Den grünen Schalter umlegen

Bild: UN

Die Energie- und Klimawochenschau: Fossile Energien weiterhin stark subventioniert, globale Gesundheit verschlechtert, Großbritannien überraschend ambitioniert

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"Der Planet ist kaputt", erklärte UN-Generalsekretär Antonio Guterres in einer aufrüttelnden Rede an der Columbia University am 2. Dezember: "Die Menschheit führt Krieg gegen die Natur. Das ist selbstmörderisch. Die Natur schlägt immer zurück - und sie tut es bereits mit wachsender Kraft und Wut."

Dieser Krieg gegen die Natur betrifft nicht nur das Klima, sondern auch die Verschmutzung von Meeren, Luft und Wasser sowie die Vernichtung von ursprünglicher Natur und damit einhergehend die Entstehung und Ausbreitung neuer Krankheiten. Auch spricht Guterres nicht mehr von einer Klimakrise, sondern davon, dass wir nah an einer Klimakatastrophe sind. Trotz der deutlichen globalen Erwärmung und der durch sie bedingten Katastrophen wie apokalyptische Waldbrände und Wirbelstürme gingen die Treibhausgasemissionen weiter nach oben. Heute werden 62 Prozent mehr Treibhausgase ausgestoßen als im Jahr 1990, als die internationalen Klimaverhandlungen begannen.

Die Wissenschaft ist kristallklar: Um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius über vorindustriellem Niveau zu begrenzen, muss die Welt die Produktion fossiler Brennstoffe um ungefähr 6 Prozent pro Jahr zwischen heute und 2030 vermindern. Stattdessen bewegt sich die Welt in die entgegengesetzte Richtung - sie plant einen jährlichen Anstieg um 2 Prozent.

Antonio Guterres

Förderung fossiler Brennstoffe steigt tendenziell

Damit bezieht sich Guterres auf den gerade erschienenen "Production Gap Report 2020", der von Forschungsinstituten in Zusammenarbeit mit dem UN-Umweltprogramm (UNEP) herausgegeben wird. Der Production Gap Report war erstmals vor einem Jahr erschienen und untersucht, inwieweit die weltweite Förderung fossiler Brennstoffe mit dem verbleibenden Emissionsbudget zur Einhaltung des Pariser Klimaziels in Einklang steht.

Für 2020 stellt der Bericht fest, dass die Förderung von Kohle, Öl und Gas Schätzungen zufolge um 7 Prozent zurückgehen könnte - was in etwa dem entspricht, was innerhalb der nächsten Dekade jährlich notwendig ist, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch dieser Rückgang dürfte einmalig sein und geht lediglich auf die Covid-19-Pandemie und die Lockdown-Maßnahmen zurück. Schaut man sich jedoch die Pläne in den einzelnen Ländern an, ist mit einer Steigerung der Förderung um 2 Prozent pro Jahr zu rechnen. Stattdessen müsste die Kohleförderung um 11 Prozent pro Jahr, die Ölförderung um 4 Prozent und die Gasförderung um 3 Prozent reduziert werden.

Die Erholung von Covid-19 wird jedoch auch eine Chance sein, den "grünen Schalter" umzulegen, meint Guterres. Dabei gebe es drei Imperative: in drei Jahrzehnten Klimaneutralität zu erreichen, das Finanzsystem am Pariser Klimaabkommen auszurichten und einen Durchbruch bei der Klimaanspassung zu erzielen, besonders um die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen und Länder zu schützen.

Wie Guterres in seiner Rede erwähnt hat, könnten die Staaten auf eine "grüne" Erholung aus der Coronakrise setzen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, wie im Bericht der UNEP zu lesen ist: "Bis heute haben Regierungen weit mehr COVID-19-Fonds für fossile Brennstoffe vergeben als für saubere Energie. Politische Entscheidungsträger müssen diesen Trend umkehren, um die Klimaziele zu erreichen." Die Regierungen der G20 hätten 233 Milliarden US Dollar für Produktion und Konsum fossiler Brennstoffe ausgegeben, z.B. für Fluggesellschaften und Autohersteller, und nur 146 Milliarden US Dollar für erneuerbare Energien, Energieeffizienz und klimafreundliche Alternativen, wie etwa die Förderung des Fuß- und Radverkehrs.

