Das braune Erbe der Kaczynskis

Seit dem 7. September ist es beschlossene Sache: am 21. Oktober finden in Polen vorgezogene Parlamentswahlen statt. Nun werden östlich der Oder die großen Abgesänge auf die zwei Jahre Regierungszeit der PiS angestimmt - verbunden mit der Frage, was von diesen zwei Jahren bleibt

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Antisemitismus und Nationalismus werden dabei häufig als die Hinterlassenschaften der Kaczynskis erwähnt. Nicht ohne Grund: mit der LPR hatte Jaroslaw Kaczynski einen Koalitionspartner, der in den letzten Monaten immer wieder wegen der braunen Vergangenheit seiner Mitglieder in die Schlagzeilen geriet, und mit dem Geistlichen Tadeusz Rydzyk einen Verbündeten, der mit seinem Sender "Radio Maryja" regelmäßig durch antisemitische Äußerungen auffiel. Doch während die Koalition mit der LPR zerbrach, existiert die Partnerschaft zwischen Kaczynski und Rydzyk weiter. Nicht ohne Grund – bei dem nun anstehenden harten Wahlkampf braucht Kaczynski diesen einflussreichen Verbündeten, der ihm, genauso wie schon 2005, einen Wahlerfolg möglich machen kann.

Am späten Freitagabend war es soweit. Nach einer langen, hitzigen Sitzung löste sich das polnische Parlament selbst auf und machte somit den Weg für Neuwahlen frei. Damit endete am 7. September, zumindest vorläufig, da Lech mindestens weitere drei Jahre Staatspräsident bleibt, die Ära der Kaczynski-Zwillinge und ihrer IV. Republik, mit der die Brüder soviel Großes vorhatten. Ein neues, solidarisches Polen sollte diese Republik werden, in der es keinen Platz für die alten postkommunistischen Eliten, Korruption, Vetternwirtschaft und soziale Ungerechtigkeit geben sollte (vgl. Die Koalition der Transformationsverlierer).

Doch schon der Weg, mit dem diese durchaus edlen Ziele erreicht werden sollten, erwies sich als jener, der die IV. Republik im Voraus zum Scheitern brachte. Eine Stimmung des Misstrauens, hervorgerufen durch eine ständige Suche nach äußeren und inneren Feinden, die zuletzt in der Verhaftung des ehemaligen Innenministers Janusz Kaczmarek ihren Höhenpunkt hatte, säten die Kaczynskis in den zwei Jahren ihrer Amtszeit und machten dadurch die IV. Republik eher zu einem „Jakobinischen Experiment“, wie es der Warschauer FAZ-Korrespondent Konrad Schuller in einem Kommentar formulierte, als zu einem erstrebenswerten Ziel.

Ein kritisches Resümee über die zwei Jahre Regierungszeit von "Recht und Gerechtigkeit" zieht man auch in Polen. „Dies war die schlechteste Regierung des unabhängigen Polens“, schrieb beispielsweise Jaroslaw Kurski von der "Gazeta Wyborcza" schon am Tag der Parlamentsauflösung, „da die PiS nicht versprach, um etwas einzuhalten, sondern nur um zu versprechen.“ Es sind aber nicht nur die leeren Versprechungen, die Kurski an der Regierungszeit der PiS kritisiert, sondern auch der Preis, den die Kaczynskis für die Macht zu bezahlen bereit waren. Dazu gehört für den Journalisten nicht nur ein rechtsstaatliches Chaos und schlechtes Ansehen in Europa, sondern auch die Akzeptanz des Antisemitismus von "Radio Maryja"-Gründer Tadeusz Rydzyk.

Schon im Spätherbst letzten Jahres gab Marek Edelman, einer der Anführer des Warschauer Ghettoaufstands von 1943, Jaroslaw Kaczynski die Verantwortung dafür, dass rechtes Gedankengut in Polen wieder gesellschaftsfähig wurde. „Der Premier bewahrt doch diesen nationalistischen Geist, weil er diesen Nationalisten Giertych in die Regierung geholt hat, und weil er sich mit "Radio Maryja" abgibt“, sagte der berühmte Holocaustüberlebende dem polnischen Nachrichtensender TVN 24.

