Der Angeklagte als Ankläger
Slobodan Milosevic präsentiert vor dem UN-Tribunal in Den Haag seinen Krieg im "directors' cut"
Nicht nur Arnold Schwarzenegger, auch Slobodan Milosevic führt jetzt einem Weltpublikum seinen mehr als abendfüllenden Spielfilm "Collateral Damage" vor. Inszeniert wird er vor dem internationalen UN-Straftribunal in Den Haag, das Kriegsverbrechen und Völkermord in Ex-Jugoslawien untersucht.
Tote reden nicht und die Wirklichkeit der Akten ist oft genug nicht die Wirklichkeit der Fakten. Das weiß der Jurist Milosevic auch ohne anwaltliche Beratung, die er weiterhin ablehnt und wohl auch nicht benötigt, gut genug. Die Anklagen sind erdrückend, eine Armee von 228 Zeugen wartet auf die Vernehmung, aber Milosevic, seinen verbliebenen Freunden nach härter als Stahl, sucht sein Heil im Angriff.
Er hat den Kriegsfilm, den er nun der teilweise live anwesenden Fernsehöffentlichkeit von Kroatien, Bosnien, Serbien, Kosovo und dem Tribunal verordnet, kräftig geschnitten. Bei ihm beginnt der Horrorstreifen mit den NATO-Luftangriffen, die in Verbindung mit den Drohungen der UCK kausal für die Vertreibungen der Kosovaren gewesen wären. Letztlich sei es das Ziel der NATO gewesen, Serbien in die Steinzeit zurückzubomben und dabei wären Tausende von Ziviltoten in Kauf genommen wurden. Zum Beleg präsentierte er einen Beitrag des ARD-Politmagazins "Monitor", in dem Befragte erklären, die Ermordung von Kosovaren in Racak im Jahre 1999 seien nur der Vorwand für die ohnehin völkerrechtlich nicht mandatierte NATO gewesen, Jugoslawien gnadenlos zu bombardieren. "Nur die Nazis könnten sich so massive Bombardements ausgedacht haben", für den einstigen Herrscher von Belgrad ist es "die größte Aggression seit dem Zweiten Weltkrieg."
Prozess gegen Milosevich droht zur Propagandaveranstaltung zu werden
Die humane Veranstaltung der NATO (Humanbellizismus oder die neue Moralstrategie des humanen Krieges) ist nach diversen Menschenrechtsgruppen in der Tat alles andere als überzeugend gewesen, Hunderte von Zivilisten starben in den "Luftschlägen", von den Schäden an der zivilen Infrastruktur ganz zu schweigen. Gleichwohl ist Milosevics Schreckensversion schon deshalb reichlich obskur, weil man der NATO vieles ankreiden mag, aber das politische, wirtschaftliche oder ethnische Interesse, Serbien zu vernichten, leuchtet auch auf den zweiten Blick nicht ein.
Klaus Hartmann, Sprecher der deutschen Sektion des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic, ist indes davon unbeeindruckt, auch er ist überzeugt, dass Milosevics "Verbrechen" allein darin bestanden haben, "den von Washington seit 1988 verfolgten Plan der Zerschlagung Jugoslawiens ebenso Widerstand geleistet zu haben wie der NATO-Aggression 1999". Der Herr von Belgrad habe sich der "Zerstückelung eines multiethnischen Bundesstaates in ethnische Kleinstaaten widersetzt", keinesfalls aber ein "Großserbien" angestrebt. Milosevic selbst kann sich an keine Politik der ethnischen Säuberungen erinnern, ganz im Gegenteil, Jugoslawien sei ein Musterland ethnischer Harmonie gewesen, der allein durch die perfide westliche Politik ein Ende bereitet worden sei.
Neben seiner Nachinszenierung des Schreckens versucht Milosevic auch prozessual alle Register zu ziehen. Zwar spricht der Angeklagte von einem gegen ihn gerichteten Schauprozess, aber längst ist nicht mehr klar, wer hier die Show abzieht. Das 1993 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzte Tribunal akzeptiert Milosevic selbstverständlich weiterhin nicht (Von der juristischen Austreibung des Kriegs). Inzwischen lässt er sich aber zumindest auf die Verhandlungsführung des Vorsitzenden Richters ein, mit dem er sich zuvor nur äußerst giftige Rededuelle geliefert hatte. Prozessbeobachter halten das Verfahren bisher für fair, immerhin wurden dem Angeklagten 2 1/2 Tage für sein Eröffnungsstatement eingeräumt - und bereits das macht klar, dass sich das Verfahren zur unendlichen Geschichte ausdehnen könnte. Prominente Ex-Kollegen wie Clinton, Blair oder Kohl will der einstmals so mächtige Autokrat in dem auf drei Jahre angesetzten Megaverfahren aufführen.
