Das Symbol des Bösen

Seite 2: Manson-Kult

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Was davon jedoch Wahrheit und Lüge, Legende und Geständnis ist, ist auch nach Lektüre der von Manson höchstselbst autorisierten Erzählungen, Briefen und Gedichten sowie einigen Zeugnissen und Bekenntnissen des alten wie neuen Umfeldes nur schwer herauszufinden. Viele seiner Aussagen verharmlosen die Taten, sie bleiben widersprüchlich und triefen ab und an vor Selbstmitleid und Selbstgerechtigkeit. Auch danach wird nicht völlig klar, was die Menschen an Manson so attraktiv finden, warum er sie so in seinen Bann ziehen konnte, dass sie ihm ihr ganzes Leben geschenkt haben und immer noch schenken.

Noch immer gibt es nämlich Menschen, die sich allein wegen ihm und seiner banalen Weltsicht aus kapitalistischer Konsumkritik und besserer Welt von ihren Familien trennen. Um ihm ganz nahe zu sein und ihn in seinem "heroischen" Kampf zur Rettung von "Luft, Bäumen, Wasser und Tieren" zu unterstützen, ziehen sie in die Gegend rund um das Staatsgefängnis. Noch immer suchen ihn dort Menschen unterschiedlichsten Alters, unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichstem Geschlecht im Gefängnis auf, sie schreiben ihm salbungsvolle Briefe, schenken ihm Geld und fühlen sich hinterher geläutert, wenn er ihnen Audience gewährt oder er ihre Briefe von seinen Lakaien im Gefängnis beantworten lässt.

Und noch immer gibt es einen leidlich florierenden Devotionalienhandel mit Manson-Artikeln und Manson-Utensilien. Unzählige Filme, Bücher und Abhandlungen sind auf dem Markt. Auf eBay etwa werden Haarlocken, Skorpione und Spinnen, die er im Gefängnis bastelt, zu Höchstpreisen gehandelt. Sein Kopf und Name findet sich auf T-Shirts, Postern und Buttons. Und während Rockmusiker wie Sonic Youth, Gun'n'Roses oder System of a Down kurzzeitig in seinem Umfeld grasten oder gar Songs von ihm veröffentlichten, scheuen sich Jungbands wie Kasabian nicht, sich ihrer Namen zu bedienen. Vor zwei Jahren kümmerte sich die Hamburger Kunsthalle in einer Ausstellung um ihn. Und jüngst tauchte er gar zu Weihnachten unvermittelt in einer South-Park-Folge auf.

Unschuldslamm

Fakt ist, dass er nach wie vor jegliche Verantwortung für die Morde abstreitet, sich die Wahrheit so zurechtbiegt, wie sie ihm in den Kram passt, dabei aber doch unwillentlich verräterisch wird. Er habe, schreibt er an Welles, den Menschen nur zeigen wollen, was in ihnen stecke. Sein Verbrechen habe allenfalls darin bestanden, dass er nach dem ersten Mord an Gary Hinman "nicht sofort die Bullen" gerufen habe und "die Mädchen festnehmen ließ".

Dort, wo er herkäme, tue "man so etwas nicht". Die Gang sei "ein Teil" von ihm, "im Guten wie im Schlechten, im Recht oder Unrecht". Er habe zu den Mördern nur gesagt, wenn sie schon morden, dann müssten sie es "noch einmal tun, aber richtig professionell". Beispielsweise habe er das LaBianca-Anwesen nur in Augenschein genommen, um zu überprüfen, "ob die Tat überhaupt möglich war".

Schuld an seinem verkorksten Leben sei vor allem die US-amerikanische Gesellschaft. Nie habe er "eine Chance" bekommen, "einen Platz in der Gesellschaft zu finden", klagt er. Schon mit "zehn Jahren" habe man ihn "zum Teufel erklärt". Für alle sei er nur "eine Belastung" gewesen, "die niemand brauchte." Schon deswegen wollte er auch "nie Teil dieser kranken und falschen Welt sein."

Gleichwohl findet er nichts dabei, seine damalige Rolle als Leithammel und Drahtzieher mit derlei Erklärungen zu beschönigen und zu verniedlichen. Er habe seinen Getreuen damals nur gesagt, "sie sollten sich lieben, sich locker machen und sich nicht von den Erwartungen der Gesellschaft unter Druck setzen lassen". Sie sollten alles "tun, was in ihrer Macht steht, um die Krankheit der modernen Welt zu heilen". Dann sei jedoch dank Tex Watson und der Drogen alles außer Kontrolle geraten, die Mädchen drehten durch und seien gewaltbereit geworden. Hinterher hätten seine Jünger gegen ihn nur ausgesagt, um nicht in den Knast zu kommen.

