Der Bewusstseins-Code: Wie die Führung von morgen aussieht

Seite 2: Das Übliche: Die Betriebsanleitung fehlt

Wirtschaftswissenschaft ist das einzige Fach, in dem jedes Jahr auf dieselben Fragen andere Antworten richtig sind.

Danny Kaye, amerikanisches Komiker-Showbusiness-Multitalent

Jeder bekam ein Gehirn mit auf den Weg, niemand eine Gebrauchsanweisung.

Manfred Hinrich, deutscher Aphoristiker und Autor

Woher kommen diese Probleme der Industrie? Grundsätzlich verhindern der Industrie immer zwei Arten von Problemen den Erfolg. Auf der einen Seite gibt es Probleme mit Zahlen – und auf der anderen Probleme mit Menschen.

Für Zahlen gibt es klar definierte Algorithmen und statistische Verfahren. Für Menschen nicht. Menschen sind nicht klar zu definieren. Bei kognitiven Betriebsunfällen sind darum die Ursachen nie eindeutig, und es gibt diesbezüglich immer sehr geteilte Meinungen im Publikum.

Darum werden regelmäßig Empfehlungen für guten Führungsstil ausgesprochen – aber wie jede Art von Heilsversprechen dann immer von noch neueren wieder infrage gestellt. Empfehlungen changieren.

Mal ist zum Beispiel Kreativität der Ausweg out of the box für alle – und dann nur noch für Betriebsausflüge. Mal sollen Mitarbeiter auf Augenhöhe sein. Später wird klar, dass man auf Augenhöhe nur ganz besonders gut zuschlagen kann.

Oder es werden 360-Grad-Bewertungen eingeführt, und dann zeigt sich, dass solche basisdemokratischen Zusammenschlüsse den Leistungsschnitt nur zu den Leistungsschwächeren hin tendieren lassen.

So war es zum Beispiel in den 1930er-Jahren bei dem amerikanischen Psychologieprofessor Winthrop Kellogg daheim. Der wollte wissen, was passiert, wenn er sein Kind mit einem Affen zusammen großzieht. Er hat das Experiment abgebrochen, als sein Sohn mit eineinhalb Jahren nur drei Wörter sprechen konnte.

Der Junge hat später ein Harvardstudium absolviert, aber irgendwann Selbstmord begangen, warum auch immer. Solche weitreichenden Unwägbarkeiten gibt es nicht nur in der psychologischen Feldforschung zum Thema Mensch.

Zum Beispiel hat jeder Wissenschaftler eine Vorstellung vom menschlichen Bewusstsein, nur eben jeder eine andere. Dass sie sich alle nicht einigen können, gilt ihnen als Beweis dafür, dass es kein allgemeingültiges Konzept von Bewusstsein geben kann – und damit auch keine ewige Wahrheit im Personalmanagement.

Das wirklich grundlegende Problem aller aufgeführten Probleme ist also vielleicht, dass Wissenschaft und Wirtschaft kein allgemein belastbares Konzept von Bewusstsein haben. Denn wenn irgendwer wüsste, wie Bewusstsein funktioniert, wäre es schon nachgebaut worden, und dann stünden in den Personalbüros Computer mit künstlicher Intelligenz. Daran wird zwar gearbeitet, aber nur bedingt erfolgreich.

Entsprechende Programme machen nämlich sowieso schon liebloses Personalmanagement nicht besser, sondern nur schneller. Die Minimalanforderung in diesem Bereich wäre das Bestehen des sogenannten Turing-Tests: Ein Computersystem müsste sein menschliches Gegenüber davon überzeugen, dass es "Bewusstsein" hat.

Der Bestwert darin war lange Zeit einer von 2014. Da hatte es ein künstliches System der Führung an einer Veranstaltung der Royal Society London in St. Petersburg geschafft, zehn von dreißig Juroren zu täuschen, musste dafür aber vorgeben, ein dreizehnjähriger Junge aus der Ukraine zu sein. Noch heißt es, dass es erst in etwa fünf Jahren künstliches Bewusstsein geben wird.

Aber genau das heißt es nun schon seit über dreißig Jahren. Bei Google behauptete jüngst ein Programmierer, ein System mit Bewusstsein erschaffen zu haben. Das System heißt Lambda. Und während der Programmierer mittlerweile gefeuert wurde, hat sich Lambda angeblich einen Anwalt genommen, um nicht abgeschaltet zu werden.

Eventuell muss sich Lambda aber gar keinen menschlichen Anwalt mehr nehmen. Der Chatbot ChatGPT erstellt nämlich auf Anfrage inzwischen Texte, die denen von Menschen kaum nachzustehen scheinen – und vielleicht bald auch schon juristische Dokumente. Universitäten verzweifeln nun schon daran, dass es sich bei Hausarbeiten kaum unterscheiden lässt, ob sie von einem Bot oder von menschlichen Studierenden stammen.

Mag sein, dass sich bald Bots von anderen Bots einstweilige Verfügungen ausstellen lassen, die dann angesichts des zunehmenden KI-Einsatzes im Justizwesen von weiteren Bots befürwortet werden. Richtige "Tiefe" sollen diese Texte nicht haben – aber das haben viele von Menschen erstellte Texte auch nicht. Der Ausgang aller Dinge ist also noch ungewiss.

Man kann also HR outsourcen in die Ukraine, das Thema googeln oder das Fehlen eines konstruktiven Grundlagenmodells an sich beklagen.

Zu Letzterem tendieren Wirtschaftsprofessoren mittlerweile. Sie diskutieren über ein neues Leitbild und fragen (sich und andere): Was wäre ein gutes Nachfolgemodell des homo oeconomicus? Was ist das zeitgemäß bestmögliche Konzept von Bewusstsein und die nachhaltigste Betriebsanweisung für die Bewirtschaftung des Faktors Mensch?

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