Zwar seien auch Gelder in Maßnahmen geflossen, die Energieförderung sauberer zu gestalten, etwa die Reduktion von Methanemissionen bei der Gasförderung, der Großteil der Subventionen an fossile Industrien unterliege allerdings keinerlei Bedingungen. Die Pandemie habe außerdem gezeigt, dass ärmere Länder stark von der Förderung fossiler Energien abhängig sind. Länder, deren öffentlicher Sektor von solchen Einbrüchen stark betroffen ist, sind zum Beispiel Nigeria, der Irak oder Ecuador. Länder wie diese bräuchten bei der Transformation Unterstützung von reicheren Ländern.

In Guterres' Ansprache ging es hingegen um mehr als eine unbedingte Hinwendung zum Klimaschutz, denn das, was den Planeten zerstört, sind multiple - und sich gegenseitig bedingende Krisen. Vom Generalsekretär der UN ist nun keine grundsätzliche Kapitalismuskritik zu erwarten, dennoch stellt er die Orientierung an bekannten Wirtschaftsindikatoren wie dem Bruttoinlandsprodukt ebenso in Frage, wie er die Straßenproteste junger Menschen lobt und plädiert: "Wir können nicht zurückkehren zur alten Normalität der Ungleichheit, Ungerechtigkeit und rücksichtsloser Beherrschung der Erde."

Immer mehr Hitzetote

Mit den Auswirkungen der globalen Klimaerwärmung auf die Gesundheit beschäftigt sich der Bericht "The Lancet Countdown". Hierfür wurde Fachwissen aus unterschiedlichen Disziplinen von 35 führenden akademischen Institutionen und UN-Organisationen zusammengetragen. Auch hier wird festgestellt, dass sich die Welt auf keinem Pfad befindet, um das Pariser Abkommen einzuhalten und:

Die Klimaveränderungen haben weltweit bereits zu erheblichen Verschiebungen der sozialen und ökologischen Determinanten von Gesundheit geführt. Sämtliche Indikatoren, welche der Lancet Countdown zu den Auswirkungen des Klimawandels, seinen Gefahren und Vulnerabilitäten verfolgt, haben sich verschlechtert.

The Lancet Countdown

Wieder einmal stellt sich heraus, dass nicht alle Menschen gleich vom Klimawandel betroffen sind, vielmehr sind es vor allem vulnerable Bevölkerungsgruppen, die gesundheitlich am stärksten, z.B. unter Hitzewellen, zu leiden haben. Für das Jahr 2018 werden 296.000 Todesfälle auf Hitze zurückgeführt. Bei der Zahl der hitzebedingten Todesfälle steht Deutschland mit 20.000 Toten im Jahr 2018 übrigens nach den weit bevölkerungsreicheren Ländern China und Indien an dritter Stelle, was vor allem am hohen Durchschnittsalter der Deutschen liegt. Die Sterblichkeit über 65-Jähriger aufgrund von Hitze hat sich in den letzten 20 Jahren um 53,7 Prozent erhöht.

Der Klimawandel bedroht auch die globale Ernährungssicherheit, da der Ertrag der wichtigsten Feldfrüchte rückläufig ist. Gleichzeitig sind Infektionskrankheiten wie Dengue und Malaria auf dem Vormarsch, da sich die klimatischen Bedingungen für deren Überträger verbessert haben. Zwischen 145 und 565 Millionen Menschen seien von Überschwemmungen durch den ansteigenden Meeresspiegel bedroht.

Gleich in mehrfacher Hinsicht gesundheitsschädlich ist die Verbrennung von Kohle, die dadurch verursachte Luftverschmutzung fordert jedes Jahr mehr als eine Million Todesopfer. Und auch übermäßiger Fleischkonsum belastet mit der Tierhaltung nicht nur das Klima, sondern ist ebenfalls ursächlich für vorzeitige Todesfälle.

In dem Bericht positiv hervorgehoben wird, dass viele Länder dabei sind, ihre Gesundheitssysteme an den Klimawandel anzupassen. Und auch in Gesundheitsfragen ist es wichtig, in welche Technologien heute investiert wird:

Konjunkturpakete, bei denen veraltete Energie- und Transportformen mit hohem Verbrauch an fossilen Brennstoffen dominieren, werden unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben und unnötigerweise zu den sieben Millionen Menschen beitragen, die jedes Jahr an Luftverschmutzung sterben. Hingegen werden Investitionen in die notwendigen Voraussetzungen für Gesundheit, wie erneuerbare Energien und saubere Luft, Infrastruktur für aktiven nicht-motorisierten Transport und körperliche Bewegung sowie eine resiliente und klimafreundliche Gesundheitsversorgung letztendlich effektiver sein.

