Data Trash: Die Theorie der virtuellen Klasse
Seite 4: Das politische Programm der virtuellen Klasse
- Data Trash: Die Theorie der virtuellen Klasse
- Kruder Kapitalismus und technische Vision
- Wille zur Virtualität
- Das politische Programm der virtuellen Klasse
- Die Verbunkerungsmentalität der virtuellen Klasse
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Wie verhält sich die virtuelle Klasse zum Neoliberalismus?
KROKER: Das politische Programm der virtuellen Klasse geht weit über die Reagonomics und Thatcherismus der 80er Jahre hinaus. Der Plan der gesellschaftlichen Klasse zielt auf die Beseitigung aller Hindernisse für die transnationale Bewegung der Waren. Auch die computergestützte Wissensindustrie sollte sich frei und universell bewegen können. Die technokratische Klasse ist eher liberal als konservativ. Sie befindet sich in Opposition gegenüber den nationalen politischen Kräften, die den reinen Transnationalismus behindern wollen.
Nach der Rhetorik der Verführung kommt die Politik der Konsolidierung
Präsident Bill Gates und Präsident Bill Clinton haben ein gemeinsames Klasseninteresse, nämlich jedermann so schnell als möglich ans Cybernetz durch eine "Politik der Unterstützung" anzuschließen. Der Cyberspace verspricht eine bessere Kommunikation, eine höhere Interaktivität und Geschwindigkeit. Eine ganze Rhetorik der Verführung wird aufgeboten. Wenn jeder einmal angeschlossen ist, dann beginnt die Privatisierung, was wir die "Politik der Konsolidierung" nennen: die Schließung des Netzes zugunsten kommerzieller Interessen oder Gebühren, um Zugang zum Körper zu schaffen.
Im Bereich der Arbeit ereignet sich eine große Veränderung. Die dem industriellen Kapitalismus angehörenden Anteile der Arbeitskraft werden zurückgestellt. Sie werden entweder durch den Disziplinarstaat kontrolliert, der die sozialen Dienste und das Arbeitslosengeld kürzt, oder sie werden in gering belohnte Dienstleistungen integriert. Auf der anderen Seite kann ein Teil von ihnen durch die Telematik aufsteigen, um zu Spezialisten innerhalb der Technokultur, zu privilegierten Menschen mit hoch bezahlten Arbeitsplätzen zu werden. Sie werden zur Truppe, um die USA und Kanada weltweit konkurrenzfähig zu machen. Für diejenigen, deren Arbeit ersetzbar ist, werden Gelder zur technischen Weiterbildung zur Verfügung gestellt. Der Bevölkerung wird all das als Lebenswelt im Zeitalter der Unvermeidbarkeit des technologischen Imperativs erklärt: Wir haben keine Wahl. Diese Gangart wird von den ideologischen Apparaten der Staates wiederholt, um diese Rhetorik zu einem geschlossenen Horizont zu machen.
Für Außenseiter scheint diese virtuelle Klasse aber keine aggressive Politik zu verfolgen. Es scheint sich nur um alltägliche Arbeit, um das Schreiben von Software beispielsweise, zu handeln, was doch ziemlich langweilig und harmlos wäre.
KROKER:Ein Merkmal der virtuellen Klasse ist ihr Autismus. Die Menschen verschmelzen vollständig mit diesen autistischen, historisch unverantwortlichen Positionen, die mit einer Sexualität pubertierender Jungen und der Freude an Maschinen zusammengehen. Der mentale Horizont schließt sich, während man weltweit kommuniziert und das Verschwinden predigt. Und warum nicht, denn man ist bereits selbst verschwunden ... Der Führer von Xerox Parc sagte: 'Wer braucht denn überhaupt noch das Selbst?' Eine Intimsphäre wurde diesen Menschen immer nur von den Unternehmen aufgezwungen. Sie wollen sie aber gar nicht. Beim Xerox Parc der Zukunft geht es nicht mehr darum, Papier zu kopieren, sondern Körper in bildverarbeitende Maschinen zu kopieren. Und wer braucht in einer solchen Situation eine Intimsphäre?
Die Angehörigen der virtuellen Klasse sind keine Angestellten mehr, sondern Missionare. Man denke an die verschiedenen Stufen der Repression vom primitiven Kapitalismus bis hin zur Beschränkung der sozialen Optionen. Die Form ihrer Unterdrückung ist die psychologische Repression. Sie haben kein klares Klassenbewußtsein. Sie glauben wirklich, daß mit der Technologie die menschliche Freiheit wächst. Noch einmal der Führer im Xerox Parc: 'Wir wollen der menschlichen Rasse nur Gutes tun.' Aber das wird nicht als eine ideologische Rhetorik erfahren. 'Sie haben', so formuliert es der Philosoph George Grant,' niemals gelernt, sich selbst zu hassen.' Daher können sie sich weder das Beste noch das Schlechteste für die menschliche Erfahrung vorstellen.
Die Ambivalenz der virtuellen Klasse
Das andere mentale Merkmal der virtuellen Klasse ist ihre tiefe Autoritätsgläubigkeit. Ihre Angehörigen glauben, daß Virtualität den Eintritt in eine völlig freie Gesellschaft bereitet. 'Paß dich an oder geh unter", wie die Vorstände der führenden Unternehmen mit einer völlig blasierten Selbstgefälligkeit sagen. Die andere Seite der Cyber-Autoritätsgläubigkeit ist die absolute Empörung, die sie in die Opposition drängt. Zweifel an der Entstehung der virtuellen Klasse oder über die sozialen Konsequenzen der Technologie begegnet man mit Gleichgültigkeit oder mit totaler Empörung. Die Angehörigen der virtuellen Klasse sehen sich als Missionare der menschlichen Rasse, der Avantgarde oder, in ihren Worten, der ehrbaren Zusammenarbeit mit den telematischen Maschinen.
Doch wenn sie mit meiner Theorie konfrontiert werden, geraten sie sofort in Verwirrung. Das gibt mir großen Optimismus. Es ist nicht nur auf der Ebene von sozialen und ökonomischen Widersprüchen, sondern auch auf der individuellen Ebene eine zutiefst fraktalisierte Klasse. Es handelt sich um ein instabiles Zeichensystem. 'Ich hatte', wie der Chefdesigner von Xerox Parc mir sagte, 'meine Zweifel daran, wer dieses Zeugs überhaupt braucht.' Das kann als zynische Demut verstanden werden, wenn man sich dessen bewußt ist, was man macht, aber es könnte auch der erste Aufschein einer Vorstellungsarmut sein. Es gab viele Angehörige der virtuellen Klasse, die genau diese tiefe Ambivalenz in sich selbst empfunden haben, weil sie visionäre und genuin kreative Menschen und Künstler sind, die sich gleichzeitig bei einem Fehler ertappen, bei einer Erfahrung, die hinsichtlich ihrer Macht eine historische Geschwindigkeit besitzt und die sie nicht verstehen.