Solche Prozesse drohen zur Fortführung des Kriegs mit anderen Mitteln zu werden, mindestens aber zu Propagandaveranstaltungen, die umso spektakulärer werden, je stärker alle Beteiligten in die unvermeidliche Schuld von Kriegen verstrickt sind. Sauber bleiben die Geschichtsbücher allenfalls für den Sieger.
Nachgewiesen werden muss Milosevich die persönliche Beteiligung an den Verbrechen
Milosevic, der Verlierer, will an dieser Geschichte aber noch mitschreiben und sich in seinem Verständnis nicht zum Opfer der "Siegerjustiz" abstempeln lassen. Nun dürfte seine Verteidigungsstrategie zwar nicht geeignet sein, als strahlender Sieger aus dem Verfahren zu gehen. Eigenes Unrecht wird durch fremdes Unrecht nicht besser. Aber bereits die etwas diffuse Verhandlungsführung, insbesondere die willkürliche Reihenfolge der Zeugen der Anklage, die zudem oft in wichtigen Punkten Erinnerungslücken aufweisen, macht klar, dass Milosevic noch einige Trümpfe ausspielen wird.
So gelang es ihm bereits, den ehemaligen kommunistischen Parteiführer im Kosovo, Mahmut Bakalli, als schwachen Zeugen vorzuführen. Dieser musste konzedieren, dass viele Albaner bereits vor der Aufhebung des Autonomiestatus für Kosovo, die Unabhängigkeit von Serbien wollten. Auch das nach 1989 einsetzende Apartheidsystem wurde von Bakalli nicht ausreichend belegt. So konnte Bakalli keine der Loyalitätserklärungen gegenüber Jugoslawien präsentieren, die Albaner unterschreiben mussten, wenn sie nicht den Verlust ihres Arbeitsplatzes vorzogen. Einige Zeugen haben dem psychologisch versierten Milosevic demonstrativ den Rücken zugewendet, weil seine Befragungsmethoden inquisitorisch, bohrend, suggestiv und rabulistisch sind. Ein Zeuge, der seine gesamte Familie verloren hatte und sichtlich an den Folgen des Kriegs litt, hielt dem rhetorischen Druck nicht stand. Er musste seine Aussage entnervt abbrechen, was der Angeklagte mit dem höhnischen Kommentar an die Anklage begleitete, dieser habe schlicht die Unwahrheit gesagt. Ein 67-jähriger Bauer ließ sich von Milosevics Finessen indes nicht düpieren. Er habe serbische Milizen gesehen, die den Schrecken anrichteten, nicht aber die NATO. Auf das ständige Nachfragen des Angeklagten beschied er ihm: "Sie wollen mich verunsichern. Das wird Ihnen nicht gelingen."
Ob es aber gelingt, den verdächtigen Schreibtischtäter wirklich zu überführen, steht auch noch nicht fest. Milosevics Verantwortung kann nach den gesetzlichen Tatbeständen nicht nur damit begründet werden, dass er den Schrecken irgendwie hat möglich werden lassen. Die Anklage unter der Ägide von UN-Chefanklägerin Carla del Ponte insistiert auf Milosevics höchstpersönlicher Beteiligung am Tatunrecht. Gericht und Anklage wollen vor allem - neben der Beachtung der gesetzlichen Vorgaben - nicht den serbischen Verdacht nähren, hier solle in der Person des Serbenführers die Kollektivschuld über das serbische Volk verhängt werden.
Das Kollektivschuld-Argument spielte bekanntlich auch in der deutschen Vergangenheitspolitik der Nachkriegsjahre eine so entscheidende Rolle, dass die individuelle Täterschuld in einigen Fällen dahinter gut versteckt werden konnte. Und darauf spekuliert Milosevic auch. Vor allem richtet sich die Kritik der Serben auf den Umstand, dass bisher weder Politiker der Republik Kroatien noch Kosovo-Albaner angeklagt worden wären. Hier solle nur die kriegerische Demontage des serbischen Staats nun auch juristisch besiegelt werden. Der energisch auftretende Angeklagte appelliert an die Gefühle der Serben und hofft damit die inzwischen schwächer gewordene Solidarität mit seinem Schicksal wieder zu entfachen.