The Lancet Countdown

Großbritannien stellt EU in den Schatten

Fünf Jahre nach dem Klimaabkommen von Paris wäre es auf dem diesjährigen Klimagipfel eigentlich an der Zeit gewesen, dass die einzelnen Staaten ihre jeweiligen selbstgesetzten Klimaziele (NDC) überprüfen und verschärfen. Doch die Klimakonferenz ist wegen der Pandemie auf 2021 verschoben. Allerdings wird am Samstag eine virtuelle Veranstaltung unter dem Titel "Climate Ambition Summit 2020" stattfinden. In diesem Zusammenhang sind die Staaten gefordert, neue, ambitioniertere NDCs einzureichen sowie langfristige Klimaneutralitätsstrategien. Außerdem steht erneut das Thema auf der Agenda, mehr Gelder für die Klimafinanzierung für die ärmsten Länder zur Verfügung zu stellen sowie Anpassungsstrategien zu entwickeln.

Im Vorfeld dieses virtuellen Gipfels hat Großbritannien, Gastgeber der Klimakonferenz 2021 in Glasgow, angekündigt, sein Emissionsreduktionsziel bis zum Jahr 2030 auf 68 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu verschärfen. Damit übertrifft es die EU, die ihr Klimaziel wohl in diesem Jahr noch auf 55 Prozent Reduktion bis 2030 verschärfen wird, und hat damit eines der ambitioniertesten mittelfristigen Klimaziele weltweit. Zwar haben sich bereits einige Länder darauf festgelegt, bis 2050 klimaneutral werden zu wollen, schnelle Reduktionen sind für die Einhaltung des Pariser Klimaziels aber umso wichtiger. Britische Klimaschutzorganisationen hätten sich allerdings eine Reduktion um 75 Prozent gewünscht, berichtet der Guardian. Außerdem wird kritisiert, dass bislang kein kohärenter Plan vorliegt, dieses Ziel auch zu erreichen.

Unterdessen hat das dänische Parlament am Donnerstag beschlossen, dass das Land bis 2050 aus der Erdöl- und Erdgasförderung aussteigen soll. Nach Großbritannien ist Dänemark der größte Ölförderer in der Nordsee. Dänemarks Klimaziel für 2030 liegt bei minus 70 Prozent gegenüber 1990, bis 2050 soll das Land ebenfalls klimaneutral sein.

Rodungsarbeiten im "Danni" fast beendet

In Deutschland wird unterdessen munter weiter Wald für den Bau von Autobahnen vernichtet. Am Montag wurde der letzte Abschnitt der Schneise durch den Dannenröder Forst fast komplett gerodet. Dafür wurden wieder Waldschützer aus Bäumen und Lock-Ons geräumt.

Noch am Sonntag hatten über 600 Menschen gegen die Abholzung demonstriert. Unverhältnismäßige Polizeigewalt und die Gefährdung von Aktivisten waren in den letzten Monaten fast an der Tagesordnung. Am Montag berichtete ein Journalist auf Twitter, dass er von Polizisten gefesselt und gegen den Kopf getreten worden sei, obwohl er einen Presseausweis bei sich getragen und die Polizisten wiederholt darauf aufmerksam gemacht habe.

Die Presse stürzte sich gestern unterdessen auf die Polizeimeldung, dass ein Mann wegen versuchten Totschlags im Dannenröder Forst gesucht würde. Der Verdächtige hat laut Mitteilung der Polizei Mittelhessen am 23. November eine Struktur aus zwei Stämmen, einen "Duopod", durch Kappen eines Halteseils zum Einsturz gebracht, während sich darunter Einsatzkräfte der Polizei und ein Bagger samt Fahrer befanden - sie blieben aber unverletzt. Das Medienecho (inklusive teilweiser Vorverurteilung) ist hier umso größer als bei dem Fall einer Aktivistin, die aus fünf Metern Höhe abstürzte und sich mehrere Wirbel brach, nachdem ein Polizist ein Sicherungsseil gekappt hatte. Hier schließen die Ermittlungsbehörden vorsätzliches Handeln schon im Vorhinein aus.

Der Hessische Rundfunk berichtet außerdem, dass die Polizei die beteiligten Aktivisten für die Einsätze gegen Abseilaktionen an Autobahnen sowie für Räumaktionen im Dannenröder Forst bezahlen lassen will. Die Androhung, horrende Einsatzkosten auf die Aktivisten abzuwälzen, klingt nach einem Versuch, junge Menschen vor künftigen, neuen Umwelt- und Klimaprotesten einzuschüchtern, unabhängig davon, ob sich das letztendlich rechtlich durchsetzen lässt oder nicht.