Das Trainingscamp zuhause

Die "offene Universität des Dschihad"

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Früher hätten ihnen die militärischen Führer untersagt, Kameras bei ihren Operationen mitzunehmen, jetzt sei die Digicam immer dabei: „The cameras let us tell the world what we are doing“, brüsten sich zwei Guerillakämpfer des „irakischen Widerstands“ gegenüber einem australischen Reporter.

Vier solcher Guerilla-Videos sind nun dem australischen Journalisten Paul McGeough bei einem Besuch in sunnitischen Wohngebieten nahe der irakischen Hauptstadt Bagdad in die Hände gefallen. Der Reporter zeigt sich erstaunt über die propagandistische Raffinesse der Filme, die dem Zuschauer mit effektiver Schnitttechnik und manipulierten Bildern einen Kampf mit einfachsten Mitteln vorführe.

Die Aufnahmen stammen aus den letzten beiden Jahren und vermitteln den Eindruck, dass sich die rebellischen Kämpfer mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit auf dem Land und in den irakischen Städten bewegen können und über die Fähigkeit verfügen, sich Waffen und Uniformen der neuen irakischen Sicherheitskräfte zu besorgen.

Offensichtlich ist es doch etwas ganz anderes, das, was die Irakberichterstattung schon seit längerer Zeit beschreibt, in Bildern dokumentiert zu sehen. Selbst wenn sie, wie McGeough beschreibt, in ihrer Echtheit fragwürdig sind. Die Filmer verstünden ihr Illusions-Handwerk, die Filme seien „pure und brutale Propaganda“, die bei einem Beispiel mit gekonnten Schnitten vortäuschen, dass ein Mann mit einer Salve neun amerikanische Soldaten getötet habe.

Sniper-Videos gehören nach den Beobachtungen des Reporters derzeit zu den beliebtesten Propaganda-Genres und der Fund eines getarnten Sniperfahrzeugs durch die amerikanische Armee bestätigte, dass die Ausstattung des Vans auf hohem technischen Niveau war: zwei Löcher waren in die Wände des schallgesicherten, hochgerüsteten Fahrzeugs gebohrt worden, eins für die Waffe und eins für die Kamera. Neben dem Sniper-Genre gebe es mittlerweile unzählige Filme über Kampfhandlungen, sowie Anleitungen für Anschläge und zum Basteln von Bomben. Erstaunlich sei vor allem, mit welcher Dynamik sich diese Videos in letzter Zeit über das Netz verbreiten würden.

In den späten 90er Jahren waren es noch einige Dutzend einschlägiger Webseiten, Foren und Chatrooms, allesamt Adressaten von Video-Propaganda, die Rita Katz, der Chef des SITE-Institute, überwacht hat, jetzt sollen es mehr als 4.500 sein. Für Reuven Paz (vgl. Neues vom E-Dschihad) haben sich diese Webseiten längst zu einer „offenen Universität des Dschihad“ entwickelt. Bin Ladens Videos gelten da schon als antiquierte „Old School“; sein mysteriöser Vertreter im Irak, Abu Musab as-Sarkawi soll angeblich stundenlange Videos mit Kampfszenen zum Herunterladen ins Netz stellen.

Was einem aktuellen Bericht der Washington Post zufolge für den amerikanischen Soldatennachwuchs gilt, der sich über Games auf reale Einsätze vorbereitet: Virtual Reality Prepares Soldiers for Real War, ist nach den Worten von Rita Katz im Prinzip auch für die Rekrutierung der Irak-Guerilla und Dschihadis gültig:

Der Computer zuhause ist heutzutage das Trainingscamp.

Laut Bruce Hoffman, dem Terrorexperten des amerikanischen Think-Tanks RAND, zeigen die Videos, dass die Widerständler dabei seien, die Low-Risk-Kriegsführung zu perfektionieren:

..it's unique stuff. Seeing them show people how to stage various attacks ratchets things to a new level. The arms race we grew up with during the Cold War is unfolding at a different level and as quickly as the counterinsurgency catches up with it, the insurgency finds new ways.

Zwar seien Teile dieser Geuerilla-Kriegsführung bereits aus anderen Auseinandersetzungen bekannt – Hoffman zitiert hier die IRA (Irish Republican Army) -, aber der „allgegenwärtigen Möglichkeit, eine CD herzustellen und zu verbreiten, um andere zu instruieren“, stünde eben beides offen: Aufklärung ebenso wie Instruktion zur Kriegsführung und Terrorismus.