"Das größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt"
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Das Luftkampfsystem FCAS steht vor dem nächsten teuren Meilenstein
Das "Future Combat Air System" (FCAS), in dessen Zentrum ein neues Kampfflugzeug nebst angedockten Drohnenschwärmen stehen soll, gilt vielen als das derzeit wichtigste Rüstungsprojekt Europas. Obwohl Deutschland und Frankreich bereits über 200 Millionen Euro in das Projekt investiert haben, ist dessen Realisierung noch lange nicht in trockenen Tüchern. Mit einer Auslieferung wird nicht vor 2040 gerechnet und bis dahin kann noch viel schiefgehen: So knirscht es zwischen den beiden Führungsnationen ganz erheblich und vor allem sitzt dem Vorhaben mit dem "Tempest" auch ein durchaus aussichtsreiches Konkurrenzprojekt im Nacken.
Neben unmittelbaren finanziellen Interessen soll das Projekt die Dominanz der deutschen und französischen Industrie in Europa sichern helfen und als wichtigster Baustein eines im Aufbau befindlichen europäischen Rüstungskomplexes fungieren. Weil deshalb aus Sicht der Befürworter Eile geboten ist, trommelte der "Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie" (BDLI) Ende Januar 2021 allerlei interessierte Akteure zusammen, um der Politik ins Stammbuch zu schreiben, dass das Projekt unter keinen Umständen scheitern darf. Mit den Worten, FCAS sei "das größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt", betonte etwa Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz bei der BDLI-Tagung dessen Bedeutung.
In wenigen Tagen wollen sich die beteiligten Staaten über die grundlegende Architektur des Systems verständigt haben, weil es nur so möglich sein wird, noch vor der Bundestagswahl neue Haushaltsgelder loszueisen, um das Programm zügig in die nächste Projektphase (1B) hieven zu können. Bei der besagten Tagung unterstrich denn auch BDLI-Präsident (und Chef von Airbus Defense and Space) Dirk Hoke:
FCAS als wichtigstes europäisches Verteidigungsprojekt steht in diesem Jahr vor entscheidenden Weichenstellungen. 2021 wird es wichtig sein, zügig den Eintritt in die nächste Demonstratoren-Phase 1B zu vollziehen. Zusammen mit unseren europäischen Partnerstaaten arbeiten wir derzeit mit Hochdruck daran, rasch eine bewilligte vertragliche Grundlage für die nächste Etappe zu schaffen. Dies wird es Deutschland, Frankreich und Spanien erlauben, den eingeschlagenen Weg bei diesem Hochtechnologieprogramm Europas konsequent fortzusetzen.
Dirk Hoke, BDLI-Präsident
Eingeladen zu der BDLI-Tagung war unter anderem auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl, der als Mitglied im Verteidigungs- und Haushaltsausschuss an gleich zwei für den Fortgang des Projektes neuralgischen Stellen sitzt. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil Airbus Defense and Space, das bei FCAS eine zentrale Rolle spielt, seinen Sitz in Ottobrunn bei München hat, versicherte Brandl seine volle Unterstützung.
Die ging sogar so weit, dass er auf der BDLI-Tagung mit dem "interessanten" Vorschlag den Vogel abschoss, die Entwicklung des Rüstungsprojektes doch aus dem Haushalt des Wirtschafts- oder Forschungsministeriums zu finanzieren, um so seinen reibungslosen Fortgang zu gewährleisten.
Meilenstein: Aus Millionen werden Milliarden
Beim FCAS handelt es sich um ein Verbundsystem mit drei wesentlichen Komponenten, von denen ein neues Kampfflugzeug der 6. Generation (Next Generation Fighter, NGF) die wichtigste ist. Begleitet werden soll es von Drohnenschwärmen (Remote Carrier, RC) als zweitem wichtigen FCAS-Element. Und schließlich soll als dritter Bestandteil eine Plattform (Air Combat Cloud, ACC) den geschützten Austausch von Daten zwischen NGF, RC und anderen Systemen gewährleisten und so die einzelnen Elemente miteinander verknoten. Den militärischen "Wert" des Projektes beschrieb Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz bei der BDLI-Tagung folgendermaßen:
Das tri-nationale FCAS-Projekt ist ein starkes europäisches Signal. FCAS bedeutet Zukunft für die Luftwaffe. Mit dem Next Generation Weapon System innerhalb des Future Combat Air Systems werden wir in zukünftigen Szenarios bestehen und unseren Auftrag im Jahr 2040+ verlässlich erfüllen. Uns kommt es darauf an, dass wir Zukunftstechnologien nutzen, um den operationellen Notwendigkeiten der Zukunft gerecht zu werden.
Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz
Auf den Weg gebracht wurde das FCAS beim Treffen des deutsch-französischen Ministerrates 2017, bei dem auch andere wichtige Weichenstellungen in Sachen Militarisierung der Europäischen Union erfolgt waren. In einem nächsten wichtigen Schritt unterzeichneten die beiden damaligen Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen und Florence Parly im Februar 2019 einen Auftrag über 65 Mio. Euro für die Erstellung einer ersten Konzeptstudie (siehe Beschleunigte Rüstungsgroßprojekte).
Im Februar 2020 wurde dann ein Vertrag unterzeichnet, mit dem das Projekt offiziell in Phase 1A eintrat, wofür weitere 150 Mio. Euro (zur Hälfte von Deutschland und Frankreich) bereitgestellt wurden.
