Das unsägliche Elend der Public-Private Partnerships (PPP)

Seite 4: Mit Geheimhaltung wird die Demokratie weiter ausgehöhlt

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In der Regel muss die öffentliche Hand für diese horrenden Mietzahlungen auch noch Kredite aufnehmen, zahlt also doppelt Zinsen. Der "Investor" verkauft seine Mietforderungen an eine Bank und erhält sofort seine "Investitionssumme" aus dem 30-Jahre-Projekt bar auf die Hand: eine perfekte "Wertschöpfung", aber nur für den Investor. Die Zeche zahlen die Steuerzahler.

Nebenbei muss die öffentliche Hand noch auf ihr "Reklamationsrecht" verzichten (Einredeverzicht); denn die Banken wollen nichts mit den Mängeln am Bau zu tun haben. Es profitieren wie immer die Großkonzerne, die Berater, die Wirtschaftsprüfer, Anwaltskanzleien und Banken.

Die PPP-Verträge sind zu allem Überfluss auch noch immer geheim. Es gehört zu ihren typischen Merkmalen. Über ihren Inhalt wird stets absolute Geheimhaltung vereinbart. Noch nie wurde ein PPP-Vertrag den Abgeordneten vor einer Abstimmung in vollem Umfang vorgelegt.

Man muss sich die Absurdität der Situation vor Augen führen: Die politischen Repräsentanten müssen über Verträge abstimmen, deren Inhalt sie gar nicht kennen. Das öffentliche Interesse wird dem privaten Geheimhaltungsinteresse untergeordnet. Öffentliche Güter in Privathand sind jeder demokratischen Kontrolle entzogen. Die Demokratie schafft sich selbst ab.

Die demokratisch gewählten Repräsentanten höhlen aktiv und systematisch die Demokratie aus. Einmal mehr zeigt sich, dass die parlamentarischen Gremien ebenso wie die kommunalen Instanzen nur dazu da sind, längst getroffene Entscheidungen der Regierungen und Verwaltungen abzunicken. Sie sind reine Abnickvereine.

Und sie entmannen sich dabei selbst; denn es geht um knappes öffentliches Geld, und es wäre eine der Kernaufgaben der Parlamente in einer intakten Demokratie zu überprüfen, ob die Exekutive mit den öffentlichen Geldern sinnvoll und ökonomisch effizient umgeht.

Doch wie sollen die Parlamentarier das überprüfen können, wenn sie Verträge abnicken, deren Inhalt auch für sie selbst geheim bleibt? Die parlamentarische Kontrolle wird zu Gunsten der privaten Wirtschaft ausgehebelt. Die Parlamente verzichten klaglos auf die parlamentarische Kontrolle. Sie töten die letzten Überreste an demokratischer Kontrolle. Und sie tun das, ohne auch nur aufzumucken; denn sie haben sich längst daran gewöhnt, dass sie nur zum Abnicken da sind.

Die PPP-Projekte werden ohne jede öffentliche Diskussion initiiert. Die Parlamentarier oder Stadtverordneten entscheiden über das Projekt nur per Grundsatzbeschluss. Wenn sie wenigstens ehrlich wären, müssten sie also sagen: "Wir sind dafür, aber keine Ahnung, worum es überhaupt geht. Unsere Doofheit kennt keine Grenzen." Aber selbst dazu reicht es nicht.

Wenn sie die Verträge doch einsehen dürfen, dann nur mit von den Beratern und Anwälten vorgenommenen Schwärzungen der kritischen Geheimpassagen. Selbst die Kommunalaufsicht, die als Aufsichtsbehörde ein Vertragswerk genehmigt, kann nicht zweifelsfrei sicher sein, ob ihr alle Unterlagen und Informationen zugeleitet werden.

