Der Bitcoin
Seite 2: Wider den ganz großen Clou
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Bitcoins zirkulieren gar nicht erst beim User, Geld ausgeben kann nur der, der es laut Kassenbuch erhalten hat, Einträge im Kassenbuch sind endgültig - die letzte Chance zum Betrug ist der ganz große Clou.
Jemand könnte das Kassenbuch - ab einem Zeitpunkt, d.h. einem gewissen Block - zu seinen Gunsten insgesamt fälschen, indem er eigene Auszahlungen herausnimmt. Er könnte den gefälschten Block und alle folgenden Blöcke mit korrekten Prüfsummen versehen und die komplett gefälschte Buchführung der werten Community als das aktuelle Kassenbuch unterjubeln.
Um solche Buchfälschung zu vereiteln, verlangsamt Nakamotos Bitcoin-Protokoll die Verbuchung von Blöcken durch einen "Arbeitsnachweis": Es wird eine Zahl in jeden Block eingefügt, die so geraten werden muss, dass die Prüfsumme über diesen Block mit einer vorgeschriebenen Anzahl von Nullen beginnt. Der Prüfsummen-Algorithmus ist so beschaffen, dass man eine solche Zahl nur durch wiederholtes Ausprobieren finden kann.
Das dauert umso länger, je mehr Nullen erwartet werden. Durch diese Verzögerung wird es einem einzelnen Fälscher unmöglich, der kompletten, ihm davonwachsenden Kette der Blöcke mit neuen Prüfsummen hinterherzurechnen - sofern er nicht über mehr Rechenkapazität verfügt als der rechtschaffene Rest der Welt zusammen.
Überschreitet jedoch ein Teilnehmer die Grenze von 50% der insgesamt eingesetzten Rechenkapazität, ist das Kassenbuch korrumpierbar und das Digitalgeld kaputt. Mehr als zehn Jahre lang hat man sich darauf verlassen, dass eine solche Mehrheit des Bösen nicht zustande kommt.
Diese Idee, die Integrität der Buchführung durch ein Wettrennen auf dem Feld der Rechenkraft zu sichern, wird Nakamoto generell als genialer Einfall zugeschrieben. Zugleich kann man es als eine Verzweiflungstat ansehen, wenn Nakamoto in der Welt der Informatik, wo algorithmische Effizienz höchste Tugend und oberstes Gebot ist, den Rechenaufwand künstlich erhöht, um die Mitglieder der geschätzten Community am Betrügen zu hindern. Zu welchen Verrücktheiten das später noch führt, hat er sich wohl nicht träumen lassen
Selbermachen verboten, erst recht beim selbstgemachten Geld
Auch in der Welt des digitalen Geldes muss Geld Ausschluss bedeuten. Dass den meisten Leuten das benötigte Geld fehlt, darf man keinesfalls auf die Weise angehen, dass dann eben Geld hergestellt wird, bis jeder genug hat. Ohne Geldmangel verliert Geld seinen Sinn, ob real oder digital. Nakamoto hat das verstanden. Bitcoins muss man verdienen, indem man sich damit für eine Ware oder eine Dienstleistung bezahlen lässt - von jemand, der schon Bitcoins hat. Aber wie kommen sie überhaupt in die Welt?
Ach ja - manch' einer beteiligt sich mit seinem Rechner an der Buchführung, dann bekommt er für jeden Block von Überweisungen, den er ins Kassenbuch einfügt, einen kleinen Bitcoin-Betrag "aus dem Nichts" gutgeschrieben.
So bringt die Bitcoin-Software nach und nach 21 Millionen Bitcoin in den Umlauf, will sagen: in das Kassenbuch. Das Netzwerk justiert sich so, dass etwa alle 10 Minuten ein neuer Block errechnet wird; entstehen die Blöcke schneller oder langsamer, wird der Arbeitsbeweis erschwert oder erleichtert.
