor Wahlen. Danach rollten die Panzer. Wer sagt mir, dass es diesmal etwas anderes ist? Wie soll ich glauben, dass die Milchbubis das Talent und die Möglichkeit haben, solche Taten durchzuführen? Ich habe Angst“, sagt sie. Ihren Namen möchte sie nicht in einer Zeitung sehen. „Ich habe wirklich Angst“, entschuldigt sie sich, „denn denken Sie mal, auch damals – ich war noch jung – 1967 hieß der Premier Georgios Papandreou“. Es war der Großvater des aktuellen Premiers.

Telepolis sprach mit der griechischen Spitzenpolitikerin, Frau Dora Bakogianni, über die entdeckten Sicherheitslecks, die europäische Dimension des griechischen Terrors und die sozialen Hintergründe.

Es ist unfair, Griechenland als das schwarze Schaf Europas anzusehen

Guten Tag Frau Bakogianni. Ich würde Ihnen gerne vieles erzählen und viele Fragen stellen aber zunächst möchte ich mich bedanken, dass Sie uns Zeit zur Verfügung gestellt haben. Das Image Griechenlands im Ausland ist schlecht, es entspricht einem Staat der Dritten Welt. Dazu kommt nun der Terrorismus, der bis ins deutsche Bundeskanzleramt vorgedrungen ist. Wir hören, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel schärfere Maßnahmen verlangt, diesmal keine wirtschaftlichen, sondern Sicherheitsmaßnahmen.

Dora Bakogianni:: Zuerst einmal möchte ich anmerken, dass die Frage der Cargo-Sicherheit erst vor fünf Tagen vom amerikanischen Präsidenten Barack Obama anlässlich der Briefbomben aus dem Jemen aufgeworfen wurde. Es steht fest, dass die internationalen Cargo-Flüge bisher nicht den gleichen Sicherheitsstandards, die für Personflüge gelten, unterworfen wurden. Diese Sicherheitslücke müssen wir zuerst auf europäischer Ebene und dann auch international mit einer gemeinsamen Politik schließen. Das Problem betrifft nicht nur Griechenland.

In der Tat jedoch sind einige Briefbomben von Griechenland aus versandt worden. Allerdings hat die griechische Polizei bereits umgehend mutmaßliche Terroristen festnehmen können. Die Behörden sind intensiv mit einer weiteren Aufklärung beschäftigt. Ich glaube man tut dem Land unrecht, wenn man ihm eine lasche Sicherheitspolitik vorwirft. Die hellenische Polizei hat vor kurzem zwei größere Terrororganisationen zerschlagen und konnte auch diesmal sehr schnell Festnahmen vermelden. Wir durchleben allgemein eine schwere Zeit. Es ist allgemein bekannt, dass Themen des inländischen oder internationalen Terrorismus alle Staaten intensiv beschäftigen. Das, was aktuell am meisten benötigt wird, ist eine intensive Zusammenarbeit gegen den Terrorismus und nicht gegenseitige Beschuldigungen.

Sicher, aber der griechische Terrorexport ist momentan internationales Medienthema. Dazu kommt die allgemeine Abwertung des Landes als Land der Staatspleite mit Betrügern und Faulenzern. Erst am Mittwoch konstatierte z.B. der Spiegel, dass den Menschen im Land alle Perspektiven fehlen, und postulierte, die jüngsten Terroraktionen seien eine Art Demonstration unterdrückter Bürger Griechenlands. Auch in anderen Medien finden sich ähnliche Bewertungen.

Dora Bakogianni:: Solche Analysen fußen auf einer unzureichenden Sachkenntnis der griechischen Realität. Es gibt in der Tat eine große Armut unter der griechischen Bevölkerung, die Menschen stehen vor großen Problemen. Der inländische Terrorismus wird aber - wie im Übrigen in anderen Staaten auch - nicht von armen Menschen betrieben. Menschen, die terroristischem Aktionismus wählen, stammen meist aus wohlhabenden Familien. In diesem Zusammenhang finden leider meist nur oberflächliche Analysen statt.

Das Problem ist in der Tat, dass es in Europa und auch in Griechenland immer noch terroristische Ideologien gibt. Hier ist der Ansatzpunkt. Solchen Ideologien müssen wir mit dem von mir seit Jahren propagierten einzig möglichen Gegenmittel begegnen. "Keine Toleranz für Terror".

Eine letzte Frage noch. Es geht um das internationale Ansehen Griechenlands. Zu Ihrer Zeit als Außenministerin und vorher Olympiagastgeberin war es noch gut. Ist das aktuell schlechte Image nur eine Folge der Wirtschaftskrise oder sehen sie auch politische Fehler?

Dora Bakogianni: Das internationale Bild Griechenlands war um vieles besser.

Lag es an den Olympischen Spielen oder der Politik?

Dora Bakogianni: Ich möchte niemanden übervorteilen - auch politische Gegner nicht. Der Imageverlust hängt sicherlich in großem Maß mit der Wirtschaftskrise zusammen. Aber ich glaube trotzdem, dass außenpolitisch aktuell Fehler gemacht werden. Wir brauchen keine schlagzeilenartigen Werbeaktionen, sondern eine reale Darstellung der griechischen Realität. Griechenland ist kein Land, in dem ein Bürgerkrieg herrscht. Es ist kein Staat, der sich aufgegeben hat, sondern ein Staat der für seinen Aufschwung kämpft.

Keine Regierung in ganz Europa, die vergleichbare Sparmaßnahmen durchführt, würde ernsthaft erwarten, dass die Bürger die sozialen Einschnitte mit Partys auf der Straße feiern. Es ist daher unfair, Griechenland als das schwarze Schaf Europas anzusehen. Deshalb beunruhigt mich persönlich die Reaktion der europäischen Staatsführer. Probleme gibt es in allen Staaten, ob in Deutschland, Irland, Spanien oder Portugal, wir stehen alle vor einer großen Herausforderung. Um diese zu meistern, brauchen wir langfristig gesehen mehr Europa und eine stärkere Solidarität innerhalb der Gemeinschaft als noch vor zwei Jahren. Stattdessen sehen wir, dass sich die meisten Staatschefs den einfachen Weg wählen und sich in nationale Schneckenhäuser zurückziehen.