Und tatsächlich, mit der ultra-nationalistischen "Liga Polnischer Familien", holte sich Kaczynski einen Partner in das Regierungsboot, in dem nicht nur erzkatholische Kreise eine politische Heimat gefunden haben, sondern auch viele Rechtsradikale – was nicht besonders verwunderlich ist. Für eine Partei, die sich für Patriotismusunterricht (vgl. Giertych vs. Darwin) einsetzt, in den Homosexuellen eine Gefahr für die Menschheit sieht (vgl. Auf zum Kampf gegen homosexuelle Propaganda) und deren geistiger Übervater Maciej Giertych, 2005 noch Präsidentschaftskandidat und jetzt Europaparlamentarier, die Franco-Diktatur als Schutzwall gegen den Kommunismus lobt, sind viele Rechtsextreme bereit, den Marsch durch die demokratischen Institutionen zu gehen.

Piotr Farfal ist so einer. Mit 28 Jahren führte ihn sein Weg aus den Plattenbauten von Glogow, dem ehemaligen Glogau, an die Spitze des polnischen Staatsfernsehens. Seit Mai 2006 ist Farfal der zweite wichtige Mann bei "TVP". Doch im Sommer letzten Jahres bekam die weiße Weste des Vorzeige-Yuppies der Erzkonservativen dunkle Flecken. Zwischen seinem 16. und 18. Lebensjahr fungierte Piotr Farfal im heimatlichen Glogau als Herausgeber der neonazistischen Zeitschrift "Front". Unter Überschriften wie „Wir dulden keine Feiglinge, Spitzel und Juden“, erschien der Name des damals jugendlichen Farfal. Zudem existiert ein Foto, auf dem der ehemalige Redakteur von "Wszechpolak", Zeitschrift der LPR-nahen Organisation "Allpolnische Jugend", mit erhobenem Arm in einer Gruppe von Skinheads steht.

Die polnische Öffentlichkeit zeigte sich über diese Enthüllungen schockiert. Die Politiker der in Warschau regierenden Koalition reagierten dagegen verhalten auf die jugendliche Neigung Farfals zum Faschismus. Der polnische Präsident Lech Kaczynski ließ zwar durch seinen Kanzleichef Maciej Lopinski, der vor einem Jahr in einem Radiointerview die linksliberale "taz" mit dem "Stürmer" verglich (vgl. Warum Polen die TAZ braucht), ausrichten, dass ihm Antisemitismus und Nazismus fremd seien, doch die Kommentare anderer politischer Verantwortungsträger waren weniger kritisch. So sagte Elzbieta Kruk, Vorsitzende des Medienkontrollorgans KRRiT, die "Gazeta Wyborcza" solle auch über jene berichten, die sich in ihrer Jugend dem Stalinismus oder Kommunismus verschrieben haben, und Jaroslaw Sellin, PiS-Mitglied und Vizeminister für Kultur, versuchte für Farfal gar Verständnis zu zeigen: „Jeder habe seine Jugendsünden. Ich zum Beispiel war ein engagierter Hippie.“ (Gazeta Wyborcza) Für ein Mitglied der Kaczynski-Partei eine fast schon unverzeihliche Jugendsünde, für polnische Popstars ein Grund, in der Presse ihre Verärgerung über den Vergleich zu äußern.

Wenige Monate später schrie die Öffentlichkeit wieder vor Empörung auf. Im November veröffentlichte die Tageszeitung "Dziennik" auf ihrer Internetseite ein verwackeltes Video, das in einer Sommernacht 2004 in der Nähe der oberschlesischen Industriestadt Zabrze aufgenommen wurde. Es zeigt eine Gruppe von Neonazis, die vor einem brennenden Hakenkreuz stehen und „Sieg Heil“ brüllen, dazu den Ruf: „Es gibt nur einen Weg für das Land – nationaler Sozialismus.“

Das eigentlich Brisante an dem Video waren aber die Teilnehmer dieser obskuren Sommernachtsparty. Neben Mitgliedern der "Allpolnischen Jugend", deren Neugründer der LPR-Vorsitzende und bisherige Bildungsminister Roman Giertych war, sind auch Leokadia Wiacek und Pawel Schmidt zu sehen. Leokadia Wiacek, die ein halbes Jahr nach der Aufnahme in die rechtsgerichtete Jugendgruppierung eintrat, war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Büro von Giertychs Vater Maciej beschäftigt, Pawel Schmidt kandidierte noch im November auf der Kommunalwahlliste der Kaczynski-Partei PiS.