Etwa im Jahr 2040 sind die 21 Millionen Bitcoin erreicht. Das, schätzt Nakamoto, reicht für alle vorstellbaren Szenarien der Bitcoin-Verbreitung, denn er macht den Bitcoin nicht etwa in 100 Bit-Cent unterteilbar, sondern in 1.000.000.00 kleinste Einheiten. Das digitale Geld kommt von Geburt an daher wie ein neuer Zimbabwe-Dollar nach der x-ten Währungsreform, der dann 1.000.000 alte Zimbabwe-Dollars bedeutet, die man aber als Rechnungseinheiten - im Hinblick auf kommende, bessere Zeiten - beibehalten hat. Nakamoto nennt diesen Trick "deflationäre Tendenz". Nebenbei: Der japanische Vorname Satoshi bedeutet so viel wie "Schlaumeier".
Geld ohne Seele, beherzt unterwegs
Mit Peer-to-Peer Technik, mit Prüfsummen und kryptographischen Signaturen sowie mit Hochleistungsrechnern, die sich selber ausbremsen, ist es Nakamoto gelungen, sein autonom und anonym im Internet verwaltetes Spielgeld den Ansprüchen gerecht zu machen, denen das wirkliche Geld dank staatlicher Aufsicht genügt: Es funktioniert wie ausschließender, privater Besitz, es kann zwischen Besitzern übertragen, aber weder entwendet, gefälscht noch veruntreut werden.
Keiner kann es vermehren über die vorgeplante automatische Erzeugung hinaus. So wie das wahre Geld auf Schritt und Tritt behütet und bewacht wird vom bürgerlichen Recht, weil es den Reichtum der Gesellschaft schlechthin darstellt und (fast) jeder davon zu wenig hat, so verteidigt die Bitcoin-Software die Integrität des Kassenbuchs gegen alle Versuche, es zu hacken - ganz ohne Rückgriff auf eine höhere Autorität. Nakamoto arbeitet an einem Paradox: Die staatliche Garantie ist die Seele des echten Geldes, er aber will ein Geld schaffen, das nicht auf Gewalt beruht.
Geld ist eine Notwendigkeit des Warenverkehrs, und erst recht des Kapitalismus, in dem die Geldvermehrung das Movens der Ökonomie ist, von deren krisenbehaftetem Gelingen alles andere abhängt. In welcher Form das Geld auftritt, ist eine historische Angelegenheit. Vom glitzernden Edelmetall in Urzeiten ausgehend hat es viele Metamorphosen durchgemacht.
Heute existiert es überall in der nationalen Uniform staatlicher Währungen. Die höchste Gewalt gebietet für das Territorium ihrer Souveränität den Gebrauch ihrer - an sich wertlosen - Zettel als das Geld ihrer Gesellschaft. So verschafft sie ihm die allgemeine Gültigkeit, auf die sich die Wirtschaftssubjekte verlassen. Ein modernes Geld ohne solchen Rückhalt in einer politischen Autorität sich überhaupt vorzustellen und dann noch beherzt in die Welt zu setzen, ist eine Schnapsidee, die allenfalls durch ihre Respektlosigkeit imponieren kann.
Keiner will's gewesen sein
Egal wie es gedacht ist - der Sache nach ist es ein subversiver Akt, den Wirtschaftssubjekten aller Nationen die Alternative eines übernationalen Geldes anzubieten, in dem sie ihre Geschäfte am staatlichen Geld vorbei und unterhalb des Radars der staatlichen Steueraufsicht vollziehen können.
Es befreit die Gesellschaft davon, das gesetzlich verordnete Zahlungsmittel zu benutzen, und es untergräbt mit dem verbindlichen Charakter des nationalen Geldes auch dessen internationalen Status. Wenn die Untertanen dem Geld ihrer Obrigkeit ein fremdes Geld vorziehen, ist es nicht mehr weit zum failed state. Es ist Nakamoto wohl von Anbeginn klar, dass sein konkurrierendes Geld-Experiment bei den Geldhoheiten dieser Welt nicht unbedingt willkommen sein wird.
Noch bemerkenswerter als seine algorithmische Kunstfertigkeit ist die Konsequenz, mit der er die Welt über seine Identität im Unklaren gelassen hat. "Satoshi Nakamoto" ist ein Pseudonym, das bis heute nicht gelüftet worden ist.