Die Geheimhaltung nützt einzig und allein den privaten Partnern: Nur weil die Öffentlichkeit keine Einsicht bekommt, können die privaten Partner ihre Gewinninteressen in den Verträgen ungehemmt durchsetzen. Die Geheimhaltung ist also der Nährboden, auf dem die negativen Auswirkungen von PPP überhaupt erst gedeihen können.

Ohne Geheimhaltung könnten die Verträge mit den Städten, Kommunen und Ländern gar nicht zu einem so lukrativen Geschäft werden und würden meistens nicht zu Stande kommen. Geheimhaltung widerspricht jedoch den grundlegenden Prinzipien eines demokratischen Staates.

Herkules: Ein besonders krasses Beispiel

Ein besonders krasses Beispiel dafür, dass ÖPP-Projekte grundsätzlich schieflaufen, ist die Modernisierung des Computernetzwerks "Herkules" der Bundeswehr durch Siemens Chart und IBM Chart. Die teuerste ÖPP aller Zeiten in Europa umfasste 140.000 Computer, 7.000 Server, 300.000 Festnetz- und 15.000 Mobiltelefone an 1.500 Standorten. Für Siemens war das mit einem Volumen von 7,1 Milliarden Euro eines der größten Geschäfte seiner Firmengeschichte.

In der Bundeswehr sorgte Herkules vor allem wegen zahlreicher Pannen und Fehler für Spott. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr dokumentierte massenhafter Beschwerden über ausgefallene Server, Netzwerkverbindungen, Drucker und Anwendungen. Darüber hinaus entpuppte sich das Projekt auch noch als finanzielles Desaster. Nach einem Bericht des Bundesrechnungshofs kostete es gut zwei Milliarden Euro mehr als ursprünglich veranschlagt. Eine Klausel im Vertrag ließ es zu, dass praktisch unbegrenzt Änderungen und Nachträge abgerechnet werden konnten - auf Staatskosten, versteht sich.

Der Bericht über die "Zielerreichung und Wirtschaftlichkeit" von Herkules sprach von verfehlten strategischen Zielen, Verzögerungen und dem Verzicht auf vertraglich vereinbarte Leistungen. Auch habe die Truppe gegen das Vergaberecht verstoßen, weil das Budget nachträglich ohne Ausschreibung erhöht worden war.

Auch alle hochgesteckten Erwartungen an die Kooperation mit der Privatwirtschaft wurden enttäuscht. Eigentlich sollte Herkules günstiger und schneller fertig werden als ein Projekt in Eigenregie. Doch die Prüfer befanden: "Diese frühere Verfügbarkeit und damit der höhere Nutzen blieben aus." Die Bundeswehr hätte ihre Computertechnik besser selbst erneuern können.

Berlin: Teilprivatisierung der Wasserbetriebe

1999 fand in Berlin die größte Teilprivatisierung eines wirtschaftlich gesunden öffentlichen Versorgers statt: Über eine Holding AG verscherbelte der Senat für 3,3 Milliarden DM (1,67 Milliarden Euro) 49,9 Prozent der Berliner Wasserbetriebe an die Konzerne RWE Aqua und Veolia Wasser. Begleitet wurde die Teilprivatisierung von Vertragsverhandlungen, über deren Inhalt "absolutes Stillschweigen" vereinbart war.

Der Senat versprach den Wasserbetrieben in blumigen Worten eine glänzende Zukunft. Aus dem bürokratisch geführten landeseigenen Betrieb sollte ein auf vielen Geschäftsfeldern tätiger Wasserdienstleister werden. Doch nach dem Verkauf trennten die Wasserbetriebe sich weitgehend von dem Teil ihres Geschäfts, mit dem sie in Konkurrenz zu anderen Unternehmen standen und konzentrierten sich auf ihr Monopol: das Wasser. Statt der versprochenen neuen Arbeitsplätze wurden fast eintausend Stellen abgebaut. Von einst 6.265 blieben noch 5.285 übrig.

