Dauersumpf NSU

Seite 4: Schauplatz Untersuchungsausschuss Brandenburg: V-Mann "Piatto"

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Auch in Potsdam setzt am selben Tag der NSU-Ausschuss von Brandenburg seine Arbeit fort. Im Juli 2016 konstituiert, kommt er nach eineinhalb Jahren nun zu einem seiner wichtigsten Beweisthemen: Die Rolle des Neonazis und V-Mannes Carsten Sz.

Sz. hatte, als er bereits V-Mann war, Kontakt zum unmittelbaren Umfeld des NSU-Trios in Chemnitz und war von dort beauftragt worden, Waffen zu besorgen. 1992 war er an einem Mordversuch an dem nigerianischen Asylsuchenden Steve E. beteiligt und wurde zu acht Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis soll er 1994 als V-Mann "Piatto" des Verfassungsschutzes von Brandenburg rekrutiert worden sein.

Christoph K., der Anwalt des Opfers Steve E., macht nun vor dem Ausschuss Aussagen, die den Verdacht bestärken, dass Sz. bereits vor 1994 Informant eines Dienstes gewesen ist. Möglicherweise in Berlin, wo Sz. herstammt oder beim Bundesamt für Verfassungsschutz. In Brandenburg wurden Quellen erst ab 1993 angeworben. Vor dem Oberlandesgericht in München hatte Sz. selber erklärt, er sei schon seit 1991 ein "Informant" gewesen. Sollte das stimmen, hätte er den Mordversuch an Steve E. als Mitarbeiter eines Dienstes begangen.

Jedenfalls erfuhr Carsten Sz. eine offizielle Sonderbehandlung. Nachdem er in Brandenburg Spitzel geworden war, kam er in den offenen Vollzug, absolvierte tagsüber ausgerechnet im 200 Kilometer entfernten Chemnitz und ausgerechnet in einem rechten Devotionalienladen ein Praktikum, zu dem ihn seine V-Mann-Führer hin- und zurückchauffierten. Einer von ihnen ist heute der Verfassungsschutzpräsident von Sachsen.

"Piatto" hatte im Knast Handy und Computer, konnte ein rechtsradikales Fanzine herstellen und laute rechtsradikale Musik hören. Alles Dinge, die eigentlich nicht erlaubt waren, wie der damalige Abteilungsleiter für den offenen Vollzug in der JVA Brandenburg, Gerhard K., nun im Ausschuss erklärt. Doch er will nichts davon gewusst haben. Auch nicht, dass Sz. V-Mann war und regelmäßig Besuch von einem VS-Beamten bekam. Die Abgeordneten wollen dem Zeugen, der zu DDR-Zeiten unter anderem stellvertretender Leiter der U-Haftanstalt in Frankfurt/Oder war und damit zur Nomenklatur des Systems gehörte, nicht so recht folgen und vereidigen ihn am Ende.

Wie es aussieht, hat der Verfassungsschutz die Regeln in der Haftanstalt bestimmt. Doch das geht nicht ohne Mitarbeit der Anstaltsleitung. Wer also hat mit dem Dienst kooperiert und ihm das erlaubt? Eine Antwort bekommt der Ausschuss aber auch vom damaligen JVA-Leiter Wolfgang H. und seinem Stellvertreter Kurt E., beide inzwischen Ruheständler, nicht. Auch sie wollen nichts von den VS-Aktivitäten in ihrem Haus gewusst haben.

Dummerweise liegen den Abgeordneten Akten vor, die das Gegenteil belegen. Aus einem Vermerk von 1997 geht hervor, dass der VS-Beamte Gordian Meyer-Plath, der heutige VS-Chef in Sachsen, samt Kollege bei den Anstaltsleitern H. und E. vorstellig wurden, um zu erreichen, dass die verschärfte Postkontrolle gegenüber Sz. aufgehoben werde. H. und E. sagen auch dazu: Nicht bekannt. Beide verneinen sogar, während ihrer gesamten beruflichen Tätigkeit auch nur einen Kontakt zum Verfassungsschutz gehabt zu haben.

Doch die Abgeordneten wissen mehr: "Wie kommt es, dass der Verfassungsschutz Sie, Herr E., als 'Vertrauensmann' in der JVA bezeichnete?", fragen sie. Der Angesprochene kann sich das nicht erklären. Eine VS-Quelle ganz oben in der JVA-Leitung?

Die beiden Zeugen bewegen sich auf dünnem Eis. Auch dieser Ausschuss gibt ihnen eine zweite Chance und rettet sie womöglich vor einem Meineid. Ihre Vernehmung wird abgebrochen, sie sollen sich gezielt vorbereiten und im Februar erneut erscheinen. Zugleich wird ihnen mitgeteilt, dass sie dann auch vereidigt werden.

Der dritte JVA-Leiter zu "Piattos" Zeiten, Bernd R., ist gleich gar nicht vor dem Ausschuss erschienen. Er will seine Zeugenladung lediglich als "Mitteilung" verstanden haben.