Den Ersten beißen die Hunde
Ein algerischer Pilot wurde zu Unrecht verdächtigt, den 9/11-Terroristen Flugunterricht gegeben zu haben; jetzt klagt er von den USA 20 Millionen Dollar Wiedergutmachung ein
Lotfi Raissi war der erste, der im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September angeklagt wurde. Dem französisch-algerischen Piloten war vorgeworfen worden, an der Ausbildung von vier Kamikaze-Hijackern beteiligt gewesen zu sein. Ein Londoner Richter hatte per internationalem Haftbefehl Auslieferungshaft gegen Raissi verfügt; er war der erste und er war nicht der einzige, der für ein Verbrechen eingesperrt wurde, mit dem er nicht das Geringste zu tun hatte.
Morgens um drei war der 27jährige in der Nacht auf den 21.September 01 abtransportiert worden, ohne Kleidung, seine französische Frau in einem anderen Wagen. Ihm stehe, so seine Verhörer, die Todesstrafe bevor, da man ihn der Teilnahme an einem Mordkomplott überführen werde. Man habe Telefongespräche, Videomaterial, Beweise, dass er vier der Flugzeugentführer, darunter Mohammed Atta, trainiert und auf den Anschlag vorbereitet habe. Das Videomaterial des FBI stellte sich später als Webcamaufnahme heraus, die Raissi mit seinem - völlig harmlosen - Cousin zeigte.
Raissi sagt, dass mit der Verhaftung am 21.September sein Leben vorbei war und dass es erst wieder begonnen habe, als man ihn wieder freiließ. Als Gefangener hatte er es so schwer, weil die ganze Welt glaubte, er sei verantwortlich für den Tod von, wie man damals schätzte, 6000 Menschen. Er sei "sehr, sehr, sehr schlecht" behandelt worden.
The Guardian, 15. Februar 02
Kurz nach den Attentaten ging folgendes durch die Weltpresse: Es gebe hinreichende Beweise dafür, dass Raissi die Entführer "nicht nur einfach kannte, sondern dass diese Beziehung anderer Art war". Man habe Beweise für die Teilnahme an einer aktiven Verschwörung. Außerdem habe er im Jahr 2001 mehrfach die USA besucht, sein Wohnort in der Nähe des Londoner Flughafens Heathrow wurde als weiteres Indiz für seine Schuld gewertet.
Er verbrachte fünf Monate im Hochsicherheitstrakt des britischen Belmarsh Gefängnisses. Einem britischen Richter hat er es zu verdanken, dass er zumindest nicht, wie gefordert, in die USA ausgeliefert wurde.
Gestern haben nun Raissis US-amerikanische Anwälte Klagen gegen das FBI und das Justizministerium angekündigt. Der Pilot, welcher seit dem Vorfall in psychologischer Behandlung ist und aufgrund seines geschädigten Rufes keine Anstellung mehr findet, will 20 Millionen Dollar und eine Entschuldigung. Sein britischer Anwalt wird außerdem Klagen gegen die britische Strafverfolgungsbehörde und die Polizei einreichen.
Wir klagen nicht wegen des Geldes, sondern wegen des Prinzips. Meine Familie und ich, wir wollen Gerechtigkeit, eine Entschuldigung und wir sollen sicher sein, dass das nie mehr passiert. Man hat mein Leben und das Leben meiner Familie zerstört.
Lotfi Raissi
Raissi sei, so einer der Anwälte, der übrigens zum Team von Amnesty International gehört, mit dem Stigma des Terroristen fürs Leben gezeichnet.
Der Fall des Algeriers Lotfi Raissi ist ein starkes Beispiel, eines von vielen leider, dafür, wie bei der Suche nach "Terrorismusverdächtigen" unschuldige Menschen dran glauben müssen - indem ihre Rechte auf Freiheit und menschenwürdiges Leben verletzt werden.
ai
Angesichts der recht großen Zahl an unschuldig Inhaftierten könnte da eine neue Klagewelle anrollen. Vor zwei Monaten hat bereits ein Pakistani 10 Millionen US-Dollar Wiedergutmachung von der US-Regierung verlangt (vgl. Entlassener Guantanamo-Häftling fordert Entschädigung). Der als unschuldig Freigelassene ("Sie baten nicht um Entschuldigung. Sie sagten nur: Sie können nach Hause gehen.") will, wenn die USA nicht zahlen, in Pakistan und vielleicht auch in den USA Klage erheben. In der 10-monatigen Gefangenschaft habe Saghir, so sein Anwalt Chaudhry, einen "geistigen Schock, finanzielle Verluste, körperliche Schikanen, Freiheitsberaubung und religiöse Schikanen" erlitten.
Auch ein in Darmstadt lebender Deutsch-Marokkaner war ins Visier der Behörden geraten. Hossain El-Quariachi hatte bereits vor dem 11.September geplant, in den USA eine Flugschule in Las Vegas zu absolvieren. Doch schon bei der Einreise am 12.Oktober wurde er sofort ins Gefängnis gebracht, wo er fünf Wochen in Einzelhaft zubringen musste. Als sich herausstellte, dass er weder Kontakt zu islamischen Gruppen noch irgend etwas mit den Anschlägen vom 11.September zu tun hatte, wurde Quariachi aber nicht freigelassen, sondern wegen Visumsbetrug zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt. (vgl. 5 Wochen auf Verdacht in Einzelhaft)