Dauersumpf NSU

Seite 5: Schauplatz Untersuchungsausschuss Baden-Württemberg: Rätsel Polizistenmord

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Was geschah am 25. April 2007 in Heilbronn, als die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen und ihr Kollege Martin Arnold schwer verletzt wurde? Dieser Frage geht ebenfalls im Januar 2018 der NSU-Ausschuss in Stuttgart weiter nach, wie in Sachsen und Thüringen der mittlerweile zweite.

Er muss sich dabei mit einem Sachverhalt auseinandersetzen, den er eigentlich gar nicht behandeln wollte: Spuren, die zur terroristischen Sauerland-Gruppe führen und die wahrscheinliche Anwesenheit von FBI-Agenten während des Anschlages. Sollte dort - zeitgleich - ein Waffendeal ablaufen?

Für das Szenario spricht einmal ein interner Schriftwechsel zwischen Bundesnachrichtendienst, Militärischem Abschirmdienst und Bundesanwaltschaft über ein Gesprächsangebot amerikanischer Stellen, das die deutschen Stellen aber ablehnten. Und zum zweiten sprechen auch zwei Telefon-Kreuztreffer am Tattag und Tatort dafür. Eine Telefonnummer war 2007 vom BKA bei den Ermittlungen zur Sauerland-Gruppe registriert worden, die andere 2003 bei einem anderen Ermittlungsverfahren zu islamistischen Terroristen. Mehrere Medien haben darüber berichtet.

In der Winterpause hat der Ausschuss Ungewöhnliches angestellt: Er hat selber ermittelt. Etwas, was er ansonsten bei jeder passenden Gelegenheit verneint: "Wir sind kein Ermittlungsausschuss", hat der Vorsitzende wiederholt erklärt, wenn er gefragt wurde, warum das Gremium bestimmten Spuren nicht selber nachgehe.

Nun hat er doch ermittelt. Das BKA hatte festgestellt, dass die Telefonnummer aus dem Sauerlandverfahren seit Dezember 2007 einer Textilfirma in Ulm zugewiesen war. Wem sie im April 2007 gehörte, als der Mord in Heilbronn begangen wurde, habe das BKA nicht mehr ermitteln können. Doch das gelang wundersamer Weise nun dem Ausschuss. Er fragte bei dem Unternehmen nach und erfuhr, dass es den Anschluss seit November 2005 nutze.

Warum diese einfache Auskunft nicht das BKA selber erfragen konnte, ist einigermaßen rätselhaft. So rätselhaft, wie die Schlussfolgerung, die der Ausschuss nun zieht: "Eine Verbindung zur sogenannten Sauerland-Gruppe kann ausgeschlossen werden", heißt es in der entsprechenden Pressemitteilung.

Warum allerdings diese Verbindung ausgerechnet dann erledigt sein soll, als sie identifiziert ist, erschließt sich nur schwer. Denn nun müsste erst recht weiter ermittelt werden: Wer benutzte die Nummer am Tattag? Warum war die Person auf der Theresienwiese in Heilbronn? Und wie kam das BKA dazu, die Nummer im Sauerland-Verfahren als relevant einzustufen? Denn das bleibt sie, selbst wenn der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) versucht abzuwiegeln: "Aus welchem Grund der Anschluss in den Sauerland-Ermittlungen erfasst worden war, konnte nicht mehr nachvollzogen werden."

Fraglich ist, warum der Ausschuss überhaupt diese Telefonermittlung vornahm und sie nicht dem BKA als zuständige Ermittlungsbehörde im Fall NSU überließ. Sollte das Ergebnis aus den Akten rausgehalten werden, um nicht offiziell weiterermitteln zu müssen und hat man deshalb den Ausschuss auf die Spur gesetzt?

Im NSU-Prozess in München hat der Anwalt des schwer verletzten Polizisten in seinem Plädoyer die Funkzellen-Spur explizit angesprochen. Walter Martinek kritisierte, dass die sogenannten "Quertreffer" unter anderem zum Verfahren gegen die Sauerlandgruppe, aus der Ermittlungsakte nicht zu entnehmen seien. Weiter führt der Nebenklageanwalt aus und macht dabei deutlich, dass er explizit auch im Namen seines Mandanten spricht:

Vollends unverständlich wird dies für uns, wenn man berücksichtigt, dass es von Seiten amerikanischer Geheimdienste ein Gesprächs- und Informationsangebot zu eigenen Erkenntnissen in Bezug auf die Tat von Heilbronn gegenüber deutschen Diensten und dem BKA gab, das von diesen aber rundweg abgelehnt wurde. (...) Die Tatsache, dass dieser Vorgang von Seiten der Behörden offiziell als nicht existent bezeichnet wurde - und möglicherweise immer noch wird - macht die Situation für uns noch dubioser.

(Walter Martinek)

Martinek kritisierte in seinem Plädoyer auch den Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg für dessen oberflächliche und opportunistische Arbeit und sagte wörtlich:

Auch das ist es, was bei mir und meinem Mandanten nicht nur Fassungslosigkeit, sondern auch Zweifel an der Art und Weise der Aufklärung, also letztlich der Ermittlungen, hinterlässt.

(Walter Martinek)

Walter Martinek hielt sein Plädoyer vor dem OLG in München am 13. Dezember 2017. Wann Wolfgang Drexler seine "Ermittlungen" in Sachen Telefonnummer gegenüber der ulmer Firma unternahm, ist unbekannt. Seine Presseerklärung datiert vom 19. Dezember 2017. War das Vorgehen eine Reaktion auf das Plädoyer des Anwaltes von Arnold?

Trotz allem gilt die Erkenntnis: Lieber ein schlechter Ausschuss als gar kein Ausschuss. Immerhin sind die Ausschüsse offene Schauplätze der politischen Auseinandersetzung um den NSU-Sumpf. Weitere Ausschüsse wären nötig: Unter anderem in Berlin, wo zwei Kader der rechtsextremen Organisation Blood and Honour als V-Personen geführt wurden. Und in Bayern, dem Bundesland mit fünf NSU-Morden, müsste längst ein zweiter Ausschuss folgen. Das belegen nicht zuletzt die Ausführungen der Opferanwältin Seda Basay-Yildiz. 1