Die drei Anklageschriften gehen von einer Mittäterschaft Milosevics an Kriegsverbrechen und im Fall von Bosnien an Völkermord aus, d.h. er hat geschaltet und gewaltet, geplant und angestiftet, aufgehetzt und begünstigt, sodass die ihm zur Last gelegten Kriegsverbrechen, die andere exekutierten, als sein Werk gelten dürfen. Milosevic machte sich indes über den Ankläger lustig, dass er als Mastermind drei ethnische Kriege seit den 1990er Jahren angezettelt haben soll, um ein großserbisches Imperium zu errichten:
"Wahrscheinlich glaubt er, ich sei ein Übermensch, mit übermenschlichen Kräften, Menschen zu beeinflussen. Man rechnet mir wohl magische, gottähnliche Kräfte zu."
Diese höhnische Riposte reicht zwar kaum aus, seine Beteiligung unisono zu bestreiten, aber längst ist der Nachweis nicht geführt, dass der Herrscher aus Belgrad insbesondere in den Fällen von Kroatien und Bosnien verantwortlich im Sinne des Gesetzes ist. Es muss nachgewiesen werde, dass Milosevic von 1987 bis zum Herbst 2000 mindestens auch die de facto Kontrolle über die serbische Republik in Bosnien, die "Serbischen Republik Krajina" in Kroatien und andere serbische Gruppen gehabt hat. Diese etwas diffizile Machtverschaltung zwischen den diversen serbischen Gruppen, das Verhältnis von autonomem Handeln und Weisungsunterworfenheit, wird im Fall des Kosovo geringere Probleme bereiten, weil hier die Befehlsstruktur völlig eindeutig war.
Auch in Serbien wurde gegen den Terror gekämpft
Umstritten ist, ob das Verfahren überhaupt sinnvoll ist (Von der juristischen Austreibung des Kriegs), immerhin stellt es eine beachtliche Durchbrechung des Prinzips "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen" dar. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass mit der juristischen Ächtung von Kriegsverbrechen und Völkermord der Krieg nicht reingewaschen wird.
In der einstmals für obsolet gehaltenen Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen, die nun seit Bushs multiplem Feldzug ihre Renaissance erlebt, wird der Krieg wieder in einer Weise nobilitiert, die unerträglich ist. Über die justizielle Nachbearbeitung kriegerischen Unrechts wie im vorliegenden Verfahren hinaus wäre es mindestens so wichtig, die humanitäre Kosten-Nutzen-Analyse von Kriegen auch jenseits der Schuldfrage zu objektivieren. Ein Feldzug wie etwa in Afghanistan, dessen Resultat schließlich doch wieder Bürgerkrieg heißt, kann sich nicht brüsten, ein humanitärer Erfolg gewesen zu sein. Und mit dieser Scheinheiligkeit des human inszenierten Kriegs, der angeblich die Welt ein Stück besser macht, versucht nun auch Milosevic seinen Prozess zu munitionieren.
Argumentativ ist der Serbenchef auf der Höhe der Zeit. Im Blick auf die Terrorhatz dieser Tage verkauft er sich nun zugleich als aufrechten Antiterrorkämpfer, der im Kosovo und Bosnien den Terror befehdet habe, als er beobachtete, dass örtliche Muslime von fremden "Heiligen Kriegern" unterstützt worden wären. Milosevic hat die Signale gehört: Afghanistan ist ab heute überall. Hier wird zurechtgeklittert, was nicht zusammen gehört, aber deutlich belegt, wie wohlfeil solche Blankettermächtigungen sind.
Der einstmals bei den Friedensverhandlungen in Dayton hofierte Milosevic versteht angeblich die Welt nicht mehr. Die Amerikaner zögen um den Globus, um den Terrorismus zu bekämpfen und wenn man dasselbe im eigenen Lande tue, wäre das ein Verbrechen. Auch diese Argumentation ist ein Kollateralschaden, freilich ein unblutig diskursiver, der im Verfahren noch aufgeklärt werden sollte.