Der 3-Cent-Wahnsinn

Eine neue Briefmarke stellt unser Wirtschaftssystem in Frage. Unsere Nachfrage verbessert die Welt - Teil 2

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Man muss schon etwa Jahrgang 1959 sein, um sich noch an die Colaflasche aus Weingummi zu erinnern. Sie kostete beim Bäcker 5 Pfennig inklusive einer kleinen Papiertüte. Für zwei Pfennig erhielten wir ein buntes Brausebonbon. Da viele Kinder nur über ein Budget von 20 Pfennig verfügten, konnten sie so selbst am Shoppingerlebnis im Einzelhandel mitwirken.

Seit ersten Januar 2013 nun beglückt ein deflationäres Kernprodukt aus deutscher Produktion den Verbraucher: eine 3-Cent-Briefmarke.

Kollektives Charity-Gimmick: Die kuriose 3-Cent-Marke

Die führende Wirtschaftsmacht Europas mit einer 3-Cent-Marke in Verbindung zu bringen, könnte als satirische Aktion der Titanic oder von Eurogegnern gelten, mit der diese auf die umgreifende Verarmung der Bundesbürger im vereinten Europa hinweisen möchten.

Vorweg: Diese, von der Deutschen Post AG aufgelegte Marke befördert keinen einzigen Brief, ja nicht einmal per E-Post. Die 3-Cent-Marke ist ein Kuriosum unseres Wirtschaftssystems, eine Blüte von scheinbar ökonomischen Erwägungen, deren Ergebnis nackter Wahnsinn ist.

Bis zum 31.12.2012 konnte man innerhalb Deutschlands einen Brief für 55 Cent versenden. Dieser Preis wurde auch auf vorfrankierten Couverts gedruckt, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Aber auch in den komplexen Warenwirtschaftssystemen von Postagenturen, Unternehmen und Briefversendern waren die 55 Cent fest einprogrammiert.

Briefmarken sind von der Umsatzsteuer ausgenommen, was im Fall der 3-Cent-Marke sicherlich kein Nachteil ist, wenn man daran denkt, so eine Marke in Buchhaltung und Umsatzsteueranmeldung zu integrieren.

Die Deutsche Post AG nun plante, die Gebühren auch für den Standardbrief zu erhöhen. Das wäre eigentlich ganz einfach gewesen: Mit einem Preis von 60 Cent hätte die Post weder Massenaufstände ausgelöst, noch eine Kostenlawine bei der Umstellung. Es gibt nämlich bereits eine 5-Cent-Marke.

55+3=58

Warum aber 58 statt 60 Cent? Die geplante Portoerhöhung musste von einer bisher weitgehend unbekannten Behörde mit dem Namen "Bundesnetzagentur" genehmigt werden. Diese unterhält neun Beschlusskammern, die sogenannte "Regulierungsentscheidungen" treffen sollen. Die Abteilung Post, so können wir dem Jahresbericht 2011 entnehmen, ertrinkt geradezu in Arbeit: 66 Anfragen musste sie 2010 beantworten. 2009 waren es noch 147.

Die Bundesnetzagentur hat bei einem Jahresbudget von rund 180 Millionen Euro 2012 alleine Kosten in Höhe von exakt 13,74 Millionen Euro als Zuschuss für die Zipperlein ihrer Beamten im Budget. 2011 waren es erst 11,64 Millionen - ein drastischer Anstieg. Der Kummer in der Agentur scheint drastisch zuzunehmen, denn auch das Trennungsgeld musste von mageren 345.000 Euro 2011 auf 500.000 Euro 2012 erhöht werden. 57.000 Euro konnten an Kindertagesstätten überwiesen werden. Wenigstens gingen ganze 2.000 Euro für unwichtigere Verbandsmitgliedschaften drauf.

Jede dieser Divisionen, die offensichtlich getreu Parkinson's Law funktionieren, hat wiederum eine eigene Presseabteilung. Für Post ist Linda Sydow zuständig. Zitat: "Unsere Beschlusskammer hat eine Maßgrößenentscheidung für einen Preiscap beschlossen. Wir geben eine Anreizregulierung. Wie die Post den Korb aufteilt, also zum Beispiel die Postkarte verbilligt, ist die Entscheidung der Post."

Ist also die Post selbst schuld?

Sydow: "Ja, die Post selbst hat bei der Beschlusskammer 58 Cent für den Standardbrief beantragt."