Das therapeutische Potenzial von embryonalen Stammzellen ist außerordentlich groß
Nobelpreisträger fordern in einem offenen Brief an Präsident Bush die weitere Förderung der Stammzellenforschung mit öffentlichen Mitteln
Die Clinton-Regierung hatte nach einem Moratorium, das die Vergabe öffentlicher Gelder an Forschung mit embryonalen Stammzellen verhindert hatte, letztes Jahr noch beschlossen, die vielversprechende, aber wegen dem, Gebrauch von Embryos umstrittene Forschung unter strengen Auflagen wieder mit staatlichen Geldern zu fördern (US-Regierung wird staatlich finanzierte Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen erlauben). Wie sich die konservative Bush-Regierung zu diesem Thema verhalten wird, ist noch ungewiss. Viele Befürworter fürchten, dass Bush die Genehmigung wieder zurückziehen könnte.
Sicherheitshalber haben 80 amerikanische Nobelpreisträger ihren Namen unter einen Brief gesetzt, der Präsident Bush auffordert, die Forschung an pluripotenten Stammzellen auch mit öffentlichen Geldern zu fördern: "Die Entdeckung der menschlichen pluripotenten Stammzellen ist ein bedeutender Schritt für die medizinische Forschung."
Die Wissenschaftler, darunter "natürlich" der Mitentdecker der DNA-Struktur, James Watson, aber auch Physiker wie Murray Gell-Mann und Steven Weinberg oder Ökonomen wie Robert Samuelson und Milton Friedman, erklären, dass die therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten von embryonalen Stammzellen "außerordentlich groß" seien, da sie sich zu jedem Zelltyp entwickeln können und sich möglicherweise aus ihnen auch ganz Organe zur Transplantation züchten lassen. Die Beschränkung auf adulte Stammzellen wird von den Unterzeichnern nicht befürwortet, da diese höchstwahrscheinlich nur ein sehr beschränktes Differenzierungspotential haben. Behindere man die Forschung mit embryonalen Stammzellen, dann könne dies zu einer "unnötigen Verzögerung" bei der Entwicklung von Therapien für Millionen von Menschen führen.
Bei embryonale Stammzellen sei hingegen schon bei Mäusen und anderen Tiermodellen nachgewiesen, dass aus ihnen alle anderen Körperzellen werden können. Implantiert man diese, so habe man dadurch Herzerkrankungen, multiple Sklerose, Lähmungen oder Diabetes wirksam behandeln können. Die Wissenschaftler betonen, sie verstünden zwar die ethischen Bedenken, aber es sei wichtig zu verstehen, dass die Forschung an Embryos geschieht, die sowieso vernichtet werden. "Unter diesen Umständen" wäre es tragisch, diese Zellen nicht nutzen zu können. Überdies habe man viele Mittel zur Bekämpfung von Virenerkrankungen mit Zellen, die von menschlichen Embryonen stammten, entwickelt. Die Stammzellenforschung mit den Zellen von Embryos, die bei der künstlichen Befruchtung überschüssig sind, sei also auch nicht Neues.
Der Brief entstand auf Initiative von zwei Wissenschaftlern des Unternehmens Advanced Cell Technology, das Forschung an Stammzellen ausführt. Michael West (Klonen von menschlichen Embryos) und Robert Lanza (Klon eines vom Aussterben bedrohten Wildrinds nach zwei Tagen gestorben) weisen aber jede Kritik zurück, dass sie mit diesem Brief kommerzielle Interessen verfolgen. Ein Verbot der Förderung der Stammzellenforschung mit öffentlichen Geldern würde, so Lanza, dem Unternehmen sogar eher zugute kommen, da dann die Wissenschaftler diese Forschung mit privatwirtschaftlicher Unterstützung ausführen müssten: "Als Mediziner und Mensch", so Lanza, "fühle ich mich verpflichtet, alles zu tun, was ich kann, um sicherzustellen, dass diese Forschung so schnell wie möglich in die Klinik kommt."
Eine Entscheidung könnte in der Tateilig sein, denn spätestens am 15. März müssen bei den National Institutes of Health (NIH) die aufgrund der im letzten Jahr beschlossenen Regelung möglichen Anträge auf Forschungsgelder für die Arbeit mit Stammzellen eingereicht sein. Ein Sprecher der NIH lehnte es gegenüber der Washington Post ab zu sagen, wie viele Anträge bereits vorliegen. Er wollte sich auch nicht äußern, ob die Behörde bereits die Mitglieder des Komitees benannt habe, von dem die Anträge überprüfen werden müssen, und wie lange es dauern werde, bis die ersten Anträge bewilligt sein werden.
Gegner der Stammzellenforschung sagen, dass man die Frage, ob menschliche Wesen für die Forschung getötet werden dürfen, nicht den Wissenschaftlern, auch nicht Nobelpreisträgern, überlassen dürfe. Und Richard Doerflinger von der Nationalen Konferenz der Katholischen Bischöfe kommentierte: "Es hat noch niemand gesagt, dass diese Nobelpreise für Ethik verliehen werden."