Das nackte Chaos

Die Energie- und Klimawochenschau: Tepco vertuscht weiter, in Deutschland laufen nur noch fünf AKWs, Anti-AKW-Bewegung bereitet Demos und Blockaden vor

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AKW-Betreiber haben offensichtlich manches mit Kriegsherren gemein. Beide müssen ihrem Tun, das doch nur dem eigenen Vorteil dient, höhere Weihen wie "Menschenrechte" oder "sichere Versorgung mit billiger Energie" verleihen, und beide haben so ihre Probleme mit der Wahrheit: Die einen erfinden Hufeisenpläne, die anderen vertuschen und verheimlichen selbst noch im Angesicht des mehrfachen Super-GAUs.

Zum Beispiel Tepco, Japans AKW-Betreiber und Havarie-Experte, der nun am Tropf öffentlicher Gelder hängt, weil er für die Folgen der Reaktorkatastrophe nicht aufkommen kann. Auf die Idee, die Aktionäre zumindest mit ihren in den letzten Jahrzehnten bezogenen Dividenden haftbar zu machen, scheint in Japan noch keiner gekommen zu sein. Aber woher auch? Die Bundesregierung stößt ja auch lieber Griechenland ins Chaos, als den hiesigen Banken die Abschreibung der an die Helenen gezahlten Kredite zuzumuten.

Tepco hatte Anfang der Woche eine besonders schöne Begründung zu bieten, weshalb der Konzern erst mehr als zwei Monate nach dem Erdbeben damit heraus kommt, dass es in mindestens einem seiner Reaktoren in Fukushima Daiichi zur Kernschmelze gekommen ist (http://www.heise.de/tp/blogs/2/149832). Man habe erst Anfang Mai detaillierte Temperaturmessungen bekommen und analysieren können, zitiert die japanische Zeitung "The Mainichi Daily News" einen Firmensprecher.

Das hört sich wirklich nach modernster Technik an. Weiter im Unklaren lässt uns das Unternehmen darüber, was genau in den Havaristen vor sich geht. Zumindest im Reaktor 1 sind die Brennstäbe größtenteils aufgeschmolzen und in der Folge deren Uran am Boden des Containments, das heißt, des Reaktordruckbehälters, zusammengelaufen. Dort könnte es zu einer unkontrollierten Kettenreaktion gekommen sein oder der heiße Uranklumpen hat sich durch den Boden des Reaktorbehälters gefressen - oder auch beides.

Chronologie einer Havarie

Immerhin hat Tepco inzwischen eine Chronologie der Vorgänge in Fukushima vorgelegt, wie ebenfalls "The Mainichi Daily News" berichtet. In den Stunden nach dem Erdbeben, so die Zeitung, habe offensichtlich das nackte Chaos geherrscht.

Während drei Reaktoren ohnehin stillstanden, habe am 11.3. um 14:46:46 Uhr unmittelbar nach dem Erdbeben die Schnellabschaltung der Reaktoren 1, 2 und 3 begonnen. Bis vor wenigen Tagen hatte Tepco es abgestritten, dass schon die heftigen Erschütterungen des Bebens Unheil angerichtet haben, aber wie berichtet (Regierung war vorgewarnt) ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit am Reaktor 1 bereits zu diesem Zeitpunkt zu schweren Schäden gekommen. Offensichtlich wollte man auch nach der Katastrophe sich und der Öffentlichkeit nicht eingestehen, dass die japanischen AKW eben nicht auf jedem Fall Erdbeben widerstehen können.

Knapp 45 Minuten nach dem Beben um 15:30 Uhr trafen die ersten Tsunamis die Reaktoren und unterbrachen die Stromversorgung. Erst eineinhalb Stunden später wurden LKW mit Notstromaggregaten angefordert, die aber aufgrund zerstörter und verstopfter Straßen nicht durchkommen konnten. Schließlich wurde um 18:20 Uhr Ersatz bei einem anderen Unternehmen aus der Nachbarschaft bestellt, aber auch dessen LKW brauchten bis 23 Uhr, um vor Ort zu sein.

Bis um 15 Uhr des Folgetages hat es dann gedauert, die Aggregate anzuschließen, so sehr behinderten, Dunkelheit, Trümmer und Wasser die Arbeiter. Am Reaktor 1 funktionierte die Stromversorgung gerade 36 Minuten, dann wurden die Kabel durch eine schwere Wasserstoffexplosion wieder zerstört, die sich nach dem Ablassen von Dampf aus dem Reaktordruckbehälter ereignete.

Der lange Stromausfall war fatal: Ein Atommeiler braucht nämlich, auch wenn er selbst keinen Strom mehr produziert, noch viel elektrische Energie, da auf jeden Fall die Kühlung aufrecht erhalten werden muss. Denn auch wenn die Kettenreaktion während der Abschaltung durch das Einfahren von Steuerstäben zwischen die Brennelemente unterbrochen wurde produzieren radioaktive Spaltprodukte in den Brennelementen noch jede Menge Restwärme.

Extreme Strahlenwerte

Unterdessen hat am Sonntag die Evakuierung weiterer Ortschaften rund um die außer Kontrolle geratenen Reaktoren begonnen Einige Bewohner, die ihre Häuser verlassen müssen, waren reichlich verunsichert, weil die Behörden ihn erst gesagt hatte, es bestehe keine Gefahr.

Nordwestlich der havarierten Reaktoren hatten in einigen Ortschaften Bodenproben erhebliche radioaktive Belastung ergeben. Messungen des radioaktiven Isotops Cäsium137 - Halbwertzeit 30 Jahre - ergaben Aktivitäten von drei Millionen bis 14,7 Millionen Becquerel pro Quadratmeter. Ein Becquerel entspricht einem zerfallenden Atom pro Sekunde.

The Mainichi Daily News schreibt, dass in der Sowjetunion seinerzeit nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl schon 550.000 Becquerel der Grenzwert für die Evakuierung gewesen sei. Der japanische Minister für Bildung und Wissenschaft hatte jedoch eine schöne Beschwichtigung zur Hand: "Radioaktive Substanzen im Boden dringen nicht sofort in den menschlichen Körper ein." Staub scheint es in der Präfektur Fukushima nicht zu geben, Landwirtschaft auch nicht.