"Dein Obdach ist nicht hier"

Seite 3: Köln: Suizid in der Hochschulgemeinde

Den Gipfel negativer Berichterstattung bildet vorerst der Tod eines Obdachlosen in den Räumen der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Köln. Der Vorfall löste Mitte Dezember ein großes Echo aus.

Am Montagmorgen, dem 13. Dezember, wurde der 56 Jahre alte Mann, der seit mehr als sechs Jahren auf dem Gemeindegelände gelebt hatte, im Keller der Einrichtung tot aufgefunden.

Das berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger (KStA) in seiner Ausgabe vom selben Tag.

Offenbar hatte sich der Mann, der in der KHG als Milan bekannt war, das Leben genommen. Die um 7:20 Uhr herbeigerufene Polizei stellte keine Hinweise auf Fremdverschulden fest.

Als Hintergrund des Suizids, so der KStA, vermuteten Mitarbeitende ein Ultimatum, das der neue Leiter der KHG, Diakon Johannes Schmitz, dem Obdachlosen etwa zwei Wochen zuvor gestellt haben soll: Noch vor Weihnachten sollte er seinen angestammten Schlafplatz in einer der vier Garagen unter den Büros der KHG verlassen.

Als Begründung sei dem Mann gesagt worden, sein irregulärer, illegaler Aufenthalt auf dem Gelände sei für die KHG-Leitung nicht länger zu verantworten. Nach Informationen des Lokalblattes besaß der Mann serbischer Herkunft eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Lediglich sein serbischer Pass sei abgelaufen gewesen. Gelegentlich übernachtete er auch schon mal in einer Art Gästezimmer der KHG.

Die KHG ist eine Einrichtung des Erzbistums Köln an der Universität zu Köln und den Hochschulen in Köln und in der Region. Das KHG-Team betraute den gelernten Zahntechniker, der wegen privater Probleme auf der Straße gelandet sei, mit verschiedenen Aufgaben wie der Sauberhaltung der Außenanlagen oder der Reparatur von Fahrrädern.

Den Innenhof des Gemeindeareals gestaltete der Mann als Garten mit Blumen. Verpflegt wurde er über einen Lebensmittelverteiler der KHG, seinen Kaffee bekam er im Büro. "Er war ein Stück weit Teil unserer KHG-Familie. Eigentlich war er immer da, auch zu unserer Weihnachtsfeier", zitiert der KStA eine Mitarbeiterin. Diese und andere Einzelheiten wurden nach Recherchen des KStA bekannt.

"Völlig verrechtlichte Kirche"

Das Erzbistum erklärte in einer Stellungnahme, es habe keine Hinweise darauf gegeben, dass der Mann sich das Leben nehmen könnte. Verschiedene Verantwortliche hätten bereits seit 2020 mit Milan darüber gesprochen, dass die Nutzung der KHG-Räumlichkeiten keine Dauerlösung für ihn sein könne. Am 15. Dezember hätte ein Gespräch mit zwei KHG-Verantwortlichen stattfinden sollen.

Tragischer Tod – oder Paradebeispiel für den Umgang mit Entrechteten?

Milan sei nach der Aufforderung auszuziehen "am Boden zerstört gewesen", so der frühere Hochschulpfarrer Klaus Thranberend gegenüber dem KStA. Besonders gekränkt habe es ihn, dass die Leitung der KHG "unter Zeugen" zu ihm gekommen sei, um ihn zu vertreiben. "Lass mich nicht allein", habe Milan zu Thranberend gesagt.

Thranberend bemühte sich kurzfristig um eine Übergangsbleibe – doch vergeblich. Er bot dem Mann an, fürs Erste bei ihm zu schlafen. "Aber da wirkte er schon sehr verzweifelt, als ob er jede Perspektive verloren hätte."

Thranberend wirft seinem Nachfolger und dem Erzbistum Köln, das für die KHG verantwortlich ist, vor: "Dieses Handeln einer völlig verrechtlichten Kirche ist unerträglich, unpastoral und asozial. Wie kann man so etwas tun, erst recht kurz vor Weihnachten?"

Europa: immer weniger bezahlbarer Wohnraum

In ganz Europa gibt es nach Angaben des Europäischen Verbands nationaler Organisationen der Wohnungslosenhilfe 70 Prozent mehr Obdachlose als noch vor zehn Jahren.

Ein Grund dafür: Es steht immer weniger Wohnraum zur Verfügung, den sich Menschen und Familien mit niedrigem Einkommen leisten können.

Denn die Zahl der Sozialwohnungen sinkt nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe in Deutschland stetig. Waren es 1990 noch fast 300.000, so schätzt man die Zahl für das Jahr 2020 auf nur noch knapp über 100.000:

Hauptgründe für die steigende Zahl der Wohnungslosen sind für die BAGW das unzureichende Angebot an bezahlbarem Wohnraum, die Schrumpfung des Sozialwohnungsbestandes und die Verfestigung von Armut.

Werena Rosenke, Pressesprecherin der BAG Wohnungslosenhilfe

Die "Straßenobdachlosigkeit" ist der BAGW zufolge stark durch die EU-Binnenzuwanderung geprägt; dies treffe für die Wohnungslosigkeit insgesamt nicht zu.

Wie schon angedeutet: In den letzten Jahren kam es in mehreren EU-Ländern zu einer repressiven Wende in der Politik: Seit 2018 zum Beispiel ist in Ungarn Obdachlosigkeit verboten, sie wird regelrecht kriminalisiert.

Die staatlichen Unterkünfte, mit denen sich die Verantwortlichen herausreden, reichen bei weitem nicht aus, auch wird ihnen ein schlechter Zustand nachgesagt.

Zuletzt: Ab 2022 will das Statistische Bundesamt jährlich Daten zu wohnungslosen Personen erheben und eine zentrale Statistik veröffentlichen. Doch auch dann werden nur die Menschen erfasst, die in Not- und Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind.