Das "Superwahljahr"
2011 finden in mindestens sieben Bundesländern Wahlen statt. Die Ergebnisse, die erwartet werden, sind unterschiedlich.
Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl am 20. Februar scheint der Ausgang relativ vorhersagbar: Weil die SPD in Umfragen bei über 40 Prozent liegt und die GAL mit 15 bis 20 rechnen darf, deutet alles auf einen rot-grünen Senat unter Führung von Olaf Scholz hin, der zu Gerhard Schröders Zeiten SPD-Generalsekretär war. Mit der Linkspartei wird Scholz wohl auch dann nicht regieren, wenn sie sich als kleinerer und handzahmerer Partner als die Grünen anbieten würde. Und weil die CDU, die bei der letzten Wahl noch auf 46,6 Prozent kam, in den Umfragen nur um die 25 und die FDP unter 5 Prozent liegt, sind andere Regierungskonstellationen derzeit wenig realistisch. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es für eine rot-gelbe Mehrheit reichen würde, hat sich die FDP aber vorsichtshalber schon einmal für eine Koalition mit der SPD ins Spiel gebracht.
In Sachsen-Anhalt, wo am 20. März gewählt wird, muss die SPD (anders als in Hamburg) mit deutlichen Stimmverlusten rechnen. Derzeit verharrt sie in Umfragen um die 20 Prozent, während die Linkspartei mit etwa 30 mit der CDU gleichauf oder sogar darüber liegt. Trotzdem hat Linkspartei-Spitzenkandidat Wulf Gallert nur geringe Chancen, Ministerpräsident zu werden: Denn selbst wenn eine deutlich schwächere SPD mit seiner Partei und nicht mit der CDU koaliert, tut sie das wahrscheinlich nur unter der Bedingung, dass sie selbst den Regierungschef stellten darf. Andere Koalitionskonstellationen gelten nach bisherigen Umfragen als rechnerisch unwahrscheinlich. Als weitere Partei ziehen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Grünen in den Magdeburger Landtag ein, aber auch FDP und NPD rechnen sich noch Chancen darauf aus.
Spannender wird die Wahl in Baden-Württemberg, die eine Woche darauf stattfindet. Hier könnten die Auseinandersetzungen um die teure Tieferlegung des Stuttgarter Bahnhofs und die Politik der Bundesregierung dem CDU-Ministerpräsidenten Mappus so stark geschadet haben, dass keine schwarz-gelbe Mehrheit zustande kommt. Dies gilt vor allem für den Fall, dass die FDP in ihrem "Stammland" an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert - was aktuell durchaus möglich scheint. Reicht es für eine rot-grüne Koalition, dann könnte diese im Falle eines höheren Stimmanteils der Ökopartei zum ersten grünen Ministerpräsidenten in einem deutschen Bundesland führen. Zieht die Linke, die in Umfragen gleichauf mit der FDP liegt, in den Landtag ein, dann wird eine Koalition aus CDU und Grünen oder CDU und SPD wahrscheinlicher. Mit oder ohne Mappus.
Ebenfalls am 27. März wird auch in Rheinland-Pfalz gewählt. In dem Bundesland, in dessen Staatskanzlei der im letzten Jahr knapp abgewehrte Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) maßgeblich mitentworfen wurde, muss Ministerpräsident Kurt Beck mit dem Verlust der absoluten Mehrheit rechnen. Wenn er Glück hat, dann koalieren die Grünen nach der Wahl mit ihm. Hat er Pech, dann entscheiden sie sich für die CDU, die in diesem Bundesland mit einer Frau an der Spitze antritt. Netzkompetenz könnten die Grünen in Rheinland-Pfalz beweisen, wenn sie als Voraussetzung für eine Regierungsbildung fordern, dass der JMStV-Hauptverantwortliche Martin Stadelmaier seinen Hut nehmen muss.
In Bremen, wo am 22. Mai gewählt wird, muss sich die SPD weniger Sorgen um die Grünen machen. Das liegt vor allem daran, dass die Ökopartei trotz Umfragewerten von bis zu 20 Prozent mit der bei nur wenig darüber liegenden CDU zusammen keine Mehrheit hätte und die FDP mit nur drei Prozent wahrscheinlich keinen Bürgerschaftssitz erringt. Schaffen könnte den Wiedereinzug ins Stadtparlament dagegen die Gruppe "Bürger in Wut", mit der die anderen Parteien jedoch ebenso wenig koalieren wollen wie mit der Linken, die in der Hansestadt bei achteinhalb Prozent liegt.
In Mecklenburg-Vorpommern, wo eine große Koalition regiert, dürfte die SPD ebenso wie in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt Federn lassen. Fraglich ist, ob dies bei der Wahl am 4. September in einem solchen Ausmaß geschieht, dass der von der SPD gestellte Ministerpräsident Erwin Sellering für einen Partnerwechsel bereit ist. Dies wäre möglicherweise dann der Fall, wenn die CDU die SPD überholt und den Posten des Regierungschefs für den derzeitigem Innenminister Lorenz Caffier fordert. In Frage kommen würde als neuer Koalitionspartner der SPD nur die in Umfragen fast gleichauf mit ihr liegende Linkspartei. Die Grünen und die FDP machen sich zwar (ebenso wie die NPD) Hoffnungen auf ein Überschreiten der Fünf-Prozent-Hürde, kommen aber nicht auf Werte, die eine Regierungsbeteiligung realistisch machen.
Die neben der baden-württemberger interessanteste Wahl findet 2011 in Berlin statt: In der Stadt mit einer großen schwäbischen Minderheit wollen die Grünen ebenfalls die SPD überholen, die bislang in einer Koalition mit der Linkspartei regiert. Diese Koalition hat zwar wenig Erfolge vorzuweisen, könnte nach der Wahl am 18. September aber trotzdem fortgesetzt werden, weil Klaus Wowereit dann seinen Posten nicht an Renate Künast abgeben muss. Landen die Grünen hinter der SPD, wird eine rot-grüne Koalition zwar wahrscheinlicher, ist aber durchaus keine zwingende Folge.
In Berlin hat auch die Piratenpartei realistische Chancen auf Sitze in mehreren Bezirksparlamenten. Selbst ein Einzug ins Abgeordnetenhaus scheint dort nicht ausgeschlossen. Bei den Bundestagswahlen 2009 erreichte die Partei in der Stadt 3,4 Prozent der Stimmen. Im Wahlbezirk Friedrichshain - Kreuzberg - Prenzlauer Berg Ost übersprang sie sogar deutlich die Fünf-Prozent-Hürde. Rückenwind geben könnte den Piraten die Medienaufmerksamkeit, die die Bewegung durch ihre Rolle bei der Jasminrevolution in Tunesien und die Beteiligung von Slim Amamou an der Übergangsregierung erhält.
Eine unbekannte Größe ist in Berlin die Partei Die Freiheit, die derzeit vor allem mit Islamkritik und der Befürwortung von Volksabstimmungen für sich wirbt. Sie wird von den CDU-Aussteigern René Stadtkewitz und Marco Doll angeführt. Der libertär geprägte Piratenrenegat Stefan König scheint dagegen weitgehend ausgebootet worden zu sein.
Eventuell kommen zu den sieben Wahlen 2011 sogar noch welche hinzu, wenn nämlich Regierungen stürzen. Ein möglicher Kandidat ist Nordrhein-Westfalen, wo das örtliche Verfassungsgericht gestern per einstweiliger Anordnung neue Kreditaufnahmen bis zur Entscheidung über eine Normenkontrollklage von CDU und FDP gegen den Nachtragshaushalt 2010 untersagte.
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