Damit wurde der Startschuss für die Entwicklung eines Demonstrators gegeben, mit dem die grundsätzliche Machbarkeit des ambitionierten Systems unter Beweis gestellt werden soll. BDLI-Chef Hoke erklärte dazu im Sommer letzten Jahres:
Die Regierungen Deutschlands und Frankreichs haben im Februar 2020 den Rahmenvertrag für die so genannte ‚Demonstrator-Phase 1A‘ des Programms unterzeichnet. Der Vertrag hat eine Laufzeit von 18 Monaten und markiert den Einstieg in eine Technologieentwicklung bei FCAS mit dem Ziel, flugfähige Demonstratoren bis 2026 zu entwickeln. […] Die ‚Demonstrator-Phase 1B‘, die derzeit vorbereitet wird und deren Start im Sommer 2021 geplant ist, bedeutet die konsequente Vertiefung der Technologieentwicklung für FCAS.
Dirk Hoke, BDLI-Präsident
Augenscheinlich sollen die Gelder für die bis Ende 2023 geplante nächste Projektphase 1B wie erwähnt noch vor der Bundestagswahl unter Dach und Fach gebracht werden. Hoke verwies dann bei der BDLI-Tagung Ende Januar auf den knappen Fahrplan, man befinde sich in der "finalen Phase für das Angebot für die Phase 1B", das bis 5. Februar 2021 eingereicht sein müsse, um dann "ausreichend Zeit für den Genehmigungsprozess für das Parlament bereitzustellen".
Tunlichst vermieden wurde es auf der BDLI-Tagung, ein Preisschild an die FCAS-Phase 1B zu hängen. Die konkrete Summe stehe "im Moment noch nicht fest", so der CSU-Abgeordnete Reinhard Brandl. Eins dürfte jedoch feststehen: Obwohl Deutschland und Frankreich bereits über 200 Millionen in das Projekt gepumpt haben, dürfte es jetzt erst ans Eingemachte gehen. Der Übergang von Phase 1A zu 1B sei der Schritt, bei dem es nun nicht mehr um "wenige Millionen" Euro, sondern um "Milliarden" gehe, versicherte kürzlich der bei Airbus für das FCAS zuständige Bruno Fichefeux.
Milliardenschweres Großprojekt
Wie erwähnt, wird mit einer Auslieferung der ersten FCAS-Systeme nicht vor 2040 gerechnet - wieviel Geld die Entwicklung bis zu diesem Zeitpunkt genau verschlungen haben wird, vermag niemand auch nur halbwegs genau zu sagen.
Eine vorsichtige Schätzung seitens der französischen Nationalversammlung findet sich auf der französischen Wikipedia-FCAS-Seite (übersetzt mit deepl.com):
Die geplanten Investitionen in den FCAS, auf Augenhöhe zwischen Paris und Berlin, liegen bei rund vier Milliarden Euro zwischen 2020 und 2025-2026 (Demonstrator) und acht Milliarden Euro bis 2030, danach kommen die Ausgaben für die Industrialisierung. Die Gesamtkosten des Programms werden von einigen Analysten auf fünfzig bis achtzig Milliarden Euro geschätzt.
Französische Nationalversammlung
Auf noch einmal ganz andere Beträge - und auf ebenso vager Grundlage - wird der schlussendliche Gesamtumfang des Projekts geschätzt. Dazu schrieb zuletzt die Welt Ende Januar 2021:
Was das Rüstungsprojekt Future Combat Air System (FCAS) die Steuerzahler in Deutschland, Frankreich und Spanien kosten wird, kann niemand genau sagen. Expertenschätzungen gehen von 300 Milliarden Euro über viele Jahrzehnte aus. Im Mittelpunkt steht dabei ein neuer Kampfjet.
Die Welt
Es liegt auf der Hand, dass es sich bei solchen Summen um eine rüstungsindustrielle Finanzspritze aller erster Ordnung handelt, die maßgeblich Einfluss auf die künftige Architektur der Branche in Europa nehmen dürfte. Genau aus diesem Grund gilt das FCAS - noch vor den ebenfalls wichtigen Vorhaben Eurodrohne und Kampfpanzer - als das zentrale Prestigeprojekt auf dem Weg zu einem deutsch-französisch dominierten europäischen Rüstungskomplex.
CDU-MdB Thomas Jarzombek, Koordinator der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt, untermauerte dies bei der BDLI-Tagung mit den Worten:
Das Future Combat Air System FCAS ist ein Schlüsselprojekt für die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustrie. Es ist mitentscheidend für die künftige Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und seiner europäischen Partner und Beweis der Leistungsfähigkeit der Luftfahrtindustrie in Europa. FCAS leistet außerdem einen wichtigen Beitrag zu einer weiteren Integration im Bereich der europäischen Verteidigung. Es ist sinnvoll und richtig, dass in Europa die Systeme gemeinsam entwickelt werden, anstatt dass es jeder für sich alleine macht. Wir werden genau darauf achten, dass es hier eine Partnerschaft auf Augenhöhe gibt.
Thomas Jarzombek
Auf Augenhöhe befinde sich in dem Projekt aber allenfalls Deutschland und Frankreich und dementsprechend trägt das Projekt auch ganz die Handschrift dieser beiden Länder.