Der Amazonentrunk

Schamanentee aus dem Urwald hilft gegen Depression

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ayahuasca heißt das Gebräu, das aus Lianen hergestellt wird. Das ist der Name in Quechua, der alten Sprache der Inkas, die heute noch mehr als acht Millionen Menschen sprechen. Auf Deutsch wird Ayahuasca als "Ranke der Seele" oder "Liane der Götter" übersetzt. Seit Menschengedenken kochen Schamanen in Südamerika diesen Sud, der den Geist öffnet und heilt. Jetzt ist die moderne Medizin an dem bitteren Tee interessiert, denn er könnte eine Arznei gegen Depression sein.

Ethnobotaniker gehen ungewöhnliche Wege, um an ihre Erkenntnisse zu kommen. Wie der New Scientist berichtet, empfängt Dennis McKenna von der University of Minnesota in Minneapolis in der Kirche der Uniao de Vegetal das Sakrament in Form eines bitter und faulig schmeckenden Trunks. Wie die anderen Teilnehmer der Messe wird er nach ungefähr 45 Minuten high, sein psychedelisch inspirierter Geist schwingt sich hinauf in den Himmel, er schwebt, er fliegt über den Baumgipfel des Dschungels, kriecht zusammen mit einer Schlange einen Stamm hinab oder rinnt wie ein Wassertropfen über die glatte Oberfläche eines Blattes im tropischen Regenwald. Was er getrunken hat, ist Ayahuasca, ein starkes Halluzinogen, das Visionen bis zu Out-of-body-Erlebnissen verursacht (Ideas and Reflections Associated with Ayahuasca Visions).

Schamanistische Kirchen

Bei den indigenen Völkern hat der spirituelle Gebrauch dieses Tranks eine lange Tradition und ist weit verbreitet (Versuch einer Bestandsaufnahme und ersten Orientierung über rituellen Ayahuasca-Gebrauch in ausgewählten stammeskulturellen Arealen und sozioökonomischen Umwelten Südamerikas). Die Schamanen nutzen ihn seit Menschengedenken, ein Mythos berichtet, wie er entdeckt wurde:

"Vor langer Zeit lebte ein Jäger im Regenwald. Eines Tages, als er weit von seiner Hütte entfernt war, hörte er eine Liane, die zu ihm sprach. Der Jäger, der viel darüber wusste, wie man aus Wurzeln, Rinden und Samen Jagdgifte bereitet, kannte die Kraft der Pflanzen. Er nahm die Liane mit nach Hause. In der folgenden Nacht erklärte ihm der Geist der Liane im Traum, wie man mit ihr ein Gebräu zubereiten könne, mit dem sich viele Krankheiten heilen ließen."

Zwei aus Brasilien stammende Religionen setzen auf die Wirkung von Ayahuasca. Die Kirche Uniao de Vegetal hat Wissenschaftler wie Dennis McKenna eingeladen, an ihren Zeremonien teilzunehmen und das heilige Getränk genau zu untersuchen. Genau wie die Anhänger der Glaubensgemeinschaft Santo Daime haben Einwanderer in Europa und den USA Schwierigkeiten, ihre Religion ausüben zu dürfen, weil der Konsum von Ayahuasca unter das Betäubungsmittelgesetz fällt (Im Drogenrausch zu Gott und Courts asked to consider culture).

Zutaten und Zusammenspiel

Die Grundzutaten sind Teile der Riesenschlingpflanze Banisteriopsis Caapi, die in der Vergangenheit als einer der ersten Fälle von Biopiraterie Schlagzeilen machte (Der "Fall Ayahuasca") und den Blättern des Busches Psychotria viridis. Letzterer enthält das Halluzinogen Dimethyltryptamin (DMT), dem einzigen Visionen hervorrufenden Stoff, den der menschliche Körper auch selbst produziert.

DMT ist ein weit verbreiteter Stoff, der in verschiedensten biologischen Lebensformen vorkommt, dessen genaue Funktion aber noch rätselhaft ist. Beim Menschen soll er zu lebhaften Träumen, religiöser Verzückung und verbessertem Erinnerungsvermögen führen. Er steht aber auch im Verdacht, die psychotischen Symptome der Schizophrenie auszulösen.

Die Lianen, aus denen Ayahuasca hergestellt wird (Bild: Peyote Catus Network)

DMT wird im Körper sehr schnell durch das Enzym Monoaminoxidase (MAO) zersetzt. Wenn man einen puren DMT-Tee trinkt, hat die Substanz keine Chance, das Gehirn zu erreichen, sie wird sofort abgebaut. Diesen Mechanismus behindern die Schamanen durch die Mischung mit der Liane, die Harmin enthält, einen sehr effektiven MAO-Hemmer.

Stoffe, die MAO ausbremsen, werden in der modernen westlichen Medizin als Medikamente gegen Depression eingesetzt (Monoaminoxidase-Hemmer). Bei der Herstellung von Ayahuasca werden die Zutaten zusammen mit Wasser aufgekocht (Bilderserie Three Blue Morpho Shamans).

Der Ayahuasca-Rausch

Von der Untersuchung der Anhänger der Uniao de Vegetal versprechen sich die Wissenschaftler Erkenntnisse über die genauen Wirkungen von Ayahuasca. Der Pharmakologe Jordi Riba von der Universität Barcelona untersucht die Effekte des heiligen Tees mittels Scans des Gehirns. Er hat Hinweise auf eine Intensivierung der Erinnerung gefunden:

"Wenn man Leuten Ayahuascagibt, dann erleben sie Erinnerungen wieder, die schon da sind. Es ist, als würde man einen Zufalls-Knopf drücken, der dann den Zugang zu irgendwelchen gespeicherten Erinnerungen öffnet."

