Demokratische Institutionen bleiben erhalten, verlieren aber ihre Funktion

Seite 2: Bonapartismus als grundlegendes Muster bürgerlicher Herrschaftssicherung

Was bleibt, sind die Trümmer einer Fassadendemokratie, hinter denen eine neue, autoritäre bürgerliche Herrschaftsform heraufzieht. Die wirtschaftlichen und politischen Machteliten des digitalen Kapitalismus geben demokratische Einbindungs- und Befriedungsstrategien auf und implementieren Elemente eines neuen Bonapartismus.

Als Bonapartismus gilt in der Forschung der Aufstieg und die Herrschaft von Napoleon III. in Frankreich, wie sie Karl Marx in seiner Schrift Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte beschrieben hat. Vier Elemente kennzeichnen diese Herrschaftsform: Erstens gibt das Bürgertum seine politische Macht an einen Autokraten ab, um seine wirtschaftliche Macht unter Krisenbedingungen zu sichern.

Kurz: Profit ist dem Bürgertum wichtiger als Demokratie. Zweitens nutzt der Autokrat die Mittel der Demokratie, um die Demokratie abzuschaffen. Drittens setzt er dazu auf direkte Kommunikation mit dem Wahlvolk und schaltet so das Parlament als gewählte Repräsentation aus. Viertens gelingt ihm dies, weil sich die mit der bürgerlichen Demokratie Unzufriedenen, die "Deklassierten aller Klassen" (August Thalheimer) hinter ihm versammeln und ihm ein quasi-plebiszitäres Mandat verschaffen.

Der Bonapartismus kann als grundlegendes Muster bürgerlicher Herrschaftssicherung gelten. Neben der repräsentativen Demokratie etabliert er sich zunehmend als postdemokratische, aber dennoch bürgerliche Herrschaft. Auch der Faschismus ist demnach eine bürgerliche Herrschaftsform, denn das Privateigentum an Produktionsmitteln und damit die private Aneignung von Mehrwert bleiben erhalten. Der Aufstieg von Donald Trump kann als Beispiel bonapartistischer Herrschaftsstrategien gelten.

So hat er sich die starke Rolle des US-Präsidenten in der Verfassung zunutze gemacht, es ist ihm schnell gelungen, die Republikanische Partei hinter sich zu bringen, und er nutzte seine präsidiale Autonomie, die Republikaner zu einer Trump-Partei zu formen. Aufgrund seiner starken Stellung konnte er Minister und Berater ernennen und wieder entlassen. Gegen die führenden liberalen Medien in den USA konnte er eine weitgehende Autonomie gewinnen, weil er Rupert Murdochs Sender Fox News hinter sich hatte und über Twitter direkt mit seinen Anhängern kommunizierte. So schürte er erfolgreich die Unzufriedenheit traditioneller Wähler der Demokraten mit den Washingtoner Eliten.

War die Wahl von Donald Trump 2016 nur vor dem Hintergrund der Verschärfung sozialer Gegensätze in den USA möglich, so löste er dennoch kein einziges Versprechen für die Menschen in den ehemaligen Industriestandorten ein. Trump holte mehr Milliardäre in seine Administration als jeder Präsident vor ihm, bescherte Großunternehmen und Superreichen Steuererleichterungen, kürzte bei Bildung, Wohnungsbau und Ernährungsprogrammen und versuchte, Millionen Menschen ihre Gesundheitsversorgung zu nehmen. Die Liste ließe sich leicht verlängern.

De facto machte Trump Politik ganz im Sinne der bürgerlichen Besitzeliten und suchte die Verwertungsbedingungen des Kapitals durch Deregulierung und Umverteilung von unten nach oben zu verbessern. Der Historiker Arthur Rosenberg zieht aus der Revolution von 1848/49 in Deutschland die hierzu passende Lehre, "dass zwar die Selbstregierung des Volkes nach wie vor das allgemeine Stimmrecht voraussetzt, dass aber zugleich eine Karikatur des allgemeinen Stimmrechts auch mit brutalster Unterdrückung der Volksmassen vereinbar ist".

Betrachtet man als Beispiele Länder wie Ungarn, Polen oder Frankreich, so lässt sich zeigen, dass sich in den westlichen Demokratien die autokratischen Strukturen verstärken. Demokratische Institutionen bleiben erhalten; sie verlieren aber ihre Funktion, da an ihnen vorbei Politik gemacht wird.

Strukturwandel der Öffentlichkeit

Die sozioökonomische Transformation des Neoliberalismus in den digitalen Kapitalismus und die parallele Involution der demokratischen Institutionen auf dem Weg zu postdemokratischen Herrschaftsformen werden begleitet von einem Strukturwandel der Öffentlichkeit, der wiederum den konstitutiven Rahmen für die Recherche darstellt. Dieser Strukturwandel kann als Zerfall der kritischen Öffentlichkeit verstanden werden.

Die fortschreitende Kommerzialisierung der Medien, ihre Abhängigkeit vom Geld der werbetreibenden Wirtschaft sowie die Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit von Parteien, Verbänden, Regierungen und Unternehmen führen, so Jürgen Habermas, zu einer fortschreitenden "Refeudalisierung der Öffentlichkeit":

Die bürgerliche Öffentlichkeit nimmt im Maße ihrer Gestaltung durch public relations wieder feudale Züge an … Die Formen der gezielten Meinungslenkung … sind solche, die bewusst vom liberalen Ideal der Öffentlichkeit abweichen.

Diese Involution bürgerlicher Öffentlichkeit vollzieht sich in mehreren Dimensionen. Auf der Inhaltsebene kommt es zu einer Verengung des Diskussionsfeldes. Rainer Mausfeld erläutert: Den ideologischen Apparaten ist es gelungen, den öffentlichen Debattenraum auf Detaildiskussionen innerhalb der neoliberalen Agenda zu verengen. Die Diskussion grundlegender Reform-Alternativen wird als "Verschwörungstheorie" ausgegrenzt oder der materiellen Grundlage beraubt.

So konnte die kritische Dokumentation "Wer rettet wen?" über die Finanzkrise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit nur als "Film von unten", also durch Fundraising, entstehen. Die erzwungene Alternativlosigkeit geht so weit, dass sogar das wirtschaftsnahe Wall Street Journal schreibt, das neoliberale Programm sei nicht mehr auf demokratischem Wege abwählbar.

Der Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Buch: Patrik Baab: Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung., erschienen im Westend- Verlag, 272 Seiten.

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