Menschenfischer

Richtig ist, dass Manson ein sehr hartes Los erwischt hatte. Seine Mutter war eine sechzehnjährige Prostituierte und Kriminelle, seinen leiblichen Vater kannte er nicht, Mutter und Stiefvater lehnten ihn ab. Er wuchs wechselweise in Erziehungsheimen und Gefängnissen auf. Dort wurde er mit Praktiken und Methoden der Scientology Church und dem Kult um Aleister Crowley vertraut; und dort lernte er auch, wie man die Schwächen anderer geschickt ausnutzt, sie für sich dienstbar macht und in solchen Asylen zugleich "überlebt". Bevor er 1967 in den Sog der Hippie-Kultur geriet und sich Hoffnungen machte, ein großer Musiker zu werden, hatte der damals Dreiunddreißigjährige bereits zwei Drittel seines Lebens als Eingesperrter verbracht.

Die leutselige Zeit von Love & Peace bot ihm dann allerdings das nötige Umfeld für seine kruden Ideen und wirre Gesellschaftskritik. In Haight Asbury tummelten sich damals (wie heute noch) die ausgeflipptesten Gestalten, Künstler, Junkies, Schnorrer, Spinner und Weltverbesserer jeder Art, aber auch viele Leute, die verzweifelt und unbehaust waren, nach Halt, Sinn oder Identität suchten, sich sozial ausgestoßen fühlten und nach einem neuen Leben suchten. Für jemanden, der wie Manson die Rettung der Welt versprach, rhetorisch dazu nicht ganz unbegabt war und ihnen von einer künftigen Musikerkarriere vorschwärmte, war es anscheinend ziemlich leicht, Menschen auf seine Seite zu ziehen, die orientierungslos herumhingen.

Das Geheimnis seines Charismas beruhe, so drückt es ein langjähriger Zellengenosse Mansons aus, vor allem auf der Beziehungsebene. Seine Macht über andere habe einfach mit den Leuten zu tun, die in ihn den Vater, den Gott, den Guru und den Lehrer suchten, den sie gebraucht, aber nie gefunden hätten. Genau solche Leute, die mit ihrem Leben nicht zurande kommen und "Zurück zur Natur" wollten, "verleihen ihm die Macht, und die Botschaften machen sie selbst. Er sagt, sie sollen in sich ruhen, entspannt und wahrhaftig sein …und daraus basteln sie sich ein ganz neues Buch aus Regeln und Botschaften."

Opfer der Gesellschaft

Schon deswegen mutet es einigermaßen seltsam an, wenn Manson sich hier als Opfer der Gesellschaft stilisiert und die Journalistin ihm in seiner Weltsicht auch noch auf dem Leim geht. Niemand aus der Manson Family hätte, resümiert Welles, diese Morde verübt, selbst Manson nicht, wenn nicht unglückliche Umstände diese tödliche Spirale in Gang gesetzt hätten. "Ursprünglich dominierten Kreativität und Originalität", schreibt sie, "doch zunehmend fühlten sich die Family-Mitglieder von dem Bedürfnis getrieben, die Gesellschaft dafür zu bestrafen, dass man sie in Stich gelassen hatte." Dadurch erst wäre eine gefährliche Weltsicht entstanden, die von Verzweiflung und wilder Sinnlosigkeit geprägt war, vom Scheitern musikalischer Ambitionen und exzessiven Drogenmissbrauchs.

So kann man die Vorfälle natürlich auch betrachten und sie kleinreden. Wieder mal wird die Gesellschaft in Haftung genommen, wieder mal soll sie an allem schuld sein, und wieder mal wird übersehen oder vergessen, dass die Gesellschaft (was immer das auch ist) weder Ort noch Adresse hat. Weder kann man sich an sie wenden und sich bei ihr beschweren noch kann man sie loben, verurteilen oder gar "bestrafen".

Dass Erziehung bei Manson offensichtlich nicht ansprach, wenig Liebe erfuhr und er auch als Musiker kläglich gescheitert ist, kann man nicht anderen, geschweige denn der Gesellschaft anlasten. Dabei ist genau diese, ständig sich selbst entlastende Weltsicht, die die Umstände für persönliches Fehlverhalten verantwortlich macht, eine gefährliche. Ganz abgesehen davon, dass die so grausam Niedergemetzelten nichts dafür können, dass Manson sich nicht angenommen gefühlt hat und mit seinen hochfliegendem Träumen und Plänen kläglich gescheitert ist.

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