Der Bewusstseins-Code: Wie die Führung von morgen aussieht

Seite 4: Was tun? Nichts: In der Praxis

Nur wer sich das Unmögliche zum Ziel setzt, kann das gerade noch Mögliche erreichen.

Viktor Frankl, österreichischer Psychiater

Das Sein bestimmt das Bewusstsein."

Karl Marx

Die Praxis ist ausgebucht. Im Alltag ist angesichts vieler Alltagsprobleme nie Zeit für die Suche nach einem neuen Bewusstseinskonzept. Allein die Fragestellung wirkt schon zu akademisch, um ernst genommen zu werden. Darum wird der Faktor Mensch in nahezu jeder größeren Firmenstruktur vernachlässigt, obwohl er dort eigentlich die wertvollste und wertintensivste Maschine ist.

Echte Maschinen werden laut Ingenieursformeln typischer-weise mit fünf bis zehn Prozent des Neubeschaffungswerts unterhalten. Aber solche Investitionsvolumina sind in der Praxis weit entfernt von dem, womit die echten Menschen "unterhalten" und versorgt werden. Das Thema Bewusstsein fällt damit unter den Tisch. Die Folgen davon sind die genannten Probleme.

Warum es kein Supply-Chain-Management des Denkens gibt

Das Bewusstsein des Menschen ist sein Schicksal.

Hans-Christoph Neuert

Das schönste aller Geheimnisse ist es, ein Genie zu sein und es als Einziger zu wissen.

Mark Twain

Etwas Genaues weiß man nicht. Sicher ist nur:

1. Es bedarf offenbar anderer und umfassenderer Werkzeuge zur Bewirtschaftung dieses wichtigsten Kapitals der Firma als der vorhandenen.
2. Es gibt aus den weichen Fächern Hinweise darauf, dass Bewusstsein allgemein und ganz speziell hoch leistungsfähiges Bewusstsein etwas mit ästhetisch-vernetztem Denken zu tun hat. Nur sind diese Hinweise aus den nicht betriebswirtschaftlichen Fächern nicht verständlich für die industrielle Nutzung. Denn sie wirken, um es respektvoll zu sagen, sehr speziell.
3. Darum weiß leider niemand, wie Bewusstsein funktioniert. Sonst gäbe es Turing-Test-taugliche HR-Computer für Punkt 1 und Supergenie-Studiengänge für Punkt 2.

Solange aber keiner weiß, wie Bewusstsein funktioniert, ist nicht abzuschätzen, ob, warum und wie sehr der Faktor Mensch in Funktion und Risiko unterschätzt wird und wie viel das kostet. Es ist also durchaus möglich, dass die derzeitigen HR-Strategien nur ein Herumdoktoren am System sind. Wie ein mittelalterliches Kurieren von Symptomen ohne die Kenntnis von Ursachen.

Jeder strategische Entscheider und Verantwortungsträger, der aus irgendeinem psychologischen Grund seine technischen Möglichkeiten nicht optimal verwaltet oder gar einen Burnout bekommt, muss bei einem solchen Informationsstand dann die Schuld bei sich selbst vermuten – war aber vielleicht nur unzureichend informiert.

Zugegeben, das eine schließt das andere nicht unbedingt aus. Aber die Informationslage könnte anscheinend tatsächlich besser sein, und es fragt sich, wie diese Herausforderung am besten zu meistern ist.

Debottlenecking the humanities: Ein Modell aus den Kellern der weichen Fächer

Die Zukunft der Wirtschaft liegt im Verständnis des Menschen für das Gleichgewicht im Naturgesetz und in seinem Entschluss, mit der Natur anstatt gegen sie zu arbeiten.

Walter Russell, Grenzgänger zwischen Ästhetik und Wissenschaft

Nicht wir haben Geheimnisse, die wirklichen Geheimnisse haben uns.

Carl Gustav Jung, analytischer Psychologe

Debottlenecking bezeichnet eine Engpassbeseitigung wie zum Beispiel das Quetschen von sperrigen Informationen durch einen dünnen Flaschenhals.

Die Überschrift Debottlenecking the humanities impliziert dementsprechend: Wenn in den humanities, also den Wissenschaften über den Menschen und den schönen Künsten, vielleicht wichtige Wahrheiten über den Menschen verborgen sind und es aber schwer ist, an diese Informationen heranzukommen, dann müssen wir diese Fächer durch den Flaschenhals der Disziplinen bugsieren.

Wir müssen sie in kleine Einheiten komprimieren und decodieren. Das wäre natürlich einfach, wenn diese "Baupläne des Bewusstseins" irgendwo auslägen. Die gute Nachricht dazu ist: Es gibt diese Pläne. Die schlechte Nachricht lautet: Sie sind schwer zugänglich.

Es ist genauso wie in einem Buch von Douglas Adams an der Stelle, an der die Hauptperson der Geschichte, Arthur Dent, mit einem Bauunternehmer streitet, weil Dent nicht darüber informiert wurde, dass sein Haus abgerissen werden soll.

Er schmeißt sich vor die anrückenden Bagger, und der Bauunternehmer rechtfertigt sich, die Baugenehmigung sei doch korrekt im Planungsbüro ausgelegen.

Dass dies in einem unbeleuchteten, schlecht zugänglichen und mit absurden Gefahrenwarnungen versehenen Kabuff geschehen ist, macht Dent zwar geltend – aber vergebens. Er habe zum ersten Mal davon gehört, als einen Tag vorher ein Arbeiter bei ihm aufgetaucht sei.

Gefragt, ob er zum Fensterputzen gekommen sei, habe der Mann den Hausabriss erwähnt – nachdem er vorher die Fenster geputzt und fünf Pfund dafür verlangt hatte. Dann erst hatte Arthur davon erfahren, dass die Pläne für den Abriss neun Monate ausgelegen hatten.

In einem Keller. Wo das Licht kaputt war und die Treppe auch. In einem abgesperrten Aktenschrank in einem Toilettenraum mit einer Aufschrift, die vor einem bissigen Leoparden warnte. Und so ähnlich ist es auch mit dem menschlichen Bewusstsein.

Die Informationen dazu liegen aus. Aber sie sind nicht oder nur schwer einzusehen. Erstens liegen sie in den Kellern der Geisteswissenschaften und Künste, und zweitens wäre den Vertretern der harten Wissenschaften ein Leopard lieber, als in diesen Keller zu müssen. Die weichen Fächer wirken auf die harten nicht unbedingt vertrauenerweckend.

Für eine Überprüfung und eventuelle Nutzung der weichen Fächer müssen diese Informationen darum in die technische Sprache der Industrie transferiert werden.

Stefanie Voigt ist Geisteswissenschaftlerin. Sie unterrichtet als Privatdozentin u.a. Wissenschaftstheorie, Kunst und Philosophie an der Universität Augsburg sowie Führungskompetenz und Persönlichkeitsentwicklung am eco2050 Institut für Nachhaltigkeit in Nürnberg, am CETPM (Center of Excellence for Total Productive Management) Herrieden und an der HEX, der Hochschule für Exzellenz in Stansstad in der Schweiz. Studiert hat sie dafür Geschichte und Germanistik, promoviert in Theoretischer Psychologie und sich später in Kulturwissenschaften habilitiert.

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