Die Reaktion der LPR auf die Veröffentlichung dieses Videos war beschämend. Roman Giertych wies die Generalstaatsanwaltschaft zwar darauf hin, dass „das Zeigen faschistischer Symbole eine Straftat ist“, doch gleichzeitig erhob seine Partei schwere Vorwürfe gegen die Tageszeitung "Dziennik". Die Zeitung sei vom deutschen Geheimdienst unterwandert und solle dem Ruf Polens schaden, hörte man von einigen LPR-Politikern, und dies nur, weil "Dziennik" von Axel Springer Polska herausgegeben wird.

Nicht mit Ruhm bekleckert hat sich in diesem Fall auch die polnische Justiz. Die zuständige Staatsanwaltschaft eröffnete zwar ein Ermittlungsverfahren gegen Leokadia Wiacek und Pawel Schmidt, der auch einer der Organisatoren dieser Party war, vor einigen Wochen stellte sie dieses jedoch ein. So bleiben die faschistischen Verfehlungen von Wiacek und Schmidt ohne Konsequenzen, ebenso wie die von Piotr Farfal. Dieser sitzt bis heute an der Spitze des polnischen Staatsfernsehens, dessen Strukturen er nach den Vorstellungen der Erschaffer der IV. Republik umbaute. Viele Redakteure, darunter auch solche, die laut ihren Unmut über die rechte Vergangenheit ihres neuen Vorgesetzten geäußert haben, mussten gehen und wurden durch loyale Journalisten ersetzt.

Wie schwer sich die polnische Justiz mit rechtsradikalen und antisemitischen Vorfällen tut, hat sich jetzt auch im Fall von Tadeusz Rydzyk gezeigt. Der Gründer von "Radio Maryja" und Herr über ein einflussreiches Medienimperium, bestehend aus dem Radiosender, dem TV-Sender "Trwam" und der Tageszeitung "Nasz Dziennik", sorgte Mitte Juli für Schlagzeilen, die nur durch die Entlassung des damaligen Landwirtschaftsministers Andrzej Lepper (Polnisches Bauerntheater) und der daraus entstandenen Regierungskrise (Das Ende einer formellen Koalition) in den Hintergrund gerieten. Das Nachrichtenmagazin "Wprost" machte Tonbänder publik, auf denen Tadeusz Rydzyk (Die Graue Eminenz) in einer Vorlesung gegen den polnischen Präsidenten und seine Ehefrau hetzt. Maria Kaczynski nannte der Geistliche eine „Hexe“, die sich „freiwillig der Euthanasie ergeben sollte“ und dem Präsidenten Lech warf er vor, politisch unter jüdischem Einfluss zu stehen.

Dies war nicht die erste antisemitische Entgleisung des mächtigen Geistlichen. Seit Jahren nutzt Rydzyk "Radio Maryja" und die anderen Medien als Plattform für seine Verschwörungstheorien und Hasstiraden gegen Juden. Doch diesmal schien er den Bogen überspannt zu haben. Die Thorner Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Rydzyk wegen Volksverhetzung, da sowohl Stimmen aus dem Inland wie aus Israel es forderten. Doch trotz der belastenden Tonbänder, sah die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe als unbegründet an und stellte ihre Ermittlungen ein.

Dafür reagierte das polnische Episkopat. Schon seit längerer Zeit beobachten die polnischen Bischöfe das Treiben ihres Untergebenen mit viel Skepsis. Anfang September forderte nun der Krakauer Erzbischof Stanislaw Dziwisz einen personellen Wechsel an der Spitze des Medienimperiums um "Radio Maryja" und fand unter seinen Kollegen viele Befürworter. Doch ausgerechnet Jaroslaw Kaczynski, dessen Bruder von Rydzyk beleidigt wurde, stellte sich auf die Seite des umstrittenen Paters. „Der Radiosender und die Person sind aufs engste miteinander verbunden“, sagte der Premier. Und die Solidaritätsbekundung für Rydzyk dürfte demnächst sogar noch weitreichender werden. Wie bekannt wurde, soll Rydzyk aus dem Regionalfond der EU 15 Millionen Euro Fördergelder erhalten, da der Geistliche mit seinem Medienimperium und der von ihm gegründeten Journalistenschule angeblich viel für die Entwicklung der Infrastruktur in Thorn geleistet hat. Der wahre Grund dürfte aber politischer Natur sein. Schon 2005 machte Rydzyk für Kaczynski und seine PiS erfolgreich Propaganda, und ohne solch einen wichtigen Partner, dürfte auch in diesem Jahr kein Erfolg für Kaczynski und seine PiS möglich sein.