Effects of ayahuasca on sensory and sensorimotor gating in humans as measured by P50 suppression and prepulse inhibition of the startle reflex, respectively

DMT steht anderseits aber auch schon seit den 50er Jahren unter dem Verdacht, Schizophrenie auszulösen, was aber nie bewiesen wurde. Robin Murray vom Institute of Psychiatry in London kommentiert:

"Ich habe meine Jugend damit verbracht, Gallonen von Urin von Leuten mit Schizophrenie zu sammeln und zu analysieren. Die endogene DMT-Hypothese von Schizophrenie wurde nie widerlegt, sondern nur von der Dopamin-Theorie überholt, die schneller plausibel war."

Einige Psychiater sind zurzeit zuversichtlich, mithilfe der Massenuntersuchungen von Mitgliedern der Uniao de Vegetal-Gemeinde die Hypothese jetzt zu bestätigen. Das könnte ein neuer Ansatz für Arzneimittel gegen Schizophrenie sein.

Das Prozac der Natur

Aber DMT beeinflusst auch die Aufnahme eines speziellen Typus des Neurotransmitters Serotonin, das den Gemütszustand steuert und unter anderem für den Schlafrhythmus und die Aggression zuständig ist. Neue Antidepressiva steuern den Serotonin-Haushalt (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer). Ayahuasca könnte also im richtigen Zusammenhang verwendet als eine Art natürliches Prozac wirken.

Eine mit den Anhängern von Uniao de Vegetal durchgeführten Befragung erbrachte, dass viele von ihnen früher unter Angstzuständen, Depression oder Alkoholsucht gelitten hatten. Sie alle fühlen sich durch ihre Religionszugehörigkeit transformiert, betonen aber auch den spirituellen Charakter. Ayahuasca wird nur im Rahmen der gemeinsamen Rituale eingenommen, alle anderen Drogen, selbst Tabak, sind streng verboten (Dschungel – "Tee" fördert die geistige Gesundheit). Die Gläubigen nehmen das Gebräu teilweise seit dreißig Jahren regelmäßig zu sich und bestätigen, dass es ihnen sehr gut bekommt. Bekannte Nebenwirkungen sind Erbrechen und Durchfall.

Drogenentzug

Der Tee aus der Ranke der Seelen wird in Peru bereits seit zwölf Jahren erfolgreich zum Drogenentzug eingesetzt. In Takiwasi, was auf Quechua "singendes Haus" bedeutet, im nördlichen Amazonasgebiet werden Süchtige alternativ therapiert und Ayahuasca spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Visionen und Gefühle sind ein Angelpunkt, um den Respekt vor sich selbst wieder zu finden. Das Halluzinogen wird nicht zur Flucht, sondern durch traditionelle Rituale kontrolliert zur Verstärkung der Selbstwahrnehmung genutzt. Eine ehemaliger Patient berichtet:

"You don’t respect the rules when you are drugging yourself, as the preparation of the drugs is done without any tradition. It's done by people who want to make business, not to cure people. You do it to relieve yourself or because you want to destroy yourself. The worlds you access through heroin are not the same worlds that you access through ayahuasca. Heroin alters your perception. It makes you think everything is okay... Sometimes you are dreaming or have thoughts and you access certain kinds of information, but you are not doing anything with it because you are in a process of drugging and destroying yourself because the drug is doing violence to you. So you can't use that kind of information. With ayahuasca, the plants change your perception, show you something which you can use in your own life to help you grow up and not destroy yourself... I have recovered some of my sensitivity, my feelings. I accept more the entirety of life.”

Shamanism, Traditional Medicine and Drug Dependency in the Peruvian Upper Amazon

Spiritueller Zusammenhang

Dr. Jacques Mabit, Gründer und Leiter von Takiwasi, verbindet westliche Medizin mit schamanistischen Heiltraditionen. Seine Erfolgsrate ist enorm: 70 Prozent der Süchtigen, die das Programm absolviert haben, werden nicht rückfällig. Aber Jacques Mabit sieht die Ursachen für Sucht im Mangel an Sinnhaftigkeit in der westlichen Lebensart und machte gegenüber der BBC auch nachdrücklich auf die spirituelle Einbindung seiner Arbeit aufmerksam:

"... die grundlegende Dysfunktionalität der westlichen Kultur: die Abwesenheit jeglicher spiritueller Dimension. Das ist eine Kultur, die die Bedeutung des Heiligen zerstört hat, und es gibt eine Tendenz alle Aspekte der Gesellschaft zu kontrollieren, wobei kein Raum für Freiheit und Kreativität bleibt."

Peru seeks tribal cure for addiction

In der westlichen Welt werden Drogen konsumiert, nicht traditionell in Ritualen eingesetzt. Entsprechend problematisch ist auch eine direkte Übernahme von Ayahuasca ohne den kulturellen Rahmen, in den der heilige Tee seit vielen Generationen in Südamerika eingebunden ist. Wenn Ayahuasca in Pillenform gepresst auf den Psychopharmaka-Markt kommt, wird seine Wirkung automatisch eine andere sein, als nach dem gemeinsamen Trinken im Rahmen einer Messe in der Gemeinschaft der Uniao de Vegetal.

Schon längst kann der westliche Mensch in seinem Begehren nach esoterischer Sinn-Offenbarung ein Schamanismus-Seminar belegen und unter Anleitung eines schnell eingeflogenen Don Juans ein Tässchen Ayahuasca schlürfen. Oder sich die pflanzlichen Zutaten im Internet-Shop bestellen, aufkochen und alleine trinken. Aber oft wird daraus wohl nicht mehr als eine Kotzorgie mit der Erkenntnis, dass selbst die eigenen Visionen eher armselig sind (Mesa mit Ayahuasca-Ritual).