Etwa zwei Jahre lang hat Nakamoto an seiner Idee programmiert und niemand davon erzählt. Im August 2008 hat er sie auf einer Mailing-Liste für Kryptographie zum ersten Mal vorgestellt, und wenig später - dazwischen fiel gerade der Höhepunkt der großen Finanzkrise mit der Pleite von Lehman Brothers - seine Software in der Public Domain veröffentlicht. Er hat den ersten Block des Kassenbuchs selbst erzeugt, und seither wuchert seine Blockchain wie ein gutartiges Geschwür im Internet.
Ansichten eines Geldverbesserers
In seinem Whitepaper von 2008 präsentiert Nakamoto seine Idee als einen Beitrag zur Verbesserung des Zahlungsverkehrs im Internet und als Lösung des Double-Spending-Problems, an dem die Zunft der Geldprogrammierer sich bisher die Zähne ausgebissen hat.
Ein bisschen scheinheilig darf man das im Nachhinein nennen - denn er stellt seine Erfindung gar nicht in den Dienst des "commerce on the internet" und der "trusted third parties", die ihn abwickeln. Im Gegenteil - er verbessert nicht ihren Zahlungsverkehr, sondern propagiert ein besseres Geld, das die bisherigen Institutionen des Geldverkehrs ins Abseits stellt.
"Besser" soll es sein vom Standpunkt des privaten Bürgers, der den Staat der Geldentwertung und die Banken der riskanten Kreditblasenbildung bezichtigt. Der auf dem Standpunkt steht, das Geld müsste ihm zu Diensten sein, und nie auf den Verdacht kommt, dass es in Wahrheit umgekehrt ist. Dem es beim Geld auf Kaufkraft und Wertstabilität in seiner Hand ankommt, und dem andere Geldfunktionen wie Kreditierung des Wirtschaftswachstums und Sicherung des Staatshaushalts demgegenüber herzlich egal sind.
Der daher ausgerechnet die Garanten des Geldes aus erster und zweiter Hand, also Nationalbank und Geschäftsbanken beschuldigt, "sein" Geld zu entwerten und gelegentlich ganz zu gefährden. Bei allen Vorbehalten aber kommt er nicht darum herum, doch den Garanten des Geldes zu vertrauen, das er ja doch verwenden muss. Diese verbreitete, quasi gutbürgerliche Geldkritik holt Nakamoto aus der Hinterstube des belanglosen Meinens heraus ins Internet und lädt dazu ein, dort damit Ernst zu machen.
Anders als der brave Geldbürger will Nakamoto sich mit der Verpflichtung auf das staatliche Geld nicht abfinden. Den hoheitlichen Stiftern und Hütern des Geldes bestreitet Nakamoto jeden positiven Beitrag zum das Geldwesen und erklärt sie zu reinen Geldverderbern. Er wirft ihnen Missbrauch des in sie gesetzten Vertrauens vor, und will ihnen die Hoheit über das Geld der Bürger entziehen.
Das soll geschehen, ganz ohne Revolte, indem die Bürger sich als "Community" auf ein neues Geld einigen, das ganz das ihre ist. Als ob Nakamoto eine Woche Volkswirtschaft studiert hätte, wo man lernt, dass hinter dem Geld nicht mehr steckt als eine Konvention unter Geldbesitzern!
"Ich würde es nehmen"
Vom Chef der Bundesbank, auf den Bitcoin angesprochen, wird die lakonische Aussage berichtet: "Geld ist, was als Geld funktioniert." (Man merkt, Jens Weidmann hat auch Volkswirtschaft studiert.) Nakamoto findet es zwar "irgendwie zirkulär", etwas als Geld zu nehmen, weil andere es auch tun. Trotzdem: "Ich würde es jedenfalls tun", sagt er im Peer-to-Peer- Forum und geht mit gutem Beispiel voran - zu einem Zeitpunkt, wo der Erwerb der ersten 50 Bitcoin nicht mehr kostet als ein paar Minuten Rechenzeit auf einem gewöhnlichen PC.
Es ist nicht ohne Ironie, dass an die Stelle des erzwungenen Vertrauens ins staatliche Geld beim Bitcoin nun das grundlose Vertrauen getreten ist, anders gesagt die spekulative Freiheit, auf den Bitcoin zu setzen in der Hoffnung auf andere, die das Gleiche tun. Ob Nakamoto da schon ahnt, was er wirklich gebastelt hat?