Die Gewinne stiegen nach der Teilprivatisierung deutlich an - auch weil das Land den Käufern in den Geheimverträgen eine Gewinngarantie für das Monopolgeschäft zugesichert hatte. Die Kosten dafür wurden in die Wassertarife eingerechnet, also von den Berlinern bezahlt.

Doch 1999 erklärte das Landesverfassungsgericht die Grundlage für die Gewinngarantie für verfassungswidrig. In den Geheimverträgen war festgelegt, dass das Land Berlin in dem Fall die privaten Anteilseigner schadlos stellen muss. Sie durften sich daher zuerst aus den Gewinnen der Wasserbetriebe bedienen - das Land musste nehmen, was übrig blieb.

2004 vereinbarte das Land Berlin mit den Konzernen eine Änderung der Geheimverträge. Sie enthielt erneut die Gewinngarantie. Die Formel, die das Verfassungsgericht untersagt hatte, galt also weiter. Sie wurde lediglich aus einem öffentlich einsehbaren Gesetz in die Geheimverträge verschoben.

Man muss sich diese skandalösen Vorgänge einmal mit Bedacht vor Augen führen: Da schließen die politischen Repräsentanten mit privaten Investoren Verträge, in denen sie denen satte Gewinne auf Kosten der Steuerzahler garantieren und - wenn diese ausbleiben sollten - auch noch dafür sorgen, dass dann die Steuerzahler zu Kasse gebeten werden.

Wohin man auch schaut: In den entwickelten repräsentativen Demokratien hat sich das politische System längst gegen die Bürger gewendet. Es vertritt auf gar keinen Fall deren Interessen. Im Gegenteil, es tritt sie mit Füßen.

Die Folge war absehbar: Der Wasserpreis stieg in astronomische Höhen. In keiner anderen Großstadt war das Wasser so teuer wie in Berlin. Pro Jahr flossen im Schnitt 120 Millionen Euro an die Privaten und 120 Millionen Euro an den Landeshaushalt.

Gegen diesen aberwitzigen Vertrag formierte sich eine breite Bürgerbewegung für ein Volksbegehren. Im Endeffekt war der Volksentscheid erfolgreich. 98,2 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten für die "Entprivatisierung". Der Senat hatte über Monate und Jahre mit aller Macht versucht, das Wasservolksbegehren für überflüssig zu erklären, und scheiterte. Die politischen Repräsentanten bildeten eine Phalanx gegen ihre eigene Bevölkerung und verloren.

Am Ende war der öffentliche Druck so groß, dass die Privatisierung rückgängig gemacht werden und der Senat die Anteile zähneknirschend zurückkaufen musste. Seit 2013 gehören die Berliner Wasserbetriebe wieder dem Land.

Immerhin aber konnten die privaten Anteilseigner 15 Jahre lang satte Gewinne einfahren. Auch diese Vorgänge sind typisch für die Strukturen politischer Entscheidungsbildung in entwickelten repräsentativen Demokratien: Die Repräsentanten verscheuern öffentliche Einrichtungen an die Privatwirtschaft, und die betroffenen und betrogenen Bürger müssen sich mit immensem Aufwand gegen den Ausverkauf ihrer Infrastruktur durchsetzen, gegen die "Volks"-vertreter, die das Volk gar nicht vertreten, sondern es ausschlachten, wo sie nur können.

Rund 40 Prozent des Trinkwassers in Deutschland wird inzwischen von Unternehmen verkauft, die ganz oder teilweise in privater Hand sind. Dazu gehören etwa die Wasserwerke von Bremen, Essen, Höxter, Gelsenkirchen, Dresden, Schwerin, Goslar, Cottbus oder Rostock. Und bisher wurden noch nirgends alle Verträge über die lukrativen Geschäfte veröffentlicht. Der Aufstand der Berliner Bevölkerung gegen ihre Repräsentanten war also nicht viel mehr als ein seltener Glücksfall. Anderswo haben die demokratischen Repräsentanten weiterhin das Heft gegen ihre eigene Bevölkerung in der Hand.